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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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poincarö, Frankreich und die Revanche

geizige Politiker den Chauvinismus machten, sondern daß die deutschfeindlichen
Volksströmungen auch immer wieder jene Politiker in ihren Bann zogen und
in ihr Schlepptau nahmen, die an und für sich zu einer Versöhnung einsichtig
genug und bereit waren.

Der Krieg hat den Chauvinismus in Frankreich zu geradezu wahnsinniger
Hitze gesteigert. Wir wollen dem Widerstande der französischen Nation eine
gewisse Größe nicht absprechen. Aber die Quellen, aus denen die französische
Seele immer und immer wieder die Kraft zum Widerstande schöpft, sind doch
grundverschieden von den unseren. Sie sind nur Haß, tierischer Haß geradezu,
gegen alles, was deutsch ist, gleichgültig, ob Personen oder Sachen, Geist oder
Stoff, und sie sind wahnsinnige, blinde Überhebung.

Man lese den "Matin". Man sage nicht: Ein Skandalblatt. Jawohl
ein Radaublatt, aber eines das zu Hunderttausend-" gekauft und gelesen und
blind geglaubt wird, eines, das die mächtigsten Beziehungen und Verbindungen
hat, eines, das sehr oft Sprachrohr der Regierung, jedenfalls aber vieler
leitender Politiker ist. Täglich wird da in unsagbar verächtlicher, in unsagbar
haßerfüllter Weise von unserem Wesen, unserer Kultur, unserer Arbeit ge¬
sprochen, täglich werden die schlimmsten Schauergeschichten von unserer Krieg¬
führung, Schandtaten unserer Soldaten, Behandlung der französischen Ge¬
fangenen usw. usw. aufgetischt, täglich eine Flut von Schimpfnamen über uns
ergossen, der Kaiser und die deutschen Führer und Leiter mit Gift, Galle und
Gemeinheiten von oft geradezu lachhafter Unglaublichkeit bedacht. Und wie
der "Matin", so die vielen andern. Nur so erklären sich Szenen wie die zu
Lyon, wo letztes Jahr, laut Bericht eines Schweizers, die nach Deutschland
abgeschobenen deutschen Schwerverwundeten mit Schmähungen überhäuft wurden
und vor Tätlichkeiten kaum geschützt werden konnten.

Wer die französische Seelenverfassung während der letzten zwei Jahre vor
dem Kriege aufmerksam und allseitig aus nächster Nähe beobachtet hat, kann
sich darüber nicht wundern. Der Haß war latent. Auch in der Masse. Oft
trat er in taktlosester und verletzendster Weise zu Tage, "l^ c>ne3lion ä'^Igacs
n'sse pa8 6u tout reZIöL" war in gebildeten Faunen sehr oft der erste Satz,
den man zu hören bekam. Der Gedanke von den "natürlichen" Grenzen
Frankreichs (gemeint ist der Rhein!) spukte selbst in radikalen Köpfen, wenn er
vielleicht auch nur in intimerer Diskusston zum Vorschein kam. Deutschland
muß wieder in seine (nur zwangsweise vereinten!) Teile aufgelöst werden, war
eine ständig wiederkehrende Vorstellung, bezeichnenderweise am meisten bei der
jungen studentischen Generation. Die ganze Gedankenwelt des Franzosen war
von dem Worte "Deutschland" beherrscht. Sein ganzes politisches, militärisches,
soziales Leben war gebildet von der Furcht und der Scheu vor diesem Wort.
Deutschland war seit Jahren der Alp, der ihn quälte Tag und Nacht, infolge
begreiflicher und überwältigender Suggestion auch den gemeinen Mann, es war
das "Monstre" -- wie einmal der Lyoner Bürgermeister Herriot in einer


poincarö, Frankreich und die Revanche

geizige Politiker den Chauvinismus machten, sondern daß die deutschfeindlichen
Volksströmungen auch immer wieder jene Politiker in ihren Bann zogen und
in ihr Schlepptau nahmen, die an und für sich zu einer Versöhnung einsichtig
genug und bereit waren.

Der Krieg hat den Chauvinismus in Frankreich zu geradezu wahnsinniger
Hitze gesteigert. Wir wollen dem Widerstande der französischen Nation eine
gewisse Größe nicht absprechen. Aber die Quellen, aus denen die französische
Seele immer und immer wieder die Kraft zum Widerstande schöpft, sind doch
grundverschieden von den unseren. Sie sind nur Haß, tierischer Haß geradezu,
gegen alles, was deutsch ist, gleichgültig, ob Personen oder Sachen, Geist oder
Stoff, und sie sind wahnsinnige, blinde Überhebung.

Man lese den „Matin". Man sage nicht: Ein Skandalblatt. Jawohl
ein Radaublatt, aber eines das zu Hunderttausend-» gekauft und gelesen und
blind geglaubt wird, eines, das die mächtigsten Beziehungen und Verbindungen
hat, eines, das sehr oft Sprachrohr der Regierung, jedenfalls aber vieler
leitender Politiker ist. Täglich wird da in unsagbar verächtlicher, in unsagbar
haßerfüllter Weise von unserem Wesen, unserer Kultur, unserer Arbeit ge¬
sprochen, täglich werden die schlimmsten Schauergeschichten von unserer Krieg¬
führung, Schandtaten unserer Soldaten, Behandlung der französischen Ge¬
fangenen usw. usw. aufgetischt, täglich eine Flut von Schimpfnamen über uns
ergossen, der Kaiser und die deutschen Führer und Leiter mit Gift, Galle und
Gemeinheiten von oft geradezu lachhafter Unglaublichkeit bedacht. Und wie
der „Matin", so die vielen andern. Nur so erklären sich Szenen wie die zu
Lyon, wo letztes Jahr, laut Bericht eines Schweizers, die nach Deutschland
abgeschobenen deutschen Schwerverwundeten mit Schmähungen überhäuft wurden
und vor Tätlichkeiten kaum geschützt werden konnten.

Wer die französische Seelenverfassung während der letzten zwei Jahre vor
dem Kriege aufmerksam und allseitig aus nächster Nähe beobachtet hat, kann
sich darüber nicht wundern. Der Haß war latent. Auch in der Masse. Oft
trat er in taktlosester und verletzendster Weise zu Tage, „l^ c>ne3lion ä'^Igacs
n'sse pa8 6u tout reZIöL" war in gebildeten Faunen sehr oft der erste Satz,
den man zu hören bekam. Der Gedanke von den „natürlichen" Grenzen
Frankreichs (gemeint ist der Rhein!) spukte selbst in radikalen Köpfen, wenn er
vielleicht auch nur in intimerer Diskusston zum Vorschein kam. Deutschland
muß wieder in seine (nur zwangsweise vereinten!) Teile aufgelöst werden, war
eine ständig wiederkehrende Vorstellung, bezeichnenderweise am meisten bei der
jungen studentischen Generation. Die ganze Gedankenwelt des Franzosen war
von dem Worte „Deutschland" beherrscht. Sein ganzes politisches, militärisches,
soziales Leben war gebildet von der Furcht und der Scheu vor diesem Wort.
Deutschland war seit Jahren der Alp, der ihn quälte Tag und Nacht, infolge
begreiflicher und überwältigender Suggestion auch den gemeinen Mann, es war
das „Monstre" — wie einmal der Lyoner Bürgermeister Herriot in einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/85>, abgerufen am 13.05.2024.