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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Grundgedanken des Wirtschaftskrieges

in denen wir Maschinen und Halbfabrikate, Vorarbeiter und Unternehmer
in großem Maßstabe aus England bezogen. Der über alle Maßen großartige
Aufschwung der technischen Wissenschaften und der Naturwissenschaften, die Heran¬
bildung eines tüchtigen, unter dem Schutze der Sozialgesetzgebung wohlgehaltenen,
gelernten und ungelernten Arbeiterstandes und der Pioniergeist des deutschen
Unternehmertums, das sind Faktoren, die wir ruhig den Pariser Wirtschafts¬
beschlüssen entgegenstellen dürfen. Wenn also die Pariser Konferenzmächte als
ein würdiges Gegenstück zu dem Exportausschluß der Mittelmächte beschlossen
haben, alles was an internationalen Patent- und Markenschutz, internationalem
Schutz des literarischen und künstlerischen Eigentums in der Zeit vor dem Kriege
erreicht worden ist, in Scherben zu schlagen und einer teilweisen Freibeuter¬
periode Tür und Tor zu öffnen, so ist auch das ein Punkt, dessen Bedeutung
wir nicht unterschätzen, aber auch mit Nichten überschätzen wollen. Der Ent¬
wicklung dieser Dinge können wir getrost entgegensehen.

Wir versagen uns, an diesem Ort auf die scharfen, bereits in offener
Form zutage tretenden ^Interessengegensätze wirtschaftlicher Art im Rahmen der
Vierverbandsmächte selber des näheren einzugehen. Das Großbritannische Im¬
perium mit seiner ausgesprochenen Industrialisierung, das noch überwiegend
agrarische Rußland, Italien, Serbien und Montenegro und das wirtschaftlich
geschwächte Frankreich und Belgien, wie stellen sich die Herren Asquith,
Grey und Runciman die Aufgabe vor, die divergierenden Interessen aller
dieser Länder unter einen Hut zu bringen? Der Handelsverkehr ist mit
dem modernen Kapitalismus so eng verbunden, daß Schädigungen des einen
auch Schädigungen des anderen bedeuten. Die "wirtschaftliche Schützengraben¬
gemeinschaft" also, die die Pariser Wirtschaftskonferenz "beschlossen" hat, ist
nichts weiter als eine schöne Phrase. Sehr scharf drückte die Gegensätzlichkeiten
in dem feindlichen Lager der Präsident der Moskaner Börse aus, der erklärte:
"Wir müssen darauf bedacht sein, uns nicht nur gegen unsere Feinde, sondern
auch gegen unsere Freunde wirtschaftlich zu verteidigen". Dem allen halten wir
den weit logischeren und zwingenderen Aufbau der mitteleuropäischen Wirtschafts¬
gemeinschaft von Hamburg bis Bagdad entgegen. Es handelt sich also für uns,
ohne unser Ausfallstor nach der Nordsee zu vernachlässigen, darum, allen Ernstes
und energisch an diesem Abwehrbund zu arbeiten.

Wir fassen zusammen: als leitende Ideen bestimmen den heutigen und
künftigen wirtschaftlichen Krieg die Furcht Englands vor dem neuerstehenden
deutschen Wettbewerb, die Furcht vor der nun mehr und mehr infolge der Selbst-
zerfleischung Europas zum Aufschwung gelangenden Konkurrenz der Vereinigten
Staaten von Amerika uno Japans, die Absicht Englands, die eigenen Bundes¬
genossen sür alle Zeiten an sich zu fesseln und sie zu verpflichten, sich auch
weiterhin vor den Karren der Londoner Regierung und der englischen Geldinteressen
spannen zu lassen. Der Krieg, den dabei die Entente gegen die Neutralen führt,
ist lediglich eine Nebenerscheinung für die Dauer des Krieges mit dem Ziele,


Die Grundgedanken des Wirtschaftskrieges

in denen wir Maschinen und Halbfabrikate, Vorarbeiter und Unternehmer
in großem Maßstabe aus England bezogen. Der über alle Maßen großartige
Aufschwung der technischen Wissenschaften und der Naturwissenschaften, die Heran¬
bildung eines tüchtigen, unter dem Schutze der Sozialgesetzgebung wohlgehaltenen,
gelernten und ungelernten Arbeiterstandes und der Pioniergeist des deutschen
Unternehmertums, das sind Faktoren, die wir ruhig den Pariser Wirtschafts¬
beschlüssen entgegenstellen dürfen. Wenn also die Pariser Konferenzmächte als
ein würdiges Gegenstück zu dem Exportausschluß der Mittelmächte beschlossen
haben, alles was an internationalen Patent- und Markenschutz, internationalem
Schutz des literarischen und künstlerischen Eigentums in der Zeit vor dem Kriege
erreicht worden ist, in Scherben zu schlagen und einer teilweisen Freibeuter¬
periode Tür und Tor zu öffnen, so ist auch das ein Punkt, dessen Bedeutung
wir nicht unterschätzen, aber auch mit Nichten überschätzen wollen. Der Ent¬
wicklung dieser Dinge können wir getrost entgegensehen.

Wir versagen uns, an diesem Ort auf die scharfen, bereits in offener
Form zutage tretenden ^Interessengegensätze wirtschaftlicher Art im Rahmen der
Vierverbandsmächte selber des näheren einzugehen. Das Großbritannische Im¬
perium mit seiner ausgesprochenen Industrialisierung, das noch überwiegend
agrarische Rußland, Italien, Serbien und Montenegro und das wirtschaftlich
geschwächte Frankreich und Belgien, wie stellen sich die Herren Asquith,
Grey und Runciman die Aufgabe vor, die divergierenden Interessen aller
dieser Länder unter einen Hut zu bringen? Der Handelsverkehr ist mit
dem modernen Kapitalismus so eng verbunden, daß Schädigungen des einen
auch Schädigungen des anderen bedeuten. Die „wirtschaftliche Schützengraben¬
gemeinschaft" also, die die Pariser Wirtschaftskonferenz „beschlossen" hat, ist
nichts weiter als eine schöne Phrase. Sehr scharf drückte die Gegensätzlichkeiten
in dem feindlichen Lager der Präsident der Moskaner Börse aus, der erklärte:
„Wir müssen darauf bedacht sein, uns nicht nur gegen unsere Feinde, sondern
auch gegen unsere Freunde wirtschaftlich zu verteidigen". Dem allen halten wir
den weit logischeren und zwingenderen Aufbau der mitteleuropäischen Wirtschafts¬
gemeinschaft von Hamburg bis Bagdad entgegen. Es handelt sich also für uns,
ohne unser Ausfallstor nach der Nordsee zu vernachlässigen, darum, allen Ernstes
und energisch an diesem Abwehrbund zu arbeiten.

Wir fassen zusammen: als leitende Ideen bestimmen den heutigen und
künftigen wirtschaftlichen Krieg die Furcht Englands vor dem neuerstehenden
deutschen Wettbewerb, die Furcht vor der nun mehr und mehr infolge der Selbst-
zerfleischung Europas zum Aufschwung gelangenden Konkurrenz der Vereinigten
Staaten von Amerika uno Japans, die Absicht Englands, die eigenen Bundes¬
genossen sür alle Zeiten an sich zu fesseln und sie zu verpflichten, sich auch
weiterhin vor den Karren der Londoner Regierung und der englischen Geldinteressen
spannen zu lassen. Der Krieg, den dabei die Entente gegen die Neutralen führt,
ist lediglich eine Nebenerscheinung für die Dauer des Krieges mit dem Ziele,


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[0092] Die Grundgedanken des Wirtschaftskrieges in denen wir Maschinen und Halbfabrikate, Vorarbeiter und Unternehmer in großem Maßstabe aus England bezogen. Der über alle Maßen großartige Aufschwung der technischen Wissenschaften und der Naturwissenschaften, die Heran¬ bildung eines tüchtigen, unter dem Schutze der Sozialgesetzgebung wohlgehaltenen, gelernten und ungelernten Arbeiterstandes und der Pioniergeist des deutschen Unternehmertums, das sind Faktoren, die wir ruhig den Pariser Wirtschafts¬ beschlüssen entgegenstellen dürfen. Wenn also die Pariser Konferenzmächte als ein würdiges Gegenstück zu dem Exportausschluß der Mittelmächte beschlossen haben, alles was an internationalen Patent- und Markenschutz, internationalem Schutz des literarischen und künstlerischen Eigentums in der Zeit vor dem Kriege erreicht worden ist, in Scherben zu schlagen und einer teilweisen Freibeuter¬ periode Tür und Tor zu öffnen, so ist auch das ein Punkt, dessen Bedeutung wir nicht unterschätzen, aber auch mit Nichten überschätzen wollen. Der Ent¬ wicklung dieser Dinge können wir getrost entgegensehen. Wir versagen uns, an diesem Ort auf die scharfen, bereits in offener Form zutage tretenden ^Interessengegensätze wirtschaftlicher Art im Rahmen der Vierverbandsmächte selber des näheren einzugehen. Das Großbritannische Im¬ perium mit seiner ausgesprochenen Industrialisierung, das noch überwiegend agrarische Rußland, Italien, Serbien und Montenegro und das wirtschaftlich geschwächte Frankreich und Belgien, wie stellen sich die Herren Asquith, Grey und Runciman die Aufgabe vor, die divergierenden Interessen aller dieser Länder unter einen Hut zu bringen? Der Handelsverkehr ist mit dem modernen Kapitalismus so eng verbunden, daß Schädigungen des einen auch Schädigungen des anderen bedeuten. Die „wirtschaftliche Schützengraben¬ gemeinschaft" also, die die Pariser Wirtschaftskonferenz „beschlossen" hat, ist nichts weiter als eine schöne Phrase. Sehr scharf drückte die Gegensätzlichkeiten in dem feindlichen Lager der Präsident der Moskaner Börse aus, der erklärte: „Wir müssen darauf bedacht sein, uns nicht nur gegen unsere Feinde, sondern auch gegen unsere Freunde wirtschaftlich zu verteidigen". Dem allen halten wir den weit logischeren und zwingenderen Aufbau der mitteleuropäischen Wirtschafts¬ gemeinschaft von Hamburg bis Bagdad entgegen. Es handelt sich also für uns, ohne unser Ausfallstor nach der Nordsee zu vernachlässigen, darum, allen Ernstes und energisch an diesem Abwehrbund zu arbeiten. Wir fassen zusammen: als leitende Ideen bestimmen den heutigen und künftigen wirtschaftlichen Krieg die Furcht Englands vor dem neuerstehenden deutschen Wettbewerb, die Furcht vor der nun mehr und mehr infolge der Selbst- zerfleischung Europas zum Aufschwung gelangenden Konkurrenz der Vereinigten Staaten von Amerika uno Japans, die Absicht Englands, die eigenen Bundes¬ genossen sür alle Zeiten an sich zu fesseln und sie zu verpflichten, sich auch weiterhin vor den Karren der Londoner Regierung und der englischen Geldinteressen spannen zu lassen. Der Krieg, den dabei die Entente gegen die Neutralen führt, ist lediglich eine Nebenerscheinung für die Dauer des Krieges mit dem Ziele,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/92>, abgerufen am 06.06.2024.