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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Reformen im freiheitlichen Sinne Folge zu leisten. Und selbst, wenn der
preußische Mnisterpräfident unter dem Eindruck der Geschehnisse in Rußland
zu der Folgerung gekommen sein sollte oder noch kommen sollte, daß die Neu¬
ordnung unserer inneren Verhältnisse nicht mehr bis zum Frieden aufgeschoben
bleiben könne, sondern schon jetzt festere Gestalt gewinnen müsse, und wenn er
dieser seiner Auffassung innerhalb des Staatsministeriunis, in dem er im Grunde
genommen doch nur primu8 Inter pares ist. unbedingt Geltung verschaffen
könnte, so ist und bleibt es doch vollkommen ausgeschlossen -- jeder Kenner
der Verhältnisse wird mir das zugeben -- daß eine aus die sofortige Durch-
führung des Reichstagswahlrechts in Preußen gerichtete Vorlage eine Majorität
innerhalb des Abgeordnetenhauses, so wie es jetzt zusammengesetzt ist, finden
würde. Die Linksparteien würden in hoffnungsloser Isolierung bleiben. Neu¬
wahlen aber während des Krieges, ohne daß unsere Feldgrauen das Gewicht
ihrer Stimme in die Wagschale fallen lassen könnten, möchte selbst den Sozial¬
demokraten als ein Unding erscheinen; sie wären obendrein, da sich die Steuer¬
leistungen während des Krieges von Grund aus verschoben haben und eine
völlige Neuanfertigung der Wahllisten zur Folge haben müßten, nicht einmal
"im Handumdrehen" zu erledigen. Ob endlich Neuwahlen auf Grund der
Parole der Einführung des Reichstagswahlrechts in Preußen eine so durch¬
greifende Verschiebung in dem Besitzstände der Parteien herbeiführen würden,
daß die Linksparteien mit einem Schlage die Majorität gewännen, steht doch
fehr dahin. Gewiß hat auch Bismarck es als feststehend betrachtet, daß die
konservative Partei im Abgeordnetenhaus", wenn die Regierung die Hand van
ihr abziehe, mit Hilfe von ein bis zwei Auflösungen zu Paaren getrieben
werden könne. Wie sich aber die Dinge gestalten würden, wenn die Wahl¬
parole der Regierung sich nicht allein gegen die Konservativen, sondern eben¬
sowohl gegen alle übrigen Parteien bis auf die entschiedene Linke richten müßte,
das ist doch eine andere Frage.

Im Grunde genommen wissen das auch unsere Linksparteien ganz gut.
Keiner hat es klarer auseinandergesetzt als der volksparteiliche Reichstags¬
abgeordnete G. Gothein in einem im "Berliner Tageblatt" vom 4. März ver¬
öffentlichten Aufsatz: "Der Weg. dem Volk sein Recht zu geben." Nach Gothein
bestände für eine Regierung, die el" wirklich freiheitliches Wahlrecht durchführen
wollte, immer noch eher Aussicht, mit dem Herrenhause, wo die Krone jederzeit
einen starken Pairsschub vornehmen kann, fertig zu werden, als mit dem
Abgeordnetenhause. Gothein zitiert in diesem Zusammenhange das Wort eines
hohen Reichsbeamten: "Wir befinden uns in einem eisernen Netz konservativer
Verwaltung und Selbstverwaltung, und es bedürfte einer ganz ungewöhnliche"
staatsmännischen Kraft, um es zu zerreißen." und er sagt ganz offen, daß er
Herrn von Bethmann Hollweg eine solche Kraft nicht zutraue.

Nun hat sich ja das Vertrauen der Linken auf Herrn von Bethmann
Hollwegs Kraft durch sewe Rede vom 14. März ganz wesentlich verstärkt.


Reformen im freiheitlichen Sinne Folge zu leisten. Und selbst, wenn der
preußische Mnisterpräfident unter dem Eindruck der Geschehnisse in Rußland
zu der Folgerung gekommen sein sollte oder noch kommen sollte, daß die Neu¬
ordnung unserer inneren Verhältnisse nicht mehr bis zum Frieden aufgeschoben
bleiben könne, sondern schon jetzt festere Gestalt gewinnen müsse, und wenn er
dieser seiner Auffassung innerhalb des Staatsministeriunis, in dem er im Grunde
genommen doch nur primu8 Inter pares ist. unbedingt Geltung verschaffen
könnte, so ist und bleibt es doch vollkommen ausgeschlossen — jeder Kenner
der Verhältnisse wird mir das zugeben — daß eine aus die sofortige Durch-
führung des Reichstagswahlrechts in Preußen gerichtete Vorlage eine Majorität
innerhalb des Abgeordnetenhauses, so wie es jetzt zusammengesetzt ist, finden
würde. Die Linksparteien würden in hoffnungsloser Isolierung bleiben. Neu¬
wahlen aber während des Krieges, ohne daß unsere Feldgrauen das Gewicht
ihrer Stimme in die Wagschale fallen lassen könnten, möchte selbst den Sozial¬
demokraten als ein Unding erscheinen; sie wären obendrein, da sich die Steuer¬
leistungen während des Krieges von Grund aus verschoben haben und eine
völlige Neuanfertigung der Wahllisten zur Folge haben müßten, nicht einmal
„im Handumdrehen" zu erledigen. Ob endlich Neuwahlen auf Grund der
Parole der Einführung des Reichstagswahlrechts in Preußen eine so durch¬
greifende Verschiebung in dem Besitzstände der Parteien herbeiführen würden,
daß die Linksparteien mit einem Schlage die Majorität gewännen, steht doch
fehr dahin. Gewiß hat auch Bismarck es als feststehend betrachtet, daß die
konservative Partei im Abgeordnetenhaus«, wenn die Regierung die Hand van
ihr abziehe, mit Hilfe von ein bis zwei Auflösungen zu Paaren getrieben
werden könne. Wie sich aber die Dinge gestalten würden, wenn die Wahl¬
parole der Regierung sich nicht allein gegen die Konservativen, sondern eben¬
sowohl gegen alle übrigen Parteien bis auf die entschiedene Linke richten müßte,
das ist doch eine andere Frage.

Im Grunde genommen wissen das auch unsere Linksparteien ganz gut.
Keiner hat es klarer auseinandergesetzt als der volksparteiliche Reichstags¬
abgeordnete G. Gothein in einem im „Berliner Tageblatt" vom 4. März ver¬
öffentlichten Aufsatz: „Der Weg. dem Volk sein Recht zu geben." Nach Gothein
bestände für eine Regierung, die el» wirklich freiheitliches Wahlrecht durchführen
wollte, immer noch eher Aussicht, mit dem Herrenhause, wo die Krone jederzeit
einen starken Pairsschub vornehmen kann, fertig zu werden, als mit dem
Abgeordnetenhause. Gothein zitiert in diesem Zusammenhange das Wort eines
hohen Reichsbeamten: „Wir befinden uns in einem eisernen Netz konservativer
Verwaltung und Selbstverwaltung, und es bedürfte einer ganz ungewöhnliche»
staatsmännischen Kraft, um es zu zerreißen." und er sagt ganz offen, daß er
Herrn von Bethmann Hollweg eine solche Kraft nicht zutraue.

Nun hat sich ja das Vertrauen der Linken auf Herrn von Bethmann
Hollwegs Kraft durch sewe Rede vom 14. März ganz wesentlich verstärkt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/28>, abgerufen am 19.05.2024.