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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Garantien für die deusschen Schulen in Polen

deutsche Bevölkerungsanteil nur auf 1 Prozent (in diesen Gegenden gibt es
natürlich keine deutschen Schulen). Die Deutschen sind zum größten Teil
evangelisch, und umgekehrt sind die Mitglieder der evangelischen Kirche zumeist
Deutsche. Nicht alle haben sich vor Polonisterung oder Russifizierung bewahrt,
aber es gibt doch, namentlich auf dem Lande, noch eine ganze Reihe von
Siedlungen, in denen sich die deutsche Sprache und Sitte gut erhalten hat.
Ihr Schulwesen hatte seit 1870 unter planmäßiger Russifizierungsarbeit zu
leiden; erst nach der Revolution von 1905 durfte das Deutsche wieder als
Unterrichtssprache neben Russisch oder Polnisch gewählt werden. Natürlich
haben diese Umstände die Entfaltung des deutschen Schulwesens gehemmt.

Dabei war die Entwicklung auf dem Lande und in den Städten ver¬
schieden. Auf dem Lande, wo die Kantoren unterrichteten, gab es im ganzen
etwa neunhundert Kantoratsschulen. Bemerkenswert ist nun, daß diese Schulen
von der russischen Regierung im Jahre 1864 reichs gesetzlich anerkannt wurden,
daß ihre Kampf- und Leidenszeit aber anfing, als das polnische Bauerntum
in seinem nationalen Bewußtsein erstarkte. Da wurden die Deutschen zu den
Lasten der neuerrichteten Gemeinde Schulen mit herangezogen, also mit doppelter
Schulsteuer beschwert, daher denn die Kantoratsschulen zurückgingen, schließlich
den Deutschen aus der Hand glitten und unter das Aufsichtsrecht der Behörden
gerieten. In den Städten war die Entwicklung anders. Lodz vor allem --
wir folgen hier den von der Warschauer Presseabteilung herausgegebenen
"Warschauer Mitteilungen" -- besaß seit 1831 durch fünfundvierzig Jahre eine
deutsche Elementarschule, bis, in den siebziger Jahren, die Stadt immer mehr
Industriestadt wurde und die polnischen Arbeiter ein großes zahlenmäßiges
Übergewicht erhielten. 1906 gestand die russische Regierung der deutschen
Bürgerschaft eine besondere Schulklasse zu, und gleichzeitig gründeten deutsche
Unternehmer einen deutschen Gymnasial- und Realschulverein, der leider nicht
zum Ziele kam; denn er errichtete zwar 1910 eine reich ausgestattete Anstalt,
sie erlag aber in kurzer Zeit der Russifizierung. Erst im August 1S15, also
nach der deutschen Besetzung wurde ein neues deutsches Realgymnasium eröffnet,
das sich seither zu einem Vollgymnasium mit mehr als sechshundert Schülern
ausgewachsen hat. In Pabianice ist in der Kriegszeit ein deutsches Progymnasium
entstanden. 1915 bildete sich auch der deutsche Lycealverein, der dann im
April 1916 das Luisen-Lyceum (jetzt acht Klassen mit über dreihundert
Schülerinnen) in Lodz eröffnete. Schon in russischer Zeit besaß die weibliche
deutsche Jugend in Lodz eine private Mädchenschule, die heute ebenfalls etwa
dreihundert Schülerinnen zählt. Eine deutsche Bürgerschule endlich, die den
deutschen Mittelschulen nachgebildet ist, setzt in Lodz in vierjährigen Lehrgang
die Ausbildung der Volksschulen fort. Auch eine deutsche Volksschule wurde
Ende 1916 mit vierhundertfünfzig Kindern in neun Klassen eröffnet, und für
Kindergärten und Frobelschulen wurde gleichfalls gesorgt. Soviel in Kürze
Äer den bisherigen Bestand des deutschen Schulwesens in Polen.


Garantien für die deusschen Schulen in Polen

deutsche Bevölkerungsanteil nur auf 1 Prozent (in diesen Gegenden gibt es
natürlich keine deutschen Schulen). Die Deutschen sind zum größten Teil
evangelisch, und umgekehrt sind die Mitglieder der evangelischen Kirche zumeist
Deutsche. Nicht alle haben sich vor Polonisterung oder Russifizierung bewahrt,
aber es gibt doch, namentlich auf dem Lande, noch eine ganze Reihe von
Siedlungen, in denen sich die deutsche Sprache und Sitte gut erhalten hat.
Ihr Schulwesen hatte seit 1870 unter planmäßiger Russifizierungsarbeit zu
leiden; erst nach der Revolution von 1905 durfte das Deutsche wieder als
Unterrichtssprache neben Russisch oder Polnisch gewählt werden. Natürlich
haben diese Umstände die Entfaltung des deutschen Schulwesens gehemmt.

Dabei war die Entwicklung auf dem Lande und in den Städten ver¬
schieden. Auf dem Lande, wo die Kantoren unterrichteten, gab es im ganzen
etwa neunhundert Kantoratsschulen. Bemerkenswert ist nun, daß diese Schulen
von der russischen Regierung im Jahre 1864 reichs gesetzlich anerkannt wurden,
daß ihre Kampf- und Leidenszeit aber anfing, als das polnische Bauerntum
in seinem nationalen Bewußtsein erstarkte. Da wurden die Deutschen zu den
Lasten der neuerrichteten Gemeinde Schulen mit herangezogen, also mit doppelter
Schulsteuer beschwert, daher denn die Kantoratsschulen zurückgingen, schließlich
den Deutschen aus der Hand glitten und unter das Aufsichtsrecht der Behörden
gerieten. In den Städten war die Entwicklung anders. Lodz vor allem —
wir folgen hier den von der Warschauer Presseabteilung herausgegebenen
„Warschauer Mitteilungen" — besaß seit 1831 durch fünfundvierzig Jahre eine
deutsche Elementarschule, bis, in den siebziger Jahren, die Stadt immer mehr
Industriestadt wurde und die polnischen Arbeiter ein großes zahlenmäßiges
Übergewicht erhielten. 1906 gestand die russische Regierung der deutschen
Bürgerschaft eine besondere Schulklasse zu, und gleichzeitig gründeten deutsche
Unternehmer einen deutschen Gymnasial- und Realschulverein, der leider nicht
zum Ziele kam; denn er errichtete zwar 1910 eine reich ausgestattete Anstalt,
sie erlag aber in kurzer Zeit der Russifizierung. Erst im August 1S15, also
nach der deutschen Besetzung wurde ein neues deutsches Realgymnasium eröffnet,
das sich seither zu einem Vollgymnasium mit mehr als sechshundert Schülern
ausgewachsen hat. In Pabianice ist in der Kriegszeit ein deutsches Progymnasium
entstanden. 1915 bildete sich auch der deutsche Lycealverein, der dann im
April 1916 das Luisen-Lyceum (jetzt acht Klassen mit über dreihundert
Schülerinnen) in Lodz eröffnete. Schon in russischer Zeit besaß die weibliche
deutsche Jugend in Lodz eine private Mädchenschule, die heute ebenfalls etwa
dreihundert Schülerinnen zählt. Eine deutsche Bürgerschule endlich, die den
deutschen Mittelschulen nachgebildet ist, setzt in Lodz in vierjährigen Lehrgang
die Ausbildung der Volksschulen fort. Auch eine deutsche Volksschule wurde
Ende 1916 mit vierhundertfünfzig Kindern in neun Klassen eröffnet, und für
Kindergärten und Frobelschulen wurde gleichfalls gesorgt. Soviel in Kürze
Äer den bisherigen Bestand des deutschen Schulwesens in Polen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/160>, abgerufen am 22.05.2024.