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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Iungelsaß und die neudeutsche Aultur
Lzadubert Von

't^v^i^^> er französische König, der Elsaß und Lothringen der neu erstarkten
politischen Einheit Frankreich einfügte, schuf durch seinen Hof die
klassische Kultur seiner Nation, die den Sturz der absolutistischen
Staatsform lange überlebte. Das Mittelalter hat Ludwig der
Vierzehnte zerstört und, ohne es zu wollen, die rationalistische
Bourgeoiszivilisation des modernen Frankreich angebahnt. An diesem Prozeß
der Umschmelzung der Lebensformen des ^ncisn rö^ime in die des bürger¬
lichen Frankreich des neunzehnten Jahrhunderts nahm das Elsaß untätig Anteil
und wurde so den Überlieferungen seines mittelalterlichen und frühneuzeitlichen
Deutschtums entfremdet. Aber auch Deutschland war eben diesen Überlieferungen,
wenn auch vielleicht in abgeschwächterem Maße, entfremdet worden: ebenfalls
durch einen absoluten Herrscher, durch den Preußenkönig Friedrich den Zweiten.
Mit ihm entschied sich die Zukunft Deutschlands: daß dieses Land zunächst ein¬
mal mit den überlebten Reichstraditionen entschlossen brechen müsse, um durch
die jüngeren preußischen Energien seine militärisch-machtpolitische Erneuerung
zu erfahren. So setzte sich seit den Befreiungskriegen in ganz Deutschland ein
neuer Lebenstyp preußischen Ursprungs durch. Deutschland wurde militärisch-
bureaukratisch genau zur selben Zeit, in der das Elsaß bürgerlich-demokratisch
im Sinne der westlichen Zivilisation wurde. Damit war auf dem Gebiet des
staatlich-sozialen Lebens eine beträchtliche Schranke aufgerichtet. Dazu erwuchsen
in demselben Zeitraum wichtige kulturelle Gegensätze. Auch hier versanken die
früheren gemeinschaftlichen Kulturtraditionen, die noch in die Aufklärung hinein¬
reichten. In dem letzten Jahrhundert der Trennung legte das politisch zer¬
splitterte Deutschland den Grund zu einer einheitlichen Nationalkultur, dem
sogenannten klassischen Idealismus von Weimar und Jena. Von dieser Epoche
wurden zwei wichtige soziale Verkörperungen nachhaltig beeinflußt: unsere
humanistischen Gymnasien und unsere Universitäten mit ihren Burschenschafter.
Auch an diesen Entwicklungen nahm Elsaß-Lothringen nicht oder doch nicht in
vollem Umfange teil. Hieraus erst erwuchs eine kulturelle Entfremdung, die
noch dem jungen Goethe in Straßburg nicht fühlbar war. Während der deutsche
Geist in einer kurzen Blütezeit aus den Urtiefen der Seele und des Geistes
eine völlig eigenwüchsige Transzendentalkultur ans Licht förderte und bis zu
einem gewissen Grad zum nationalen Gemeingut erhob, so daß dieser Idea¬
lismus heute bereits anfängt trivial zu werden, prägte das Elsaß lediglich eine




Iungelsaß und die neudeutsche Aultur
Lzadubert Von

't^v^i^^> er französische König, der Elsaß und Lothringen der neu erstarkten
politischen Einheit Frankreich einfügte, schuf durch seinen Hof die
klassische Kultur seiner Nation, die den Sturz der absolutistischen
Staatsform lange überlebte. Das Mittelalter hat Ludwig der
Vierzehnte zerstört und, ohne es zu wollen, die rationalistische
Bourgeoiszivilisation des modernen Frankreich angebahnt. An diesem Prozeß
der Umschmelzung der Lebensformen des ^ncisn rö^ime in die des bürger¬
lichen Frankreich des neunzehnten Jahrhunderts nahm das Elsaß untätig Anteil
und wurde so den Überlieferungen seines mittelalterlichen und frühneuzeitlichen
Deutschtums entfremdet. Aber auch Deutschland war eben diesen Überlieferungen,
wenn auch vielleicht in abgeschwächterem Maße, entfremdet worden: ebenfalls
durch einen absoluten Herrscher, durch den Preußenkönig Friedrich den Zweiten.
Mit ihm entschied sich die Zukunft Deutschlands: daß dieses Land zunächst ein¬
mal mit den überlebten Reichstraditionen entschlossen brechen müsse, um durch
die jüngeren preußischen Energien seine militärisch-machtpolitische Erneuerung
zu erfahren. So setzte sich seit den Befreiungskriegen in ganz Deutschland ein
neuer Lebenstyp preußischen Ursprungs durch. Deutschland wurde militärisch-
bureaukratisch genau zur selben Zeit, in der das Elsaß bürgerlich-demokratisch
im Sinne der westlichen Zivilisation wurde. Damit war auf dem Gebiet des
staatlich-sozialen Lebens eine beträchtliche Schranke aufgerichtet. Dazu erwuchsen
in demselben Zeitraum wichtige kulturelle Gegensätze. Auch hier versanken die
früheren gemeinschaftlichen Kulturtraditionen, die noch in die Aufklärung hinein¬
reichten. In dem letzten Jahrhundert der Trennung legte das politisch zer¬
splitterte Deutschland den Grund zu einer einheitlichen Nationalkultur, dem
sogenannten klassischen Idealismus von Weimar und Jena. Von dieser Epoche
wurden zwei wichtige soziale Verkörperungen nachhaltig beeinflußt: unsere
humanistischen Gymnasien und unsere Universitäten mit ihren Burschenschafter.
Auch an diesen Entwicklungen nahm Elsaß-Lothringen nicht oder doch nicht in
vollem Umfange teil. Hieraus erst erwuchs eine kulturelle Entfremdung, die
noch dem jungen Goethe in Straßburg nicht fühlbar war. Während der deutsche
Geist in einer kurzen Blütezeit aus den Urtiefen der Seele und des Geistes
eine völlig eigenwüchsige Transzendentalkultur ans Licht förderte und bis zu
einem gewissen Grad zum nationalen Gemeingut erhob, so daß dieser Idea¬
lismus heute bereits anfängt trivial zu werden, prägte das Elsaß lediglich eine


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[0102] [Abbildung] Iungelsaß und die neudeutsche Aultur Lzadubert Von 't^v^i^^> er französische König, der Elsaß und Lothringen der neu erstarkten politischen Einheit Frankreich einfügte, schuf durch seinen Hof die klassische Kultur seiner Nation, die den Sturz der absolutistischen Staatsform lange überlebte. Das Mittelalter hat Ludwig der Vierzehnte zerstört und, ohne es zu wollen, die rationalistische Bourgeoiszivilisation des modernen Frankreich angebahnt. An diesem Prozeß der Umschmelzung der Lebensformen des ^ncisn rö^ime in die des bürger¬ lichen Frankreich des neunzehnten Jahrhunderts nahm das Elsaß untätig Anteil und wurde so den Überlieferungen seines mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Deutschtums entfremdet. Aber auch Deutschland war eben diesen Überlieferungen, wenn auch vielleicht in abgeschwächterem Maße, entfremdet worden: ebenfalls durch einen absoluten Herrscher, durch den Preußenkönig Friedrich den Zweiten. Mit ihm entschied sich die Zukunft Deutschlands: daß dieses Land zunächst ein¬ mal mit den überlebten Reichstraditionen entschlossen brechen müsse, um durch die jüngeren preußischen Energien seine militärisch-machtpolitische Erneuerung zu erfahren. So setzte sich seit den Befreiungskriegen in ganz Deutschland ein neuer Lebenstyp preußischen Ursprungs durch. Deutschland wurde militärisch- bureaukratisch genau zur selben Zeit, in der das Elsaß bürgerlich-demokratisch im Sinne der westlichen Zivilisation wurde. Damit war auf dem Gebiet des staatlich-sozialen Lebens eine beträchtliche Schranke aufgerichtet. Dazu erwuchsen in demselben Zeitraum wichtige kulturelle Gegensätze. Auch hier versanken die früheren gemeinschaftlichen Kulturtraditionen, die noch in die Aufklärung hinein¬ reichten. In dem letzten Jahrhundert der Trennung legte das politisch zer¬ splitterte Deutschland den Grund zu einer einheitlichen Nationalkultur, dem sogenannten klassischen Idealismus von Weimar und Jena. Von dieser Epoche wurden zwei wichtige soziale Verkörperungen nachhaltig beeinflußt: unsere humanistischen Gymnasien und unsere Universitäten mit ihren Burschenschafter. Auch an diesen Entwicklungen nahm Elsaß-Lothringen nicht oder doch nicht in vollem Umfange teil. Hieraus erst erwuchs eine kulturelle Entfremdung, die noch dem jungen Goethe in Straßburg nicht fühlbar war. Während der deutsche Geist in einer kurzen Blütezeit aus den Urtiefen der Seele und des Geistes eine völlig eigenwüchsige Transzendentalkultur ans Licht förderte und bis zu einem gewissen Grad zum nationalen Gemeingut erhob, so daß dieser Idea¬ lismus heute bereits anfängt trivial zu werden, prägte das Elsaß lediglich eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/102>, abgerufen am 10.06.2024.