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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Iungelsaß und die neudeutsche Kultur

kaum anzunehmen sein, daß jene Unternehmungen, die von Großvaters Zeiten
her gerade eben noch durchhielten, den Stoß dieses Krieges überdauern werden.
Jedenfalls ist zu hoffen, daß der Neuaufbau der oberelsässischen Industrie in
technischer und finanzieller Beziehung auf der ganzen Linie die engste Wechsel¬
wirkung mit der gesamtdeutschen Industrie herstellen und so dies wichtige Teil¬
gebiet deutscher Arbeit erst entschlossen in das Gesamtsystem der deutschen Technik
und Wirtschaft einstellen wird. Ist hier erst einmal das Eis völlig gebrochen,
so wird nicht nur der fließende Austausch von Arbeitskräften, sondern vor allem
auch die Solidarität der Interessen den letzten Rest von Hemmungen beseitigen,
die der Eindeutschung dieser für das Land so ungeheuer wichtigen industriellen
Kreise im Wege standen. Trotz der deutschen, manchmal nur in der Orthographie
etwas verwelschten Namen, die diese Fabrikantenfamilien tragen, wird aus ihren
Häusern natürlich das Französische nicht über Nacht schwinden. Das kann
schließlich auch ihre Sache bleiben. Wenn es wenigstens vorbei ist mit dein
Französisch in den Kondoren ihrer Fabriken, in den Briefköpfen, Geschäfts¬
formularen und Rechnungsbüchern, wo es sich bislang noch unnatürlich breit¬
machte! Und wenn ferner der unerbittliche Konkurrenzkampf mit der alten,
lieben Vetterlewirtschaft aufräumt und überall den Tüchtigen, sei er der deutsch-
elsässischen Unterschicht, sei er gar altdeutschen Familien entsprossen, auch hier
an den richtigen Platz stellt, dann wird langsam, aber sicher der bislang überaus
starke suggestive Einfluß weichen, den die französische Lebensführung der Fabri¬
kantenhäuser auf die sozial und finanziell von ihnen abhängige Groß- und
Kleinbourgeoisie gerade dieser oberelsässischen Fabrikstädte ausübte. Gerade
diese Orte -- inmitten einer völlig deutschen, allemannisch-hartschädeligen Bauern-
und Winzerbevölkerung gelegen -- waren die gefährlichsten Zentren der fran¬
zösischen Kulturpropaganda und des reaktionären Nationalismus im Lande,
weil hier gerade allen sozial Emporkommenden das Gift einer französelnden
Scheinbildung eingeimpft wurde.

Also der gesunde Realismus unserer neudeutschen Arbeitszivilisation, nicht
der verklingende Idealismus der Weimarischen Kulturepoche wird hier eine
wirksame Werbearbeit im neudeutschen Sinne vollziehen. Der Weg dazu wird
gerade in diesem westlichen Lande eine gesunde Demokratisierung auf Grund
einer sozialen Auslese der Tüchtigsten sein. Wenn man in echt bourgeoisen
Kreisen einen der unzähligen deutschgesinnten Jungelsässer nennt, so kann man
mit Bestimmtheit auf die kühle Antwort rechnen: ,Mais oui. fein Vater war
Metzger, Schneider, Arbeiter; mür, -- er stammt nicht aus einer guten
Familie." Diese guten Zwei-Kinder-Familien, in den übrigens jetzt wie auch
in Frankreich der Tod fürchterlich aufgeräumt hat. vererbten mit den beträcht¬
lichen zusammengeheirateten Vermögen auch zugleich die Position und machten
den Ihrigen das Leben nicht allzu schwer. Ganze Berufe, wie z. B. die
Apotheker, waren von dieser vercliqueten Bourgeoisie geradezu in Erbpacht ge¬
nommen worden. Durch Förderung aufsteigender Familien und Einzelindividuen,


Iungelsaß und die neudeutsche Kultur

kaum anzunehmen sein, daß jene Unternehmungen, die von Großvaters Zeiten
her gerade eben noch durchhielten, den Stoß dieses Krieges überdauern werden.
Jedenfalls ist zu hoffen, daß der Neuaufbau der oberelsässischen Industrie in
technischer und finanzieller Beziehung auf der ganzen Linie die engste Wechsel¬
wirkung mit der gesamtdeutschen Industrie herstellen und so dies wichtige Teil¬
gebiet deutscher Arbeit erst entschlossen in das Gesamtsystem der deutschen Technik
und Wirtschaft einstellen wird. Ist hier erst einmal das Eis völlig gebrochen,
so wird nicht nur der fließende Austausch von Arbeitskräften, sondern vor allem
auch die Solidarität der Interessen den letzten Rest von Hemmungen beseitigen,
die der Eindeutschung dieser für das Land so ungeheuer wichtigen industriellen
Kreise im Wege standen. Trotz der deutschen, manchmal nur in der Orthographie
etwas verwelschten Namen, die diese Fabrikantenfamilien tragen, wird aus ihren
Häusern natürlich das Französische nicht über Nacht schwinden. Das kann
schließlich auch ihre Sache bleiben. Wenn es wenigstens vorbei ist mit dein
Französisch in den Kondoren ihrer Fabriken, in den Briefköpfen, Geschäfts¬
formularen und Rechnungsbüchern, wo es sich bislang noch unnatürlich breit¬
machte! Und wenn ferner der unerbittliche Konkurrenzkampf mit der alten,
lieben Vetterlewirtschaft aufräumt und überall den Tüchtigen, sei er der deutsch-
elsässischen Unterschicht, sei er gar altdeutschen Familien entsprossen, auch hier
an den richtigen Platz stellt, dann wird langsam, aber sicher der bislang überaus
starke suggestive Einfluß weichen, den die französische Lebensführung der Fabri¬
kantenhäuser auf die sozial und finanziell von ihnen abhängige Groß- und
Kleinbourgeoisie gerade dieser oberelsässischen Fabrikstädte ausübte. Gerade
diese Orte — inmitten einer völlig deutschen, allemannisch-hartschädeligen Bauern-
und Winzerbevölkerung gelegen — waren die gefährlichsten Zentren der fran¬
zösischen Kulturpropaganda und des reaktionären Nationalismus im Lande,
weil hier gerade allen sozial Emporkommenden das Gift einer französelnden
Scheinbildung eingeimpft wurde.

Also der gesunde Realismus unserer neudeutschen Arbeitszivilisation, nicht
der verklingende Idealismus der Weimarischen Kulturepoche wird hier eine
wirksame Werbearbeit im neudeutschen Sinne vollziehen. Der Weg dazu wird
gerade in diesem westlichen Lande eine gesunde Demokratisierung auf Grund
einer sozialen Auslese der Tüchtigsten sein. Wenn man in echt bourgeoisen
Kreisen einen der unzähligen deutschgesinnten Jungelsässer nennt, so kann man
mit Bestimmtheit auf die kühle Antwort rechnen: ,Mais oui. fein Vater war
Metzger, Schneider, Arbeiter; mür, — er stammt nicht aus einer guten
Familie." Diese guten Zwei-Kinder-Familien, in den übrigens jetzt wie auch
in Frankreich der Tod fürchterlich aufgeräumt hat. vererbten mit den beträcht¬
lichen zusammengeheirateten Vermögen auch zugleich die Position und machten
den Ihrigen das Leben nicht allzu schwer. Ganze Berufe, wie z. B. die
Apotheker, waren von dieser vercliqueten Bourgeoisie geradezu in Erbpacht ge¬
nommen worden. Durch Förderung aufsteigender Familien und Einzelindividuen,


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[0105] Iungelsaß und die neudeutsche Kultur kaum anzunehmen sein, daß jene Unternehmungen, die von Großvaters Zeiten her gerade eben noch durchhielten, den Stoß dieses Krieges überdauern werden. Jedenfalls ist zu hoffen, daß der Neuaufbau der oberelsässischen Industrie in technischer und finanzieller Beziehung auf der ganzen Linie die engste Wechsel¬ wirkung mit der gesamtdeutschen Industrie herstellen und so dies wichtige Teil¬ gebiet deutscher Arbeit erst entschlossen in das Gesamtsystem der deutschen Technik und Wirtschaft einstellen wird. Ist hier erst einmal das Eis völlig gebrochen, so wird nicht nur der fließende Austausch von Arbeitskräften, sondern vor allem auch die Solidarität der Interessen den letzten Rest von Hemmungen beseitigen, die der Eindeutschung dieser für das Land so ungeheuer wichtigen industriellen Kreise im Wege standen. Trotz der deutschen, manchmal nur in der Orthographie etwas verwelschten Namen, die diese Fabrikantenfamilien tragen, wird aus ihren Häusern natürlich das Französische nicht über Nacht schwinden. Das kann schließlich auch ihre Sache bleiben. Wenn es wenigstens vorbei ist mit dein Französisch in den Kondoren ihrer Fabriken, in den Briefköpfen, Geschäfts¬ formularen und Rechnungsbüchern, wo es sich bislang noch unnatürlich breit¬ machte! Und wenn ferner der unerbittliche Konkurrenzkampf mit der alten, lieben Vetterlewirtschaft aufräumt und überall den Tüchtigen, sei er der deutsch- elsässischen Unterschicht, sei er gar altdeutschen Familien entsprossen, auch hier an den richtigen Platz stellt, dann wird langsam, aber sicher der bislang überaus starke suggestive Einfluß weichen, den die französische Lebensführung der Fabri¬ kantenhäuser auf die sozial und finanziell von ihnen abhängige Groß- und Kleinbourgeoisie gerade dieser oberelsässischen Fabrikstädte ausübte. Gerade diese Orte — inmitten einer völlig deutschen, allemannisch-hartschädeligen Bauern- und Winzerbevölkerung gelegen — waren die gefährlichsten Zentren der fran¬ zösischen Kulturpropaganda und des reaktionären Nationalismus im Lande, weil hier gerade allen sozial Emporkommenden das Gift einer französelnden Scheinbildung eingeimpft wurde. Also der gesunde Realismus unserer neudeutschen Arbeitszivilisation, nicht der verklingende Idealismus der Weimarischen Kulturepoche wird hier eine wirksame Werbearbeit im neudeutschen Sinne vollziehen. Der Weg dazu wird gerade in diesem westlichen Lande eine gesunde Demokratisierung auf Grund einer sozialen Auslese der Tüchtigsten sein. Wenn man in echt bourgeoisen Kreisen einen der unzähligen deutschgesinnten Jungelsässer nennt, so kann man mit Bestimmtheit auf die kühle Antwort rechnen: ,Mais oui. fein Vater war Metzger, Schneider, Arbeiter; mür, — er stammt nicht aus einer guten Familie." Diese guten Zwei-Kinder-Familien, in den übrigens jetzt wie auch in Frankreich der Tod fürchterlich aufgeräumt hat. vererbten mit den beträcht¬ lichen zusammengeheirateten Vermögen auch zugleich die Position und machten den Ihrigen das Leben nicht allzu schwer. Ganze Berufe, wie z. B. die Apotheker, waren von dieser vercliqueten Bourgeoisie geradezu in Erbpacht ge¬ nommen worden. Durch Förderung aufsteigender Familien und Einzelindividuen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/105>, abgerufen am 10.06.2024.