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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Martin Luther, der deutsche Reformator

uns allzu klassisch und international erscheint, oder selbst als die Bismarcks,
bei dem der harte, spezifische preußische Realismus zu stark durchschlägt. An
niemandem kann alles, was deutsch ist und fühlt, so gut zum Bewußtsein seiner
selbst gelangen als an Martin Luther.

Am 31. Oktober 1517 trat der Augustinermönch in die Schranken, und
bald klirrten die Schwerter, splitterten die Lanzen. Wunderbar rasch entfaltete
Luther seine urgermanische Kämpfernatnr. Widerwillig wurde er in den Streit
hineingestoßen -- obwohl man nicht übersehen darf, daß er schon vor 1517
eine scharfe Klinge schlug, auf dem Katheder gegen den gottlosen Heiden
Aristoteles und auf der Kanzel gegen den Aberglauben der Masse, Geiz und
Verweltlichung des Klerus --. aber als sein Blut erst in Wallung gekommen war.
fühlte er sich in ihm so recht wohl, wie die alten Deutschen auf dem Heeres-
zuge oder der Bärenjagd. Man spürt das an seinem grimmigen und dabei
stets im Grunde so gutmütigen Humor, mit dem er nicht nur so tölpelhafte
Ritter wie den Bock Emser oder den unglücklichen Franziskaner Alveld. sondern
auch einen so grundgescheiten, schlagfertigen und gefährlichen Gegner wie
"Zwingel". ja den leibhaftigen Antichrist, den Papst, selbst in wildesten Pam¬
phleten, ja sogar den Teufel unzart genug anzupacken pflegt. Nur in eine
große Streitschrift, die gegen Erasmus über die Willensunfreiheit, spielt das
schalkhafte, versöhnende Lächeln des Humors nicht hinein, ist es ihm lediglich
blutiger Ernst; aber die ist auch lateinisch geschrieben. Bezeichnend für Luther,
den Kämpfer, ist die Gebärde, mit der er nach dem Bericht Aleanders. nach¬
dem er sein tapferes "Gott helf mir" gesprochen, die Prunkversammlung des
Wormser Reichstages verließ: "Er reckte die Hand in die Höhe, wie die
deutschen Landsknechte pflegen, wenn sie im Kampfspiele über einen wohl-
gelungenen Hieb frohlocken", weit charakteristischer aber die Tatsache, daß er
sich auf der Wartburg und in ähnlicher Weise später auf der Feste Koburg.
wo er zu frommer Beschaulichkeit und fleißigem Studium die schönste Muße
und Stille hatte, körperlich und geistig so jammervoll elend fühlte. Was er
damals empfand, war nichts anderes als dies: der Kampf tobt, die Ent¬
scheidungsschlacht' wird geschlagen, und ich bin nicht dabei I So ritt er dem
Kurfürsten zum Verdruß von der Wartburg nach Wittenberg, und ich meine,
wäre er 1630 nicht Ehemann und in gesetztem Alter gewesen, so würde er
wohl statt bloß mit geharnischten Briefen höchstselbst in irgendwelcher Ver-
mummung in die zaghafte Versammlung Wittenberger Freunde zu Augsburg
dazwischengefahren sein. Der Löwe auf dem Sprunge -- Melanchthon hat sich
vor seinem Zorn schließlich kaum weniger gefürchtet als vor des Kaisers Un-
gnade, und das war gut.

Aber nun die Kehrseite. Der verwegene Streiter besitzt das reichste Gemüt.
Schon sein Ringen im Kloster zeigt ihn als tiefinnerliche Natur. Man ver¬
gleiche seine seelischen Nöte mit denen des jugendlichen Augustin. Die Be¬
kenntnisse des Letzteren lassen uns den erschütternd geschilderten Kampf des


Martin Luther, der deutsche Reformator

uns allzu klassisch und international erscheint, oder selbst als die Bismarcks,
bei dem der harte, spezifische preußische Realismus zu stark durchschlägt. An
niemandem kann alles, was deutsch ist und fühlt, so gut zum Bewußtsein seiner
selbst gelangen als an Martin Luther.

Am 31. Oktober 1517 trat der Augustinermönch in die Schranken, und
bald klirrten die Schwerter, splitterten die Lanzen. Wunderbar rasch entfaltete
Luther seine urgermanische Kämpfernatnr. Widerwillig wurde er in den Streit
hineingestoßen — obwohl man nicht übersehen darf, daß er schon vor 1517
eine scharfe Klinge schlug, auf dem Katheder gegen den gottlosen Heiden
Aristoteles und auf der Kanzel gegen den Aberglauben der Masse, Geiz und
Verweltlichung des Klerus —. aber als sein Blut erst in Wallung gekommen war.
fühlte er sich in ihm so recht wohl, wie die alten Deutschen auf dem Heeres-
zuge oder der Bärenjagd. Man spürt das an seinem grimmigen und dabei
stets im Grunde so gutmütigen Humor, mit dem er nicht nur so tölpelhafte
Ritter wie den Bock Emser oder den unglücklichen Franziskaner Alveld. sondern
auch einen so grundgescheiten, schlagfertigen und gefährlichen Gegner wie
»Zwingel". ja den leibhaftigen Antichrist, den Papst, selbst in wildesten Pam¬
phleten, ja sogar den Teufel unzart genug anzupacken pflegt. Nur in eine
große Streitschrift, die gegen Erasmus über die Willensunfreiheit, spielt das
schalkhafte, versöhnende Lächeln des Humors nicht hinein, ist es ihm lediglich
blutiger Ernst; aber die ist auch lateinisch geschrieben. Bezeichnend für Luther,
den Kämpfer, ist die Gebärde, mit der er nach dem Bericht Aleanders. nach¬
dem er sein tapferes „Gott helf mir" gesprochen, die Prunkversammlung des
Wormser Reichstages verließ: „Er reckte die Hand in die Höhe, wie die
deutschen Landsknechte pflegen, wenn sie im Kampfspiele über einen wohl-
gelungenen Hieb frohlocken", weit charakteristischer aber die Tatsache, daß er
sich auf der Wartburg und in ähnlicher Weise später auf der Feste Koburg.
wo er zu frommer Beschaulichkeit und fleißigem Studium die schönste Muße
und Stille hatte, körperlich und geistig so jammervoll elend fühlte. Was er
damals empfand, war nichts anderes als dies: der Kampf tobt, die Ent¬
scheidungsschlacht' wird geschlagen, und ich bin nicht dabei I So ritt er dem
Kurfürsten zum Verdruß von der Wartburg nach Wittenberg, und ich meine,
wäre er 1630 nicht Ehemann und in gesetztem Alter gewesen, so würde er
wohl statt bloß mit geharnischten Briefen höchstselbst in irgendwelcher Ver-
mummung in die zaghafte Versammlung Wittenberger Freunde zu Augsburg
dazwischengefahren sein. Der Löwe auf dem Sprunge — Melanchthon hat sich
vor seinem Zorn schließlich kaum weniger gefürchtet als vor des Kaisers Un-
gnade, und das war gut.

Aber nun die Kehrseite. Der verwegene Streiter besitzt das reichste Gemüt.
Schon sein Ringen im Kloster zeigt ihn als tiefinnerliche Natur. Man ver¬
gleiche seine seelischen Nöte mit denen des jugendlichen Augustin. Die Be¬
kenntnisse des Letzteren lassen uns den erschütternd geschilderten Kampf des


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[0149] Martin Luther, der deutsche Reformator uns allzu klassisch und international erscheint, oder selbst als die Bismarcks, bei dem der harte, spezifische preußische Realismus zu stark durchschlägt. An niemandem kann alles, was deutsch ist und fühlt, so gut zum Bewußtsein seiner selbst gelangen als an Martin Luther. Am 31. Oktober 1517 trat der Augustinermönch in die Schranken, und bald klirrten die Schwerter, splitterten die Lanzen. Wunderbar rasch entfaltete Luther seine urgermanische Kämpfernatnr. Widerwillig wurde er in den Streit hineingestoßen — obwohl man nicht übersehen darf, daß er schon vor 1517 eine scharfe Klinge schlug, auf dem Katheder gegen den gottlosen Heiden Aristoteles und auf der Kanzel gegen den Aberglauben der Masse, Geiz und Verweltlichung des Klerus —. aber als sein Blut erst in Wallung gekommen war. fühlte er sich in ihm so recht wohl, wie die alten Deutschen auf dem Heeres- zuge oder der Bärenjagd. Man spürt das an seinem grimmigen und dabei stets im Grunde so gutmütigen Humor, mit dem er nicht nur so tölpelhafte Ritter wie den Bock Emser oder den unglücklichen Franziskaner Alveld. sondern auch einen so grundgescheiten, schlagfertigen und gefährlichen Gegner wie »Zwingel". ja den leibhaftigen Antichrist, den Papst, selbst in wildesten Pam¬ phleten, ja sogar den Teufel unzart genug anzupacken pflegt. Nur in eine große Streitschrift, die gegen Erasmus über die Willensunfreiheit, spielt das schalkhafte, versöhnende Lächeln des Humors nicht hinein, ist es ihm lediglich blutiger Ernst; aber die ist auch lateinisch geschrieben. Bezeichnend für Luther, den Kämpfer, ist die Gebärde, mit der er nach dem Bericht Aleanders. nach¬ dem er sein tapferes „Gott helf mir" gesprochen, die Prunkversammlung des Wormser Reichstages verließ: „Er reckte die Hand in die Höhe, wie die deutschen Landsknechte pflegen, wenn sie im Kampfspiele über einen wohl- gelungenen Hieb frohlocken", weit charakteristischer aber die Tatsache, daß er sich auf der Wartburg und in ähnlicher Weise später auf der Feste Koburg. wo er zu frommer Beschaulichkeit und fleißigem Studium die schönste Muße und Stille hatte, körperlich und geistig so jammervoll elend fühlte. Was er damals empfand, war nichts anderes als dies: der Kampf tobt, die Ent¬ scheidungsschlacht' wird geschlagen, und ich bin nicht dabei I So ritt er dem Kurfürsten zum Verdruß von der Wartburg nach Wittenberg, und ich meine, wäre er 1630 nicht Ehemann und in gesetztem Alter gewesen, so würde er wohl statt bloß mit geharnischten Briefen höchstselbst in irgendwelcher Ver- mummung in die zaghafte Versammlung Wittenberger Freunde zu Augsburg dazwischengefahren sein. Der Löwe auf dem Sprunge — Melanchthon hat sich vor seinem Zorn schließlich kaum weniger gefürchtet als vor des Kaisers Un- gnade, und das war gut. Aber nun die Kehrseite. Der verwegene Streiter besitzt das reichste Gemüt. Schon sein Ringen im Kloster zeigt ihn als tiefinnerliche Natur. Man ver¬ gleiche seine seelischen Nöte mit denen des jugendlichen Augustin. Die Be¬ kenntnisse des Letzteren lassen uns den erschütternd geschilderten Kampf des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/149>, abgerufen am 10.06.2024.