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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslanöe

und etwaige Obstruktionsversuche durch kraftvolles und folgerichtiges Vorgehen
sich unschwer überwinden ließen.

2. Der Einverleibung des Reichslandes in einen oder mehrere Einzel¬
staaten hat ein Vertrag vorauszugehen zwischen der Reichsgewalt, die das
Reichsland als solches aufgibt, und dem Staate, dem es einverleibt werden
soll. Auf diesem Boden wird das verfassungsändernde Gesetz erlassen. Fehlt
es im Bundesrate für den Abschluß des Vertrages an der Stimmenzahl, ohne
die eine Verfassungsänderung nicht erreichbar ist -- vierzehn Nein bringen die
Vorlage zu Fall --, so ist, wenn nicht die Stimmung noch umschlägt, nach¬
trägliche Billigung des Vertrages noch erfolgt oder auf Zustimmung zur Ver¬
fassungsänderung, womit auch der Vertrag genehmigt wäre, zu rechnen ist,
das Projekt als gescheitert anzusehen.

Der Staat, der erwerben soll, ist keineswegs von der Abstimmung über
den Vertragsschluß -- und demnächst die Verfassungsänderung -- ausgeschlossen.
Als Mitinhaber der Reichsgewalt schließt er den Vertrag ebenso mit ab, als
ob nicht er selbst, sondern ein anderer Einzelstaat die Gegen-Vertragspartei
wäre. Er gibt zu seinem Teile das ihm mit den anderen Einzelstaaten gemein¬
same Recht am Reichslande -- oder einem Teile desselben -- auf, um die
Staatsgewalt darüber für sich allein zu erlangen. Da er zugleich Mitverzich¬
tender und Erwerber ist, so kontrahiert er insofern mit sich selbst, während
die übrigen Bundesglieder lediglich der einen, verzichtenden Vertragsseite
angehören.

Hingegen geht der Begründung eines neuen Bundesstaates ein Vertrag
nicht voraus. Die Reichsgewalt verzichtet auf ihr Recht am Reichslande,
materiell zugunsten Elsaß-Lothringens, aber nicht durch Vertrag mit diesem,
denn es ist der Reichsgewalt unterworfen und daher nicht fähig, ihr als Ver¬
tragspartei gegenüberzustehen. Das Land soll vielmehr durch einen schöpferischen
Akt der Reichsgewalt erst zum Staate gemacht werden.

Ist Einverleibung das Ziel, so wird ans der Grundlage des die Einver¬
leibung bestimmenden Vertrages das verfassungsändernde Neichsgesetz in der
Voraussetzung erlassen, daß der zur Einverleibung berufene Staat, der aus dem
Vertrage das Recht darauf erworben hat, auch wirklich in Erfüllung des Ver¬
trags zur Einverleibung schreitet. Das Reich stellt dem anderen Teile das
einzuverleibende Gebiet zur Verfügung; mit diesem Geben muß nun das Nehmen
der Gegenseite, die tatsächliche Besitznahme, sich verbinden. Sollte es wider
Erwarten zur Einverleibung nicht kommen, indem der erwerbende Staat sich
rechtlich gehindert sähe -- wegen Versagung erforderlicher landständischer Zu¬
stimmung zum Gebietserwerbe (siehe unter 3) -- seinerseits den Vertrag mit
dem Reiche zu erfüllen, so bliebe dem verfassungsändernden Reichsgesetz die
Wirksamkeit versagt und der bestehende Zustand, die Reichsland-Eigenschaft
Elsaß-Lothringens, würde fortdauern. Auch die Landesverfassung behielte ihre
Geltung, es müßte denn die Reichsgewalt sie aufheben oder abändern.


Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslanöe

und etwaige Obstruktionsversuche durch kraftvolles und folgerichtiges Vorgehen
sich unschwer überwinden ließen.

2. Der Einverleibung des Reichslandes in einen oder mehrere Einzel¬
staaten hat ein Vertrag vorauszugehen zwischen der Reichsgewalt, die das
Reichsland als solches aufgibt, und dem Staate, dem es einverleibt werden
soll. Auf diesem Boden wird das verfassungsändernde Gesetz erlassen. Fehlt
es im Bundesrate für den Abschluß des Vertrages an der Stimmenzahl, ohne
die eine Verfassungsänderung nicht erreichbar ist — vierzehn Nein bringen die
Vorlage zu Fall —, so ist, wenn nicht die Stimmung noch umschlägt, nach¬
trägliche Billigung des Vertrages noch erfolgt oder auf Zustimmung zur Ver¬
fassungsänderung, womit auch der Vertrag genehmigt wäre, zu rechnen ist,
das Projekt als gescheitert anzusehen.

Der Staat, der erwerben soll, ist keineswegs von der Abstimmung über
den Vertragsschluß — und demnächst die Verfassungsänderung — ausgeschlossen.
Als Mitinhaber der Reichsgewalt schließt er den Vertrag ebenso mit ab, als
ob nicht er selbst, sondern ein anderer Einzelstaat die Gegen-Vertragspartei
wäre. Er gibt zu seinem Teile das ihm mit den anderen Einzelstaaten gemein¬
same Recht am Reichslande — oder einem Teile desselben — auf, um die
Staatsgewalt darüber für sich allein zu erlangen. Da er zugleich Mitverzich¬
tender und Erwerber ist, so kontrahiert er insofern mit sich selbst, während
die übrigen Bundesglieder lediglich der einen, verzichtenden Vertragsseite
angehören.

Hingegen geht der Begründung eines neuen Bundesstaates ein Vertrag
nicht voraus. Die Reichsgewalt verzichtet auf ihr Recht am Reichslande,
materiell zugunsten Elsaß-Lothringens, aber nicht durch Vertrag mit diesem,
denn es ist der Reichsgewalt unterworfen und daher nicht fähig, ihr als Ver¬
tragspartei gegenüberzustehen. Das Land soll vielmehr durch einen schöpferischen
Akt der Reichsgewalt erst zum Staate gemacht werden.

Ist Einverleibung das Ziel, so wird ans der Grundlage des die Einver¬
leibung bestimmenden Vertrages das verfassungsändernde Neichsgesetz in der
Voraussetzung erlassen, daß der zur Einverleibung berufene Staat, der aus dem
Vertrage das Recht darauf erworben hat, auch wirklich in Erfüllung des Ver¬
trags zur Einverleibung schreitet. Das Reich stellt dem anderen Teile das
einzuverleibende Gebiet zur Verfügung; mit diesem Geben muß nun das Nehmen
der Gegenseite, die tatsächliche Besitznahme, sich verbinden. Sollte es wider
Erwarten zur Einverleibung nicht kommen, indem der erwerbende Staat sich
rechtlich gehindert sähe — wegen Versagung erforderlicher landständischer Zu¬
stimmung zum Gebietserwerbe (siehe unter 3) — seinerseits den Vertrag mit
dem Reiche zu erfüllen, so bliebe dem verfassungsändernden Reichsgesetz die
Wirksamkeit versagt und der bestehende Zustand, die Reichsland-Eigenschaft
Elsaß-Lothringens, würde fortdauern. Auch die Landesverfassung behielte ihre
Geltung, es müßte denn die Reichsgewalt sie aufheben oder abändern.


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[0042] Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslanöe und etwaige Obstruktionsversuche durch kraftvolles und folgerichtiges Vorgehen sich unschwer überwinden ließen. 2. Der Einverleibung des Reichslandes in einen oder mehrere Einzel¬ staaten hat ein Vertrag vorauszugehen zwischen der Reichsgewalt, die das Reichsland als solches aufgibt, und dem Staate, dem es einverleibt werden soll. Auf diesem Boden wird das verfassungsändernde Gesetz erlassen. Fehlt es im Bundesrate für den Abschluß des Vertrages an der Stimmenzahl, ohne die eine Verfassungsänderung nicht erreichbar ist — vierzehn Nein bringen die Vorlage zu Fall —, so ist, wenn nicht die Stimmung noch umschlägt, nach¬ trägliche Billigung des Vertrages noch erfolgt oder auf Zustimmung zur Ver¬ fassungsänderung, womit auch der Vertrag genehmigt wäre, zu rechnen ist, das Projekt als gescheitert anzusehen. Der Staat, der erwerben soll, ist keineswegs von der Abstimmung über den Vertragsschluß — und demnächst die Verfassungsänderung — ausgeschlossen. Als Mitinhaber der Reichsgewalt schließt er den Vertrag ebenso mit ab, als ob nicht er selbst, sondern ein anderer Einzelstaat die Gegen-Vertragspartei wäre. Er gibt zu seinem Teile das ihm mit den anderen Einzelstaaten gemein¬ same Recht am Reichslande — oder einem Teile desselben — auf, um die Staatsgewalt darüber für sich allein zu erlangen. Da er zugleich Mitverzich¬ tender und Erwerber ist, so kontrahiert er insofern mit sich selbst, während die übrigen Bundesglieder lediglich der einen, verzichtenden Vertragsseite angehören. Hingegen geht der Begründung eines neuen Bundesstaates ein Vertrag nicht voraus. Die Reichsgewalt verzichtet auf ihr Recht am Reichslande, materiell zugunsten Elsaß-Lothringens, aber nicht durch Vertrag mit diesem, denn es ist der Reichsgewalt unterworfen und daher nicht fähig, ihr als Ver¬ tragspartei gegenüberzustehen. Das Land soll vielmehr durch einen schöpferischen Akt der Reichsgewalt erst zum Staate gemacht werden. Ist Einverleibung das Ziel, so wird ans der Grundlage des die Einver¬ leibung bestimmenden Vertrages das verfassungsändernde Neichsgesetz in der Voraussetzung erlassen, daß der zur Einverleibung berufene Staat, der aus dem Vertrage das Recht darauf erworben hat, auch wirklich in Erfüllung des Ver¬ trags zur Einverleibung schreitet. Das Reich stellt dem anderen Teile das einzuverleibende Gebiet zur Verfügung; mit diesem Geben muß nun das Nehmen der Gegenseite, die tatsächliche Besitznahme, sich verbinden. Sollte es wider Erwarten zur Einverleibung nicht kommen, indem der erwerbende Staat sich rechtlich gehindert sähe — wegen Versagung erforderlicher landständischer Zu¬ stimmung zum Gebietserwerbe (siehe unter 3) — seinerseits den Vertrag mit dem Reiche zu erfüllen, so bliebe dem verfassungsändernden Reichsgesetz die Wirksamkeit versagt und der bestehende Zustand, die Reichsland-Eigenschaft Elsaß-Lothringens, würde fortdauern. Auch die Landesverfassung behielte ihre Geltung, es müßte denn die Reichsgewalt sie aufheben oder abändern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/42>, abgerufen am 19.05.2024.