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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Ivir brauchen Volkswirte I

auf wirtschaftlichem Gebiet mußte alles neu geschaffen werden, -- nichts war vor¬
bereitet, nichts auch nur vorbedacht.

Erst zu spät ward man gewahr, bis zu welchem Grade heute ein Völker¬
krieg ein Kampf der Volkswirtschaften ist. Und dieses Gebiet gerade war, was
Zusammensetzung und zentrale Leitung der verfügbaren Kräfte betrifft, völlig ver¬
nachlässigt worden I Heute, da das Ringen um den Sieg auf den Kartoffeläckern,
in den chemischen Laboratorien, den Werkstätten, Werften, Warenlagern und deren
plangemäßer Verteilung, ja bis hinab in die Hanswirtschaften vor sich geht, da
wußte niemand über die Zusammenhänge der Allgemeinwirtschaft Bescheid. Während
jeder Knopf, jede Schnalle beim Militär eine vorgesehene Bestimmung hatte, war
man selbst über die Grundzüge der wirtschaftlichen Rüstung im unklaren. Man
griff wohl eiligst nach tüchtigen Fachleuten für einzelne Zweige der Gewerbe;
vielfach ist großes dabei geleistet worden. Aber man konnte nicht zurückgreifen
auf einen Stamm von Leuten, die, wirtschaftlich geschult, das Ineinandergreifen
der Wirtschaftsgruppen übersahen und die Gesamtausgabe zu meistern verstanden.
Wohl lieferten Handel und Gewerbe an Umsicht hervorragende Organisationen,
der Junstenstand steuerte eine Reihe tatkräftiger und umsichtiger VerwaltungS-
männer bei; doch jedem einzelnen, der über sein enges Spezialgebiet hinaus zu
walten berufen war, blieb es vorbehalten, sich rein intuitio auf dem fremden
Boden zurechtzufinden. Was nützen einem Heere die besten Frvntoffiziere, die
tüchtigsten Waffenkonstrukteure, die findigsten Pioniere, wenn kein einheitlicher Wille,
leine Stäbe ihre Arbeit zu einheitlichem Wirken zusammenfassen? Zwar suchte
man nach Leuten, die mit dein Organismus des Wirtschaftslebens, mit den
Wechselbeziehungen aller Teilkräfte desselben vertraut gewesen wären. Man rief
nach Volkswirten. Man hatte nicht vorgesorgt: jetzt gebrach es daran. Zum
mindesten waren sie nicht greifbar zur Hand.

Es fehlte eben nicht nur die rechtzeitige Organisation; es fehlten auch die
Menschen. Man hatte versäumt, sie heranzubilden! Das Studium der Volks¬
wirtschaft war seit langem schwer vernachlässigt worden. Zwar hörten aus den
Hochschulen viele junge Leute die trefflichen Lehrer, aber überwiegend aus
eigenem Antrieb und zudem meist als Nebenfach. Der Staat hatte in seinem
Noutinentrott übersehen, seinerseits den unerläßlichen Anreiz zu geben, Leute,
deren er eines Tages so dringend notwendig bedürfte und die er längst sehr gut
hätte gebrauchen können, heranzuziehen. So hatte er es unterlassen, den Volks¬
wirten irgendwelche Laufbahn in seinen Diensten zu öffnen. Das verknöcherte
Juristenprivileg hielt sie fern. Selbst da, wo der Nationalökonom mit dem
ganzen Rüstzeug seiner Wissenschaft die segensreichste Tätigkeit hätte entfalten
können, der Jurist dagegen sich erst mühsam, in seine Aufgabe hineinfinden und
sein formaljuristisches Gedankenkleid oft zuvor abstreife" mußte, um zum Ver¬
ständnis der.ihm obliegenden Pflichten durchzudringen, selbst da blieben die Türen
der Behörden dem Volkswirt eifersüchtig verschlossen. Weder in der Steuerver¬
waltung, noch im Schatzamt, weder im Handelsministerium, noch in der Land¬
wirtschaftsverwaltung oder in der Sozialversicherung bot sich auch nur der be¬
scheidenste Posten, auf dem ein Volkswirt seine Tätigkeit hätte entfalten dürfen.
Das Eisenbahnministerium wie die handelspolitische Abteilung des Auswärtigen
Amtes waren gegenüber dem Nationalökonomen gleich "exklusiv". Höchstens
durfte er sich, wenn man ihn schon gar nicht entbehren konnte, wie in den
statistischen Andern, als Hilfsarbeiter Herinndrücken. Als so eine Art wissenschaft¬
licher Offizierstellvertreter: der jüngste Leutnant, will sagen Regierungsrat oder
gar Assessor, blieb stets sein Vorgesetzter. Während sich die Techniker und Bau-
fachleute allmählich eine Bresche in die undurchdringlich gekittete Phalanx der Juristen
hatten schaffen können, um wenigstens im Patentamt, im Eisenbahnministerium usw.,
wo sie unerläßlich waren, auch einige Aussicht auf Fortbewegungsfreiheit--zu deutsch:
Karriere -- zu erlangen, stieß der Volkswirt überall auf verschlossene Türen.

So gründlich wie er war überhaupt kein akademischer Berufszweig vom
Staatsdienst (außerhalb des Lehrbetriebes auf den Hochschulen selbst) ausgeschlossen.


Ivir brauchen Volkswirte I

auf wirtschaftlichem Gebiet mußte alles neu geschaffen werden, — nichts war vor¬
bereitet, nichts auch nur vorbedacht.

Erst zu spät ward man gewahr, bis zu welchem Grade heute ein Völker¬
krieg ein Kampf der Volkswirtschaften ist. Und dieses Gebiet gerade war, was
Zusammensetzung und zentrale Leitung der verfügbaren Kräfte betrifft, völlig ver¬
nachlässigt worden I Heute, da das Ringen um den Sieg auf den Kartoffeläckern,
in den chemischen Laboratorien, den Werkstätten, Werften, Warenlagern und deren
plangemäßer Verteilung, ja bis hinab in die Hanswirtschaften vor sich geht, da
wußte niemand über die Zusammenhänge der Allgemeinwirtschaft Bescheid. Während
jeder Knopf, jede Schnalle beim Militär eine vorgesehene Bestimmung hatte, war
man selbst über die Grundzüge der wirtschaftlichen Rüstung im unklaren. Man
griff wohl eiligst nach tüchtigen Fachleuten für einzelne Zweige der Gewerbe;
vielfach ist großes dabei geleistet worden. Aber man konnte nicht zurückgreifen
auf einen Stamm von Leuten, die, wirtschaftlich geschult, das Ineinandergreifen
der Wirtschaftsgruppen übersahen und die Gesamtausgabe zu meistern verstanden.
Wohl lieferten Handel und Gewerbe an Umsicht hervorragende Organisationen,
der Junstenstand steuerte eine Reihe tatkräftiger und umsichtiger VerwaltungS-
männer bei; doch jedem einzelnen, der über sein enges Spezialgebiet hinaus zu
walten berufen war, blieb es vorbehalten, sich rein intuitio auf dem fremden
Boden zurechtzufinden. Was nützen einem Heere die besten Frvntoffiziere, die
tüchtigsten Waffenkonstrukteure, die findigsten Pioniere, wenn kein einheitlicher Wille,
leine Stäbe ihre Arbeit zu einheitlichem Wirken zusammenfassen? Zwar suchte
man nach Leuten, die mit dein Organismus des Wirtschaftslebens, mit den
Wechselbeziehungen aller Teilkräfte desselben vertraut gewesen wären. Man rief
nach Volkswirten. Man hatte nicht vorgesorgt: jetzt gebrach es daran. Zum
mindesten waren sie nicht greifbar zur Hand.

Es fehlte eben nicht nur die rechtzeitige Organisation; es fehlten auch die
Menschen. Man hatte versäumt, sie heranzubilden! Das Studium der Volks¬
wirtschaft war seit langem schwer vernachlässigt worden. Zwar hörten aus den
Hochschulen viele junge Leute die trefflichen Lehrer, aber überwiegend aus
eigenem Antrieb und zudem meist als Nebenfach. Der Staat hatte in seinem
Noutinentrott übersehen, seinerseits den unerläßlichen Anreiz zu geben, Leute,
deren er eines Tages so dringend notwendig bedürfte und die er längst sehr gut
hätte gebrauchen können, heranzuziehen. So hatte er es unterlassen, den Volks¬
wirten irgendwelche Laufbahn in seinen Diensten zu öffnen. Das verknöcherte
Juristenprivileg hielt sie fern. Selbst da, wo der Nationalökonom mit dem
ganzen Rüstzeug seiner Wissenschaft die segensreichste Tätigkeit hätte entfalten
können, der Jurist dagegen sich erst mühsam, in seine Aufgabe hineinfinden und
sein formaljuristisches Gedankenkleid oft zuvor abstreife« mußte, um zum Ver¬
ständnis der.ihm obliegenden Pflichten durchzudringen, selbst da blieben die Türen
der Behörden dem Volkswirt eifersüchtig verschlossen. Weder in der Steuerver¬
waltung, noch im Schatzamt, weder im Handelsministerium, noch in der Land¬
wirtschaftsverwaltung oder in der Sozialversicherung bot sich auch nur der be¬
scheidenste Posten, auf dem ein Volkswirt seine Tätigkeit hätte entfalten dürfen.
Das Eisenbahnministerium wie die handelspolitische Abteilung des Auswärtigen
Amtes waren gegenüber dem Nationalökonomen gleich „exklusiv". Höchstens
durfte er sich, wenn man ihn schon gar nicht entbehren konnte, wie in den
statistischen Andern, als Hilfsarbeiter Herinndrücken. Als so eine Art wissenschaft¬
licher Offizierstellvertreter: der jüngste Leutnant, will sagen Regierungsrat oder
gar Assessor, blieb stets sein Vorgesetzter. Während sich die Techniker und Bau-
fachleute allmählich eine Bresche in die undurchdringlich gekittete Phalanx der Juristen
hatten schaffen können, um wenigstens im Patentamt, im Eisenbahnministerium usw.,
wo sie unerläßlich waren, auch einige Aussicht auf Fortbewegungsfreiheit—zu deutsch:
Karriere — zu erlangen, stieß der Volkswirt überall auf verschlossene Türen.

So gründlich wie er war überhaupt kein akademischer Berufszweig vom
Staatsdienst (außerhalb des Lehrbetriebes auf den Hochschulen selbst) ausgeschlossen.


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[0260] Ivir brauchen Volkswirte I auf wirtschaftlichem Gebiet mußte alles neu geschaffen werden, — nichts war vor¬ bereitet, nichts auch nur vorbedacht. Erst zu spät ward man gewahr, bis zu welchem Grade heute ein Völker¬ krieg ein Kampf der Volkswirtschaften ist. Und dieses Gebiet gerade war, was Zusammensetzung und zentrale Leitung der verfügbaren Kräfte betrifft, völlig ver¬ nachlässigt worden I Heute, da das Ringen um den Sieg auf den Kartoffeläckern, in den chemischen Laboratorien, den Werkstätten, Werften, Warenlagern und deren plangemäßer Verteilung, ja bis hinab in die Hanswirtschaften vor sich geht, da wußte niemand über die Zusammenhänge der Allgemeinwirtschaft Bescheid. Während jeder Knopf, jede Schnalle beim Militär eine vorgesehene Bestimmung hatte, war man selbst über die Grundzüge der wirtschaftlichen Rüstung im unklaren. Man griff wohl eiligst nach tüchtigen Fachleuten für einzelne Zweige der Gewerbe; vielfach ist großes dabei geleistet worden. Aber man konnte nicht zurückgreifen auf einen Stamm von Leuten, die, wirtschaftlich geschult, das Ineinandergreifen der Wirtschaftsgruppen übersahen und die Gesamtausgabe zu meistern verstanden. Wohl lieferten Handel und Gewerbe an Umsicht hervorragende Organisationen, der Junstenstand steuerte eine Reihe tatkräftiger und umsichtiger VerwaltungS- männer bei; doch jedem einzelnen, der über sein enges Spezialgebiet hinaus zu walten berufen war, blieb es vorbehalten, sich rein intuitio auf dem fremden Boden zurechtzufinden. Was nützen einem Heere die besten Frvntoffiziere, die tüchtigsten Waffenkonstrukteure, die findigsten Pioniere, wenn kein einheitlicher Wille, leine Stäbe ihre Arbeit zu einheitlichem Wirken zusammenfassen? Zwar suchte man nach Leuten, die mit dein Organismus des Wirtschaftslebens, mit den Wechselbeziehungen aller Teilkräfte desselben vertraut gewesen wären. Man rief nach Volkswirten. Man hatte nicht vorgesorgt: jetzt gebrach es daran. Zum mindesten waren sie nicht greifbar zur Hand. Es fehlte eben nicht nur die rechtzeitige Organisation; es fehlten auch die Menschen. Man hatte versäumt, sie heranzubilden! Das Studium der Volks¬ wirtschaft war seit langem schwer vernachlässigt worden. Zwar hörten aus den Hochschulen viele junge Leute die trefflichen Lehrer, aber überwiegend aus eigenem Antrieb und zudem meist als Nebenfach. Der Staat hatte in seinem Noutinentrott übersehen, seinerseits den unerläßlichen Anreiz zu geben, Leute, deren er eines Tages so dringend notwendig bedürfte und die er längst sehr gut hätte gebrauchen können, heranzuziehen. So hatte er es unterlassen, den Volks¬ wirten irgendwelche Laufbahn in seinen Diensten zu öffnen. Das verknöcherte Juristenprivileg hielt sie fern. Selbst da, wo der Nationalökonom mit dem ganzen Rüstzeug seiner Wissenschaft die segensreichste Tätigkeit hätte entfalten können, der Jurist dagegen sich erst mühsam, in seine Aufgabe hineinfinden und sein formaljuristisches Gedankenkleid oft zuvor abstreife« mußte, um zum Ver¬ ständnis der.ihm obliegenden Pflichten durchzudringen, selbst da blieben die Türen der Behörden dem Volkswirt eifersüchtig verschlossen. Weder in der Steuerver¬ waltung, noch im Schatzamt, weder im Handelsministerium, noch in der Land¬ wirtschaftsverwaltung oder in der Sozialversicherung bot sich auch nur der be¬ scheidenste Posten, auf dem ein Volkswirt seine Tätigkeit hätte entfalten dürfen. Das Eisenbahnministerium wie die handelspolitische Abteilung des Auswärtigen Amtes waren gegenüber dem Nationalökonomen gleich „exklusiv". Höchstens durfte er sich, wenn man ihn schon gar nicht entbehren konnte, wie in den statistischen Andern, als Hilfsarbeiter Herinndrücken. Als so eine Art wissenschaft¬ licher Offizierstellvertreter: der jüngste Leutnant, will sagen Regierungsrat oder gar Assessor, blieb stets sein Vorgesetzter. Während sich die Techniker und Bau- fachleute allmählich eine Bresche in die undurchdringlich gekittete Phalanx der Juristen hatten schaffen können, um wenigstens im Patentamt, im Eisenbahnministerium usw., wo sie unerläßlich waren, auch einige Aussicht auf Fortbewegungsfreiheit—zu deutsch: Karriere — zu erlangen, stieß der Volkswirt überall auf verschlossene Türen. So gründlich wie er war überhaupt kein akademischer Berufszweig vom Staatsdienst (außerhalb des Lehrbetriebes auf den Hochschulen selbst) ausgeschlossen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/260>, abgerufen am 19.05.2024.