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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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loren einen Zweck, eine Aufgabe, die sie nicht spielend so aufblasen könnten, daß kein
Grandhotel groß genug ist/ um die Kräfte aufzunehmen, die ihre Erfüllung un¬
bedingt -- unbedingt! -- nötig macht. Sei es die Aufgabe,, die deutschen Zei¬
tungen mit Artikeln zu versehen, die sie infolge der durch die Ämter und ihr Tun
und Schreiben vergrößerten Papiernot nicht abdrucke" können, sei es die Aufgabe,
organisatorisch dafür zu sorgen, daß die Fische, die nicht da sind, auch wirklich
nicht in den Kochtopf der Hausfrau gelangen, oder daß die zu liefernden Kar¬
toffeln, wenn sie schon die ütüche erreichen, wenigstens ungenießbar eintreffen.
Das physiologische Gesetz, daß auf einen stets wiederholten Reiz immer schwächer
reagiert wird, hat wohltätig gewirkt. Wir reagieren auf die Reize, die gesetz¬
geberisch oder bureaukratisck-organisatorisch auf uus ausgeübt werden, so gut wie
nicht mehr, wir helfen uns durch die Schwierigkeiten, die Gesetzgeber und Or¬
ganisator nicht lösen, und die sie schaffen, so gut hindurch, wie es geht, und
freuen uns, daß wir nicht umzubringen sind.

Nein, wir sind nicht umzubringen, wir überstehen das Maschinengewehrfeuer
der Verordnungen, wir weichen den Tanks der Organisationen unzerquetscht aus,
wir marschieren, ohne den Atem zu verlieren, durch die Gasnebel der Kriegs¬
publizistik. Maximilian Harden wird seine Kriegsleitartikel in Buchform heraus¬
geben, und wenn die "Wahrheit" die Wahrheit sagt, hat er dafür weit über hundert¬
tausend Mark Honorar erhalten. Stimmt das, so muß es jeden freuen, der der
Meinung ist, daß der Mann, der da schreibt, seines Lohnes wert sei, auch wenn
man ihn nicht ganz versteht. Herr Harden kann, wie hoch sein sagenhaftes Buch¬
honorar auch sei, sicher noch mehr verdienen, wenn er die Arbeiten erst ins
Deutsche übersetzen läßt. Jedenfalls sind diejenigen Schreiber über auswärtige
Politik bei uns vorläufig am berühmtesten, die die deutsche Sprache behandeln,
wie die Bolschewiki die Nichtbolschewiki: mit einer leidenschaftlichen Zwanglosigkeit.
Wir sind noch nicht daran gewöhnt, daß man so viel über auswärtige Fragen
schreibt. In der Ära Bismarck hätte sich die schreibende Besserwisserei an das
Thema der auswärtigen Politik nicht gewagt. Als wir nnter Vülow bei den
Ohren in die Weltpolitik gezogen wurden, war es das erste und einzige Mal in
Deutschland, daß Probleme auftauchten, zu denen die gewohnte Bibliotheken und
Zeilungsbände füllende Literatur fehlte. Jetzt, nach drei prüfuugsreichen Schul¬
jahren, ist dem Bedürfnis abgeholfen. . Jeder besserpekleidete Herr schreibt über
die weltpolitischen Aufgaben Deutschlands und die Zahl der Handbücher "Wie
treibe ich Weltpolitik", die aber nicht immer Kopfbücher sind, wächst wie die Zahl
der Einbrüche in dunklen Nächten. Wir alle, bis zum Amtsrichter im Bayerischen
Wald und zum Apotheker an der Mosel haben davon profitiert und halten den
Staatsmann, der von den Handbüchern und den Leitartikeln abweicht, sür einen
Schädling. Die Sache ist uns noch neu und wir haben noch die staunende Ver¬
ehrung für jeden, der mit schöner Sicherheit über diesen Gegenstand schreibt.
Aussprüche haben für uns noch den Wert von Ereignissen. Es ist die Blütezeit
der großen und kleinen Phropheten, der pathetischen, wie der weltmännisch geist¬
reichen und vor allem der immer grenzenlos empörten. Diese haben noch immer
den größten Erfolg. Aber wir werden täglich einen Tag älter, wir haben nun
schon öfter bemerkt, daß die publizistische Tat von gestern zum Einwickelpapier
von heute wird, wir kommeu allmählich dahinter, daß in dieser Literatur die
Hexerei nicht größer ist, als in der schönen, wir sehen, daß die Wahrsagungen der
weltpolitischen Propheten so wenig eintreffen, wie diejenigen jener Damen, die in
den besten Vierteln Berlins einer ungeahnt großen und ungeahnt eleganten Kund'
schaft die Zukunft zu entschleiern Pflege", auch gegen Honorar, und ebenfalls riethe
anonym. Das Ende des Respekts vor dem Leitartikel wird der Anfang der
politischen Weisheit sein. Ihre zweite Stufe, die Einsicht, daß in der auswärtigen
Politik die Dinge nie so einfach sind, als sich darüber schreiben läßt. Erst auf
dieser Stufe gewährt die fleißige Zeitungslektüre den rechten Nutzen. Die
Wellen der Ereignisse spülen auflösend in das Gefüge der richtigstkU
Theorien über die Zukunft Europas, geradeso, wie die nur zu ertragenden,


Randglossen zum Tage

loren einen Zweck, eine Aufgabe, die sie nicht spielend so aufblasen könnten, daß kein
Grandhotel groß genug ist/ um die Kräfte aufzunehmen, die ihre Erfüllung un¬
bedingt — unbedingt! — nötig macht. Sei es die Aufgabe,, die deutschen Zei¬
tungen mit Artikeln zu versehen, die sie infolge der durch die Ämter und ihr Tun
und Schreiben vergrößerten Papiernot nicht abdrucke» können, sei es die Aufgabe,
organisatorisch dafür zu sorgen, daß die Fische, die nicht da sind, auch wirklich
nicht in den Kochtopf der Hausfrau gelangen, oder daß die zu liefernden Kar¬
toffeln, wenn sie schon die ütüche erreichen, wenigstens ungenießbar eintreffen.
Das physiologische Gesetz, daß auf einen stets wiederholten Reiz immer schwächer
reagiert wird, hat wohltätig gewirkt. Wir reagieren auf die Reize, die gesetz¬
geberisch oder bureaukratisck-organisatorisch auf uus ausgeübt werden, so gut wie
nicht mehr, wir helfen uns durch die Schwierigkeiten, die Gesetzgeber und Or¬
ganisator nicht lösen, und die sie schaffen, so gut hindurch, wie es geht, und
freuen uns, daß wir nicht umzubringen sind.

Nein, wir sind nicht umzubringen, wir überstehen das Maschinengewehrfeuer
der Verordnungen, wir weichen den Tanks der Organisationen unzerquetscht aus,
wir marschieren, ohne den Atem zu verlieren, durch die Gasnebel der Kriegs¬
publizistik. Maximilian Harden wird seine Kriegsleitartikel in Buchform heraus¬
geben, und wenn die „Wahrheit" die Wahrheit sagt, hat er dafür weit über hundert¬
tausend Mark Honorar erhalten. Stimmt das, so muß es jeden freuen, der der
Meinung ist, daß der Mann, der da schreibt, seines Lohnes wert sei, auch wenn
man ihn nicht ganz versteht. Herr Harden kann, wie hoch sein sagenhaftes Buch¬
honorar auch sei, sicher noch mehr verdienen, wenn er die Arbeiten erst ins
Deutsche übersetzen läßt. Jedenfalls sind diejenigen Schreiber über auswärtige
Politik bei uns vorläufig am berühmtesten, die die deutsche Sprache behandeln,
wie die Bolschewiki die Nichtbolschewiki: mit einer leidenschaftlichen Zwanglosigkeit.
Wir sind noch nicht daran gewöhnt, daß man so viel über auswärtige Fragen
schreibt. In der Ära Bismarck hätte sich die schreibende Besserwisserei an das
Thema der auswärtigen Politik nicht gewagt. Als wir nnter Vülow bei den
Ohren in die Weltpolitik gezogen wurden, war es das erste und einzige Mal in
Deutschland, daß Probleme auftauchten, zu denen die gewohnte Bibliotheken und
Zeilungsbände füllende Literatur fehlte. Jetzt, nach drei prüfuugsreichen Schul¬
jahren, ist dem Bedürfnis abgeholfen. . Jeder besserpekleidete Herr schreibt über
die weltpolitischen Aufgaben Deutschlands und die Zahl der Handbücher „Wie
treibe ich Weltpolitik", die aber nicht immer Kopfbücher sind, wächst wie die Zahl
der Einbrüche in dunklen Nächten. Wir alle, bis zum Amtsrichter im Bayerischen
Wald und zum Apotheker an der Mosel haben davon profitiert und halten den
Staatsmann, der von den Handbüchern und den Leitartikeln abweicht, sür einen
Schädling. Die Sache ist uns noch neu und wir haben noch die staunende Ver¬
ehrung für jeden, der mit schöner Sicherheit über diesen Gegenstand schreibt.
Aussprüche haben für uns noch den Wert von Ereignissen. Es ist die Blütezeit
der großen und kleinen Phropheten, der pathetischen, wie der weltmännisch geist¬
reichen und vor allem der immer grenzenlos empörten. Diese haben noch immer
den größten Erfolg. Aber wir werden täglich einen Tag älter, wir haben nun
schon öfter bemerkt, daß die publizistische Tat von gestern zum Einwickelpapier
von heute wird, wir kommeu allmählich dahinter, daß in dieser Literatur die
Hexerei nicht größer ist, als in der schönen, wir sehen, daß die Wahrsagungen der
weltpolitischen Propheten so wenig eintreffen, wie diejenigen jener Damen, die in
den besten Vierteln Berlins einer ungeahnt großen und ungeahnt eleganten Kund'
schaft die Zukunft zu entschleiern Pflege», auch gegen Honorar, und ebenfalls riethe
anonym. Das Ende des Respekts vor dem Leitartikel wird der Anfang der
politischen Weisheit sein. Ihre zweite Stufe, die Einsicht, daß in der auswärtigen
Politik die Dinge nie so einfach sind, als sich darüber schreiben läßt. Erst auf
dieser Stufe gewährt die fleißige Zeitungslektüre den rechten Nutzen. Die
Wellen der Ereignisse spülen auflösend in das Gefüge der richtigstkU
Theorien über die Zukunft Europas, geradeso, wie die nur zu ertragenden,


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[0318] Randglossen zum Tage loren einen Zweck, eine Aufgabe, die sie nicht spielend so aufblasen könnten, daß kein Grandhotel groß genug ist/ um die Kräfte aufzunehmen, die ihre Erfüllung un¬ bedingt — unbedingt! — nötig macht. Sei es die Aufgabe,, die deutschen Zei¬ tungen mit Artikeln zu versehen, die sie infolge der durch die Ämter und ihr Tun und Schreiben vergrößerten Papiernot nicht abdrucke» können, sei es die Aufgabe, organisatorisch dafür zu sorgen, daß die Fische, die nicht da sind, auch wirklich nicht in den Kochtopf der Hausfrau gelangen, oder daß die zu liefernden Kar¬ toffeln, wenn sie schon die ütüche erreichen, wenigstens ungenießbar eintreffen. Das physiologische Gesetz, daß auf einen stets wiederholten Reiz immer schwächer reagiert wird, hat wohltätig gewirkt. Wir reagieren auf die Reize, die gesetz¬ geberisch oder bureaukratisck-organisatorisch auf uus ausgeübt werden, so gut wie nicht mehr, wir helfen uns durch die Schwierigkeiten, die Gesetzgeber und Or¬ ganisator nicht lösen, und die sie schaffen, so gut hindurch, wie es geht, und freuen uns, daß wir nicht umzubringen sind. Nein, wir sind nicht umzubringen, wir überstehen das Maschinengewehrfeuer der Verordnungen, wir weichen den Tanks der Organisationen unzerquetscht aus, wir marschieren, ohne den Atem zu verlieren, durch die Gasnebel der Kriegs¬ publizistik. Maximilian Harden wird seine Kriegsleitartikel in Buchform heraus¬ geben, und wenn die „Wahrheit" die Wahrheit sagt, hat er dafür weit über hundert¬ tausend Mark Honorar erhalten. Stimmt das, so muß es jeden freuen, der der Meinung ist, daß der Mann, der da schreibt, seines Lohnes wert sei, auch wenn man ihn nicht ganz versteht. Herr Harden kann, wie hoch sein sagenhaftes Buch¬ honorar auch sei, sicher noch mehr verdienen, wenn er die Arbeiten erst ins Deutsche übersetzen läßt. Jedenfalls sind diejenigen Schreiber über auswärtige Politik bei uns vorläufig am berühmtesten, die die deutsche Sprache behandeln, wie die Bolschewiki die Nichtbolschewiki: mit einer leidenschaftlichen Zwanglosigkeit. Wir sind noch nicht daran gewöhnt, daß man so viel über auswärtige Fragen schreibt. In der Ära Bismarck hätte sich die schreibende Besserwisserei an das Thema der auswärtigen Politik nicht gewagt. Als wir nnter Vülow bei den Ohren in die Weltpolitik gezogen wurden, war es das erste und einzige Mal in Deutschland, daß Probleme auftauchten, zu denen die gewohnte Bibliotheken und Zeilungsbände füllende Literatur fehlte. Jetzt, nach drei prüfuugsreichen Schul¬ jahren, ist dem Bedürfnis abgeholfen. . Jeder besserpekleidete Herr schreibt über die weltpolitischen Aufgaben Deutschlands und die Zahl der Handbücher „Wie treibe ich Weltpolitik", die aber nicht immer Kopfbücher sind, wächst wie die Zahl der Einbrüche in dunklen Nächten. Wir alle, bis zum Amtsrichter im Bayerischen Wald und zum Apotheker an der Mosel haben davon profitiert und halten den Staatsmann, der von den Handbüchern und den Leitartikeln abweicht, sür einen Schädling. Die Sache ist uns noch neu und wir haben noch die staunende Ver¬ ehrung für jeden, der mit schöner Sicherheit über diesen Gegenstand schreibt. Aussprüche haben für uns noch den Wert von Ereignissen. Es ist die Blütezeit der großen und kleinen Phropheten, der pathetischen, wie der weltmännisch geist¬ reichen und vor allem der immer grenzenlos empörten. Diese haben noch immer den größten Erfolg. Aber wir werden täglich einen Tag älter, wir haben nun schon öfter bemerkt, daß die publizistische Tat von gestern zum Einwickelpapier von heute wird, wir kommeu allmählich dahinter, daß in dieser Literatur die Hexerei nicht größer ist, als in der schönen, wir sehen, daß die Wahrsagungen der weltpolitischen Propheten so wenig eintreffen, wie diejenigen jener Damen, die in den besten Vierteln Berlins einer ungeahnt großen und ungeahnt eleganten Kund' schaft die Zukunft zu entschleiern Pflege», auch gegen Honorar, und ebenfalls riethe anonym. Das Ende des Respekts vor dem Leitartikel wird der Anfang der politischen Weisheit sein. Ihre zweite Stufe, die Einsicht, daß in der auswärtigen Politik die Dinge nie so einfach sind, als sich darüber schreiben läßt. Erst auf dieser Stufe gewährt die fleißige Zeitungslektüre den rechten Nutzen. Die Wellen der Ereignisse spülen auflösend in das Gefüge der richtigstkU Theorien über die Zukunft Europas, geradeso, wie die nur zu ertragenden,

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/318>, abgerufen am 18.05.2024.