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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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La Gewähltenrecht

Blutes kräftigere Anregung. Tatsächlich ist auch in den sonst so heftig umstrit¬
tener! Wahlrechtsfragen diese kommunale Regelung nie beanstandet worden. Für
die Übergangszeit ist zu bemerken, daß nach der ersten nach dem neuen Gesetze
vorzunehmenden allgemeinen Wahl je ein Drittel der Abgeordneten schon nach zwei
und nach vier Jahren auszuscheiden hätte, um so den verschiedenen Beginn der
Wahlperioden in Lauf zu bringen. Die in der Dreiteilung ausscheidenden Abge¬
ordneten sind gleichmäßig auf die verschiedenen Landesteile zu verteilen. Für die
Gesetzgebung werden hier Schwierigkeiten grundsätzlicher Art nicht entstehen. Im
übrigen soll der Vorschlag zu 1 den Weg zu der anderen Bestimmung ebnen, die
die Wiederwahl eines Abgeordneten vor Ablauf von zwei Jahren nach beendigtem
Mandat ausschließt. Auf diese Bestimmung kommt es an.

In den Wahlen erschöpft sich verfassungsgemäß die Beteiligung des Volkes
am Staatslebmi sie bringen zum Austrag die Gegensätzlichkeiten, die widerstrei¬
tenden Wünsche der Massen. Es ist klar, daß durch ein gleiches Wahlrecht die

Politische Leidenschaft besonders gesteigert wird. Wir müssen das Vertrauen haben,
daß sich trotz allem der gute Geist des Volkes durchsetzt. Doch ist es jedenfalls
folgerichtig, daß, wenn die Wahlen einmal vorbei, nun für die Arbeit der Volks¬
vertretung um so ruhigere Sachlichkeit gewährleistet wird. In den Wahlen hat
das Voll mehr gefühlsmäßig allgemeine Wünsche, politische Richtlinien zum Aus¬
druck gebracht. Jetzt haben die Abgeordneten die verantwortliche, die Kopfarbeit
zu leisten, damit Dauerndes, Gesundes entstehe. Trotzdem ist gerade im Parla¬
ment solche Arbeit gefährdet. Die Politik der Stimmung, die Parteitaktik, die
Rücksicht auf künftige Wahlerfolge werden hier immer mitsprechen.

Solchen natürlichen, gewichtigen Hemmungen sachlichen parlamentarischen
Schaffens muß -- wenn überhaupt, dann jetzt -- entgegengewirkt werden. Was
dem Richter recht ist, soll dem Volksvertreter billig sein. Für den Richter ist
bestimmt, damit seine Entscheidungen nicht durch äußere ungehörige Einwirkungen
beeinträchtigt werden, daß er unabsetzbar, seine Berufung ins Amt lebenslänglich
sei. Für das Mitglied des Abgeordnetenhauses, für das eine derartige Regelung
nicht in Betracht kommt, muß das Ziel, die möglichste innere Unabhängigkeit, auf
umgekehrtem Wege erreicht werden: nur die Ausschließung einer Wiederwahl
kann den Gewählten innerlich freier gegenüber der Stimmung der Massen machen.
Zwar wird eine gewisse Rücksichtnahme auf die öffentliche Meinung immer


La Gewähltenrecht

Blutes kräftigere Anregung. Tatsächlich ist auch in den sonst so heftig umstrit¬
tener! Wahlrechtsfragen diese kommunale Regelung nie beanstandet worden. Für
die Übergangszeit ist zu bemerken, daß nach der ersten nach dem neuen Gesetze
vorzunehmenden allgemeinen Wahl je ein Drittel der Abgeordneten schon nach zwei
und nach vier Jahren auszuscheiden hätte, um so den verschiedenen Beginn der
Wahlperioden in Lauf zu bringen. Die in der Dreiteilung ausscheidenden Abge¬
ordneten sind gleichmäßig auf die verschiedenen Landesteile zu verteilen. Für die
Gesetzgebung werden hier Schwierigkeiten grundsätzlicher Art nicht entstehen. Im
übrigen soll der Vorschlag zu 1 den Weg zu der anderen Bestimmung ebnen, die
die Wiederwahl eines Abgeordneten vor Ablauf von zwei Jahren nach beendigtem
Mandat ausschließt. Auf diese Bestimmung kommt es an.

In den Wahlen erschöpft sich verfassungsgemäß die Beteiligung des Volkes
am Staatslebmi sie bringen zum Austrag die Gegensätzlichkeiten, die widerstrei¬
tenden Wünsche der Massen. Es ist klar, daß durch ein gleiches Wahlrecht die

Politische Leidenschaft besonders gesteigert wird. Wir müssen das Vertrauen haben,
daß sich trotz allem der gute Geist des Volkes durchsetzt. Doch ist es jedenfalls
folgerichtig, daß, wenn die Wahlen einmal vorbei, nun für die Arbeit der Volks¬
vertretung um so ruhigere Sachlichkeit gewährleistet wird. In den Wahlen hat
das Voll mehr gefühlsmäßig allgemeine Wünsche, politische Richtlinien zum Aus¬
druck gebracht. Jetzt haben die Abgeordneten die verantwortliche, die Kopfarbeit
zu leisten, damit Dauerndes, Gesundes entstehe. Trotzdem ist gerade im Parla¬
ment solche Arbeit gefährdet. Die Politik der Stimmung, die Parteitaktik, die
Rücksicht auf künftige Wahlerfolge werden hier immer mitsprechen.

Solchen natürlichen, gewichtigen Hemmungen sachlichen parlamentarischen
Schaffens muß — wenn überhaupt, dann jetzt — entgegengewirkt werden. Was
dem Richter recht ist, soll dem Volksvertreter billig sein. Für den Richter ist
bestimmt, damit seine Entscheidungen nicht durch äußere ungehörige Einwirkungen
beeinträchtigt werden, daß er unabsetzbar, seine Berufung ins Amt lebenslänglich
sei. Für das Mitglied des Abgeordnetenhauses, für das eine derartige Regelung
nicht in Betracht kommt, muß das Ziel, die möglichste innere Unabhängigkeit, auf
umgekehrtem Wege erreicht werden: nur die Ausschließung einer Wiederwahl
kann den Gewählten innerlich freier gegenüber der Stimmung der Massen machen.
Zwar wird eine gewisse Rücksichtnahme auf die öffentliche Meinung immer


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[0057] La Gewähltenrecht Blutes kräftigere Anregung. Tatsächlich ist auch in den sonst so heftig umstrit¬ tener! Wahlrechtsfragen diese kommunale Regelung nie beanstandet worden. Für die Übergangszeit ist zu bemerken, daß nach der ersten nach dem neuen Gesetze vorzunehmenden allgemeinen Wahl je ein Drittel der Abgeordneten schon nach zwei und nach vier Jahren auszuscheiden hätte, um so den verschiedenen Beginn der Wahlperioden in Lauf zu bringen. Die in der Dreiteilung ausscheidenden Abge¬ ordneten sind gleichmäßig auf die verschiedenen Landesteile zu verteilen. Für die Gesetzgebung werden hier Schwierigkeiten grundsätzlicher Art nicht entstehen. Im übrigen soll der Vorschlag zu 1 den Weg zu der anderen Bestimmung ebnen, die die Wiederwahl eines Abgeordneten vor Ablauf von zwei Jahren nach beendigtem Mandat ausschließt. Auf diese Bestimmung kommt es an. In den Wahlen erschöpft sich verfassungsgemäß die Beteiligung des Volkes am Staatslebmi sie bringen zum Austrag die Gegensätzlichkeiten, die widerstrei¬ tenden Wünsche der Massen. Es ist klar, daß durch ein gleiches Wahlrecht die Politische Leidenschaft besonders gesteigert wird. Wir müssen das Vertrauen haben, daß sich trotz allem der gute Geist des Volkes durchsetzt. Doch ist es jedenfalls folgerichtig, daß, wenn die Wahlen einmal vorbei, nun für die Arbeit der Volks¬ vertretung um so ruhigere Sachlichkeit gewährleistet wird. In den Wahlen hat das Voll mehr gefühlsmäßig allgemeine Wünsche, politische Richtlinien zum Aus¬ druck gebracht. Jetzt haben die Abgeordneten die verantwortliche, die Kopfarbeit zu leisten, damit Dauerndes, Gesundes entstehe. Trotzdem ist gerade im Parla¬ ment solche Arbeit gefährdet. Die Politik der Stimmung, die Parteitaktik, die Rücksicht auf künftige Wahlerfolge werden hier immer mitsprechen. Solchen natürlichen, gewichtigen Hemmungen sachlichen parlamentarischen Schaffens muß — wenn überhaupt, dann jetzt — entgegengewirkt werden. Was dem Richter recht ist, soll dem Volksvertreter billig sein. Für den Richter ist bestimmt, damit seine Entscheidungen nicht durch äußere ungehörige Einwirkungen beeinträchtigt werden, daß er unabsetzbar, seine Berufung ins Amt lebenslänglich sei. Für das Mitglied des Abgeordnetenhauses, für das eine derartige Regelung nicht in Betracht kommt, muß das Ziel, die möglichste innere Unabhängigkeit, auf umgekehrtem Wege erreicht werden: nur die Ausschließung einer Wiederwahl kann den Gewählten innerlich freier gegenüber der Stimmung der Massen machen. Zwar wird eine gewisse Rücksichtnahme auf die öffentliche Meinung immer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/57>, abgerufen am 18.05.2024.