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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Der Bauer und der Adelstand

Annen auf den Tisch. Als sie diese Arbeiten beendet hatte, kleidete sie sich selbst
sorgsam an. Doch nicht müßig erwartete sie den Herrn des Himmels: gleich
setzte sie sich wieder an den Webstuhl. Adam lehnte indessen untätig an der Wand --
harrend, sorgend.

Da stand Gott vor ihnen. In Glück, in Furcht stürzten sie zu seinen Füßen.
Gnädig hob der Allmächtige die Zitternden auf und segnete sie. Darauf setzte er
sich an den sauber gedeckten Tisch und brach eines der weißen Brötchen durch,
um es zu kosten. Dann durften die Kinder hereinkommen.
"

"Sind das alle eure Kinder? fragte der Herr.

Und wieder stürzten Adam und Eva zu seinen Füßen nieder, das Angesicht
verbergend. Was sollten sie tun? Die Unwahrheit sagen? Nein, das getrauten
sie sich nicht. Und die Wahrheit bekennen? Dazu hatten sie nicht den Mut.
Also schwiegen sie.

Gott verstand ihr Schweigen. Nicht wiederholte er seine Frage. Mild
legte er jedem der Kinder, die man vor ihn geführt hatte, seine heiligen Hände
aufs Haupt und segnete sie.

Als Adam solches sah, zuckte sein Herz in tiefem Weh und die Seele war
ihm voll Pein: hatte er doch so viele seiner Kinder dem Segen Gottes entzogen.
Warum? Weil sie nackend waren? Und hatten denn die Unglücklichen schuld,
daß sie ohne Kleider einhergehen mußten und sich verstecken?

Tief seufzte Adam auf. Gott hörte den Seufzer und fragte:
"

"Dein Herz ist schwer. Sage mir, was du wünschest.

Und Adam sprach:

"Herr, du hast meine Kinder gesegnet. Zürne mir nicht, wenn ich frage,
welche von ihnen in den Himmel kommen werden."

"Fürwahr, ich sage dir, Adam, alle die Hungrigen und Nackten, die du in
der Kammer und hinter dem Ofen versteckt hast, werden ewiglich den Herrn im
Himmel sehn."

Und als Gott so gesprochen, verschwand er.

Lange standen Adam und Eva schweigend da: sie dachten über die Worte
des Herrn nach und verstanden sie nicht. Und weiter grübelten sie, aber kein
Begreifen wollte ihnen kommen.

Und es geschah, daß die Kinder Adams, die gesegnet waren, immer stolzer
und stolzer wurden. Eine eigene Kraft lebte in ihnen und ließ sie die Erde be¬
herrschen. Sie nährten sich von den besten, ausgesuchtesten Speisen, gingen in
feinen, weichen Kleidern daher. Gott gewährte ihnen alles: war doch sein Segen
mit ihnen.

Aber die nackten, die versteckt waren, blieben demütig. Im Gefühl ihrer
Blöße, ihrer Armut, wagten sie sich nicht hinaus in das Treiben der Welt. Mit
Kummer nährten sie sich von dem Acker, der Dornen und Disteln trug. Nicht
besaßen sie die Erde, wie ihre gesegneten Geschwister. Aber wenn sie von der
Erde schieden, gehörte ihnen das himmlische Reich.

So ist es auch geblieben. Die Gesegneten, das sind die Herren. Und die
anderen, denen damals der Segen entzogen wurde, das sind die Bauern, schlicht-
weg -- die Menschen.




24*
Der Bauer und der Adelstand

Annen auf den Tisch. Als sie diese Arbeiten beendet hatte, kleidete sie sich selbst
sorgsam an. Doch nicht müßig erwartete sie den Herrn des Himmels: gleich
setzte sie sich wieder an den Webstuhl. Adam lehnte indessen untätig an der Wand —
harrend, sorgend.

Da stand Gott vor ihnen. In Glück, in Furcht stürzten sie zu seinen Füßen.
Gnädig hob der Allmächtige die Zitternden auf und segnete sie. Darauf setzte er
sich an den sauber gedeckten Tisch und brach eines der weißen Brötchen durch,
um es zu kosten. Dann durften die Kinder hereinkommen.
"

„Sind das alle eure Kinder? fragte der Herr.

Und wieder stürzten Adam und Eva zu seinen Füßen nieder, das Angesicht
verbergend. Was sollten sie tun? Die Unwahrheit sagen? Nein, das getrauten
sie sich nicht. Und die Wahrheit bekennen? Dazu hatten sie nicht den Mut.
Also schwiegen sie.

Gott verstand ihr Schweigen. Nicht wiederholte er seine Frage. Mild
legte er jedem der Kinder, die man vor ihn geführt hatte, seine heiligen Hände
aufs Haupt und segnete sie.

Als Adam solches sah, zuckte sein Herz in tiefem Weh und die Seele war
ihm voll Pein: hatte er doch so viele seiner Kinder dem Segen Gottes entzogen.
Warum? Weil sie nackend waren? Und hatten denn die Unglücklichen schuld,
daß sie ohne Kleider einhergehen mußten und sich verstecken?

Tief seufzte Adam auf. Gott hörte den Seufzer und fragte:
"

„Dein Herz ist schwer. Sage mir, was du wünschest.

Und Adam sprach:

„Herr, du hast meine Kinder gesegnet. Zürne mir nicht, wenn ich frage,
welche von ihnen in den Himmel kommen werden."

„Fürwahr, ich sage dir, Adam, alle die Hungrigen und Nackten, die du in
der Kammer und hinter dem Ofen versteckt hast, werden ewiglich den Herrn im
Himmel sehn."

Und als Gott so gesprochen, verschwand er.

Lange standen Adam und Eva schweigend da: sie dachten über die Worte
des Herrn nach und verstanden sie nicht. Und weiter grübelten sie, aber kein
Begreifen wollte ihnen kommen.

Und es geschah, daß die Kinder Adams, die gesegnet waren, immer stolzer
und stolzer wurden. Eine eigene Kraft lebte in ihnen und ließ sie die Erde be¬
herrschen. Sie nährten sich von den besten, ausgesuchtesten Speisen, gingen in
feinen, weichen Kleidern daher. Gott gewährte ihnen alles: war doch sein Segen
mit ihnen.

Aber die nackten, die versteckt waren, blieben demütig. Im Gefühl ihrer
Blöße, ihrer Armut, wagten sie sich nicht hinaus in das Treiben der Welt. Mit
Kummer nährten sie sich von dem Acker, der Dornen und Disteln trug. Nicht
besaßen sie die Erde, wie ihre gesegneten Geschwister. Aber wenn sie von der
Erde schieden, gehörte ihnen das himmlische Reich.

So ist es auch geblieben. Die Gesegneten, das sind die Herren. Und die
anderen, denen damals der Segen entzogen wurde, das sind die Bauern, schlicht-
weg — die Menschen.




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[0311] Der Bauer und der Adelstand Annen auf den Tisch. Als sie diese Arbeiten beendet hatte, kleidete sie sich selbst sorgsam an. Doch nicht müßig erwartete sie den Herrn des Himmels: gleich setzte sie sich wieder an den Webstuhl. Adam lehnte indessen untätig an der Wand — harrend, sorgend. Da stand Gott vor ihnen. In Glück, in Furcht stürzten sie zu seinen Füßen. Gnädig hob der Allmächtige die Zitternden auf und segnete sie. Darauf setzte er sich an den sauber gedeckten Tisch und brach eines der weißen Brötchen durch, um es zu kosten. Dann durften die Kinder hereinkommen. " „Sind das alle eure Kinder? fragte der Herr. Und wieder stürzten Adam und Eva zu seinen Füßen nieder, das Angesicht verbergend. Was sollten sie tun? Die Unwahrheit sagen? Nein, das getrauten sie sich nicht. Und die Wahrheit bekennen? Dazu hatten sie nicht den Mut. Also schwiegen sie. Gott verstand ihr Schweigen. Nicht wiederholte er seine Frage. Mild legte er jedem der Kinder, die man vor ihn geführt hatte, seine heiligen Hände aufs Haupt und segnete sie. Als Adam solches sah, zuckte sein Herz in tiefem Weh und die Seele war ihm voll Pein: hatte er doch so viele seiner Kinder dem Segen Gottes entzogen. Warum? Weil sie nackend waren? Und hatten denn die Unglücklichen schuld, daß sie ohne Kleider einhergehen mußten und sich verstecken? Tief seufzte Adam auf. Gott hörte den Seufzer und fragte: " „Dein Herz ist schwer. Sage mir, was du wünschest. Und Adam sprach: „Herr, du hast meine Kinder gesegnet. Zürne mir nicht, wenn ich frage, welche von ihnen in den Himmel kommen werden." „Fürwahr, ich sage dir, Adam, alle die Hungrigen und Nackten, die du in der Kammer und hinter dem Ofen versteckt hast, werden ewiglich den Herrn im Himmel sehn." Und als Gott so gesprochen, verschwand er. Lange standen Adam und Eva schweigend da: sie dachten über die Worte des Herrn nach und verstanden sie nicht. Und weiter grübelten sie, aber kein Begreifen wollte ihnen kommen. Und es geschah, daß die Kinder Adams, die gesegnet waren, immer stolzer und stolzer wurden. Eine eigene Kraft lebte in ihnen und ließ sie die Erde be¬ herrschen. Sie nährten sich von den besten, ausgesuchtesten Speisen, gingen in feinen, weichen Kleidern daher. Gott gewährte ihnen alles: war doch sein Segen mit ihnen. Aber die nackten, die versteckt waren, blieben demütig. Im Gefühl ihrer Blöße, ihrer Armut, wagten sie sich nicht hinaus in das Treiben der Welt. Mit Kummer nährten sie sich von dem Acker, der Dornen und Disteln trug. Nicht besaßen sie die Erde, wie ihre gesegneten Geschwister. Aber wenn sie von der Erde schieden, gehörte ihnen das himmlische Reich. So ist es auch geblieben. Die Gesegneten, das sind die Herren. Und die anderen, denen damals der Segen entzogen wurde, das sind die Bauern, schlicht- weg — die Menschen. 24*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/311>, abgerufen am 22.05.2024.