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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Die Behandlung der veutschbalten
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Bevölkerungsstatistik anzupassen. Es werden der Opfer an liebgewohnten An¬
schauungen und Einrichtungen genug vom baltischen Deutschtum erfordert werden,
der Fortgang der Geschichte wird schwere und gewichtige Wort" .sprechen, und nur
kindischer oder greisenhafter Trotz und Uno"rstand werden den hoffnungslosen
Versuch machen, sich diesen Worten zu widersetzen. Man sollte aber dann auch
auf reichsdeutscher Seite ein Verständnis dafür gewinnen, wie viele tragische
Folgen die Krisis des deutschbaltischen Menschen zeitigen wird und es dem dortigen
Deutschtum nicht zumuten, sich mit deutschen Kulturträgern auseinanderzusetzen,
die ohne den Willen zur verständnisvollen Einfühlung in die bewährten Über¬
lieferungen, vielmehr mit altklugen Besserwissen und mit offenbarer Abneigung
gegen den einheimischen deutschen Menschenschlag als Eroberer und Beglücker,
wenn nicht gar als pfiffige Ausbeuter des Landes einziehen.

Auf die Auslese dieser beamteten Vertreter des neuen Deutschtums in den
baltischen Landen wird unsere Negierung Einwirkung haben und es steht dringend
zu hoffen, daß sie die Verantwortung erkennt, die damit in ihre Hand gelegt ist.
Anders in den freien Berufen. Nach Riga, Libau und Reval, den großen, in"
dustriellen und gewerblichen Mittelpunkten des Baltikums, aber auch in die kleineren
Städte und auf das Land wird sich ein Strom jener Vertreter neudeutscher Wirt¬
schaft ergießen, deren hemmungsfreie Arbeits- und Erwerbsenergie hier so wenig
wie sonst in der Welt sich durch vorgefundene Wirtschafts- und Arbeitsverhältnisse
einer älteren Entwicklungsstufe des Kapitalismus beirren lassen und ehrfürchtig
vor deren Überlieferungen Halt machen wird. Der hanseatisch gehaltenere und
gemessenere Wirtschaftsgeist Rigas wird mit diesem jüngeren unbekümmerteren hoch¬
kapitalistischen Bruder ebenfalls hart zusammenstoßen. Der Schritt zum Hoch¬
kapitalismus mit allen wirtschaftlichen, arbeitstechnischen und auch gesellschaftlichen
Folgeerscheinungen wird dem Lande nicht erspart bleiben und wesentliche Eingriffe
in die Entwicklung der Verhältnisse stehen der Regierung kaum offen. Wohl aber
ist zu wünschen, daß sie ein wachsames Auge darüber habe, daß nicht die gegen¬
wärtige wirtschaftliche Notlage des baltischen Landes zu einer Erdrosselung seines
selbständigen und bodenständigen Wirtschaftslebens ausgenutzt werde. Insbesondere
ist die durch den Krieg begün'stigte Monvpolwirtschaft für den einheimischen Handel
eine schwere Gefahr. Was dabei mit auf dem Spiele steht, ist das Überwuchern
ostjüdischen Handelsgeistes in Riga, in der bisher die strengsten ursprungshaft
deutschen WrrtschaftSübcrlieferungen und kaufmännischen Gepflogenheiten die volle
Herrschaft besaßen. Gewiß wird eine größere nationale Parität auch dort Platz
greifen müssen, allein die Vernichtung der einheimischen merkantilen und industriellen
Initiative und damit die völlige Revolutionierung des baltischen Wirtschaftslebens
wäre aufs äußerste zu beklagen und namentlich in deutschnationaler Hinsicht von
katastrophaler Tragweite. So sehr wir gerade das Wirtschaftsleben als Feld der
Gewinnung der fremdstämmigen Unterschicht in Anspruch nehmen: völlig können
auch hier die nationalen Momente, deren jeweiliges Gewicht nur die einheimischen
Kreise ermessen können, aus dem wirtschaftlichen Kampf und der Neuordnung des
dortigen Wirtschaftslebens nicht ausgeschaltet werden.

Der Balle ist durch einen überaus stark ausgeprägten Unabhängigkeitssinn,
dabei aber auch durch ein hohes Maß geistiger Agilität ausgezeichnet. Insbesondere
für die bürgerlichen Kreise, in denen keine feudal-reaktionären Bindungen die
geistige Beweglichkeit lähmen, ist dies Beieinander bezeichnend, während dem Adel
die größere machtpolitische Energie innewohnt. Der Balle ist zu großen Leistungen
und Opfern bereit, sobald er ihren Sinn und ihre Notwendigkeit einsieht. Aber
er verträgt schwer eine Mißachtung seiner geistigen Freiheit und eignet sich nicht
zu blindem Gehorsam, wie ihn die militärische und büreaukratische Moral gern
fordert. Zwang und Gewalt wecken im Ballen seinen echt germanischen Trotz
und Eigensinn. Gewaltige geistige und organisatorische Arbeit ist in der baltischen
Selbstverwaltung, im Vereins- und Kuturleben des Landes freiwillig und ehren¬
amtlich geleistet worden. Ein Appell an freiwillige Opfer und freiwillige Mit¬
arbeit kann unter Deutschbalten sicher auf Widerhall rechnen, während der Leite


Die Behandlung der veutschbalten
^

Bevölkerungsstatistik anzupassen. Es werden der Opfer an liebgewohnten An¬
schauungen und Einrichtungen genug vom baltischen Deutschtum erfordert werden,
der Fortgang der Geschichte wird schwere und gewichtige Wort» .sprechen, und nur
kindischer oder greisenhafter Trotz und Uno»rstand werden den hoffnungslosen
Versuch machen, sich diesen Worten zu widersetzen. Man sollte aber dann auch
auf reichsdeutscher Seite ein Verständnis dafür gewinnen, wie viele tragische
Folgen die Krisis des deutschbaltischen Menschen zeitigen wird und es dem dortigen
Deutschtum nicht zumuten, sich mit deutschen Kulturträgern auseinanderzusetzen,
die ohne den Willen zur verständnisvollen Einfühlung in die bewährten Über¬
lieferungen, vielmehr mit altklugen Besserwissen und mit offenbarer Abneigung
gegen den einheimischen deutschen Menschenschlag als Eroberer und Beglücker,
wenn nicht gar als pfiffige Ausbeuter des Landes einziehen.

Auf die Auslese dieser beamteten Vertreter des neuen Deutschtums in den
baltischen Landen wird unsere Negierung Einwirkung haben und es steht dringend
zu hoffen, daß sie die Verantwortung erkennt, die damit in ihre Hand gelegt ist.
Anders in den freien Berufen. Nach Riga, Libau und Reval, den großen, in»
dustriellen und gewerblichen Mittelpunkten des Baltikums, aber auch in die kleineren
Städte und auf das Land wird sich ein Strom jener Vertreter neudeutscher Wirt¬
schaft ergießen, deren hemmungsfreie Arbeits- und Erwerbsenergie hier so wenig
wie sonst in der Welt sich durch vorgefundene Wirtschafts- und Arbeitsverhältnisse
einer älteren Entwicklungsstufe des Kapitalismus beirren lassen und ehrfürchtig
vor deren Überlieferungen Halt machen wird. Der hanseatisch gehaltenere und
gemessenere Wirtschaftsgeist Rigas wird mit diesem jüngeren unbekümmerteren hoch¬
kapitalistischen Bruder ebenfalls hart zusammenstoßen. Der Schritt zum Hoch¬
kapitalismus mit allen wirtschaftlichen, arbeitstechnischen und auch gesellschaftlichen
Folgeerscheinungen wird dem Lande nicht erspart bleiben und wesentliche Eingriffe
in die Entwicklung der Verhältnisse stehen der Regierung kaum offen. Wohl aber
ist zu wünschen, daß sie ein wachsames Auge darüber habe, daß nicht die gegen¬
wärtige wirtschaftliche Notlage des baltischen Landes zu einer Erdrosselung seines
selbständigen und bodenständigen Wirtschaftslebens ausgenutzt werde. Insbesondere
ist die durch den Krieg begün'stigte Monvpolwirtschaft für den einheimischen Handel
eine schwere Gefahr. Was dabei mit auf dem Spiele steht, ist das Überwuchern
ostjüdischen Handelsgeistes in Riga, in der bisher die strengsten ursprungshaft
deutschen WrrtschaftSübcrlieferungen und kaufmännischen Gepflogenheiten die volle
Herrschaft besaßen. Gewiß wird eine größere nationale Parität auch dort Platz
greifen müssen, allein die Vernichtung der einheimischen merkantilen und industriellen
Initiative und damit die völlige Revolutionierung des baltischen Wirtschaftslebens
wäre aufs äußerste zu beklagen und namentlich in deutschnationaler Hinsicht von
katastrophaler Tragweite. So sehr wir gerade das Wirtschaftsleben als Feld der
Gewinnung der fremdstämmigen Unterschicht in Anspruch nehmen: völlig können
auch hier die nationalen Momente, deren jeweiliges Gewicht nur die einheimischen
Kreise ermessen können, aus dem wirtschaftlichen Kampf und der Neuordnung des
dortigen Wirtschaftslebens nicht ausgeschaltet werden.

Der Balle ist durch einen überaus stark ausgeprägten Unabhängigkeitssinn,
dabei aber auch durch ein hohes Maß geistiger Agilität ausgezeichnet. Insbesondere
für die bürgerlichen Kreise, in denen keine feudal-reaktionären Bindungen die
geistige Beweglichkeit lähmen, ist dies Beieinander bezeichnend, während dem Adel
die größere machtpolitische Energie innewohnt. Der Balle ist zu großen Leistungen
und Opfern bereit, sobald er ihren Sinn und ihre Notwendigkeit einsieht. Aber
er verträgt schwer eine Mißachtung seiner geistigen Freiheit und eignet sich nicht
zu blindem Gehorsam, wie ihn die militärische und büreaukratische Moral gern
fordert. Zwang und Gewalt wecken im Ballen seinen echt germanischen Trotz
und Eigensinn. Gewaltige geistige und organisatorische Arbeit ist in der baltischen
Selbstverwaltung, im Vereins- und Kuturleben des Landes freiwillig und ehren¬
amtlich geleistet worden. Ein Appell an freiwillige Opfer und freiwillige Mit¬
arbeit kann unter Deutschbalten sicher auf Widerhall rechnen, während der Leite


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[0032] Die Behandlung der veutschbalten ^ Bevölkerungsstatistik anzupassen. Es werden der Opfer an liebgewohnten An¬ schauungen und Einrichtungen genug vom baltischen Deutschtum erfordert werden, der Fortgang der Geschichte wird schwere und gewichtige Wort» .sprechen, und nur kindischer oder greisenhafter Trotz und Uno»rstand werden den hoffnungslosen Versuch machen, sich diesen Worten zu widersetzen. Man sollte aber dann auch auf reichsdeutscher Seite ein Verständnis dafür gewinnen, wie viele tragische Folgen die Krisis des deutschbaltischen Menschen zeitigen wird und es dem dortigen Deutschtum nicht zumuten, sich mit deutschen Kulturträgern auseinanderzusetzen, die ohne den Willen zur verständnisvollen Einfühlung in die bewährten Über¬ lieferungen, vielmehr mit altklugen Besserwissen und mit offenbarer Abneigung gegen den einheimischen deutschen Menschenschlag als Eroberer und Beglücker, wenn nicht gar als pfiffige Ausbeuter des Landes einziehen. Auf die Auslese dieser beamteten Vertreter des neuen Deutschtums in den baltischen Landen wird unsere Negierung Einwirkung haben und es steht dringend zu hoffen, daß sie die Verantwortung erkennt, die damit in ihre Hand gelegt ist. Anders in den freien Berufen. Nach Riga, Libau und Reval, den großen, in» dustriellen und gewerblichen Mittelpunkten des Baltikums, aber auch in die kleineren Städte und auf das Land wird sich ein Strom jener Vertreter neudeutscher Wirt¬ schaft ergießen, deren hemmungsfreie Arbeits- und Erwerbsenergie hier so wenig wie sonst in der Welt sich durch vorgefundene Wirtschafts- und Arbeitsverhältnisse einer älteren Entwicklungsstufe des Kapitalismus beirren lassen und ehrfürchtig vor deren Überlieferungen Halt machen wird. Der hanseatisch gehaltenere und gemessenere Wirtschaftsgeist Rigas wird mit diesem jüngeren unbekümmerteren hoch¬ kapitalistischen Bruder ebenfalls hart zusammenstoßen. Der Schritt zum Hoch¬ kapitalismus mit allen wirtschaftlichen, arbeitstechnischen und auch gesellschaftlichen Folgeerscheinungen wird dem Lande nicht erspart bleiben und wesentliche Eingriffe in die Entwicklung der Verhältnisse stehen der Regierung kaum offen. Wohl aber ist zu wünschen, daß sie ein wachsames Auge darüber habe, daß nicht die gegen¬ wärtige wirtschaftliche Notlage des baltischen Landes zu einer Erdrosselung seines selbständigen und bodenständigen Wirtschaftslebens ausgenutzt werde. Insbesondere ist die durch den Krieg begün'stigte Monvpolwirtschaft für den einheimischen Handel eine schwere Gefahr. Was dabei mit auf dem Spiele steht, ist das Überwuchern ostjüdischen Handelsgeistes in Riga, in der bisher die strengsten ursprungshaft deutschen WrrtschaftSübcrlieferungen und kaufmännischen Gepflogenheiten die volle Herrschaft besaßen. Gewiß wird eine größere nationale Parität auch dort Platz greifen müssen, allein die Vernichtung der einheimischen merkantilen und industriellen Initiative und damit die völlige Revolutionierung des baltischen Wirtschaftslebens wäre aufs äußerste zu beklagen und namentlich in deutschnationaler Hinsicht von katastrophaler Tragweite. So sehr wir gerade das Wirtschaftsleben als Feld der Gewinnung der fremdstämmigen Unterschicht in Anspruch nehmen: völlig können auch hier die nationalen Momente, deren jeweiliges Gewicht nur die einheimischen Kreise ermessen können, aus dem wirtschaftlichen Kampf und der Neuordnung des dortigen Wirtschaftslebens nicht ausgeschaltet werden. Der Balle ist durch einen überaus stark ausgeprägten Unabhängigkeitssinn, dabei aber auch durch ein hohes Maß geistiger Agilität ausgezeichnet. Insbesondere für die bürgerlichen Kreise, in denen keine feudal-reaktionären Bindungen die geistige Beweglichkeit lähmen, ist dies Beieinander bezeichnend, während dem Adel die größere machtpolitische Energie innewohnt. Der Balle ist zu großen Leistungen und Opfern bereit, sobald er ihren Sinn und ihre Notwendigkeit einsieht. Aber er verträgt schwer eine Mißachtung seiner geistigen Freiheit und eignet sich nicht zu blindem Gehorsam, wie ihn die militärische und büreaukratische Moral gern fordert. Zwang und Gewalt wecken im Ballen seinen echt germanischen Trotz und Eigensinn. Gewaltige geistige und organisatorische Arbeit ist in der baltischen Selbstverwaltung, im Vereins- und Kuturleben des Landes freiwillig und ehren¬ amtlich geleistet worden. Ein Appell an freiwillige Opfer und freiwillige Mit¬ arbeit kann unter Deutschbalten sicher auf Widerhall rechnen, während der Leite

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/32>, abgerufen am 16.06.2024.