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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Mittelmeerproblome

und Deutlichkeit erklären lassen, die Marokkofrage sei eine spanische Lebensfrage.
Ob man es in Frankreich zum äußersten kommen lassen wird, ist nicht deutlich,
wahrscheinlich ist es nicht, denn je greifbarer die natürlichen Gegensätze Englands
zu Frankreich hervortreten, je mehr wird letzteres darangehen müssen, dem Ge¬
danken des Bundes der lateinischen Nationen näherzutreten, mit dem es Italien
gegenüber nach Wochen der Verstimmung gerade jetzt wieder kokettiert und der
ohne Spaniens Beteiligung nie genügend Konsistenz erhalten kann.

Das Übergewicht Frankreichs abzuschwächen, hat Italien seit seinen Vor¬
bereitungen zum Kriege mit der Türkei versucht, der ihm Tripolis und den
einstweiligen Besitz des Dodekanes eintrug Frankreich hat diese Schmälerung
seiner Vorherrschaft dulden müssen, um Italien von den Mittelmächten wegzulocken.
Inzwischen aber ist Italiens Begehren ins Ungeheure gewachsen. Daß es zur
unumschränkten und endgültig gesicherten Beherrschung des adriatischen Meeres so
ziemlich die ganze dalmatinische Küste verlangt, möchte trotz der französischen
Sympathien sür die Südslawen noch hingehen, man wäre in Frankreich zur Aus¬
gabe aller Bedenken bereit, wenn nur Italien dem französischen Plan eines
Donaubundes, gegen den es sich mit allen Kräften aus Furcht vor wirtschaftlicher
Wiedererstarkung der Länder der früheren Donaumonarchie sträubt, oder wenigstens
dein einer Neutralisierung Deutsch-Österreichs, die den von Frankreich als
überaus bedrohlich empfundenen Anschluß an Deuischlcmd verhindern soll, bei¬
stimmen möchte, aber daß Italien auch den Dodekanes und Adalicr, den besten
Hafen zwischen Alexandrette und Smyrna samt Hinterland bis zur Bagdadbchn-
strecke verlangt, erscheint Frankreich für seine Syrien-Pläne nicht ungefährlich. Zum
Glück erstehen Italien scharfe Konkurrenten einerseits in den Südslawen, die
unter keinen Umständen von Fiume lassen wollen, eigentlich aber den Jsonzo als
Grenze fordern, andrerseits in den Griechen, die nicht nur Nordcpirus besetzt
halten und Bulgarien vom ägäischen Meer abdrängen wollen, sondern auch den
Dodekanes und das von italienischen Blättern gleichfalls verlangte Smyrna be¬
anspruchen (mit den gesamten beiden Vilajets Albin und Brusse).

All diese Probleme aber werden ins Unendliche kompliziert durch den schwer¬
wiegenden Umstand, daß das Mittelmeer nicht den Uferstaaten allein gehört,
sondern Englands Seeweg nach Indien bildet. Seit der Eröffnung des Suez¬
kanals ist auch England eine Mittelmeermacht geworden, und seitdem es den
Suezkanal durch Ägypten sicherte und zur Sicherung Ägyptens auch Arabien
brauchte, zwischen Ägypten aber und Indien die gesamte Küste des Indischen
Ozeans an sich zu bringen suchte, war es ganz natürlicherweise genötigt, diesen
Besitz durch eine möglichst unbeschränkte Herrschaft über das östliche Mittelmeer zu
sichern, zu festigen und abzurunden. Daß dieser Plan schon sehr, sehr alt sein
muß, beweist Englands Bestreben, unter allen Umständen Rußland von Konstan-
tinopel fernzuhalten. Eine neue Macht im Mittelmeer, die, im Besitz von
Konstantinopel, alsbald die Balkanstaaten unter ihren Einfluß gebracht haben
würde, und, einmal an ein freies Meer gelangt, unbegrenzter Entwicklung fähig
war und einerseits auf dem Balkan, womöglich mit Einverständnis des verbündeten
Frankreichs auf Kreta und Cypern, andrerseits in Persien fußend ganz Syrien,
Palästina und damit auch Arabien und Ägypten bedroht hätte, konnte unter keinen
Umständen geduldet werden. Als man der Einkreisungspolitik zuliebe Nußland
Konstantinopel zusprechen mußte, forderte man wenigstens, um jederzeit einen Vor¬
wand zum Dreinreden zu ermöglichen, Jnternaiionalisierung der Dardanellen. Jetzt,
da man Rußland einstweilen nicht mehr zu fürchten hat, wird letztere Forderung
aus durchsichtigen Gründen nur von Frankreich erhoben, das auf seinen alten
Einfluß in der türkischen Hauptstadt baut. Aber auch den wissen die Engländer
zurückzudrängen: während die französischen Truppen Odessa räumen mußten und in
äußerst bedrohlicher Lage sind, haben die Engländer in Konstantinopel die Polizei-
gewnlt an sich gerissen und fordern die athenischen Expcmsionislen nicht nur
Thracien für Griechenland, sondern auch das alte Byzanz mit seinen 364 (M
griechischen Bewohnern selbst, so daß die Franzosen jetzt schon wieder gewillt sind,
die viel umstrittene Hauptstadt der jetzt nicht mehr gefährlichen Türkei zu lassen.


Mittelmeerproblome

und Deutlichkeit erklären lassen, die Marokkofrage sei eine spanische Lebensfrage.
Ob man es in Frankreich zum äußersten kommen lassen wird, ist nicht deutlich,
wahrscheinlich ist es nicht, denn je greifbarer die natürlichen Gegensätze Englands
zu Frankreich hervortreten, je mehr wird letzteres darangehen müssen, dem Ge¬
danken des Bundes der lateinischen Nationen näherzutreten, mit dem es Italien
gegenüber nach Wochen der Verstimmung gerade jetzt wieder kokettiert und der
ohne Spaniens Beteiligung nie genügend Konsistenz erhalten kann.

Das Übergewicht Frankreichs abzuschwächen, hat Italien seit seinen Vor¬
bereitungen zum Kriege mit der Türkei versucht, der ihm Tripolis und den
einstweiligen Besitz des Dodekanes eintrug Frankreich hat diese Schmälerung
seiner Vorherrschaft dulden müssen, um Italien von den Mittelmächten wegzulocken.
Inzwischen aber ist Italiens Begehren ins Ungeheure gewachsen. Daß es zur
unumschränkten und endgültig gesicherten Beherrschung des adriatischen Meeres so
ziemlich die ganze dalmatinische Küste verlangt, möchte trotz der französischen
Sympathien sür die Südslawen noch hingehen, man wäre in Frankreich zur Aus¬
gabe aller Bedenken bereit, wenn nur Italien dem französischen Plan eines
Donaubundes, gegen den es sich mit allen Kräften aus Furcht vor wirtschaftlicher
Wiedererstarkung der Länder der früheren Donaumonarchie sträubt, oder wenigstens
dein einer Neutralisierung Deutsch-Österreichs, die den von Frankreich als
überaus bedrohlich empfundenen Anschluß an Deuischlcmd verhindern soll, bei¬
stimmen möchte, aber daß Italien auch den Dodekanes und Adalicr, den besten
Hafen zwischen Alexandrette und Smyrna samt Hinterland bis zur Bagdadbchn-
strecke verlangt, erscheint Frankreich für seine Syrien-Pläne nicht ungefährlich. Zum
Glück erstehen Italien scharfe Konkurrenten einerseits in den Südslawen, die
unter keinen Umständen von Fiume lassen wollen, eigentlich aber den Jsonzo als
Grenze fordern, andrerseits in den Griechen, die nicht nur Nordcpirus besetzt
halten und Bulgarien vom ägäischen Meer abdrängen wollen, sondern auch den
Dodekanes und das von italienischen Blättern gleichfalls verlangte Smyrna be¬
anspruchen (mit den gesamten beiden Vilajets Albin und Brusse).

All diese Probleme aber werden ins Unendliche kompliziert durch den schwer¬
wiegenden Umstand, daß das Mittelmeer nicht den Uferstaaten allein gehört,
sondern Englands Seeweg nach Indien bildet. Seit der Eröffnung des Suez¬
kanals ist auch England eine Mittelmeermacht geworden, und seitdem es den
Suezkanal durch Ägypten sicherte und zur Sicherung Ägyptens auch Arabien
brauchte, zwischen Ägypten aber und Indien die gesamte Küste des Indischen
Ozeans an sich zu bringen suchte, war es ganz natürlicherweise genötigt, diesen
Besitz durch eine möglichst unbeschränkte Herrschaft über das östliche Mittelmeer zu
sichern, zu festigen und abzurunden. Daß dieser Plan schon sehr, sehr alt sein
muß, beweist Englands Bestreben, unter allen Umständen Rußland von Konstan-
tinopel fernzuhalten. Eine neue Macht im Mittelmeer, die, im Besitz von
Konstantinopel, alsbald die Balkanstaaten unter ihren Einfluß gebracht haben
würde, und, einmal an ein freies Meer gelangt, unbegrenzter Entwicklung fähig
war und einerseits auf dem Balkan, womöglich mit Einverständnis des verbündeten
Frankreichs auf Kreta und Cypern, andrerseits in Persien fußend ganz Syrien,
Palästina und damit auch Arabien und Ägypten bedroht hätte, konnte unter keinen
Umständen geduldet werden. Als man der Einkreisungspolitik zuliebe Nußland
Konstantinopel zusprechen mußte, forderte man wenigstens, um jederzeit einen Vor¬
wand zum Dreinreden zu ermöglichen, Jnternaiionalisierung der Dardanellen. Jetzt,
da man Rußland einstweilen nicht mehr zu fürchten hat, wird letztere Forderung
aus durchsichtigen Gründen nur von Frankreich erhoben, das auf seinen alten
Einfluß in der türkischen Hauptstadt baut. Aber auch den wissen die Engländer
zurückzudrängen: während die französischen Truppen Odessa räumen mußten und in
äußerst bedrohlicher Lage sind, haben die Engländer in Konstantinopel die Polizei-
gewnlt an sich gerissen und fordern die athenischen Expcmsionislen nicht nur
Thracien für Griechenland, sondern auch das alte Byzanz mit seinen 364 (M
griechischen Bewohnern selbst, so daß die Franzosen jetzt schon wieder gewillt sind,
die viel umstrittene Hauptstadt der jetzt nicht mehr gefährlichen Türkei zu lassen.


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[0100] Mittelmeerproblome und Deutlichkeit erklären lassen, die Marokkofrage sei eine spanische Lebensfrage. Ob man es in Frankreich zum äußersten kommen lassen wird, ist nicht deutlich, wahrscheinlich ist es nicht, denn je greifbarer die natürlichen Gegensätze Englands zu Frankreich hervortreten, je mehr wird letzteres darangehen müssen, dem Ge¬ danken des Bundes der lateinischen Nationen näherzutreten, mit dem es Italien gegenüber nach Wochen der Verstimmung gerade jetzt wieder kokettiert und der ohne Spaniens Beteiligung nie genügend Konsistenz erhalten kann. Das Übergewicht Frankreichs abzuschwächen, hat Italien seit seinen Vor¬ bereitungen zum Kriege mit der Türkei versucht, der ihm Tripolis und den einstweiligen Besitz des Dodekanes eintrug Frankreich hat diese Schmälerung seiner Vorherrschaft dulden müssen, um Italien von den Mittelmächten wegzulocken. Inzwischen aber ist Italiens Begehren ins Ungeheure gewachsen. Daß es zur unumschränkten und endgültig gesicherten Beherrschung des adriatischen Meeres so ziemlich die ganze dalmatinische Küste verlangt, möchte trotz der französischen Sympathien sür die Südslawen noch hingehen, man wäre in Frankreich zur Aus¬ gabe aller Bedenken bereit, wenn nur Italien dem französischen Plan eines Donaubundes, gegen den es sich mit allen Kräften aus Furcht vor wirtschaftlicher Wiedererstarkung der Länder der früheren Donaumonarchie sträubt, oder wenigstens dein einer Neutralisierung Deutsch-Österreichs, die den von Frankreich als überaus bedrohlich empfundenen Anschluß an Deuischlcmd verhindern soll, bei¬ stimmen möchte, aber daß Italien auch den Dodekanes und Adalicr, den besten Hafen zwischen Alexandrette und Smyrna samt Hinterland bis zur Bagdadbchn- strecke verlangt, erscheint Frankreich für seine Syrien-Pläne nicht ungefährlich. Zum Glück erstehen Italien scharfe Konkurrenten einerseits in den Südslawen, die unter keinen Umständen von Fiume lassen wollen, eigentlich aber den Jsonzo als Grenze fordern, andrerseits in den Griechen, die nicht nur Nordcpirus besetzt halten und Bulgarien vom ägäischen Meer abdrängen wollen, sondern auch den Dodekanes und das von italienischen Blättern gleichfalls verlangte Smyrna be¬ anspruchen (mit den gesamten beiden Vilajets Albin und Brusse). All diese Probleme aber werden ins Unendliche kompliziert durch den schwer¬ wiegenden Umstand, daß das Mittelmeer nicht den Uferstaaten allein gehört, sondern Englands Seeweg nach Indien bildet. Seit der Eröffnung des Suez¬ kanals ist auch England eine Mittelmeermacht geworden, und seitdem es den Suezkanal durch Ägypten sicherte und zur Sicherung Ägyptens auch Arabien brauchte, zwischen Ägypten aber und Indien die gesamte Küste des Indischen Ozeans an sich zu bringen suchte, war es ganz natürlicherweise genötigt, diesen Besitz durch eine möglichst unbeschränkte Herrschaft über das östliche Mittelmeer zu sichern, zu festigen und abzurunden. Daß dieser Plan schon sehr, sehr alt sein muß, beweist Englands Bestreben, unter allen Umständen Rußland von Konstan- tinopel fernzuhalten. Eine neue Macht im Mittelmeer, die, im Besitz von Konstantinopel, alsbald die Balkanstaaten unter ihren Einfluß gebracht haben würde, und, einmal an ein freies Meer gelangt, unbegrenzter Entwicklung fähig war und einerseits auf dem Balkan, womöglich mit Einverständnis des verbündeten Frankreichs auf Kreta und Cypern, andrerseits in Persien fußend ganz Syrien, Palästina und damit auch Arabien und Ägypten bedroht hätte, konnte unter keinen Umständen geduldet werden. Als man der Einkreisungspolitik zuliebe Nußland Konstantinopel zusprechen mußte, forderte man wenigstens, um jederzeit einen Vor¬ wand zum Dreinreden zu ermöglichen, Jnternaiionalisierung der Dardanellen. Jetzt, da man Rußland einstweilen nicht mehr zu fürchten hat, wird letztere Forderung aus durchsichtigen Gründen nur von Frankreich erhoben, das auf seinen alten Einfluß in der türkischen Hauptstadt baut. Aber auch den wissen die Engländer zurückzudrängen: während die französischen Truppen Odessa räumen mußten und in äußerst bedrohlicher Lage sind, haben die Engländer in Konstantinopel die Polizei- gewnlt an sich gerissen und fordern die athenischen Expcmsionislen nicht nur Thracien für Griechenland, sondern auch das alte Byzanz mit seinen 364 (M griechischen Bewohnern selbst, so daß die Franzosen jetzt schon wieder gewillt sind, die viel umstrittene Hauptstadt der jetzt nicht mehr gefährlichen Türkei zu lassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/100>, abgerufen am 16.05.2024.