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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Demokratischer Parlamentarismn5 und Rätcsystem

müssen, da die Möglichkeit zu gesetzmäßigem Einfluß nicht besteht, soweit es sich
nicht um formelle Gesetzwidrigkeiten handelt, gegen die natürlich ordentliche oder
Verwaltungsgerichte angerufen werden können, zu Konflikten zwischen Berufs¬
parlament und Verwaltung führen, die das Berufsparlament zu dem Versuch
drängen werden, eine Lösung durch den wirtschaftlichen Machtkampf herbeizuführen.

Anders liegen die Verhältnisse bei der Kontrolle staatlicher Lokalbehörden
durch die lokalen Berufsparlamente. Der große Vorteil der Nnteverfassung liegt
in dem lebendigen Zusammenhang innerhalb ihres hierarchischen Aufbaus. Der
Kitt der gemeinsamen Berufsinteressen würde diesen Zusammenhang auch gewähr¬
leisten, wenn die Wahlen zu dem Staats- und Neichsräteparlameut innerhalb der
einzelnen Berufe direkt stattfinden würde. Und zwar handelt es sich um eine
Wechselwirkung, bei der der Einfluß der höheren Parlamente auf die niederen
voraussichtlich noch stärker sein würde als der umgekehrte. So würde also die
Kontrolle über die staatlichen Behörden nach von oben einheitlich gegebenen Richt¬
linien erfolgen und nach diesen Richtlinien auch die Beeinflussung der Behörden ver¬
sucht werden. Gegensätze zwischen erster und zweiter Kammer im Reich und Staat
müssen zu Zusammenstößen zwischen nach verschiedenen Grundsätzen arbeitenden
Behörden und lokalen Beruföparlmnenten führen. Umgekehrt verschärft jeder
Konflikt in einer unteren Instanz den Gegensatz in der Zentrale. So entstehen
durch das ganze Reich hindurch zwei unverbundene Organisationen, die schon
entsprechend ihrem gegensätzlichen Organisationsprinzip zu Konflikten neigen und
deren tatsächliche genieinsame Verflechtung ins Staats- und Wirtschaftsleben auf
jeder Stufe zu Gegensätzen führt, die ihrerseits wieder dazu beitragen, den
Gesamtgegenscitz zwischen den beiden Organisationen zu verstärken.

Also keine "Verankerung" der Räte in der Verfassung? Die Entwicklung
ist bereits zu weit fortgeschritten, als daß ein radikales Zurück noch möglich wäre.
Das mindeste, was kommen wird, ist die Anerkennung der Räte als wirtschaftliche
Interessenvertretung mit starker gesetzlicher Privilegierung; Betriebsräte als not¬
wendige Mittler zwischen dem einzelnen Arbeiter oder Angestellten und dem Unter¬
nehmer, Arbeiterkammern als gesetzlich allein zugelassene Vertragspartei für den
Abschluß von Tarifverträgen verbunden etwa und Tarifzwang. Weiter muß der
Gedanke, der zu den Handwerker- und Handelskammern geführt hat, dahin aus¬
gebaut werdeu, daß jeder Beruf seine gesetzlich.geregelte und anerkannte Vertretung
zur Beratung aller Berufsfragen erhält. Die zentrale Zusammenfassung der einen
gleichen Beruf vertretenden Kammern für das Reich läßt sich ebensowenig ver¬
hindern, wie die Fühlungnahme der zentralen .Kanunern miteinander, sei es
zwischen verwandten Berufen zur Beratung gleichlaufender Interessen, sei es
zwischen mehr heterogenen Berufen zum Ausgleich entgegengesetzter Interessen.
Damit werden die Berufskammern aber zu einer wirtschaftlichen Macht, mit der
jede Negierung und jedes Parlament rechnen muß, ob es will oder nicht. Ob
man verfassungsmäßig das Recht der Kammern anerkennt, bei ihre Interessen be¬
rührenden Gesetzentwürfen gehört zu werdeu, ob mau ihnen ein Initiativrecht
verleiht, ob man ihnen schließlich die Möglichkeit verschafft, gegen Beschlüsse des
Pcirlamcuts ein Referendum herbeizuführen, bleibt tatsächlich völlig belanglos.
Vor der Revolution bestand vielleicht die Möglichkeit, dnrch den Ausbau des Ge¬
dankens der rein wirtschaftlichen Kammern einen Ausgleich der wirtschaftliche"
Interessengegensätze herbeizuführen; jetzt ist es dazu zu spät. Man will die Räte,
damit sie die wirtschaftliche Revolution vollenden. Dieser Geist wird auch in den
Nätekammern herrschen, und keine formelle Gesetzesbestimmung wird die Kammern
verhindern, über jeden Parlamentsbeschluß und über jedes Referendum hinweg
ihre wirtschaftliche Macht zur Durchsetzung der eigenen Ziele rücksichtslos auszu¬
nutzen. Ja, man darf sogar annehmen, daß ein verfassungsmäßiger Anteil an der
Gesetzgebung mit dem darin liegenden rechtlichen Zwang zur Verständigung mit
der ersten Kaminer noch eher geeignet ist. Gefühle der Verantwortung zu wecken;
gewisse Hemmungen auszulösen, nicht allzu leichtfertig mit der Ausnützung der
wirtschaftlichen Macht umzuspringen. Aber immer kann es sich doch nur um ein


Demokratischer Parlamentarismn5 und Rätcsystem

müssen, da die Möglichkeit zu gesetzmäßigem Einfluß nicht besteht, soweit es sich
nicht um formelle Gesetzwidrigkeiten handelt, gegen die natürlich ordentliche oder
Verwaltungsgerichte angerufen werden können, zu Konflikten zwischen Berufs¬
parlament und Verwaltung führen, die das Berufsparlament zu dem Versuch
drängen werden, eine Lösung durch den wirtschaftlichen Machtkampf herbeizuführen.

Anders liegen die Verhältnisse bei der Kontrolle staatlicher Lokalbehörden
durch die lokalen Berufsparlamente. Der große Vorteil der Nnteverfassung liegt
in dem lebendigen Zusammenhang innerhalb ihres hierarchischen Aufbaus. Der
Kitt der gemeinsamen Berufsinteressen würde diesen Zusammenhang auch gewähr¬
leisten, wenn die Wahlen zu dem Staats- und Neichsräteparlameut innerhalb der
einzelnen Berufe direkt stattfinden würde. Und zwar handelt es sich um eine
Wechselwirkung, bei der der Einfluß der höheren Parlamente auf die niederen
voraussichtlich noch stärker sein würde als der umgekehrte. So würde also die
Kontrolle über die staatlichen Behörden nach von oben einheitlich gegebenen Richt¬
linien erfolgen und nach diesen Richtlinien auch die Beeinflussung der Behörden ver¬
sucht werden. Gegensätze zwischen erster und zweiter Kammer im Reich und Staat
müssen zu Zusammenstößen zwischen nach verschiedenen Grundsätzen arbeitenden
Behörden und lokalen Beruföparlmnenten führen. Umgekehrt verschärft jeder
Konflikt in einer unteren Instanz den Gegensatz in der Zentrale. So entstehen
durch das ganze Reich hindurch zwei unverbundene Organisationen, die schon
entsprechend ihrem gegensätzlichen Organisationsprinzip zu Konflikten neigen und
deren tatsächliche genieinsame Verflechtung ins Staats- und Wirtschaftsleben auf
jeder Stufe zu Gegensätzen führt, die ihrerseits wieder dazu beitragen, den
Gesamtgegenscitz zwischen den beiden Organisationen zu verstärken.

Also keine „Verankerung" der Räte in der Verfassung? Die Entwicklung
ist bereits zu weit fortgeschritten, als daß ein radikales Zurück noch möglich wäre.
Das mindeste, was kommen wird, ist die Anerkennung der Räte als wirtschaftliche
Interessenvertretung mit starker gesetzlicher Privilegierung; Betriebsräte als not¬
wendige Mittler zwischen dem einzelnen Arbeiter oder Angestellten und dem Unter¬
nehmer, Arbeiterkammern als gesetzlich allein zugelassene Vertragspartei für den
Abschluß von Tarifverträgen verbunden etwa und Tarifzwang. Weiter muß der
Gedanke, der zu den Handwerker- und Handelskammern geführt hat, dahin aus¬
gebaut werdeu, daß jeder Beruf seine gesetzlich.geregelte und anerkannte Vertretung
zur Beratung aller Berufsfragen erhält. Die zentrale Zusammenfassung der einen
gleichen Beruf vertretenden Kammern für das Reich läßt sich ebensowenig ver¬
hindern, wie die Fühlungnahme der zentralen .Kanunern miteinander, sei es
zwischen verwandten Berufen zur Beratung gleichlaufender Interessen, sei es
zwischen mehr heterogenen Berufen zum Ausgleich entgegengesetzter Interessen.
Damit werden die Berufskammern aber zu einer wirtschaftlichen Macht, mit der
jede Negierung und jedes Parlament rechnen muß, ob es will oder nicht. Ob
man verfassungsmäßig das Recht der Kammern anerkennt, bei ihre Interessen be¬
rührenden Gesetzentwürfen gehört zu werdeu, ob mau ihnen ein Initiativrecht
verleiht, ob man ihnen schließlich die Möglichkeit verschafft, gegen Beschlüsse des
Pcirlamcuts ein Referendum herbeizuführen, bleibt tatsächlich völlig belanglos.
Vor der Revolution bestand vielleicht die Möglichkeit, dnrch den Ausbau des Ge¬
dankens der rein wirtschaftlichen Kammern einen Ausgleich der wirtschaftliche»
Interessengegensätze herbeizuführen; jetzt ist es dazu zu spät. Man will die Räte,
damit sie die wirtschaftliche Revolution vollenden. Dieser Geist wird auch in den
Nätekammern herrschen, und keine formelle Gesetzesbestimmung wird die Kammern
verhindern, über jeden Parlamentsbeschluß und über jedes Referendum hinweg
ihre wirtschaftliche Macht zur Durchsetzung der eigenen Ziele rücksichtslos auszu¬
nutzen. Ja, man darf sogar annehmen, daß ein verfassungsmäßiger Anteil an der
Gesetzgebung mit dem darin liegenden rechtlichen Zwang zur Verständigung mit
der ersten Kaminer noch eher geeignet ist. Gefühle der Verantwortung zu wecken;
gewisse Hemmungen auszulösen, nicht allzu leichtfertig mit der Ausnützung der
wirtschaftlichen Macht umzuspringen. Aber immer kann es sich doch nur um ein


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[0117] Demokratischer Parlamentarismn5 und Rätcsystem müssen, da die Möglichkeit zu gesetzmäßigem Einfluß nicht besteht, soweit es sich nicht um formelle Gesetzwidrigkeiten handelt, gegen die natürlich ordentliche oder Verwaltungsgerichte angerufen werden können, zu Konflikten zwischen Berufs¬ parlament und Verwaltung führen, die das Berufsparlament zu dem Versuch drängen werden, eine Lösung durch den wirtschaftlichen Machtkampf herbeizuführen. Anders liegen die Verhältnisse bei der Kontrolle staatlicher Lokalbehörden durch die lokalen Berufsparlamente. Der große Vorteil der Nnteverfassung liegt in dem lebendigen Zusammenhang innerhalb ihres hierarchischen Aufbaus. Der Kitt der gemeinsamen Berufsinteressen würde diesen Zusammenhang auch gewähr¬ leisten, wenn die Wahlen zu dem Staats- und Neichsräteparlameut innerhalb der einzelnen Berufe direkt stattfinden würde. Und zwar handelt es sich um eine Wechselwirkung, bei der der Einfluß der höheren Parlamente auf die niederen voraussichtlich noch stärker sein würde als der umgekehrte. So würde also die Kontrolle über die staatlichen Behörden nach von oben einheitlich gegebenen Richt¬ linien erfolgen und nach diesen Richtlinien auch die Beeinflussung der Behörden ver¬ sucht werden. Gegensätze zwischen erster und zweiter Kammer im Reich und Staat müssen zu Zusammenstößen zwischen nach verschiedenen Grundsätzen arbeitenden Behörden und lokalen Beruföparlmnenten führen. Umgekehrt verschärft jeder Konflikt in einer unteren Instanz den Gegensatz in der Zentrale. So entstehen durch das ganze Reich hindurch zwei unverbundene Organisationen, die schon entsprechend ihrem gegensätzlichen Organisationsprinzip zu Konflikten neigen und deren tatsächliche genieinsame Verflechtung ins Staats- und Wirtschaftsleben auf jeder Stufe zu Gegensätzen führt, die ihrerseits wieder dazu beitragen, den Gesamtgegenscitz zwischen den beiden Organisationen zu verstärken. Also keine „Verankerung" der Räte in der Verfassung? Die Entwicklung ist bereits zu weit fortgeschritten, als daß ein radikales Zurück noch möglich wäre. Das mindeste, was kommen wird, ist die Anerkennung der Räte als wirtschaftliche Interessenvertretung mit starker gesetzlicher Privilegierung; Betriebsräte als not¬ wendige Mittler zwischen dem einzelnen Arbeiter oder Angestellten und dem Unter¬ nehmer, Arbeiterkammern als gesetzlich allein zugelassene Vertragspartei für den Abschluß von Tarifverträgen verbunden etwa und Tarifzwang. Weiter muß der Gedanke, der zu den Handwerker- und Handelskammern geführt hat, dahin aus¬ gebaut werdeu, daß jeder Beruf seine gesetzlich.geregelte und anerkannte Vertretung zur Beratung aller Berufsfragen erhält. Die zentrale Zusammenfassung der einen gleichen Beruf vertretenden Kammern für das Reich läßt sich ebensowenig ver¬ hindern, wie die Fühlungnahme der zentralen .Kanunern miteinander, sei es zwischen verwandten Berufen zur Beratung gleichlaufender Interessen, sei es zwischen mehr heterogenen Berufen zum Ausgleich entgegengesetzter Interessen. Damit werden die Berufskammern aber zu einer wirtschaftlichen Macht, mit der jede Negierung und jedes Parlament rechnen muß, ob es will oder nicht. Ob man verfassungsmäßig das Recht der Kammern anerkennt, bei ihre Interessen be¬ rührenden Gesetzentwürfen gehört zu werdeu, ob mau ihnen ein Initiativrecht verleiht, ob man ihnen schließlich die Möglichkeit verschafft, gegen Beschlüsse des Pcirlamcuts ein Referendum herbeizuführen, bleibt tatsächlich völlig belanglos. Vor der Revolution bestand vielleicht die Möglichkeit, dnrch den Ausbau des Ge¬ dankens der rein wirtschaftlichen Kammern einen Ausgleich der wirtschaftliche» Interessengegensätze herbeizuführen; jetzt ist es dazu zu spät. Man will die Räte, damit sie die wirtschaftliche Revolution vollenden. Dieser Geist wird auch in den Nätekammern herrschen, und keine formelle Gesetzesbestimmung wird die Kammern verhindern, über jeden Parlamentsbeschluß und über jedes Referendum hinweg ihre wirtschaftliche Macht zur Durchsetzung der eigenen Ziele rücksichtslos auszu¬ nutzen. Ja, man darf sogar annehmen, daß ein verfassungsmäßiger Anteil an der Gesetzgebung mit dem darin liegenden rechtlichen Zwang zur Verständigung mit der ersten Kaminer noch eher geeignet ist. Gefühle der Verantwortung zu wecken; gewisse Hemmungen auszulösen, nicht allzu leichtfertig mit der Ausnützung der wirtschaftlichen Macht umzuspringen. Aber immer kann es sich doch nur um ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/117>, abgerufen am 15.05.2024.