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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Zur Schaffung pädagogischer Lehrstühle

Werter Stelle des feindlichen Auslandes als Ideal wirksamer Geistesschulung
hingestellt worden. Man mag sich zu letzterer Auffassung stellen, wie man will.
Von unmittelbarem Belang bleibt die Nutzanwendung: könnten die Gesamt¬
ergebnisse der deutschen Schule in ihren verschiedenen Stufen und Gestalten nicht
gleichfalls erheblich gewinnen durch eine entsprechend vertiefte und planmäßige
Wechselbeziehung zwischen wissenschaftlicher Theorie und Praxis?

Anfänge dazu sind bekanntlich seit langem gemacht. Wenn man von dem
Geschlecht der in deutschen Landen nie aussterbenden Nur-Theoretiker labsieht,
bewegten sich jene Ansätze -- bezeichnend genug für den Geist der Zeit -- bislang
ganz vorzugsweise in den Bahnen einer einseitig-exakten Psychologie. Nicht
unwahrscheinlich ist, daß dieses Teilgebiet uns später einmal Wertvolle Finger¬
zeige zur Lösung verschiedenster Einzelfragen des Unterrichts- und Erziehungs-
Wesens bieten wird. Aber nur ein gänzlich unphilosophischer Kopf kann dauernd
der Überzeugung leben, die letzten Ziele und Zwecke der Pädagogik könnten "mit
Hebeln und mit Schrauben" gefunden werden. Dazu bedarf es vielmehr ethischer,
sozialer u. a. Gesichtspunkte. Wie in der geschichtlichen Entwicklung Pädagogik
und Philosophie durch enge Bande miteinander verknüpft sind, so soll und nutz
es in Zukunft bleiben. Wegweisend für die Zukunft sollte Fichtes Wort bleiben,
daß ohne die Pädagogik "die Philosophie nie ausgedehnte Verständlichkeit, viel
weniger noch allgemeine Anwendbarkeit im Leben finden, sowie hinwiederum
ohne die Philosophie die Erziehungskunst niemals zu vollständiger Klarheit in
sich selbst gelangen kann".

Wie von vornherein kaum anders zu erwarten war, hat sich unsere deutsche
Universitätsgelehrsamkeit -- bis auf wenige rühmliche Ausnahmen -- dem Ein¬
tritt der Pädagogik in die Reihe ver akademischen Lehrfächer, wo nicht schroff
ablehnend, so zum mindesten mit der abwartenden Miene kühler Vornehmheit
gegenübergestellt. Von ihrem Standpunkt nicht ganz mit Unrecht: geht doch bis
im die jüngste Zeit der Glaube in ven Kreisen der philosophischen Fakultäten
zumeist dahin, daß "alle diejenigen, die sich dem Lehrfach widmen wollen,
wenigstens in Preußen, von dem Eigentümlichen dieses Berufes während ihrer
Studienzeit wie von einem Geheimnis ferngehalten werden müssen". (Eduard
Spranger.) Irre ich nicht völlig, so ist mit diesem Worte etwa der Punkt
gekennzeichnet, wo die an sich berechtigte, d. h. recht zu verstehende Losung
^Wissenschaft um der Wissenschaft willen", ins Groteske verzerrt, die Schranken
der theoretischen Vernunft überschreitet und sich dem praktischen Unsinn
erbarmungslos ausliefert. Zum Zeiche" dessen aber, daß die praktische Vernunft
in Sachen der Pädagogik selbst außerhalb der engen Fachkreise auf deutschen
Universitäten eine Stätte hat, folge ein Wort des Greifswalder Historikers
Bernheim: "In der Tat, welch ein Widersinn ist es, dem 'Studierenden das, was
sein künftiges Lebensinteresse sein soll, in der ganzen Studiengeit, die für die
Entwicklung der geistigen Persönlichkeit so maßgebend ist, gewissermaßen zu
verheimlichen!" Spranger fordert mit Nachdruck, daß Pädagogik als Berufskunde
im Studienplan eine Stelle erhalte, und daß dabei die ganze Kulturbedeutung
des Lehrens und Erziehers zur Tarstellung gelangen müsse, als Geschichte der
Pädagogik, als Jugendkunde, als Lehre von den Bildungsgütern und vom
Bildungswesen. Wir werden dem lebhaft zustimmen, aber wir müssen zudem
fordern, daß die Dozenten aller in Betracht kommenden Fächer sich der Aufgabe
bewußt seien, "den rechten Berufsgeist und das spezifische Bernfsethos zu bilden
und zu Pflegen", und daß sie daher wissen müssen, was die Anwendung ihres
Faches im Schulunterricht verlangt, vertraut sein müssen mit den Fragen und
Problemen der Praxis. Es ist ein eingebildetes Vorurteil zu meinen, darunter
leide die Wissenschaftlichkeit: im Gegenteil, sie erhält dadurch fruchtbarste An¬
regung; ich habe das in meiner Schrift: "Das akademische Studium der
Geschichtswissenschaft" 1907 für mein Fach nachgewiesen, der "Verband deutscher
Geschichtslehrer" vertritt mit der Zeitschrift "Vergangenheit und Gegenwart"
diese Ansicht, und es kann in anderen Fächern nicht anders sein, weil es in der
Natur der Sache liegt. Denn Wissenschaft und Unterricht hängen innerlichst
zusammen.


Zur Schaffung pädagogischer Lehrstühle

Werter Stelle des feindlichen Auslandes als Ideal wirksamer Geistesschulung
hingestellt worden. Man mag sich zu letzterer Auffassung stellen, wie man will.
Von unmittelbarem Belang bleibt die Nutzanwendung: könnten die Gesamt¬
ergebnisse der deutschen Schule in ihren verschiedenen Stufen und Gestalten nicht
gleichfalls erheblich gewinnen durch eine entsprechend vertiefte und planmäßige
Wechselbeziehung zwischen wissenschaftlicher Theorie und Praxis?

Anfänge dazu sind bekanntlich seit langem gemacht. Wenn man von dem
Geschlecht der in deutschen Landen nie aussterbenden Nur-Theoretiker labsieht,
bewegten sich jene Ansätze — bezeichnend genug für den Geist der Zeit — bislang
ganz vorzugsweise in den Bahnen einer einseitig-exakten Psychologie. Nicht
unwahrscheinlich ist, daß dieses Teilgebiet uns später einmal Wertvolle Finger¬
zeige zur Lösung verschiedenster Einzelfragen des Unterrichts- und Erziehungs-
Wesens bieten wird. Aber nur ein gänzlich unphilosophischer Kopf kann dauernd
der Überzeugung leben, die letzten Ziele und Zwecke der Pädagogik könnten „mit
Hebeln und mit Schrauben" gefunden werden. Dazu bedarf es vielmehr ethischer,
sozialer u. a. Gesichtspunkte. Wie in der geschichtlichen Entwicklung Pädagogik
und Philosophie durch enge Bande miteinander verknüpft sind, so soll und nutz
es in Zukunft bleiben. Wegweisend für die Zukunft sollte Fichtes Wort bleiben,
daß ohne die Pädagogik „die Philosophie nie ausgedehnte Verständlichkeit, viel
weniger noch allgemeine Anwendbarkeit im Leben finden, sowie hinwiederum
ohne die Philosophie die Erziehungskunst niemals zu vollständiger Klarheit in
sich selbst gelangen kann".

Wie von vornherein kaum anders zu erwarten war, hat sich unsere deutsche
Universitätsgelehrsamkeit — bis auf wenige rühmliche Ausnahmen — dem Ein¬
tritt der Pädagogik in die Reihe ver akademischen Lehrfächer, wo nicht schroff
ablehnend, so zum mindesten mit der abwartenden Miene kühler Vornehmheit
gegenübergestellt. Von ihrem Standpunkt nicht ganz mit Unrecht: geht doch bis
im die jüngste Zeit der Glaube in ven Kreisen der philosophischen Fakultäten
zumeist dahin, daß „alle diejenigen, die sich dem Lehrfach widmen wollen,
wenigstens in Preußen, von dem Eigentümlichen dieses Berufes während ihrer
Studienzeit wie von einem Geheimnis ferngehalten werden müssen". (Eduard
Spranger.) Irre ich nicht völlig, so ist mit diesem Worte etwa der Punkt
gekennzeichnet, wo die an sich berechtigte, d. h. recht zu verstehende Losung
^Wissenschaft um der Wissenschaft willen", ins Groteske verzerrt, die Schranken
der theoretischen Vernunft überschreitet und sich dem praktischen Unsinn
erbarmungslos ausliefert. Zum Zeiche» dessen aber, daß die praktische Vernunft
in Sachen der Pädagogik selbst außerhalb der engen Fachkreise auf deutschen
Universitäten eine Stätte hat, folge ein Wort des Greifswalder Historikers
Bernheim: „In der Tat, welch ein Widersinn ist es, dem 'Studierenden das, was
sein künftiges Lebensinteresse sein soll, in der ganzen Studiengeit, die für die
Entwicklung der geistigen Persönlichkeit so maßgebend ist, gewissermaßen zu
verheimlichen!" Spranger fordert mit Nachdruck, daß Pädagogik als Berufskunde
im Studienplan eine Stelle erhalte, und daß dabei die ganze Kulturbedeutung
des Lehrens und Erziehers zur Tarstellung gelangen müsse, als Geschichte der
Pädagogik, als Jugendkunde, als Lehre von den Bildungsgütern und vom
Bildungswesen. Wir werden dem lebhaft zustimmen, aber wir müssen zudem
fordern, daß die Dozenten aller in Betracht kommenden Fächer sich der Aufgabe
bewußt seien, „den rechten Berufsgeist und das spezifische Bernfsethos zu bilden
und zu Pflegen", und daß sie daher wissen müssen, was die Anwendung ihres
Faches im Schulunterricht verlangt, vertraut sein müssen mit den Fragen und
Problemen der Praxis. Es ist ein eingebildetes Vorurteil zu meinen, darunter
leide die Wissenschaftlichkeit: im Gegenteil, sie erhält dadurch fruchtbarste An¬
regung; ich habe das in meiner Schrift: „Das akademische Studium der
Geschichtswissenschaft" 1907 für mein Fach nachgewiesen, der „Verband deutscher
Geschichtslehrer" vertritt mit der Zeitschrift „Vergangenheit und Gegenwart"
diese Ansicht, und es kann in anderen Fächern nicht anders sein, weil es in der
Natur der Sache liegt. Denn Wissenschaft und Unterricht hängen innerlichst
zusammen.


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[0216] Zur Schaffung pädagogischer Lehrstühle Werter Stelle des feindlichen Auslandes als Ideal wirksamer Geistesschulung hingestellt worden. Man mag sich zu letzterer Auffassung stellen, wie man will. Von unmittelbarem Belang bleibt die Nutzanwendung: könnten die Gesamt¬ ergebnisse der deutschen Schule in ihren verschiedenen Stufen und Gestalten nicht gleichfalls erheblich gewinnen durch eine entsprechend vertiefte und planmäßige Wechselbeziehung zwischen wissenschaftlicher Theorie und Praxis? Anfänge dazu sind bekanntlich seit langem gemacht. Wenn man von dem Geschlecht der in deutschen Landen nie aussterbenden Nur-Theoretiker labsieht, bewegten sich jene Ansätze — bezeichnend genug für den Geist der Zeit — bislang ganz vorzugsweise in den Bahnen einer einseitig-exakten Psychologie. Nicht unwahrscheinlich ist, daß dieses Teilgebiet uns später einmal Wertvolle Finger¬ zeige zur Lösung verschiedenster Einzelfragen des Unterrichts- und Erziehungs- Wesens bieten wird. Aber nur ein gänzlich unphilosophischer Kopf kann dauernd der Überzeugung leben, die letzten Ziele und Zwecke der Pädagogik könnten „mit Hebeln und mit Schrauben" gefunden werden. Dazu bedarf es vielmehr ethischer, sozialer u. a. Gesichtspunkte. Wie in der geschichtlichen Entwicklung Pädagogik und Philosophie durch enge Bande miteinander verknüpft sind, so soll und nutz es in Zukunft bleiben. Wegweisend für die Zukunft sollte Fichtes Wort bleiben, daß ohne die Pädagogik „die Philosophie nie ausgedehnte Verständlichkeit, viel weniger noch allgemeine Anwendbarkeit im Leben finden, sowie hinwiederum ohne die Philosophie die Erziehungskunst niemals zu vollständiger Klarheit in sich selbst gelangen kann". Wie von vornherein kaum anders zu erwarten war, hat sich unsere deutsche Universitätsgelehrsamkeit — bis auf wenige rühmliche Ausnahmen — dem Ein¬ tritt der Pädagogik in die Reihe ver akademischen Lehrfächer, wo nicht schroff ablehnend, so zum mindesten mit der abwartenden Miene kühler Vornehmheit gegenübergestellt. Von ihrem Standpunkt nicht ganz mit Unrecht: geht doch bis im die jüngste Zeit der Glaube in ven Kreisen der philosophischen Fakultäten zumeist dahin, daß „alle diejenigen, die sich dem Lehrfach widmen wollen, wenigstens in Preußen, von dem Eigentümlichen dieses Berufes während ihrer Studienzeit wie von einem Geheimnis ferngehalten werden müssen". (Eduard Spranger.) Irre ich nicht völlig, so ist mit diesem Worte etwa der Punkt gekennzeichnet, wo die an sich berechtigte, d. h. recht zu verstehende Losung ^Wissenschaft um der Wissenschaft willen", ins Groteske verzerrt, die Schranken der theoretischen Vernunft überschreitet und sich dem praktischen Unsinn erbarmungslos ausliefert. Zum Zeiche» dessen aber, daß die praktische Vernunft in Sachen der Pädagogik selbst außerhalb der engen Fachkreise auf deutschen Universitäten eine Stätte hat, folge ein Wort des Greifswalder Historikers Bernheim: „In der Tat, welch ein Widersinn ist es, dem 'Studierenden das, was sein künftiges Lebensinteresse sein soll, in der ganzen Studiengeit, die für die Entwicklung der geistigen Persönlichkeit so maßgebend ist, gewissermaßen zu verheimlichen!" Spranger fordert mit Nachdruck, daß Pädagogik als Berufskunde im Studienplan eine Stelle erhalte, und daß dabei die ganze Kulturbedeutung des Lehrens und Erziehers zur Tarstellung gelangen müsse, als Geschichte der Pädagogik, als Jugendkunde, als Lehre von den Bildungsgütern und vom Bildungswesen. Wir werden dem lebhaft zustimmen, aber wir müssen zudem fordern, daß die Dozenten aller in Betracht kommenden Fächer sich der Aufgabe bewußt seien, „den rechten Berufsgeist und das spezifische Bernfsethos zu bilden und zu Pflegen", und daß sie daher wissen müssen, was die Anwendung ihres Faches im Schulunterricht verlangt, vertraut sein müssen mit den Fragen und Problemen der Praxis. Es ist ein eingebildetes Vorurteil zu meinen, darunter leide die Wissenschaftlichkeit: im Gegenteil, sie erhält dadurch fruchtbarste An¬ regung; ich habe das in meiner Schrift: „Das akademische Studium der Geschichtswissenschaft" 1907 für mein Fach nachgewiesen, der „Verband deutscher Geschichtslehrer" vertritt mit der Zeitschrift „Vergangenheit und Gegenwart" diese Ansicht, und es kann in anderen Fächern nicht anders sein, weil es in der Natur der Sache liegt. Denn Wissenschaft und Unterricht hängen innerlichst zusammen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/216>, abgerufen am 26.05.2024.