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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Der Friedensvertrag und die öffentliche Meinung Frankreichs

Siegestaumels legte, je klarer die enormen Verluste, die der Krieg Frankreichs
Bevölkerung und Wirtschaftskraft gebracht hatte, hervortraten, je mehr Einzelheiten
über die Wüstenei der Kampfzone, über die beabsichtigten neuen Steuergesetze,
über wirtschaftliche Ambitionen der Engländer und Amerikaner bekannt wurden,
je deutlicher, kurz gesagt, die Erkenntnis wurde, daß dieser Ententesieg, für Frank¬
reich allein genommen, ein Pyrrhussieg geworden war, desto energischer trat die
Notwendigkeit hervor, für Frankreich zu retten, was irgend zu retten war. Man
wollte nicht nur gesiegt haben, sondern der Sieg sollte auch speziell für Frankreich
auf die Dauer sichergestellt werden und möglichst wenig kosten. Eine Regierung,
die ohne solchen Frieden von der Konferenz käme, würde vom allgemeinen Un¬
willen des ganzen Landes ohne weiteres weggefegt werden, und der durch
Besichtigungsfahrten in die befreiten Gebiete, durch Veröffentlichung der Annexions¬
programme deutscher Politiker und Wirtschaftsverbände, durch den lange wider¬
willig ertragenen wirtschaftlichen Druck und durch die drohenden neuen Steuer¬
kasten ständig wachgehaltene Haß gegen Deutschland hat, wie man aus den
Schilderungen von der Ankunft der deutschen Friedensdelegation entnehmen kann,
noch nichts von seiner Schärfe eingebüßt.

In diese Stimmung nun siel die Veröffentlichung des Friedensvertrages.
Es war klar, daß dabei von Regierungsseite der Eindruck angestrebt werden
mußte, als brächte er Frankreich alles, was es sich gerechter- und vernünftiger¬
weise wünschen konnte. Tatsächlich äußerten sich denn in den ersten Tagen auch
die großen Boulevardblätter befriedigt. Aber in den Kreisen der Parlamentarier
und Sachverständigen muß rasch eine gewisse Enttäuschung laut geworden sein,
denn sehr bald fügte man tröstend hinzu: wen etwa der Vertrag nicht voll
befriedige, der möchte nur bedenken, daß er in dieser Form ja nur Gültigkeit
hätte, wenn Deutschland alle Bedingungen restlos und ständig erfülle, und daß
er sich leicht verschärfen ließe, wenn das nicht der Fall sein sollte. Aus andern
Stimmen gewann man dann den Eindruck, als ob der Vertrag allerdings als ein
tüchtiger Schritt vorwärts angesehen wurde, daß aber die militärischen und
finanziellen Bedingungen die Sachverständigen mit Besorgnis erfüllen und
namentlich die ausgesprochen angelsächsische Färbung des Friedens von verschiedenen
Seiten mit Mißbehagen bemerkt wurde.

Im einzelnen ist die Opposition viel stärker als man bei uns glaubt. Die
Regelung der Saarbeckenfrage wird allgemein als ungenügend, weil unklar und
nach fünfzehn Jahren mit neuen Verwicklungen drohend, besprochen. Viele Be¬
stimmungen seiet! undurchführbar, die zugesicherten Garantien lediglich vom guten
Willen Englands und Amerikas abhängig. Der Wortführer der neugegründeten
demokratischen Partei schreibt, der Vertrag rechtfertige die schlimmsten seit Wochen
ausgesprochenen Befürchtungen und lasse die ängstliche Überwachung durch die
Zensur begreiflich erscheinen. Er verurteile Frankreich zum finanziellen Ruin und
lasse es ohne jede reale Sicherheit. Er bedeute, schreibt "Libre Parole", ein
Unrecht gegen Frankreich. Die rechtsstehenden Chauvinistenblätter sind unwillig
darüber, daß der Friede nicht mit den deutschen Einzelstaaten geschlossen werde
und die Einheit Deutschlands bestehen lasse. Nur vereinzelt taucht dagegen die
Bemerkung auf, daß der Friede doch immerhin mehr bringe, als man vor
einem Jahr zu hoffen gewagt hätte.

Der allgemeine Eindruck ist also der, daß der Friede im einzelnen den an
ihn gestellten Anforderungen nicht entspricht. Man muß sich, um dies verstehen
zu können, nur einmal vergegenwärtigen, was man in Frankreich unter einem
"gerechten" Frieden versteht. Jeder Franzose, die Sozialisten nicht ausgenommen,
ist fest davon überzeugt, daß dieser Krieg Frankreich aufgezwungen wurde und
wird in dieser Überzeugung, sofern das nötig sein sollte, noch allwöchentlich min¬
destens einmal durch entsprechende Artikel der Presse der deutschen Unabhängigen,
die bereitwillig abgedruckt wird, bestärkt. Es scheint ihm also nur recht und
billig, wenn ihm jeder Kriegsschäden und Verlust restlos ersetzt wird. Ob und
wieweit Deutschland darunter leidet, ist ihm völlig gleichgültig. Da Deutschland


Der Friedensvertrag und die öffentliche Meinung Frankreichs

Siegestaumels legte, je klarer die enormen Verluste, die der Krieg Frankreichs
Bevölkerung und Wirtschaftskraft gebracht hatte, hervortraten, je mehr Einzelheiten
über die Wüstenei der Kampfzone, über die beabsichtigten neuen Steuergesetze,
über wirtschaftliche Ambitionen der Engländer und Amerikaner bekannt wurden,
je deutlicher, kurz gesagt, die Erkenntnis wurde, daß dieser Ententesieg, für Frank¬
reich allein genommen, ein Pyrrhussieg geworden war, desto energischer trat die
Notwendigkeit hervor, für Frankreich zu retten, was irgend zu retten war. Man
wollte nicht nur gesiegt haben, sondern der Sieg sollte auch speziell für Frankreich
auf die Dauer sichergestellt werden und möglichst wenig kosten. Eine Regierung,
die ohne solchen Frieden von der Konferenz käme, würde vom allgemeinen Un¬
willen des ganzen Landes ohne weiteres weggefegt werden, und der durch
Besichtigungsfahrten in die befreiten Gebiete, durch Veröffentlichung der Annexions¬
programme deutscher Politiker und Wirtschaftsverbände, durch den lange wider¬
willig ertragenen wirtschaftlichen Druck und durch die drohenden neuen Steuer¬
kasten ständig wachgehaltene Haß gegen Deutschland hat, wie man aus den
Schilderungen von der Ankunft der deutschen Friedensdelegation entnehmen kann,
noch nichts von seiner Schärfe eingebüßt.

In diese Stimmung nun siel die Veröffentlichung des Friedensvertrages.
Es war klar, daß dabei von Regierungsseite der Eindruck angestrebt werden
mußte, als brächte er Frankreich alles, was es sich gerechter- und vernünftiger¬
weise wünschen konnte. Tatsächlich äußerten sich denn in den ersten Tagen auch
die großen Boulevardblätter befriedigt. Aber in den Kreisen der Parlamentarier
und Sachverständigen muß rasch eine gewisse Enttäuschung laut geworden sein,
denn sehr bald fügte man tröstend hinzu: wen etwa der Vertrag nicht voll
befriedige, der möchte nur bedenken, daß er in dieser Form ja nur Gültigkeit
hätte, wenn Deutschland alle Bedingungen restlos und ständig erfülle, und daß
er sich leicht verschärfen ließe, wenn das nicht der Fall sein sollte. Aus andern
Stimmen gewann man dann den Eindruck, als ob der Vertrag allerdings als ein
tüchtiger Schritt vorwärts angesehen wurde, daß aber die militärischen und
finanziellen Bedingungen die Sachverständigen mit Besorgnis erfüllen und
namentlich die ausgesprochen angelsächsische Färbung des Friedens von verschiedenen
Seiten mit Mißbehagen bemerkt wurde.

Im einzelnen ist die Opposition viel stärker als man bei uns glaubt. Die
Regelung der Saarbeckenfrage wird allgemein als ungenügend, weil unklar und
nach fünfzehn Jahren mit neuen Verwicklungen drohend, besprochen. Viele Be¬
stimmungen seiet! undurchführbar, die zugesicherten Garantien lediglich vom guten
Willen Englands und Amerikas abhängig. Der Wortführer der neugegründeten
demokratischen Partei schreibt, der Vertrag rechtfertige die schlimmsten seit Wochen
ausgesprochenen Befürchtungen und lasse die ängstliche Überwachung durch die
Zensur begreiflich erscheinen. Er verurteile Frankreich zum finanziellen Ruin und
lasse es ohne jede reale Sicherheit. Er bedeute, schreibt „Libre Parole", ein
Unrecht gegen Frankreich. Die rechtsstehenden Chauvinistenblätter sind unwillig
darüber, daß der Friede nicht mit den deutschen Einzelstaaten geschlossen werde
und die Einheit Deutschlands bestehen lasse. Nur vereinzelt taucht dagegen die
Bemerkung auf, daß der Friede doch immerhin mehr bringe, als man vor
einem Jahr zu hoffen gewagt hätte.

Der allgemeine Eindruck ist also der, daß der Friede im einzelnen den an
ihn gestellten Anforderungen nicht entspricht. Man muß sich, um dies verstehen
zu können, nur einmal vergegenwärtigen, was man in Frankreich unter einem
„gerechten" Frieden versteht. Jeder Franzose, die Sozialisten nicht ausgenommen,
ist fest davon überzeugt, daß dieser Krieg Frankreich aufgezwungen wurde und
wird in dieser Überzeugung, sofern das nötig sein sollte, noch allwöchentlich min¬
destens einmal durch entsprechende Artikel der Presse der deutschen Unabhängigen,
die bereitwillig abgedruckt wird, bestärkt. Es scheint ihm also nur recht und
billig, wenn ihm jeder Kriegsschäden und Verlust restlos ersetzt wird. Ob und
wieweit Deutschland darunter leidet, ist ihm völlig gleichgültig. Da Deutschland


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/224>, abgerufen am 15.05.2024.