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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Auf den Pfaden der Sozialisierung

tausende von Arbeitern angelockt, die über das ihres Erachtens allzu laue und
zögernde Verhalten der polnischen Steuerleute zu den wirtschaftlichen Interessen
der Arbeiter unwillig und aufrührerischen Handlungen zugeneigt waren. Diese
anschwellenden Scharen von Grollenden und Machtbegierigen hatten in den
Arbciterräten eine starke und rücksichtslose Vertretung, die die Aufgaben von Sto߬
trupps der wirtschaftlichen Demokratie ausgezeichnet wahrnahm. Das "Räte-
system" zu einem Parlament der Arbeit auszugestalten und mit der Exekution in
allen Angelegenheiten zu betrauen, die den Vormarsch der Sozialisierung fördern
konnten, galt den radikalisierten Arbeitern als das Gebot der Stunde. Die Ge¬
nossen auf dem Kutschbock des Reichswagens aber mußten es an sich selbst er-
fahren, dasz es leichter ist, Revolution zu machen als die zur Mitwirkung auf¬
gerufenen Elemente in den vorgeschriebenen Bahnen festzuhalten. Sie mußten
sich denen gegenüber nachgiebig erweisen, die keinen Aufschub in der Sozialisierung
dulden wollten und nicht davor zurückschreckten, zu den äußersten Kraftmitteln zu
greifen, um dos zu erzwingen, was sie als ihr wohlverdientes soziales Recht an¬
sahen. Die bis dahin zur Zurückhaltung mahnenden Bedenken waren ja auch
schließlich nicht solche sachlichen Gegensatzes, sondern richteten sich vorwiegend
gegen das Tempo der Realisierung. Die Sozialisten zur Rechten wie zur Linken
standen in ihren Überzeugungen auf demselben Boden und strebten nach demselben
Endziel: die Aufrichtung der sozialistischen Wirtschaft. Ihre Wege schieden sich
nach realpolitischen Erwägungen, und diese waren bedingt durch das Maß der
Verantwortung für Fehlgriffe und deren Folgen.

Von der NeichSregierung wurden der Nationalversammlung am 4. März
zwei Sozialisierungsvorlagen zur schleunigsten Beratung unterbreitet, eine all¬
gemeine grundsätzliche, die vom Recht der Arbeit, dem Schutz der Arbeitskraft
und dem Gedanken der Gcmeinwirtschaft handelt, und einen besonderen Gesetz¬
entwurf über die Regelung der Kohlenwirtschaft. Die im Nahmengesetz für die
Sozialisierung aufgestellten Wegweiser geben nur in zwei Richtungen Auskunft,
leider nur allzu knappe. (Wir gehen nachstehend immer von dem Wortlaut der
Gesetze aus, wie er aus den Beschlüssen der Nationalversammlung hervorgegangen
ist). Erstens also: Das Reich soll befugt sein, im Wege der Gesetzgebung gegen
angemessene Entschädigung geeignete wirtschaftliche Unternehmungen, insbesondere
solche zur Gewinnung von Bodenschätzen, in Gemeinwirtschaft überzuführen, so¬
wie im Falle dringenden Bedürfnisses die Herstellung und Verteilung wirtschaft¬
licher Güter gemeinwirtschaftlich zu regeln. Und zweitens: Die Leitung der Ge¬
meinwirtschaft erfolgt unter Aufsicht des Reichs durch Selbstverwaltungsorgane.

Auf zwei Entsteinen soll hiernach die Methode der Sozialisierung beruhen:
Gemeinwirtschaft und Selbstverwaltung. Erstere bedeutet die Übernahme von
bisher privatwirtschaftlich betriebenen Unternehmungen auf eine öffentlich-rechtliche
Gemeinschaft (Reich, Staaten, Gemeinden). Das sozialwirtschaftliche Prinzip
leitet an sich noch keine Wirtschaftsrevolution ein. Entscheidend ist die praktische
Anwendung, die ihm gegeben wird. Mit ihm könnte in der Tat, wie ein sozial-
demokratischer Abgeordneter das offizielle Bekenntnis zur Gemeinwirtschaft aus¬
legte, ein Tor geöffnet werden, durch das das ganze Erfurter Programm ein¬
marschiert. Gegen eine solche verhängnisvolle Entwicklung sind aber einige Tor¬
riegel dem Gesetz eingefügt, wie die bedingte Ermächtigung, die Vergesellschaftung
nur auf gesetzgeberischen Wege in Angriff zu nehmen, und nur, sofern die be¬
treffenden Unternehmungen als "geeignet" erscheinen, sowie unter der Verpflichtung,
die privaten Vorbesitzer angemessen zu entschädigen. Die Ausdehnung ferner der
Gemeinwirtschaft auf die Produktion und den Absatz von wirtschaftlichen Gütern
findet ihre Grenze im Nachweis dringenden Bedürfnisses, worüber selbstverständ¬
lich gleichfalls die gesetzgebende Volksvertretung zu befinden haben würde.

Durch die Übertragung der gemeinwirtschaftlichen Leitung an Selbst¬
verwaltungskörper wird alsdann den beteiligten berufsständischen Orgcmisaiioncn
wenigstens ein teilweiser Einfluß auf das Geschäftsgebaren eingeräumt, also ein
Mittelweg eingeschlagen, der einerseits eine Vorherrschaft der privatkapitalistischen


Auf den Pfaden der Sozialisierung

tausende von Arbeitern angelockt, die über das ihres Erachtens allzu laue und
zögernde Verhalten der polnischen Steuerleute zu den wirtschaftlichen Interessen
der Arbeiter unwillig und aufrührerischen Handlungen zugeneigt waren. Diese
anschwellenden Scharen von Grollenden und Machtbegierigen hatten in den
Arbciterräten eine starke und rücksichtslose Vertretung, die die Aufgaben von Sto߬
trupps der wirtschaftlichen Demokratie ausgezeichnet wahrnahm. Das „Räte-
system" zu einem Parlament der Arbeit auszugestalten und mit der Exekution in
allen Angelegenheiten zu betrauen, die den Vormarsch der Sozialisierung fördern
konnten, galt den radikalisierten Arbeitern als das Gebot der Stunde. Die Ge¬
nossen auf dem Kutschbock des Reichswagens aber mußten es an sich selbst er-
fahren, dasz es leichter ist, Revolution zu machen als die zur Mitwirkung auf¬
gerufenen Elemente in den vorgeschriebenen Bahnen festzuhalten. Sie mußten
sich denen gegenüber nachgiebig erweisen, die keinen Aufschub in der Sozialisierung
dulden wollten und nicht davor zurückschreckten, zu den äußersten Kraftmitteln zu
greifen, um dos zu erzwingen, was sie als ihr wohlverdientes soziales Recht an¬
sahen. Die bis dahin zur Zurückhaltung mahnenden Bedenken waren ja auch
schließlich nicht solche sachlichen Gegensatzes, sondern richteten sich vorwiegend
gegen das Tempo der Realisierung. Die Sozialisten zur Rechten wie zur Linken
standen in ihren Überzeugungen auf demselben Boden und strebten nach demselben
Endziel: die Aufrichtung der sozialistischen Wirtschaft. Ihre Wege schieden sich
nach realpolitischen Erwägungen, und diese waren bedingt durch das Maß der
Verantwortung für Fehlgriffe und deren Folgen.

Von der NeichSregierung wurden der Nationalversammlung am 4. März
zwei Sozialisierungsvorlagen zur schleunigsten Beratung unterbreitet, eine all¬
gemeine grundsätzliche, die vom Recht der Arbeit, dem Schutz der Arbeitskraft
und dem Gedanken der Gcmeinwirtschaft handelt, und einen besonderen Gesetz¬
entwurf über die Regelung der Kohlenwirtschaft. Die im Nahmengesetz für die
Sozialisierung aufgestellten Wegweiser geben nur in zwei Richtungen Auskunft,
leider nur allzu knappe. (Wir gehen nachstehend immer von dem Wortlaut der
Gesetze aus, wie er aus den Beschlüssen der Nationalversammlung hervorgegangen
ist). Erstens also: Das Reich soll befugt sein, im Wege der Gesetzgebung gegen
angemessene Entschädigung geeignete wirtschaftliche Unternehmungen, insbesondere
solche zur Gewinnung von Bodenschätzen, in Gemeinwirtschaft überzuführen, so¬
wie im Falle dringenden Bedürfnisses die Herstellung und Verteilung wirtschaft¬
licher Güter gemeinwirtschaftlich zu regeln. Und zweitens: Die Leitung der Ge¬
meinwirtschaft erfolgt unter Aufsicht des Reichs durch Selbstverwaltungsorgane.

Auf zwei Entsteinen soll hiernach die Methode der Sozialisierung beruhen:
Gemeinwirtschaft und Selbstverwaltung. Erstere bedeutet die Übernahme von
bisher privatwirtschaftlich betriebenen Unternehmungen auf eine öffentlich-rechtliche
Gemeinschaft (Reich, Staaten, Gemeinden). Das sozialwirtschaftliche Prinzip
leitet an sich noch keine Wirtschaftsrevolution ein. Entscheidend ist die praktische
Anwendung, die ihm gegeben wird. Mit ihm könnte in der Tat, wie ein sozial-
demokratischer Abgeordneter das offizielle Bekenntnis zur Gemeinwirtschaft aus¬
legte, ein Tor geöffnet werden, durch das das ganze Erfurter Programm ein¬
marschiert. Gegen eine solche verhängnisvolle Entwicklung sind aber einige Tor¬
riegel dem Gesetz eingefügt, wie die bedingte Ermächtigung, die Vergesellschaftung
nur auf gesetzgeberischen Wege in Angriff zu nehmen, und nur, sofern die be¬
treffenden Unternehmungen als „geeignet" erscheinen, sowie unter der Verpflichtung,
die privaten Vorbesitzer angemessen zu entschädigen. Die Ausdehnung ferner der
Gemeinwirtschaft auf die Produktion und den Absatz von wirtschaftlichen Gütern
findet ihre Grenze im Nachweis dringenden Bedürfnisses, worüber selbstverständ¬
lich gleichfalls die gesetzgebende Volksvertretung zu befinden haben würde.

Durch die Übertragung der gemeinwirtschaftlichen Leitung an Selbst¬
verwaltungskörper wird alsdann den beteiligten berufsständischen Orgcmisaiioncn
wenigstens ein teilweiser Einfluß auf das Geschäftsgebaren eingeräumt, also ein
Mittelweg eingeschlagen, der einerseits eine Vorherrschaft der privatkapitalistischen


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[0024] Auf den Pfaden der Sozialisierung tausende von Arbeitern angelockt, die über das ihres Erachtens allzu laue und zögernde Verhalten der polnischen Steuerleute zu den wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter unwillig und aufrührerischen Handlungen zugeneigt waren. Diese anschwellenden Scharen von Grollenden und Machtbegierigen hatten in den Arbciterräten eine starke und rücksichtslose Vertretung, die die Aufgaben von Sto߬ trupps der wirtschaftlichen Demokratie ausgezeichnet wahrnahm. Das „Räte- system" zu einem Parlament der Arbeit auszugestalten und mit der Exekution in allen Angelegenheiten zu betrauen, die den Vormarsch der Sozialisierung fördern konnten, galt den radikalisierten Arbeitern als das Gebot der Stunde. Die Ge¬ nossen auf dem Kutschbock des Reichswagens aber mußten es an sich selbst er- fahren, dasz es leichter ist, Revolution zu machen als die zur Mitwirkung auf¬ gerufenen Elemente in den vorgeschriebenen Bahnen festzuhalten. Sie mußten sich denen gegenüber nachgiebig erweisen, die keinen Aufschub in der Sozialisierung dulden wollten und nicht davor zurückschreckten, zu den äußersten Kraftmitteln zu greifen, um dos zu erzwingen, was sie als ihr wohlverdientes soziales Recht an¬ sahen. Die bis dahin zur Zurückhaltung mahnenden Bedenken waren ja auch schließlich nicht solche sachlichen Gegensatzes, sondern richteten sich vorwiegend gegen das Tempo der Realisierung. Die Sozialisten zur Rechten wie zur Linken standen in ihren Überzeugungen auf demselben Boden und strebten nach demselben Endziel: die Aufrichtung der sozialistischen Wirtschaft. Ihre Wege schieden sich nach realpolitischen Erwägungen, und diese waren bedingt durch das Maß der Verantwortung für Fehlgriffe und deren Folgen. Von der NeichSregierung wurden der Nationalversammlung am 4. März zwei Sozialisierungsvorlagen zur schleunigsten Beratung unterbreitet, eine all¬ gemeine grundsätzliche, die vom Recht der Arbeit, dem Schutz der Arbeitskraft und dem Gedanken der Gcmeinwirtschaft handelt, und einen besonderen Gesetz¬ entwurf über die Regelung der Kohlenwirtschaft. Die im Nahmengesetz für die Sozialisierung aufgestellten Wegweiser geben nur in zwei Richtungen Auskunft, leider nur allzu knappe. (Wir gehen nachstehend immer von dem Wortlaut der Gesetze aus, wie er aus den Beschlüssen der Nationalversammlung hervorgegangen ist). Erstens also: Das Reich soll befugt sein, im Wege der Gesetzgebung gegen angemessene Entschädigung geeignete wirtschaftliche Unternehmungen, insbesondere solche zur Gewinnung von Bodenschätzen, in Gemeinwirtschaft überzuführen, so¬ wie im Falle dringenden Bedürfnisses die Herstellung und Verteilung wirtschaft¬ licher Güter gemeinwirtschaftlich zu regeln. Und zweitens: Die Leitung der Ge¬ meinwirtschaft erfolgt unter Aufsicht des Reichs durch Selbstverwaltungsorgane. Auf zwei Entsteinen soll hiernach die Methode der Sozialisierung beruhen: Gemeinwirtschaft und Selbstverwaltung. Erstere bedeutet die Übernahme von bisher privatwirtschaftlich betriebenen Unternehmungen auf eine öffentlich-rechtliche Gemeinschaft (Reich, Staaten, Gemeinden). Das sozialwirtschaftliche Prinzip leitet an sich noch keine Wirtschaftsrevolution ein. Entscheidend ist die praktische Anwendung, die ihm gegeben wird. Mit ihm könnte in der Tat, wie ein sozial- demokratischer Abgeordneter das offizielle Bekenntnis zur Gemeinwirtschaft aus¬ legte, ein Tor geöffnet werden, durch das das ganze Erfurter Programm ein¬ marschiert. Gegen eine solche verhängnisvolle Entwicklung sind aber einige Tor¬ riegel dem Gesetz eingefügt, wie die bedingte Ermächtigung, die Vergesellschaftung nur auf gesetzgeberischen Wege in Angriff zu nehmen, und nur, sofern die be¬ treffenden Unternehmungen als „geeignet" erscheinen, sowie unter der Verpflichtung, die privaten Vorbesitzer angemessen zu entschädigen. Die Ausdehnung ferner der Gemeinwirtschaft auf die Produktion und den Absatz von wirtschaftlichen Gütern findet ihre Grenze im Nachweis dringenden Bedürfnisses, worüber selbstverständ¬ lich gleichfalls die gesetzgebende Volksvertretung zu befinden haben würde. Durch die Übertragung der gemeinwirtschaftlichen Leitung an Selbst¬ verwaltungskörper wird alsdann den beteiligten berufsständischen Orgcmisaiioncn wenigstens ein teilweiser Einfluß auf das Geschäftsgebaren eingeräumt, also ein Mittelweg eingeschlagen, der einerseits eine Vorherrschaft der privatkapitalistischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/24>, abgerufen am 16.05.2024.