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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Amerika am Scheidewege

kleinliche Kirchturmsinteressen erblicken kann. Daher sträubt man sich auch gegen
die Idee des amerikanischen Armenienprotektorates. Da ein solches Mandat dem
Handel anderer Nationen offene Tür läßt, so vermag man nicht einzusehen,
weshalb man die Lasten der Ausübung einer Polizeigewalt auf sich nehmen soll,
nur weil England und Frankreich sich den Besitz Armeniens oder der Meerengen
gegenseitig nicht gönnen wollen. Schon hat der "Sun" es unwillig ausgesprochen,
Europa bezwecke mit dem Völkerbund nur, sich Amerikas Hilfsquellen zu sichern.
Aber gerade Frankreichs Erfahrung mit Rußland hat die Gefahl en, die sich aus
zu weitgehender und zu langfristiger Kreditgewährung an fremde Mächte in zu
starker Bindung der eigenen Außenpolitik ergeben, schlagend vor Augen geführt.

Soweit über die aus realpolitischen Erwägungen entspringenden Widerstände.
Aber es fragt sich, ob sich die imperialistischen llberseetendcnzen heute noch wieder
zurückschrauben lassen. Man macht sich jetzt in Europa selten klar, wie weit
Amerika während des Krieges, vielleicht unbewußt und lediglich der Logik wirt-
schaftlicher Interessen folgend, tatsächlich die ersten Schritte getan hat, Europa und
Ostasien zu amerikanischen Kolonien zu machen. Schon im Mai 1918 hatten die
Amerikaner die Betriebskontrolle und bei der herrschenden Unsicherheit auch die
Polizeiaufsicht über die ostsibirische Bahn, für die weitere Instandsetzung und den Aus¬
bau sind amerikanische Kräfte in Aussicht genommen, und die Zahlung der Lohn¬
rückstände an der Bahn, die im Februar 1919 bereits 60 Millionen Rubel be¬
trügt, wird Amerika gleichfalls ub-rnehmen wollen. Dazu kommt dann der
z, B. durch die Lahmlegung der Polnischen und Moskaner Textilfabriken und
durch die Dezentralisierung des osiaiischen Rußlands an sich bereits gegebene be¬
vorstehende ungeheure wirtschaftliche Aufschwung, der bei Japans starker Bindung
in Korea und China und seinen starken Tendenzen nach Süden und nach Indien
hin gewiß zum größten Teil der amerikanischen Industrie zugute kommen kann.
Ja. es ist nicht ausgeschlossen, daß die Befürworter des amerikanischen Mandat¬
projektes über Armenien und Konstantinopel auch bereits an eine amerikanische
Bevormundung der ganzen sibirischen Bahn gedacht haben. Wie weit die in
jüngster Zeit von französischen Zeitungen erhobene Anklage, die angelsächsische
Neigung mit den Bolschewisten zu verhandeln, stände im Zusammenhang mit der
Beteiligung englischen und amerikanischen Kapitals an der neu konzessionierten
Bahn Ob--Kollos--Seroka--Kottah--Swanta in Verbindung, auf Tatsachen be¬
ruht, muß einstweilen dahingestellt bleiben. Noch bedrohlicher ober nimmt sich
die. Lage in Frankreich aus. Nicht umsonst haben die Amerikaner Wilgus, den
Vizepräsidenten der New Aork Central Lines, zur Organisierung des amerikanischen
Bahnbetriebes nach Frankreich geschickt: im September 19l8 rollten laut "Chicago
Daily Tribune" in Frankreich auf 1400 Kilometer neuer Bahnen 400 Lokomotiven,
8000 Güterwagen mit 40--50000 Mann Peisonal, und da die Amerikaner ganze
Arbeit machten und auch gleich den dazu gehörigen Grund und Boden besonders auch
im Departement Doubs e> warben, den das von Finanznöten heimgesuchte Land in
absehbarer Zeit kaum wird zurückkaufen können, die Bahnen auch völlig in eigene Ver¬
waltung nahmen und auf Grund wahrscheinlich abgeschlossener Kontrakie noch weiter
ausbauen werden (geplant wurde z. B. eine Bahn Nantes--Genf, während als Aus¬
gangspunkt für den Handel nach der Schweiz Cette durch Bordeaux ersetzt werden soll),
so ist keine Aussicht vorhanden, daß die Amerikaner so bald das Feld räumen werden,
um so weniger als zum Wiederaufbau der zerstörten Bergwerke, Kanäle, Straßen usw.
bereits im Dezember 1918 eine Delegation amerikanischer Ingenieure und Indu¬
strieller nach Frankreich abgegangen ist, die Se. Nazaire zum Hauptzufuhrhafen für
das Wiederaufbaumaterial ausbauen will. Was die Amenkciner in dieser Hinsicht
zu leisten in der Lage sind, haben sie beim Ausbau von La Rochelle während des
Krieges bewiesen, wo mit Hilfe riesiger Löschanlagen in kurzer Zeit täglich so viel
gelöscht wurde, wie früher in Monaten. Schon während des Krieges haben
endlich die Amerikaner, die bekanntlich auch viele der infolge Leutemangels ge¬
schlossenen Fabriken in Pan, Lyon und Bordeaux wieder in Gang gebracht haben,
Vorbereitungen getroffen, nach Friedensschluß einen Teil der französischen Munitions-


Amerika am Scheidewege

kleinliche Kirchturmsinteressen erblicken kann. Daher sträubt man sich auch gegen
die Idee des amerikanischen Armenienprotektorates. Da ein solches Mandat dem
Handel anderer Nationen offene Tür läßt, so vermag man nicht einzusehen,
weshalb man die Lasten der Ausübung einer Polizeigewalt auf sich nehmen soll,
nur weil England und Frankreich sich den Besitz Armeniens oder der Meerengen
gegenseitig nicht gönnen wollen. Schon hat der „Sun" es unwillig ausgesprochen,
Europa bezwecke mit dem Völkerbund nur, sich Amerikas Hilfsquellen zu sichern.
Aber gerade Frankreichs Erfahrung mit Rußland hat die Gefahl en, die sich aus
zu weitgehender und zu langfristiger Kreditgewährung an fremde Mächte in zu
starker Bindung der eigenen Außenpolitik ergeben, schlagend vor Augen geführt.

Soweit über die aus realpolitischen Erwägungen entspringenden Widerstände.
Aber es fragt sich, ob sich die imperialistischen llberseetendcnzen heute noch wieder
zurückschrauben lassen. Man macht sich jetzt in Europa selten klar, wie weit
Amerika während des Krieges, vielleicht unbewußt und lediglich der Logik wirt-
schaftlicher Interessen folgend, tatsächlich die ersten Schritte getan hat, Europa und
Ostasien zu amerikanischen Kolonien zu machen. Schon im Mai 1918 hatten die
Amerikaner die Betriebskontrolle und bei der herrschenden Unsicherheit auch die
Polizeiaufsicht über die ostsibirische Bahn, für die weitere Instandsetzung und den Aus¬
bau sind amerikanische Kräfte in Aussicht genommen, und die Zahlung der Lohn¬
rückstände an der Bahn, die im Februar 1919 bereits 60 Millionen Rubel be¬
trügt, wird Amerika gleichfalls ub-rnehmen wollen. Dazu kommt dann der
z, B. durch die Lahmlegung der Polnischen und Moskaner Textilfabriken und
durch die Dezentralisierung des osiaiischen Rußlands an sich bereits gegebene be¬
vorstehende ungeheure wirtschaftliche Aufschwung, der bei Japans starker Bindung
in Korea und China und seinen starken Tendenzen nach Süden und nach Indien
hin gewiß zum größten Teil der amerikanischen Industrie zugute kommen kann.
Ja. es ist nicht ausgeschlossen, daß die Befürworter des amerikanischen Mandat¬
projektes über Armenien und Konstantinopel auch bereits an eine amerikanische
Bevormundung der ganzen sibirischen Bahn gedacht haben. Wie weit die in
jüngster Zeit von französischen Zeitungen erhobene Anklage, die angelsächsische
Neigung mit den Bolschewisten zu verhandeln, stände im Zusammenhang mit der
Beteiligung englischen und amerikanischen Kapitals an der neu konzessionierten
Bahn Ob—Kollos—Seroka—Kottah—Swanta in Verbindung, auf Tatsachen be¬
ruht, muß einstweilen dahingestellt bleiben. Noch bedrohlicher ober nimmt sich
die. Lage in Frankreich aus. Nicht umsonst haben die Amerikaner Wilgus, den
Vizepräsidenten der New Aork Central Lines, zur Organisierung des amerikanischen
Bahnbetriebes nach Frankreich geschickt: im September 19l8 rollten laut „Chicago
Daily Tribune" in Frankreich auf 1400 Kilometer neuer Bahnen 400 Lokomotiven,
8000 Güterwagen mit 40—50000 Mann Peisonal, und da die Amerikaner ganze
Arbeit machten und auch gleich den dazu gehörigen Grund und Boden besonders auch
im Departement Doubs e> warben, den das von Finanznöten heimgesuchte Land in
absehbarer Zeit kaum wird zurückkaufen können, die Bahnen auch völlig in eigene Ver¬
waltung nahmen und auf Grund wahrscheinlich abgeschlossener Kontrakie noch weiter
ausbauen werden (geplant wurde z. B. eine Bahn Nantes—Genf, während als Aus¬
gangspunkt für den Handel nach der Schweiz Cette durch Bordeaux ersetzt werden soll),
so ist keine Aussicht vorhanden, daß die Amerikaner so bald das Feld räumen werden,
um so weniger als zum Wiederaufbau der zerstörten Bergwerke, Kanäle, Straßen usw.
bereits im Dezember 1918 eine Delegation amerikanischer Ingenieure und Indu¬
strieller nach Frankreich abgegangen ist, die Se. Nazaire zum Hauptzufuhrhafen für
das Wiederaufbaumaterial ausbauen will. Was die Amenkciner in dieser Hinsicht
zu leisten in der Lage sind, haben sie beim Ausbau von La Rochelle während des
Krieges bewiesen, wo mit Hilfe riesiger Löschanlagen in kurzer Zeit täglich so viel
gelöscht wurde, wie früher in Monaten. Schon während des Krieges haben
endlich die Amerikaner, die bekanntlich auch viele der infolge Leutemangels ge¬
schlossenen Fabriken in Pan, Lyon und Bordeaux wieder in Gang gebracht haben,
Vorbereitungen getroffen, nach Friedensschluß einen Teil der französischen Munitions-


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[0302] Amerika am Scheidewege kleinliche Kirchturmsinteressen erblicken kann. Daher sträubt man sich auch gegen die Idee des amerikanischen Armenienprotektorates. Da ein solches Mandat dem Handel anderer Nationen offene Tür läßt, so vermag man nicht einzusehen, weshalb man die Lasten der Ausübung einer Polizeigewalt auf sich nehmen soll, nur weil England und Frankreich sich den Besitz Armeniens oder der Meerengen gegenseitig nicht gönnen wollen. Schon hat der „Sun" es unwillig ausgesprochen, Europa bezwecke mit dem Völkerbund nur, sich Amerikas Hilfsquellen zu sichern. Aber gerade Frankreichs Erfahrung mit Rußland hat die Gefahl en, die sich aus zu weitgehender und zu langfristiger Kreditgewährung an fremde Mächte in zu starker Bindung der eigenen Außenpolitik ergeben, schlagend vor Augen geführt. Soweit über die aus realpolitischen Erwägungen entspringenden Widerstände. Aber es fragt sich, ob sich die imperialistischen llberseetendcnzen heute noch wieder zurückschrauben lassen. Man macht sich jetzt in Europa selten klar, wie weit Amerika während des Krieges, vielleicht unbewußt und lediglich der Logik wirt- schaftlicher Interessen folgend, tatsächlich die ersten Schritte getan hat, Europa und Ostasien zu amerikanischen Kolonien zu machen. Schon im Mai 1918 hatten die Amerikaner die Betriebskontrolle und bei der herrschenden Unsicherheit auch die Polizeiaufsicht über die ostsibirische Bahn, für die weitere Instandsetzung und den Aus¬ bau sind amerikanische Kräfte in Aussicht genommen, und die Zahlung der Lohn¬ rückstände an der Bahn, die im Februar 1919 bereits 60 Millionen Rubel be¬ trügt, wird Amerika gleichfalls ub-rnehmen wollen. Dazu kommt dann der z, B. durch die Lahmlegung der Polnischen und Moskaner Textilfabriken und durch die Dezentralisierung des osiaiischen Rußlands an sich bereits gegebene be¬ vorstehende ungeheure wirtschaftliche Aufschwung, der bei Japans starker Bindung in Korea und China und seinen starken Tendenzen nach Süden und nach Indien hin gewiß zum größten Teil der amerikanischen Industrie zugute kommen kann. Ja. es ist nicht ausgeschlossen, daß die Befürworter des amerikanischen Mandat¬ projektes über Armenien und Konstantinopel auch bereits an eine amerikanische Bevormundung der ganzen sibirischen Bahn gedacht haben. Wie weit die in jüngster Zeit von französischen Zeitungen erhobene Anklage, die angelsächsische Neigung mit den Bolschewisten zu verhandeln, stände im Zusammenhang mit der Beteiligung englischen und amerikanischen Kapitals an der neu konzessionierten Bahn Ob—Kollos—Seroka—Kottah—Swanta in Verbindung, auf Tatsachen be¬ ruht, muß einstweilen dahingestellt bleiben. Noch bedrohlicher ober nimmt sich die. Lage in Frankreich aus. Nicht umsonst haben die Amerikaner Wilgus, den Vizepräsidenten der New Aork Central Lines, zur Organisierung des amerikanischen Bahnbetriebes nach Frankreich geschickt: im September 19l8 rollten laut „Chicago Daily Tribune" in Frankreich auf 1400 Kilometer neuer Bahnen 400 Lokomotiven, 8000 Güterwagen mit 40—50000 Mann Peisonal, und da die Amerikaner ganze Arbeit machten und auch gleich den dazu gehörigen Grund und Boden besonders auch im Departement Doubs e> warben, den das von Finanznöten heimgesuchte Land in absehbarer Zeit kaum wird zurückkaufen können, die Bahnen auch völlig in eigene Ver¬ waltung nahmen und auf Grund wahrscheinlich abgeschlossener Kontrakie noch weiter ausbauen werden (geplant wurde z. B. eine Bahn Nantes—Genf, während als Aus¬ gangspunkt für den Handel nach der Schweiz Cette durch Bordeaux ersetzt werden soll), so ist keine Aussicht vorhanden, daß die Amerikaner so bald das Feld räumen werden, um so weniger als zum Wiederaufbau der zerstörten Bergwerke, Kanäle, Straßen usw. bereits im Dezember 1918 eine Delegation amerikanischer Ingenieure und Indu¬ strieller nach Frankreich abgegangen ist, die Se. Nazaire zum Hauptzufuhrhafen für das Wiederaufbaumaterial ausbauen will. Was die Amenkciner in dieser Hinsicht zu leisten in der Lage sind, haben sie beim Ausbau von La Rochelle während des Krieges bewiesen, wo mit Hilfe riesiger Löschanlagen in kurzer Zeit täglich so viel gelöscht wurde, wie früher in Monaten. Schon während des Krieges haben endlich die Amerikaner, die bekanntlich auch viele der infolge Leutemangels ge¬ schlossenen Fabriken in Pan, Lyon und Bordeaux wieder in Gang gebracht haben, Vorbereitungen getroffen, nach Friedensschluß einen Teil der französischen Munitions-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/302>, abgerufen am 29.05.2024.