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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

ungefährlich . . . Man darf aber nicht
einmal einen Verbrecher zu Tode hungern;
noch weniger darf man die Kinder, Frauen
und Eltern des Verbrechers bestrafen.
Wenn wir Ihre eigenen Kinder, Herr Lloyd
George, Ihre Frau oder Ihre Eltern für
Ihre Verbrechen verhungern ließen ^
wäre das gerecht? Welch milder Büttel
war gegen Sie nicht HerodesI Er
glaubte das römische .Reich durch den
Kindermord von Bethlehem zu sichern und
tötete vielleicht 800 Kinder. So viele
morden Sie seit Jahren Tag für TagI
Und die Kinder von Bethlehem starben
wenigstens einen schnellen Tod; aber Sie
lassen die deutschen Kinder langsam Hun¬
gers sterben . . . .Laßt deutsche Kinder
zu Tode hungern -- um der Ge-
rechtigkeit willen', das möge Ihr
Kennwort in der Geschichte sein!"

Diese furchtbare Anklage von geradezu
zermalmender Wucht, die hier ein Neutraler
gegen den englischen Premierminister erhebt,
ist einige Wochen später im gleichen nor¬
wegischen Blatt noch näher begründet wor¬
den, anscheinend Wohl von demselben Ver¬
fasser, und zwar unter Bezugnahme auf eine
besonders gemütsrohe Auslassung eines eng¬
lischen Wochenblattes aus den letzten Wochen
des Krieges. "Weekly Dispatch" hatte näm¬
lich am 8. September 1918 ohne ein Wort
des Protestes oder Mitgefühls folgende Wir¬
kungen der Blockade festgestellt:

"Wenn die Deutschen bisher keinen Ge¬
burtenrückgang feststellen können <,??), so
kommt es uns auch nicht darauf an, wie¬
viele Kinder geboren werden, sondern
darauf, ob die Geborenen lebenskräftig
find. Zehntausende noch ungeborener
Deutscher sind für ein Physisch minder¬
wertiges Leben vorherbestimmt ... Die
Seuche, die man bei den Deutschen am
häufigsten antrifft, Wird die englische
Krankheit sein ... Die tatsächlichen Fol¬
gen der Blockade wird die verbrecherische
deutsche Nation erst in Zukunft erfahren.
Deutschland ist heut ein verseuchtes Land.
Die Tuberkulose tritt epidemisch auf. Der
Hungertyphus rast in zahlreichen Gegen¬
den. Hautkrankheiten nehmen dauernd
M. Der Mangel an Milch har furchtbare

[Spaltenumbruch]

Zustände unter jungen Müttern, Kindern
und Kranken hervorgerufen."

Auf den grauenhaften Doppelsinn, den
der Ausdruck "Englische Krankheit" in Zu¬
kunft haben wird, sei im Anschluß an diese
Darlegungen am Rande hingewiesen. Das
norwegische Blatt "Ulcus Revy" schrieb nun am
2. Mai unter Zitierung der obigen Äußerun¬
gen im "Weekly Dispatch":

"Man benagt also nicht, daß die völker¬
rechtswidrige Waffe der Hungerblockade
unvermeidlich auch die Kinder treffen muß.
Im Gegenteil, man stellt mit Genugtuung
fest, daß die Kinder besonders hart be-
ti"sser werden, und nicht nur die leben¬
den Kinder, sondern auch die noch unge¬
borenen im Mutterleib und die in den
nächsten Jahren zur Welt kommenden.
Die Rasse wird verkrüppelt: sie hat als
Konkurrent ausgespielt. Da es bei Kriegs¬
ende, zwei Monate nach dem Erscheinen
dieses Artikels im .Weekly Dispatch' noch
zweifelhaft war, ob die Blockade ihren
eigentlichen Zweck erreicht hatte, setzte man
sie auf unbestimmte Zeit fort, bis man
seiner Sache sicher sein konnte und hungerte
das waffenlose Volk noch ein halbes Jahr
aus."

Lediglich der Hungerblockade, neben der
amerikanischen Hilfe seit 19l4, dankt Eng¬
land, daß es den Krieg der 1100 gegen
150 Millionen nicht verloren hat. Ob dies
ein Ruhm für die britische Nation ist, glossiert
"Ulcus Revy" im selben Aussatz folgender¬
maßen:

"Kein strahlender Sieg -- ein Sieg,
dessen man sich hinterher schämen nutz,
nicht einmal so strahlend wie der Sieg
der Russen über Napoleon, als ihnen der
.Marschall Winter' zu Hilfe kam, ein
Sieg, gewonnen durch den gröbsten Bruch
des Völkerrechts, durch Verletzung nicht
nur des Buchstabens, sondern vor allem
des Geistes des Völkerrechts, dessen Haupt¬
aufgabe darin besteht, die Interessen, zu¬
mal das Leben der Nichtkämpfer zu
schützen. Hier aber besiegte man die
Kämpfenden, indem man den Nicht-
kämpfern das Leben raubte. ... Während
der deutsche U-Boot-Krieg nur ein kriegs¬
politischer Gegenzug gegen die Hunger-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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ungefährlich . . . Man darf aber nicht
einmal einen Verbrecher zu Tode hungern;
noch weniger darf man die Kinder, Frauen
und Eltern des Verbrechers bestrafen.
Wenn wir Ihre eigenen Kinder, Herr Lloyd
George, Ihre Frau oder Ihre Eltern für
Ihre Verbrechen verhungern ließen ^
wäre das gerecht? Welch milder Büttel
war gegen Sie nicht HerodesI Er
glaubte das römische .Reich durch den
Kindermord von Bethlehem zu sichern und
tötete vielleicht 800 Kinder. So viele
morden Sie seit Jahren Tag für TagI
Und die Kinder von Bethlehem starben
wenigstens einen schnellen Tod; aber Sie
lassen die deutschen Kinder langsam Hun¬
gers sterben . . . .Laßt deutsche Kinder
zu Tode hungern — um der Ge-
rechtigkeit willen', das möge Ihr
Kennwort in der Geschichte sein!"

Diese furchtbare Anklage von geradezu
zermalmender Wucht, die hier ein Neutraler
gegen den englischen Premierminister erhebt,
ist einige Wochen später im gleichen nor¬
wegischen Blatt noch näher begründet wor¬
den, anscheinend Wohl von demselben Ver¬
fasser, und zwar unter Bezugnahme auf eine
besonders gemütsrohe Auslassung eines eng¬
lischen Wochenblattes aus den letzten Wochen
des Krieges. „Weekly Dispatch" hatte näm¬
lich am 8. September 1918 ohne ein Wort
des Protestes oder Mitgefühls folgende Wir¬
kungen der Blockade festgestellt:

„Wenn die Deutschen bisher keinen Ge¬
burtenrückgang feststellen können <,??), so
kommt es uns auch nicht darauf an, wie¬
viele Kinder geboren werden, sondern
darauf, ob die Geborenen lebenskräftig
find. Zehntausende noch ungeborener
Deutscher sind für ein Physisch minder¬
wertiges Leben vorherbestimmt ... Die
Seuche, die man bei den Deutschen am
häufigsten antrifft, Wird die englische
Krankheit sein ... Die tatsächlichen Fol¬
gen der Blockade wird die verbrecherische
deutsche Nation erst in Zukunft erfahren.
Deutschland ist heut ein verseuchtes Land.
Die Tuberkulose tritt epidemisch auf. Der
Hungertyphus rast in zahlreichen Gegen¬
den. Hautkrankheiten nehmen dauernd
M. Der Mangel an Milch har furchtbare

[Spaltenumbruch]

Zustände unter jungen Müttern, Kindern
und Kranken hervorgerufen."

Auf den grauenhaften Doppelsinn, den
der Ausdruck „Englische Krankheit" in Zu¬
kunft haben wird, sei im Anschluß an diese
Darlegungen am Rande hingewiesen. Das
norwegische Blatt „Ulcus Revy" schrieb nun am
2. Mai unter Zitierung der obigen Äußerun¬
gen im „Weekly Dispatch":

„Man benagt also nicht, daß die völker¬
rechtswidrige Waffe der Hungerblockade
unvermeidlich auch die Kinder treffen muß.
Im Gegenteil, man stellt mit Genugtuung
fest, daß die Kinder besonders hart be-
ti«sser werden, und nicht nur die leben¬
den Kinder, sondern auch die noch unge¬
borenen im Mutterleib und die in den
nächsten Jahren zur Welt kommenden.
Die Rasse wird verkrüppelt: sie hat als
Konkurrent ausgespielt. Da es bei Kriegs¬
ende, zwei Monate nach dem Erscheinen
dieses Artikels im .Weekly Dispatch' noch
zweifelhaft war, ob die Blockade ihren
eigentlichen Zweck erreicht hatte, setzte man
sie auf unbestimmte Zeit fort, bis man
seiner Sache sicher sein konnte und hungerte
das waffenlose Volk noch ein halbes Jahr
aus."

Lediglich der Hungerblockade, neben der
amerikanischen Hilfe seit 19l4, dankt Eng¬
land, daß es den Krieg der 1100 gegen
150 Millionen nicht verloren hat. Ob dies
ein Ruhm für die britische Nation ist, glossiert
„Ulcus Revy" im selben Aussatz folgender¬
maßen:

„Kein strahlender Sieg — ein Sieg,
dessen man sich hinterher schämen nutz,
nicht einmal so strahlend wie der Sieg
der Russen über Napoleon, als ihnen der
.Marschall Winter' zu Hilfe kam, ein
Sieg, gewonnen durch den gröbsten Bruch
des Völkerrechts, durch Verletzung nicht
nur des Buchstabens, sondern vor allem
des Geistes des Völkerrechts, dessen Haupt¬
aufgabe darin besteht, die Interessen, zu¬
mal das Leben der Nichtkämpfer zu
schützen. Hier aber besiegte man die
Kämpfenden, indem man den Nicht-
kämpfern das Leben raubte. ... Während
der deutsche U-Boot-Krieg nur ein kriegs¬
politischer Gegenzug gegen die Hunger-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/309>, abgerufen am 15.05.2024.