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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Bethmcinn Z^ollwegs Betrachtungen

größte Aussicht dazu vorhanden war, daß sie zum Ziele geführt hätten. Das
zeigt Bethmami Hallweg deutlich. Es blieb nur ein Weg für Deutschland übrig,
der der "Kapitulation" und den wallte der Kanzler nicht beschreiten. Bethmann
Hollweg erscheint uns in diesem Buche, ebenso wie in seinen großen Reichötags-
reden, als ein leidenschaftlicher Mensch, als ein treuer Exponent des Stolzes und der
Überlieferung eines großen Volkes. Der Erfolg ist für einen Staatsmann entscheidend,
der Erfolg hat gegen Bethmann Hollwcg und gegen uns gesprochen. Vethmann
Hollweg wird nicht als großer Staatsmann in der Geschichte weiter fortleben --
aber fragen wir uns heute alle, ob es' das deutsche Volt verwunden hülle, wenn
auf Kosten seiner Weltsicllung und feiner "Ehre' (im al'en imperialistischen Sinne)
damals eine Kapitulation vollzogen worden wäre und damit vielleicht vorüber¬
gehend der Friede erhalten geblieben wäre -- ich glaube, wir werden mit "nein"
antworten. Wenn Bethmann in diesem Sinne schuldig ist, so sind wir es alle.
Kapitulation bedeutete Untergang Österreich-Ungarns und Verlust unserer Weltmacht¬
stellung. Wir halten alle sicher nicht ohne Kampf diesen Weg betreten oder wir wären
seelisch gebrochen gewesen. Jetzt sind wir es seelisch und körperlich -- und daß wir es
sind, ist das tragische Ergebnis der Wellkonflellcition, aus der es keinen Ausweg gab.

Jeder Dentiche sollte dieses Buch lesen. Ist Vethmann Hollweg auch kein
großer Liaalsmann gewesen, so soll sich trotz allem das deutsche Volk dieses
Mannes stolzer deutscher Eigenart, lautersten Pflichtgefühls, leidenschafilichen und
guten Wollens nicht schämen. Er ist ein echter deutscher Mann. Er packte die
Probleme groß an und kämpfte für seine Überzeugung. Nur eins war ihm
schädlich, die allzu große Erkenntnis der Grenzen seines eigenen Wesens.

Erfolg kann Staatsmännern nur beichieden sein, wenn sie der eigenen
Kraft das höchste zutrauen. Bethmann Hollweg war dazu zu ehrlich gegen sich
selber. Seine eigenen Mängel erkennt und bespricht er offen. Ihm liegt Heuchklei
und die Kunst der diplomatischen Regie fern. Er erkennt das schädliche gewisser
seiner Politik entgegengesetzten Strömungen (vgl, Tirpitz), man spürt aber nicht, daß
er durch Entfaltung seines ganzen Willens das Äußerste getan hätte, um dos ihm
Richtigscheincnde durchzusetzen. Gewiß ist Politik die Kunst des Kompromisses,
es gibt aber Momente im Leben der Völker, wo es besser ist, der Nation die
ganze Wahrheit zö sagen, und sie selbst vor die große Entscheidung zu stellen, als
ein zunächst erträgliches aber auf die Tauer gefährliches Kompromiß zu schließen.
Ich meine damit auch das Bethmann Hollwegsche Verhalten während des Krieges.

Die Bethmann Hollweg'che Regie der öffenilichen Meinung hat gefehlt,
genau wie die Vülowsche. Die Nation war sich nicht klar über die Schicksalslage,
in der sie sich befand. Vielleicht hülle eine solche Klarheit politische Aufregung
und große Schmierigkeiten gebracht -- aber die Wahrheit wäre schließlich doch
heilsam und gut gewesen.

Etwas können wir und sollen wir von Bethmann Hvllweg in seinem Buche
lernen: Würde auch im Unglück,

"Wer an dem Glauben festhält, daß die Menschheit, wenn auch in vielleicht
später Zukunft, sich noch eiuwal der ethischen Überzeugungen erinnern wird, die
das Werk von Jahrtausenden sind, der wird summarische und pharisäerhafte
Schuldigsprechung des Gegners ebenso abweisen, wie eigenes unwahres und
würdeloses Schuldbekenntnis."

Diese Mahnung ist berechtigt in einer Zeit, wo die Buben auf der Straße die
Würde der Nation verHandel" und sich selbst bespeie". Jeder Lehrer der Nation, jeder
Führer ist jetzt willkommen, der zur Selbsibennmmg und zum Maßhalten aufruft.

Wrr wollen uns hüten, daß nicht wahr werde, was neulich ein englchtier,
Publizist gesagt hat, daß die deutsche Nation roh war im Siege und würdelos
in der Niederlage.

Wir wollen unseren .Kindern und Enkeln ein fleckenloses Schild überli> fern,
wenn sie uus einst fragen, wie wir in dieser Zeit gefühlt und gehandelt haben.

Dann wird die Tragik unserer Lage auch dereinst von ihnen verstanden
werden und dann werden sie aus dieser Haltung die Kraft zu neuem Leben schöpfen.




Bethmcinn Z^ollwegs Betrachtungen

größte Aussicht dazu vorhanden war, daß sie zum Ziele geführt hätten. Das
zeigt Bethmami Hallweg deutlich. Es blieb nur ein Weg für Deutschland übrig,
der der „Kapitulation" und den wallte der Kanzler nicht beschreiten. Bethmann
Hollweg erscheint uns in diesem Buche, ebenso wie in seinen großen Reichötags-
reden, als ein leidenschaftlicher Mensch, als ein treuer Exponent des Stolzes und der
Überlieferung eines großen Volkes. Der Erfolg ist für einen Staatsmann entscheidend,
der Erfolg hat gegen Bethmann Hollwcg und gegen uns gesprochen. Vethmann
Hollweg wird nicht als großer Staatsmann in der Geschichte weiter fortleben —
aber fragen wir uns heute alle, ob es' das deutsche Volt verwunden hülle, wenn
auf Kosten seiner Weltsicllung und feiner „Ehre' (im al'en imperialistischen Sinne)
damals eine Kapitulation vollzogen worden wäre und damit vielleicht vorüber¬
gehend der Friede erhalten geblieben wäre — ich glaube, wir werden mit „nein"
antworten. Wenn Bethmann in diesem Sinne schuldig ist, so sind wir es alle.
Kapitulation bedeutete Untergang Österreich-Ungarns und Verlust unserer Weltmacht¬
stellung. Wir halten alle sicher nicht ohne Kampf diesen Weg betreten oder wir wären
seelisch gebrochen gewesen. Jetzt sind wir es seelisch und körperlich — und daß wir es
sind, ist das tragische Ergebnis der Wellkonflellcition, aus der es keinen Ausweg gab.

Jeder Dentiche sollte dieses Buch lesen. Ist Vethmann Hollweg auch kein
großer Liaalsmann gewesen, so soll sich trotz allem das deutsche Volk dieses
Mannes stolzer deutscher Eigenart, lautersten Pflichtgefühls, leidenschafilichen und
guten Wollens nicht schämen. Er ist ein echter deutscher Mann. Er packte die
Probleme groß an und kämpfte für seine Überzeugung. Nur eins war ihm
schädlich, die allzu große Erkenntnis der Grenzen seines eigenen Wesens.

Erfolg kann Staatsmännern nur beichieden sein, wenn sie der eigenen
Kraft das höchste zutrauen. Bethmann Hollweg war dazu zu ehrlich gegen sich
selber. Seine eigenen Mängel erkennt und bespricht er offen. Ihm liegt Heuchklei
und die Kunst der diplomatischen Regie fern. Er erkennt das schädliche gewisser
seiner Politik entgegengesetzten Strömungen (vgl, Tirpitz), man spürt aber nicht, daß
er durch Entfaltung seines ganzen Willens das Äußerste getan hätte, um dos ihm
Richtigscheincnde durchzusetzen. Gewiß ist Politik die Kunst des Kompromisses,
es gibt aber Momente im Leben der Völker, wo es besser ist, der Nation die
ganze Wahrheit zö sagen, und sie selbst vor die große Entscheidung zu stellen, als
ein zunächst erträgliches aber auf die Tauer gefährliches Kompromiß zu schließen.
Ich meine damit auch das Bethmann Hollwegsche Verhalten während des Krieges.

Die Bethmann Hollweg'che Regie der öffenilichen Meinung hat gefehlt,
genau wie die Vülowsche. Die Nation war sich nicht klar über die Schicksalslage,
in der sie sich befand. Vielleicht hülle eine solche Klarheit politische Aufregung
und große Schmierigkeiten gebracht — aber die Wahrheit wäre schließlich doch
heilsam und gut gewesen.

Etwas können wir und sollen wir von Bethmann Hvllweg in seinem Buche
lernen: Würde auch im Unglück,

„Wer an dem Glauben festhält, daß die Menschheit, wenn auch in vielleicht
später Zukunft, sich noch eiuwal der ethischen Überzeugungen erinnern wird, die
das Werk von Jahrtausenden sind, der wird summarische und pharisäerhafte
Schuldigsprechung des Gegners ebenso abweisen, wie eigenes unwahres und
würdeloses Schuldbekenntnis."

Diese Mahnung ist berechtigt in einer Zeit, wo die Buben auf der Straße die
Würde der Nation verHandel» und sich selbst bespeie». Jeder Lehrer der Nation, jeder
Führer ist jetzt willkommen, der zur Selbsibennmmg und zum Maßhalten aufruft.

Wrr wollen uns hüten, daß nicht wahr werde, was neulich ein englchtier,
Publizist gesagt hat, daß die deutsche Nation roh war im Siege und würdelos
in der Niederlage.

Wir wollen unseren .Kindern und Enkeln ein fleckenloses Schild überli> fern,
wenn sie uus einst fragen, wie wir in dieser Zeit gefühlt und gehandelt haben.

Dann wird die Tragik unserer Lage auch dereinst von ihnen verstanden
werden und dann werden sie aus dieser Haltung die Kraft zu neuem Leben schöpfen.




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[0316] Bethmcinn Z^ollwegs Betrachtungen größte Aussicht dazu vorhanden war, daß sie zum Ziele geführt hätten. Das zeigt Bethmami Hallweg deutlich. Es blieb nur ein Weg für Deutschland übrig, der der „Kapitulation" und den wallte der Kanzler nicht beschreiten. Bethmann Hollweg erscheint uns in diesem Buche, ebenso wie in seinen großen Reichötags- reden, als ein leidenschaftlicher Mensch, als ein treuer Exponent des Stolzes und der Überlieferung eines großen Volkes. Der Erfolg ist für einen Staatsmann entscheidend, der Erfolg hat gegen Bethmann Hollwcg und gegen uns gesprochen. Vethmann Hollweg wird nicht als großer Staatsmann in der Geschichte weiter fortleben — aber fragen wir uns heute alle, ob es' das deutsche Volt verwunden hülle, wenn auf Kosten seiner Weltsicllung und feiner „Ehre' (im al'en imperialistischen Sinne) damals eine Kapitulation vollzogen worden wäre und damit vielleicht vorüber¬ gehend der Friede erhalten geblieben wäre — ich glaube, wir werden mit „nein" antworten. Wenn Bethmann in diesem Sinne schuldig ist, so sind wir es alle. Kapitulation bedeutete Untergang Österreich-Ungarns und Verlust unserer Weltmacht¬ stellung. Wir halten alle sicher nicht ohne Kampf diesen Weg betreten oder wir wären seelisch gebrochen gewesen. Jetzt sind wir es seelisch und körperlich — und daß wir es sind, ist das tragische Ergebnis der Wellkonflellcition, aus der es keinen Ausweg gab. Jeder Dentiche sollte dieses Buch lesen. Ist Vethmann Hollweg auch kein großer Liaalsmann gewesen, so soll sich trotz allem das deutsche Volk dieses Mannes stolzer deutscher Eigenart, lautersten Pflichtgefühls, leidenschafilichen und guten Wollens nicht schämen. Er ist ein echter deutscher Mann. Er packte die Probleme groß an und kämpfte für seine Überzeugung. Nur eins war ihm schädlich, die allzu große Erkenntnis der Grenzen seines eigenen Wesens. Erfolg kann Staatsmännern nur beichieden sein, wenn sie der eigenen Kraft das höchste zutrauen. Bethmann Hollweg war dazu zu ehrlich gegen sich selber. Seine eigenen Mängel erkennt und bespricht er offen. Ihm liegt Heuchklei und die Kunst der diplomatischen Regie fern. Er erkennt das schädliche gewisser seiner Politik entgegengesetzten Strömungen (vgl, Tirpitz), man spürt aber nicht, daß er durch Entfaltung seines ganzen Willens das Äußerste getan hätte, um dos ihm Richtigscheincnde durchzusetzen. Gewiß ist Politik die Kunst des Kompromisses, es gibt aber Momente im Leben der Völker, wo es besser ist, der Nation die ganze Wahrheit zö sagen, und sie selbst vor die große Entscheidung zu stellen, als ein zunächst erträgliches aber auf die Tauer gefährliches Kompromiß zu schließen. Ich meine damit auch das Bethmann Hollwegsche Verhalten während des Krieges. Die Bethmann Hollweg'che Regie der öffenilichen Meinung hat gefehlt, genau wie die Vülowsche. Die Nation war sich nicht klar über die Schicksalslage, in der sie sich befand. Vielleicht hülle eine solche Klarheit politische Aufregung und große Schmierigkeiten gebracht — aber die Wahrheit wäre schließlich doch heilsam und gut gewesen. Etwas können wir und sollen wir von Bethmann Hvllweg in seinem Buche lernen: Würde auch im Unglück, „Wer an dem Glauben festhält, daß die Menschheit, wenn auch in vielleicht später Zukunft, sich noch eiuwal der ethischen Überzeugungen erinnern wird, die das Werk von Jahrtausenden sind, der wird summarische und pharisäerhafte Schuldigsprechung des Gegners ebenso abweisen, wie eigenes unwahres und würdeloses Schuldbekenntnis." Diese Mahnung ist berechtigt in einer Zeit, wo die Buben auf der Straße die Würde der Nation verHandel» und sich selbst bespeie». Jeder Lehrer der Nation, jeder Führer ist jetzt willkommen, der zur Selbsibennmmg und zum Maßhalten aufruft. Wrr wollen uns hüten, daß nicht wahr werde, was neulich ein englchtier, Publizist gesagt hat, daß die deutsche Nation roh war im Siege und würdelos in der Niederlage. Wir wollen unseren .Kindern und Enkeln ein fleckenloses Schild überli> fern, wenn sie uus einst fragen, wie wir in dieser Zeit gefühlt und gehandelt haben. Dann wird die Tragik unserer Lage auch dereinst von ihnen verstanden werden und dann werden sie aus dieser Haltung die Kraft zu neuem Leben schöpfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/316>, abgerufen am 15.05.2024.