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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Die Entente und Hsterreich-Ungarn

hatte Frankreich den deutschen Wettbewerb in der Türkei und Anatolien, England
ihn nicht mehr in Mesopotamien zu fürchten.

Daß diese Politik vom Standpunkt der Feinde aus richtig war, bewies der
Verlauf des Krieges, der durch den Abschluß der Bündnisse zwischen den Mittel¬
mächten und der Türkei wie Bulgarien die Möglichkeit einer gewaltigen Aus¬
dehnung der deutschen Einflußsphäre auf eine greifbare, allerdings auf die Dauer
nicht festzuhaltende Gestalt verlieh. Um so nachdrücklicher mußte denn das gemein¬
same Kriegsziel der Zertrümmerung Österreich-Ungarns verfolgt werden. Es
wurde erreicht, wenn auch erst zu einer Zeit, da einer der Hanptgegner, Rußland,
vorläufig aus dieser Erreichung keinerlei Nutzen zu ziehen in der Lage war. Aber
auch der deutsche Drang nach Osten war bei der tiefgehenden wirtschaftlichen
Schwächung Deutschlands, besonders aber bei der sich jetzt vollziehenden weit¬
gehenden Aufteilung der ohnmächtig zusammengebrochenen Türkei nicht mehr in
dem Maße zu fürchten wie vor dem und während des Krieges, sodaß das Interesse
der Entente an den inneren Verhältnissen der einstigen Donaumonarchie bei der
Abwesenheit Rußlands eigentlich nur noch ein theoretisches ist. Aber die Geister,
die sie gerufen hat, wird die Entente nun so leicht nicht los. Die "befreiten"
kleinen Staaten haben nichts Eiligeres zu tun, als die Jmperialistengebärde der
großen nachzuahmen und sich mit List oder Gewalt in den Besitz der aus irgend¬
welchen, sei es ethnographischen, militärischen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten
ihnen wünschenswert erscheinenden Gebiete zu setzen. Natürlich sind sie sich
darüber alsbald in die Haare geraten. Polen und Ukrainer fingen sogleich ihren
eigenen kleinen Krieg an, Polen und Tschechen stritten um Teschen, Rumänen
und Serben um das Banat, die Slawen zeigten, unterstützt durch die Montenegriner,
Sonderbestrebungen und wenn man ein etwa widerstrebendes Deutsch-Österreich
wirksam mit der Abschneidung der Lebensmiitelzufuhr bedrohen konnte, so verlor
man doch über Ungarn, das man ähnlich rücksichtslos zu behandeln Miene machte,
jede Gewalt, nachdem Karolyi, zur Verzweiflung getrieben, die Regierungsgewalt
den Bolschewisten übergeben hatte. Letzteres Ereignis bewies der bestürzten
Entente sofort, daß das Problem der österreichisch-ungarischen Monarchie doch
nicht so einfach war, wie man, verführt durch die glatten Formeln der Zerschlagung
oder Aufteilung geglaubt hatte. Selbstbestimmungsrecht der Völker das hatte so
bequem geklungen, jedes Volk bestimmte eben über sich selbst. Aber in der
Wirklichkeit zeigte sich alsbald, daß diese Selbstbestimmungen heftig miteinander
kollidierten und daß infolge weitgehender Völkervermischung mit unzähligen
Enklaven und Sonderfällen, hier weniger als anderswo Staats- und Nationalitäten¬
begriff einander deckten. Aber schließlich war man doch nicht umsonst Friedens¬
konferenz und angehendes Völkerbundkomitee, irgendwas wollte man doch zu
sagen und zu entscheiden haben und schließlich mußte der Krieg doch mal ein Ende
finden. Man gebot also zunächst den siegreich gegen Budapest vordringenden
Rumänen Ruhe und Geduld (mit dein Erfolg, daß sich die Magyaren siegreich
gegen die Tschechen wenden konnten) und beschloß, das Problem einmal genau
Zu untersuchen.

Herrgott, da hatte man was schönes angerichtetl Statt eines Wetterwinkels
'" Europa, des Balkans, hatte man zwei. Man mochte die Grenzen ziehen wie
man wollte, ohne Jrredentismen ging es nicht ab und zudem zeigte es sich, daß
all diese Einzelstaaten wirtschaftlich durchaus auf einander angewiesen waren.
Nahm man z. B. den "verbündeten" Tschecho-Slowaken die Deutschen Böhmens,
so waren sie wirtschaftlich abgeschnitten und ohne rechte geographische Grenzen,
Ueß man sie ihnen, so hieß das den Drang Deutsch-Österreichs zu Deutschland
unter allen Umständen verstärken. Das aber wollten wieder auf keinen Fall die
Franzosen, deren "Gerechtigkeitsgefühl" es durchaus uicht zuließ, daß Deutschland
seinen Bevölkerungsverlust in Elsaß-Lothringen, Schleswig und den östlichen
Provinzen durch Angliederung Österreichs wieder ausgliche. Auch die fanatischsten
mußten sich aber sagen, daß dieser Anschluß zwar, solange noch Krieg sei, durch
me ewige Drohung mit der Lebensmittelsperre verhindert werden könne, daß auf


Die Entente und Hsterreich-Ungarn

hatte Frankreich den deutschen Wettbewerb in der Türkei und Anatolien, England
ihn nicht mehr in Mesopotamien zu fürchten.

Daß diese Politik vom Standpunkt der Feinde aus richtig war, bewies der
Verlauf des Krieges, der durch den Abschluß der Bündnisse zwischen den Mittel¬
mächten und der Türkei wie Bulgarien die Möglichkeit einer gewaltigen Aus¬
dehnung der deutschen Einflußsphäre auf eine greifbare, allerdings auf die Dauer
nicht festzuhaltende Gestalt verlieh. Um so nachdrücklicher mußte denn das gemein¬
same Kriegsziel der Zertrümmerung Österreich-Ungarns verfolgt werden. Es
wurde erreicht, wenn auch erst zu einer Zeit, da einer der Hanptgegner, Rußland,
vorläufig aus dieser Erreichung keinerlei Nutzen zu ziehen in der Lage war. Aber
auch der deutsche Drang nach Osten war bei der tiefgehenden wirtschaftlichen
Schwächung Deutschlands, besonders aber bei der sich jetzt vollziehenden weit¬
gehenden Aufteilung der ohnmächtig zusammengebrochenen Türkei nicht mehr in
dem Maße zu fürchten wie vor dem und während des Krieges, sodaß das Interesse
der Entente an den inneren Verhältnissen der einstigen Donaumonarchie bei der
Abwesenheit Rußlands eigentlich nur noch ein theoretisches ist. Aber die Geister,
die sie gerufen hat, wird die Entente nun so leicht nicht los. Die „befreiten"
kleinen Staaten haben nichts Eiligeres zu tun, als die Jmperialistengebärde der
großen nachzuahmen und sich mit List oder Gewalt in den Besitz der aus irgend¬
welchen, sei es ethnographischen, militärischen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten
ihnen wünschenswert erscheinenden Gebiete zu setzen. Natürlich sind sie sich
darüber alsbald in die Haare geraten. Polen und Ukrainer fingen sogleich ihren
eigenen kleinen Krieg an, Polen und Tschechen stritten um Teschen, Rumänen
und Serben um das Banat, die Slawen zeigten, unterstützt durch die Montenegriner,
Sonderbestrebungen und wenn man ein etwa widerstrebendes Deutsch-Österreich
wirksam mit der Abschneidung der Lebensmiitelzufuhr bedrohen konnte, so verlor
man doch über Ungarn, das man ähnlich rücksichtslos zu behandeln Miene machte,
jede Gewalt, nachdem Karolyi, zur Verzweiflung getrieben, die Regierungsgewalt
den Bolschewisten übergeben hatte. Letzteres Ereignis bewies der bestürzten
Entente sofort, daß das Problem der österreichisch-ungarischen Monarchie doch
nicht so einfach war, wie man, verführt durch die glatten Formeln der Zerschlagung
oder Aufteilung geglaubt hatte. Selbstbestimmungsrecht der Völker das hatte so
bequem geklungen, jedes Volk bestimmte eben über sich selbst. Aber in der
Wirklichkeit zeigte sich alsbald, daß diese Selbstbestimmungen heftig miteinander
kollidierten und daß infolge weitgehender Völkervermischung mit unzähligen
Enklaven und Sonderfällen, hier weniger als anderswo Staats- und Nationalitäten¬
begriff einander deckten. Aber schließlich war man doch nicht umsonst Friedens¬
konferenz und angehendes Völkerbundkomitee, irgendwas wollte man doch zu
sagen und zu entscheiden haben und schließlich mußte der Krieg doch mal ein Ende
finden. Man gebot also zunächst den siegreich gegen Budapest vordringenden
Rumänen Ruhe und Geduld (mit dein Erfolg, daß sich die Magyaren siegreich
gegen die Tschechen wenden konnten) und beschloß, das Problem einmal genau
Zu untersuchen.

Herrgott, da hatte man was schönes angerichtetl Statt eines Wetterwinkels
'« Europa, des Balkans, hatte man zwei. Man mochte die Grenzen ziehen wie
man wollte, ohne Jrredentismen ging es nicht ab und zudem zeigte es sich, daß
all diese Einzelstaaten wirtschaftlich durchaus auf einander angewiesen waren.
Nahm man z. B. den „verbündeten" Tschecho-Slowaken die Deutschen Böhmens,
so waren sie wirtschaftlich abgeschnitten und ohne rechte geographische Grenzen,
Ueß man sie ihnen, so hieß das den Drang Deutsch-Österreichs zu Deutschland
unter allen Umständen verstärken. Das aber wollten wieder auf keinen Fall die
Franzosen, deren „Gerechtigkeitsgefühl" es durchaus uicht zuließ, daß Deutschland
seinen Bevölkerungsverlust in Elsaß-Lothringen, Schleswig und den östlichen
Provinzen durch Angliederung Österreichs wieder ausgliche. Auch die fanatischsten
mußten sich aber sagen, daß dieser Anschluß zwar, solange noch Krieg sei, durch
me ewige Drohung mit der Lebensmittelsperre verhindert werden könne, daß auf


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[0333] Die Entente und Hsterreich-Ungarn hatte Frankreich den deutschen Wettbewerb in der Türkei und Anatolien, England ihn nicht mehr in Mesopotamien zu fürchten. Daß diese Politik vom Standpunkt der Feinde aus richtig war, bewies der Verlauf des Krieges, der durch den Abschluß der Bündnisse zwischen den Mittel¬ mächten und der Türkei wie Bulgarien die Möglichkeit einer gewaltigen Aus¬ dehnung der deutschen Einflußsphäre auf eine greifbare, allerdings auf die Dauer nicht festzuhaltende Gestalt verlieh. Um so nachdrücklicher mußte denn das gemein¬ same Kriegsziel der Zertrümmerung Österreich-Ungarns verfolgt werden. Es wurde erreicht, wenn auch erst zu einer Zeit, da einer der Hanptgegner, Rußland, vorläufig aus dieser Erreichung keinerlei Nutzen zu ziehen in der Lage war. Aber auch der deutsche Drang nach Osten war bei der tiefgehenden wirtschaftlichen Schwächung Deutschlands, besonders aber bei der sich jetzt vollziehenden weit¬ gehenden Aufteilung der ohnmächtig zusammengebrochenen Türkei nicht mehr in dem Maße zu fürchten wie vor dem und während des Krieges, sodaß das Interesse der Entente an den inneren Verhältnissen der einstigen Donaumonarchie bei der Abwesenheit Rußlands eigentlich nur noch ein theoretisches ist. Aber die Geister, die sie gerufen hat, wird die Entente nun so leicht nicht los. Die „befreiten" kleinen Staaten haben nichts Eiligeres zu tun, als die Jmperialistengebärde der großen nachzuahmen und sich mit List oder Gewalt in den Besitz der aus irgend¬ welchen, sei es ethnographischen, militärischen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten ihnen wünschenswert erscheinenden Gebiete zu setzen. Natürlich sind sie sich darüber alsbald in die Haare geraten. Polen und Ukrainer fingen sogleich ihren eigenen kleinen Krieg an, Polen und Tschechen stritten um Teschen, Rumänen und Serben um das Banat, die Slawen zeigten, unterstützt durch die Montenegriner, Sonderbestrebungen und wenn man ein etwa widerstrebendes Deutsch-Österreich wirksam mit der Abschneidung der Lebensmiitelzufuhr bedrohen konnte, so verlor man doch über Ungarn, das man ähnlich rücksichtslos zu behandeln Miene machte, jede Gewalt, nachdem Karolyi, zur Verzweiflung getrieben, die Regierungsgewalt den Bolschewisten übergeben hatte. Letzteres Ereignis bewies der bestürzten Entente sofort, daß das Problem der österreichisch-ungarischen Monarchie doch nicht so einfach war, wie man, verführt durch die glatten Formeln der Zerschlagung oder Aufteilung geglaubt hatte. Selbstbestimmungsrecht der Völker das hatte so bequem geklungen, jedes Volk bestimmte eben über sich selbst. Aber in der Wirklichkeit zeigte sich alsbald, daß diese Selbstbestimmungen heftig miteinander kollidierten und daß infolge weitgehender Völkervermischung mit unzähligen Enklaven und Sonderfällen, hier weniger als anderswo Staats- und Nationalitäten¬ begriff einander deckten. Aber schließlich war man doch nicht umsonst Friedens¬ konferenz und angehendes Völkerbundkomitee, irgendwas wollte man doch zu sagen und zu entscheiden haben und schließlich mußte der Krieg doch mal ein Ende finden. Man gebot also zunächst den siegreich gegen Budapest vordringenden Rumänen Ruhe und Geduld (mit dein Erfolg, daß sich die Magyaren siegreich gegen die Tschechen wenden konnten) und beschloß, das Problem einmal genau Zu untersuchen. Herrgott, da hatte man was schönes angerichtetl Statt eines Wetterwinkels '« Europa, des Balkans, hatte man zwei. Man mochte die Grenzen ziehen wie man wollte, ohne Jrredentismen ging es nicht ab und zudem zeigte es sich, daß all diese Einzelstaaten wirtschaftlich durchaus auf einander angewiesen waren. Nahm man z. B. den „verbündeten" Tschecho-Slowaken die Deutschen Böhmens, so waren sie wirtschaftlich abgeschnitten und ohne rechte geographische Grenzen, Ueß man sie ihnen, so hieß das den Drang Deutsch-Österreichs zu Deutschland unter allen Umständen verstärken. Das aber wollten wieder auf keinen Fall die Franzosen, deren „Gerechtigkeitsgefühl" es durchaus uicht zuließ, daß Deutschland seinen Bevölkerungsverlust in Elsaß-Lothringen, Schleswig und den östlichen Provinzen durch Angliederung Österreichs wieder ausgliche. Auch die fanatischsten mußten sich aber sagen, daß dieser Anschluß zwar, solange noch Krieg sei, durch me ewige Drohung mit der Lebensmittelsperre verhindert werden könne, daß auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/333>, abgerufen am 15.05.2024.