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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Materialien zur ostdeutschen Frage

nationales Selbstbestimmungsrecht als das
eigene. Nicht die Völker in den einzelnen
Gebieten sollen über ihre Zukunft entscheiden,
sondern einzig und allein das Polnische Volk
hat nach Gutdünken darüber zu bestimmen,
was mit ihnen zu geschehen hat. Das ver¬
steht die polnische Presse unter dem Selbst¬
bestimmungsrecht, das es mithin nur für sich
in Anspruch nimmt und von dem nichts übrig
gelassen wird, als das Wort selbst. Der
"Wiarus Polski" führt dementsprechend
wörtlich ans:

Die Polnische Presse geht aber noch weiter.
Wird auf der einen Seite das Selbst-
bestimmungsrecht als lästig beiseite geschoben,
so greift sie auf der andern Seite das
Nationnlitätenprinzip heraus, ohne zu be¬
denken, daß es sozusagen nur die notwendige
Ergänzung des ersteren bildet, mit diesem
also steht und fällt. Aus Grund dieses
Prinzips werden die polnisch sprechenden
Teile Schlesiens verlangt, desgleichen Masuren,
Gebiete, die nicht zu dem Polen von 1772
gehört haben. Es ist hier nicht davon die
Rede, daß -- um in die Polnische Redeweise
zu fallen -- das Unrecht der Teilungen
Polens wieder gut zu machen wäre, sondern
mit dem preußischen Staate seit Jcchrhunder.
ten verwachsene Gebiete sollen herausgerissen
werden, weil die nationale Einheit des Pol¬
nischen Volkes es erfordere. Die Polnische
Presse stößt sich nicht daran, daß die über¬
wiegende Mehrzahl der Preußischen Masuren
sich völlig als Deutsche fühlt und nichts von
Polen wissen will, das Nationalitätenprinzip
muß ihnen vielmehr eingehämmert werden,
und wenn sie nicht von selbst darauf kommen
sollten, mittels eines gelinden Drucks unter
dem Schutze einer polnischen Armeel Das
stehende Leitmotiv ist immer, die Masuren
werden es schließlich schon einsehen, daß sie
Polen sind, wenn sie eS auch zurzeit noch
nicht wissen sollten. In beiden Fällen, so¬
wohl bezüglich Schlesiens wie Masurens, soll
das Rad der Geschichte um Jahrhunderte
zurückgedreht werden, im Grunde genommen
aber nicht zuliebe des Wilsonschen Nationali¬
tätenprinzips, sondern lediglich aus imperia¬
listischen Machthunger.

"Daraus folgt, daß weder Wilson noch
Lloyd George weder die deutsche noch die
verdeutschte Bevölkerung Schlesiens, Grosz-
Polens, des Danziger Pommerns, Ermlands
und Preußisch-Masowiens über die staatliche
Zugehörigkeit dieser Gebiete entscheiden
können, sondern daß dies das Polnische Boll
als der uralte Wirt dieser Ländereien tun
muß.

Und das polnische Volk will und kann
nicht erlauben, daß nur eine Polnische Hütte
unter der deutschen Herrschaft bleibt, da es
dadurch ihre Einwohner der Entartung aus¬
liefern würde, die gegen das natürliche Recht
und den Willen der Vorsehung ist."

Die Tatsache also, daß das polnische Volk
Zu irgend einer Zeit einmal einen Gebiets¬
teil besessen hat, ist ausreichend, um ihn zu¬
rückzufordern, und sollte selbst unter Tausenden
anderer nur eine einzige polnische Hütte sich
uoch dort befinden. Die Begründung mit
dem "natürlichen Recht" und dem "Willen
der Vorsehung" will dabei nichts anderes
s°in, als eine dekorative Verbrämung, es
handelt sich auch im Grunde genommen um
gar keinen rechtlichen Anspruch, sondern einzig
und allein um nationalistische Gewaltpolitik.

Mit den Wilsonschen Prinzipien haben
gleichfalls nichts die andern Stützpunkte der
polnischen Machtpolitik zu tun, die auf den
Begriffen der wirtschaftlichen Notwendigkeit
und Lebensfähigkeit des Polnischen Staates
beruhen. Neben dem Argument der "histori¬
schen Gerechtigkeit" ist es vor allem der
Hinweis auf die wirtschaftliche Notwendigkeit,
die die Polnische Presse ins Feld führt, um
das rein deutsche Danzig dem polnischen
Staate anzugliedern. Dieser Begriff ist im
Wilsonprogramm zwar nicht fremd, er ope¬
riert mit ihm aber nur in der Hinsicht, daß

Dem Gedanken, daß auch die Geschickte
fortschreitet und in ihr sich die Grenzen der
Völker und Territorien verschieben, wird
überhaupt nicht nachgegangen. Die Idee
einer geschichtlichen Entwicklung ist der Pol¬
nischen Presse fremd. Die Deutschen, die in
den beanspruchten Gebieten seit Jahrzehnten
°der Jahrhunderten wohnen, gelten als Ein¬
dringlinge, als Eingewanderte, die in ihrer
letzigen Heimat des Schutzes des Selbst-
Bestimmungsrechtes nicht teilhaftig sein dürfen.


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nationales Selbstbestimmungsrecht als das
eigene. Nicht die Völker in den einzelnen
Gebieten sollen über ihre Zukunft entscheiden,
sondern einzig und allein das Polnische Volk
hat nach Gutdünken darüber zu bestimmen,
was mit ihnen zu geschehen hat. Das ver¬
steht die polnische Presse unter dem Selbst¬
bestimmungsrecht, das es mithin nur für sich
in Anspruch nimmt und von dem nichts übrig
gelassen wird, als das Wort selbst. Der
„Wiarus Polski" führt dementsprechend
wörtlich ans:

Die Polnische Presse geht aber noch weiter.
Wird auf der einen Seite das Selbst-
bestimmungsrecht als lästig beiseite geschoben,
so greift sie auf der andern Seite das
Nationnlitätenprinzip heraus, ohne zu be¬
denken, daß es sozusagen nur die notwendige
Ergänzung des ersteren bildet, mit diesem
also steht und fällt. Aus Grund dieses
Prinzips werden die polnisch sprechenden
Teile Schlesiens verlangt, desgleichen Masuren,
Gebiete, die nicht zu dem Polen von 1772
gehört haben. Es ist hier nicht davon die
Rede, daß — um in die Polnische Redeweise
zu fallen — das Unrecht der Teilungen
Polens wieder gut zu machen wäre, sondern
mit dem preußischen Staate seit Jcchrhunder.
ten verwachsene Gebiete sollen herausgerissen
werden, weil die nationale Einheit des Pol¬
nischen Volkes es erfordere. Die Polnische
Presse stößt sich nicht daran, daß die über¬
wiegende Mehrzahl der Preußischen Masuren
sich völlig als Deutsche fühlt und nichts von
Polen wissen will, das Nationalitätenprinzip
muß ihnen vielmehr eingehämmert werden,
und wenn sie nicht von selbst darauf kommen
sollten, mittels eines gelinden Drucks unter
dem Schutze einer polnischen Armeel Das
stehende Leitmotiv ist immer, die Masuren
werden es schließlich schon einsehen, daß sie
Polen sind, wenn sie eS auch zurzeit noch
nicht wissen sollten. In beiden Fällen, so¬
wohl bezüglich Schlesiens wie Masurens, soll
das Rad der Geschichte um Jahrhunderte
zurückgedreht werden, im Grunde genommen
aber nicht zuliebe des Wilsonschen Nationali¬
tätenprinzips, sondern lediglich aus imperia¬
listischen Machthunger.

„Daraus folgt, daß weder Wilson noch
Lloyd George weder die deutsche noch die
verdeutschte Bevölkerung Schlesiens, Grosz-
Polens, des Danziger Pommerns, Ermlands
und Preußisch-Masowiens über die staatliche
Zugehörigkeit dieser Gebiete entscheiden
können, sondern daß dies das Polnische Boll
als der uralte Wirt dieser Ländereien tun
muß.

Und das polnische Volk will und kann
nicht erlauben, daß nur eine Polnische Hütte
unter der deutschen Herrschaft bleibt, da es
dadurch ihre Einwohner der Entartung aus¬
liefern würde, die gegen das natürliche Recht
und den Willen der Vorsehung ist."

Die Tatsache also, daß das polnische Volk
Zu irgend einer Zeit einmal einen Gebiets¬
teil besessen hat, ist ausreichend, um ihn zu¬
rückzufordern, und sollte selbst unter Tausenden
anderer nur eine einzige polnische Hütte sich
uoch dort befinden. Die Begründung mit
dem „natürlichen Recht" und dem „Willen
der Vorsehung" will dabei nichts anderes
s°in, als eine dekorative Verbrämung, es
handelt sich auch im Grunde genommen um
gar keinen rechtlichen Anspruch, sondern einzig
und allein um nationalistische Gewaltpolitik.

Mit den Wilsonschen Prinzipien haben
gleichfalls nichts die andern Stützpunkte der
polnischen Machtpolitik zu tun, die auf den
Begriffen der wirtschaftlichen Notwendigkeit
und Lebensfähigkeit des Polnischen Staates
beruhen. Neben dem Argument der „histori¬
schen Gerechtigkeit" ist es vor allem der
Hinweis auf die wirtschaftliche Notwendigkeit,
die die Polnische Presse ins Feld führt, um
das rein deutsche Danzig dem polnischen
Staate anzugliedern. Dieser Begriff ist im
Wilsonprogramm zwar nicht fremd, er ope¬
riert mit ihm aber nur in der Hinsicht, daß

Dem Gedanken, daß auch die Geschickte
fortschreitet und in ihr sich die Grenzen der
Völker und Territorien verschieben, wird
überhaupt nicht nachgegangen. Die Idee
einer geschichtlichen Entwicklung ist der Pol¬
nischen Presse fremd. Die Deutschen, die in
den beanspruchten Gebieten seit Jahrzehnten
°der Jahrhunderten wohnen, gelten als Ein¬
dringlinge, als Eingewanderte, die in ihrer
letzigen Heimat des Schutzes des Selbst-
Bestimmungsrechtes nicht teilhaftig sein dürfen.


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[0455] Materialien zur ostdeutschen Frage nationales Selbstbestimmungsrecht als das eigene. Nicht die Völker in den einzelnen Gebieten sollen über ihre Zukunft entscheiden, sondern einzig und allein das Polnische Volk hat nach Gutdünken darüber zu bestimmen, was mit ihnen zu geschehen hat. Das ver¬ steht die polnische Presse unter dem Selbst¬ bestimmungsrecht, das es mithin nur für sich in Anspruch nimmt und von dem nichts übrig gelassen wird, als das Wort selbst. Der „Wiarus Polski" führt dementsprechend wörtlich ans: Die Polnische Presse geht aber noch weiter. Wird auf der einen Seite das Selbst- bestimmungsrecht als lästig beiseite geschoben, so greift sie auf der andern Seite das Nationnlitätenprinzip heraus, ohne zu be¬ denken, daß es sozusagen nur die notwendige Ergänzung des ersteren bildet, mit diesem also steht und fällt. Aus Grund dieses Prinzips werden die polnisch sprechenden Teile Schlesiens verlangt, desgleichen Masuren, Gebiete, die nicht zu dem Polen von 1772 gehört haben. Es ist hier nicht davon die Rede, daß — um in die Polnische Redeweise zu fallen — das Unrecht der Teilungen Polens wieder gut zu machen wäre, sondern mit dem preußischen Staate seit Jcchrhunder. ten verwachsene Gebiete sollen herausgerissen werden, weil die nationale Einheit des Pol¬ nischen Volkes es erfordere. Die Polnische Presse stößt sich nicht daran, daß die über¬ wiegende Mehrzahl der Preußischen Masuren sich völlig als Deutsche fühlt und nichts von Polen wissen will, das Nationalitätenprinzip muß ihnen vielmehr eingehämmert werden, und wenn sie nicht von selbst darauf kommen sollten, mittels eines gelinden Drucks unter dem Schutze einer polnischen Armeel Das stehende Leitmotiv ist immer, die Masuren werden es schließlich schon einsehen, daß sie Polen sind, wenn sie eS auch zurzeit noch nicht wissen sollten. In beiden Fällen, so¬ wohl bezüglich Schlesiens wie Masurens, soll das Rad der Geschichte um Jahrhunderte zurückgedreht werden, im Grunde genommen aber nicht zuliebe des Wilsonschen Nationali¬ tätenprinzips, sondern lediglich aus imperia¬ listischen Machthunger. „Daraus folgt, daß weder Wilson noch Lloyd George weder die deutsche noch die verdeutschte Bevölkerung Schlesiens, Grosz- Polens, des Danziger Pommerns, Ermlands und Preußisch-Masowiens über die staatliche Zugehörigkeit dieser Gebiete entscheiden können, sondern daß dies das Polnische Boll als der uralte Wirt dieser Ländereien tun muß. Und das polnische Volk will und kann nicht erlauben, daß nur eine Polnische Hütte unter der deutschen Herrschaft bleibt, da es dadurch ihre Einwohner der Entartung aus¬ liefern würde, die gegen das natürliche Recht und den Willen der Vorsehung ist." Die Tatsache also, daß das polnische Volk Zu irgend einer Zeit einmal einen Gebiets¬ teil besessen hat, ist ausreichend, um ihn zu¬ rückzufordern, und sollte selbst unter Tausenden anderer nur eine einzige polnische Hütte sich uoch dort befinden. Die Begründung mit dem „natürlichen Recht" und dem „Willen der Vorsehung" will dabei nichts anderes s°in, als eine dekorative Verbrämung, es handelt sich auch im Grunde genommen um gar keinen rechtlichen Anspruch, sondern einzig und allein um nationalistische Gewaltpolitik. Mit den Wilsonschen Prinzipien haben gleichfalls nichts die andern Stützpunkte der polnischen Machtpolitik zu tun, die auf den Begriffen der wirtschaftlichen Notwendigkeit und Lebensfähigkeit des Polnischen Staates beruhen. Neben dem Argument der „histori¬ schen Gerechtigkeit" ist es vor allem der Hinweis auf die wirtschaftliche Notwendigkeit, die die Polnische Presse ins Feld führt, um das rein deutsche Danzig dem polnischen Staate anzugliedern. Dieser Begriff ist im Wilsonprogramm zwar nicht fremd, er ope¬ riert mit ihm aber nur in der Hinsicht, daß Dem Gedanken, daß auch die Geschickte fortschreitet und in ihr sich die Grenzen der Völker und Territorien verschieben, wird überhaupt nicht nachgegangen. Die Idee einer geschichtlichen Entwicklung ist der Pol¬ nischen Presse fremd. Die Deutschen, die in den beanspruchten Gebieten seit Jahrzehnten °der Jahrhunderten wohnen, gelten als Ein¬ dringlinge, als Eingewanderte, die in ihrer letzigen Heimat des Schutzes des Selbst- Bestimmungsrechtes nicht teilhaftig sein dürfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/455>, abgerufen am 15.05.2024.