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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Materialien zur ostdeutschen Frage

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nach Polen hin vollzogen. Der Große Kur¬
fürst, der bisher auf Seiten der Schweden
gefochten hatte, und vom König von Schweden
Karl Gustav, als souveräner Herzog von
Preußen und Ermland anerkannt war (Labiau
20. November 16S6), schloß zu Wehlau am
18. September 1657 ein Bündnis mit dem
Polnischen König Johann Kasimir. Unter
Verzicht auf die ihm von Schweden zu¬
gesicherten Polnischen Palatinate Posen,
Kalisch, Bcmcyck und Sieradz und auf Erm¬
land wurde seine Souveränität im Herzog¬
tum Preußen auch von seinem ehemaligen
Lehnsherrn, dem König von Polen, anerkannt.
Außerdem wurde ein gegenseitiges Schutz-
und Trutzbündnis geschlossen, wofür der Kur¬
fürst eine besondere Entschädigung erhalten
sollte. Zur näheren Vereinbarung hierüber
kamen der König und der Kurfürst Ende
Oktober in Bromberg zusammen. Zu dem
Vertrage, der am 6. November 1657 unter¬
zeichnet wurde, erhielt Friedrich Wilhelm
außer der Zusicherung der Stadt Elbing die
Starosteien Lauenburg und Bülow, die bis
1637 die Pommerschen Herzöge als pol¬
nisches Lehnen besessen hatten.

Der Vertrag wurde von den Ständen
Polens genehmigt, die Abtretung der
beiden Kreise somit von Krone und Volk
bestätigt.

Johann Kasimir trat in dem Vertrage
Lauenburg und Bülow in seinem und seiner
Nachfolger Namen an die Kurfürsten und
seine rechtmäßigen männlichen Nachkommen
auf ewige Zeiten zu Lehnrecht ab.

Die Stelle, auf die sich die Polen be¬
rufen, lautete in deutscher Übersetzung:
"Sollte aber der Durchlauchtigste Fürst und
Herr, Friedrich Wilhelm, Markgraf und Kur¬
fürst zu Brandenburg, Herzog in Preußen,
ohne gesetzliche männliche Lehnserben oder
der gesetzliche männliche Lehnserbe ohne
männliche Nachkommenschaft zu hinterlassen,
mit dem Tode abgehen und de>o Stamm
und gesetzliche männliche Nachkommenschaft
erlöschen: Alsdann sollen die vorbesagten
Schlösser und Städte Bülow und Lauenburg
mit allen ihren Gütern, Untertanen, Vasallen,
Nutznießungen, Freiheiten, Rechten, Hoheiten
und allem Zubehör, und zwar zu vollem
Rechte und Besitze ohne allen Einspruch an

[Spaltenumbruch]

Uns und die Uns nachfolgenden Könige von
Polen zurückfallen."

Wie aus diesen Worten deutlich ersichtlich
ist, bezog sich die in Erwägung gezogene
Rückgabe lediglich auf den Fall des Erlöschens
dos Hauses Hohenzollern; sie kam nur dann
in Frage, wenn der Kurfürst und seine Nach¬
kommen keine Rechtsnachfolger hinterlassen.

Die polnischen Ansprüche sind also schon,
wenn man sie auf die rein formelle Aus¬
legung des Vertrages beschränkt, nicht be¬
gründet. Die Bedingung, das Aussterben
des Hauses Hohenzollern, ist nicht einge¬
treten; vor allem aber ist zu beachten, daß
die Rückgabe ausdrücklich an "die uns nach¬
folgenden Könige von Polen" erfolgen sollte.
Durch die Aufhebung der Polnischen Königs¬
herrschaft von 1795 ist somit bereits die recht¬
liche Möglichkeit für den Heimfall des Lesmes
aufgehoben worden.

Aber unabhängig hiervon sind die Pol¬
nischen Ansprüche ans allgemeinen Gründen
völlig unhaltbar. Die Erbverbrüderungs-
verträge zwischen Fürsten und Fürstenfamilien
entstammen einer Zeit, in der der Staat
als Eigentum des Fürsten aufgefaßt wurde.
In dieser Zeit war es möglich, Länder mit
ihrer Bevölkerung zum Objekt fürstlicher
Rechtsgeschäfte zu machen. Mit der Ent¬
wicklung deS modernen Staatsbegriffes
wurden einmal die Fürsten zu Organen
der von ihnen beherrschten Staaten, und es
wuchsen ferner diese Staateil zu organischer
Einhcitzusammen. Erbverbrüderimgsverträge
können im modernen Staatsleben nur noch
soweit zu rechtlicher Bedeutung kommen, als
diese Verträge nach Maßgabe der Siaats-
verfassungen einen Einfluß auf die Thron¬
folge innerhalb dos Staates besitzen. Eine
Auseinanderreißnng zu organischer Einheit
erwachsener Staaten auf Grund privatfürst¬
licher Erbverbrüderungsverträge würde den
elementarsten Begriffen der Auffassung vom
modernen Staat Hohn sprechen.

Die polnischen Ansprüche schweben aber
weiter auch deswegen in der Luft, weil der
jetzige polnische Siaat unter keinem Gesichts¬
punkte als Rechtsnachfolger des im Jahre
1795 untergegangenen Polnischen Königreichs
aufgefaßt werden kann. Völkerrechtlich liegt
der Fall des Unterganges des polnischen

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nach Polen hin vollzogen. Der Große Kur¬
fürst, der bisher auf Seiten der Schweden
gefochten hatte, und vom König von Schweden
Karl Gustav, als souveräner Herzog von
Preußen und Ermland anerkannt war (Labiau
20. November 16S6), schloß zu Wehlau am
18. September 1657 ein Bündnis mit dem
Polnischen König Johann Kasimir. Unter
Verzicht auf die ihm von Schweden zu¬
gesicherten Polnischen Palatinate Posen,
Kalisch, Bcmcyck und Sieradz und auf Erm¬
land wurde seine Souveränität im Herzog¬
tum Preußen auch von seinem ehemaligen
Lehnsherrn, dem König von Polen, anerkannt.
Außerdem wurde ein gegenseitiges Schutz-
und Trutzbündnis geschlossen, wofür der Kur¬
fürst eine besondere Entschädigung erhalten
sollte. Zur näheren Vereinbarung hierüber
kamen der König und der Kurfürst Ende
Oktober in Bromberg zusammen. Zu dem
Vertrage, der am 6. November 1657 unter¬
zeichnet wurde, erhielt Friedrich Wilhelm
außer der Zusicherung der Stadt Elbing die
Starosteien Lauenburg und Bülow, die bis
1637 die Pommerschen Herzöge als pol¬
nisches Lehnen besessen hatten.

Der Vertrag wurde von den Ständen
Polens genehmigt, die Abtretung der
beiden Kreise somit von Krone und Volk
bestätigt.

Johann Kasimir trat in dem Vertrage
Lauenburg und Bülow in seinem und seiner
Nachfolger Namen an die Kurfürsten und
seine rechtmäßigen männlichen Nachkommen
auf ewige Zeiten zu Lehnrecht ab.

Die Stelle, auf die sich die Polen be¬
rufen, lautete in deutscher Übersetzung:
„Sollte aber der Durchlauchtigste Fürst und
Herr, Friedrich Wilhelm, Markgraf und Kur¬
fürst zu Brandenburg, Herzog in Preußen,
ohne gesetzliche männliche Lehnserben oder
der gesetzliche männliche Lehnserbe ohne
männliche Nachkommenschaft zu hinterlassen,
mit dem Tode abgehen und de>o Stamm
und gesetzliche männliche Nachkommenschaft
erlöschen: Alsdann sollen die vorbesagten
Schlösser und Städte Bülow und Lauenburg
mit allen ihren Gütern, Untertanen, Vasallen,
Nutznießungen, Freiheiten, Rechten, Hoheiten
und allem Zubehör, und zwar zu vollem
Rechte und Besitze ohne allen Einspruch an

[Spaltenumbruch]

Uns und die Uns nachfolgenden Könige von
Polen zurückfallen."

Wie aus diesen Worten deutlich ersichtlich
ist, bezog sich die in Erwägung gezogene
Rückgabe lediglich auf den Fall des Erlöschens
dos Hauses Hohenzollern; sie kam nur dann
in Frage, wenn der Kurfürst und seine Nach¬
kommen keine Rechtsnachfolger hinterlassen.

Die polnischen Ansprüche sind also schon,
wenn man sie auf die rein formelle Aus¬
legung des Vertrages beschränkt, nicht be¬
gründet. Die Bedingung, das Aussterben
des Hauses Hohenzollern, ist nicht einge¬
treten; vor allem aber ist zu beachten, daß
die Rückgabe ausdrücklich an „die uns nach¬
folgenden Könige von Polen" erfolgen sollte.
Durch die Aufhebung der Polnischen Königs¬
herrschaft von 1795 ist somit bereits die recht¬
liche Möglichkeit für den Heimfall des Lesmes
aufgehoben worden.

Aber unabhängig hiervon sind die Pol¬
nischen Ansprüche ans allgemeinen Gründen
völlig unhaltbar. Die Erbverbrüderungs-
verträge zwischen Fürsten und Fürstenfamilien
entstammen einer Zeit, in der der Staat
als Eigentum des Fürsten aufgefaßt wurde.
In dieser Zeit war es möglich, Länder mit
ihrer Bevölkerung zum Objekt fürstlicher
Rechtsgeschäfte zu machen. Mit der Ent¬
wicklung deS modernen Staatsbegriffes
wurden einmal die Fürsten zu Organen
der von ihnen beherrschten Staaten, und es
wuchsen ferner diese Staateil zu organischer
Einhcitzusammen. Erbverbrüderimgsverträge
können im modernen Staatsleben nur noch
soweit zu rechtlicher Bedeutung kommen, als
diese Verträge nach Maßgabe der Siaats-
verfassungen einen Einfluß auf die Thron¬
folge innerhalb dos Staates besitzen. Eine
Auseinanderreißnng zu organischer Einheit
erwachsener Staaten auf Grund privatfürst¬
licher Erbverbrüderungsverträge würde den
elementarsten Begriffen der Auffassung vom
modernen Staat Hohn sprechen.

Die polnischen Ansprüche schweben aber
weiter auch deswegen in der Luft, weil der
jetzige polnische Siaat unter keinem Gesichts¬
punkte als Rechtsnachfolger des im Jahre
1795 untergegangenen Polnischen Königreichs
aufgefaßt werden kann. Völkerrechtlich liegt
der Fall des Unterganges des polnischen

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[0517] Materialien zur ostdeutschen Frage nach Polen hin vollzogen. Der Große Kur¬ fürst, der bisher auf Seiten der Schweden gefochten hatte, und vom König von Schweden Karl Gustav, als souveräner Herzog von Preußen und Ermland anerkannt war (Labiau 20. November 16S6), schloß zu Wehlau am 18. September 1657 ein Bündnis mit dem Polnischen König Johann Kasimir. Unter Verzicht auf die ihm von Schweden zu¬ gesicherten Polnischen Palatinate Posen, Kalisch, Bcmcyck und Sieradz und auf Erm¬ land wurde seine Souveränität im Herzog¬ tum Preußen auch von seinem ehemaligen Lehnsherrn, dem König von Polen, anerkannt. Außerdem wurde ein gegenseitiges Schutz- und Trutzbündnis geschlossen, wofür der Kur¬ fürst eine besondere Entschädigung erhalten sollte. Zur näheren Vereinbarung hierüber kamen der König und der Kurfürst Ende Oktober in Bromberg zusammen. Zu dem Vertrage, der am 6. November 1657 unter¬ zeichnet wurde, erhielt Friedrich Wilhelm außer der Zusicherung der Stadt Elbing die Starosteien Lauenburg und Bülow, die bis 1637 die Pommerschen Herzöge als pol¬ nisches Lehnen besessen hatten. Der Vertrag wurde von den Ständen Polens genehmigt, die Abtretung der beiden Kreise somit von Krone und Volk bestätigt. Johann Kasimir trat in dem Vertrage Lauenburg und Bülow in seinem und seiner Nachfolger Namen an die Kurfürsten und seine rechtmäßigen männlichen Nachkommen auf ewige Zeiten zu Lehnrecht ab. Die Stelle, auf die sich die Polen be¬ rufen, lautete in deutscher Übersetzung: „Sollte aber der Durchlauchtigste Fürst und Herr, Friedrich Wilhelm, Markgraf und Kur¬ fürst zu Brandenburg, Herzog in Preußen, ohne gesetzliche männliche Lehnserben oder der gesetzliche männliche Lehnserbe ohne männliche Nachkommenschaft zu hinterlassen, mit dem Tode abgehen und de>o Stamm und gesetzliche männliche Nachkommenschaft erlöschen: Alsdann sollen die vorbesagten Schlösser und Städte Bülow und Lauenburg mit allen ihren Gütern, Untertanen, Vasallen, Nutznießungen, Freiheiten, Rechten, Hoheiten und allem Zubehör, und zwar zu vollem Rechte und Besitze ohne allen Einspruch an Uns und die Uns nachfolgenden Könige von Polen zurückfallen." Wie aus diesen Worten deutlich ersichtlich ist, bezog sich die in Erwägung gezogene Rückgabe lediglich auf den Fall des Erlöschens dos Hauses Hohenzollern; sie kam nur dann in Frage, wenn der Kurfürst und seine Nach¬ kommen keine Rechtsnachfolger hinterlassen. Die polnischen Ansprüche sind also schon, wenn man sie auf die rein formelle Aus¬ legung des Vertrages beschränkt, nicht be¬ gründet. Die Bedingung, das Aussterben des Hauses Hohenzollern, ist nicht einge¬ treten; vor allem aber ist zu beachten, daß die Rückgabe ausdrücklich an „die uns nach¬ folgenden Könige von Polen" erfolgen sollte. Durch die Aufhebung der Polnischen Königs¬ herrschaft von 1795 ist somit bereits die recht¬ liche Möglichkeit für den Heimfall des Lesmes aufgehoben worden. Aber unabhängig hiervon sind die Pol¬ nischen Ansprüche ans allgemeinen Gründen völlig unhaltbar. Die Erbverbrüderungs- verträge zwischen Fürsten und Fürstenfamilien entstammen einer Zeit, in der der Staat als Eigentum des Fürsten aufgefaßt wurde. In dieser Zeit war es möglich, Länder mit ihrer Bevölkerung zum Objekt fürstlicher Rechtsgeschäfte zu machen. Mit der Ent¬ wicklung deS modernen Staatsbegriffes wurden einmal die Fürsten zu Organen der von ihnen beherrschten Staaten, und es wuchsen ferner diese Staateil zu organischer Einhcitzusammen. Erbverbrüderimgsverträge können im modernen Staatsleben nur noch soweit zu rechtlicher Bedeutung kommen, als diese Verträge nach Maßgabe der Siaats- verfassungen einen Einfluß auf die Thron¬ folge innerhalb dos Staates besitzen. Eine Auseinanderreißnng zu organischer Einheit erwachsener Staaten auf Grund privatfürst¬ licher Erbverbrüderungsverträge würde den elementarsten Begriffen der Auffassung vom modernen Staat Hohn sprechen. Die polnischen Ansprüche schweben aber weiter auch deswegen in der Luft, weil der jetzige polnische Siaat unter keinem Gesichts¬ punkte als Rechtsnachfolger des im Jahre 1795 untergegangenen Polnischen Königreichs aufgefaßt werden kann. Völkerrechtlich liegt der Fall des Unterganges des polnischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/517>, abgerufen am 15.05.2024.