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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Klerikalen in Frankreich selbst erhöhen. Was bedeuteten aber all diese zwar
wichtigen, aber noch in weitem Felde liegenden Erfolge gegen den naheliegenden
und sofort greifbaren Vorteil, wenn es gelang, Riedl, den Gegner von San Remo,
zu stürzen. Welche Drohung für den Nachfolger, welcher Erfolg, wenn dieser
Nachfolger etwa, da mit Giolittis Zurückhaltung, ehe nicht aus Pallanza greifbare
Resultate vorlagen, sicher gerechnet werden konnte, Bonomi war, der als Faszist
ein Interesse an einer imperialistischen Lösung der Spa-Probleme haben musste.
Der Zeitpunkt war selten günstig. Das Kabinett war niemals sicher, die Sozialisten
und die durch die bevorstehenden Kompromißverhandlungen mit den Südslamen
Heftig beunruhigten Nationalisten waren unbedingte Gegner Nittis; unter den
Bürgerlichen gab es so manchen, der des Ministerpräsidenten nachgiebige Haltung
gegen die Sozialisten mißbilligte; die Popolari verlangten nach einer Gelegenheit,
taktische Bordelle zu erringen, hatten vielleicht auch im letzten Augenblick wegen der
in Kreisen der dalmatinischen Geistlichkeit hervortretenden Neigungen, sich den süd¬
slawischen Orthodoxen zu nähern, Bedenken, Dalmatien in dein Maße aufzugeben, wie
es in Pallanza geschehen wäre. Erlangte man, wenn anch nur für einen Augenblick,
gegen das Versprechen einer ausgesprochen klerikalen französischen Politik, die auch
dem Vatikan zugute kommen mußte, mehr, so war eine nie wiederkehrende
Gelegenheit geboten, das bevorstehende Ringen in Spa schon mehr als zur Hälfte
zu gewinnen. Barröre benutzte die Situation, gab den Anstoß, und Riedl stürzte.
Es liegt in der Natur der Dinge, daß sich diese Zusammenhänge nicht beweisen
lassen, aber die oben erwähnten Annäherungsbestrebungen sowie die sofort nach
Nittis Kabinettsbildung auftauchenden Gerüchte von Bärröces beabsichtigten Rück¬
tritt sowie die wütenden Angriffe einzelner italienischer Blätter gegen ihn sprechen
beredt genug.

Es zeigte sich jedoch alsbald deutlich, daß mit Intrigen die Politik vielleicht
gefördert, aber nicht gemacht wird. Es konnte Barrere gelingen, einige Stimmen
mehr, vielleicht grade die entscheidenden, zu gewinnen und durch geschickte Kombi¬
nation einen Augenblickserfolg zu erringen, aber es gab in der sehr großen und
Politiker verschiedenster Geistesrichtung umfassenden Popolarenpartei Männer
genug, die nicht gesonnen waren, um augenblicklicher Erfolge einer Klerikalen-
Politik willen, die sich über kurz oder lang sowieso ergeben müssen, die pazifistische
Gesamtpoliti! der Partei durch wenn auch nur indirekte Unterstützung des franzö¬
sischen Imperialismus in Frage zu stellen. Und der Vatikan, der die hitzköpfige
Umsturzaklion der Popolari, die keineswegs geschlossen gegen Riedl stimmten, am
nächsten Tage im "Osservatore" tadelte, bewies, daß er keineswegs geneigt sei,
sich überrumpeln zu lassen. Die Popolari belasten ein, was sich an taktischen
Vorteilen bot und ließen sich dann bereit finden, mochte auch Frankreich scheel
dazu sehen. Riedl von neuem zur Macht zu verhelfen.


Nachschrift.

Obige Zeilen waren bereits seit acht Tagen gesetzt, als die
Nachricht vom abermaligen Sturz des Kabinetts Riedl eintraf. Zu Fall gebracht
haben ihn diesmal die gleich Hiobsposten von allen Seiten zugleich herein¬
brechenden Nachrichten von Italiens geringem Anteil an der deutschen Kriegs-
entschädignng, von Araberunruhen in Tripolis, von fluchtartigem Zurückgehen der
italienischen Truppen in Albanien, die UnMerlässigkeit der Radikalen und der
parlamentarischen Freimaurer, die gegen zuweitgehendem Einfluß der Popolari
waren, die Opposition der Sozialisten in der Frage der (über kurz oder lang
doch unvermeidlichen) Brotpreiserhöhung, seine scharfe Unterdrückung der natio¬
nalistischen Unruhen in Rom, die man im wesentlichen d'Annunzio und seinen
Freunden wird auf die Rechnung schreiben müssen, vor allem aber wohl eine
kurz nach der Neubildung erfolgte programmatische Erklärung Giolittis, die un¬
geheures Aussehen erregte und allgemein als Kandidatur für den Minister¬
präsidentenposten auf,.vfaftt wurde. Mit diesem Programm, das neben großen
Kapitalsteuern für eine Art Neutralisierung Dalmatiens eintritt, würde Giolittl
heute eine Mehrheit im Parlament zusammenbringen können, größer als sie Ritte
je gehabt hat. Da die Sozialisten keine große Neigung verspüren, jetzt schon zur


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Klerikalen in Frankreich selbst erhöhen. Was bedeuteten aber all diese zwar
wichtigen, aber noch in weitem Felde liegenden Erfolge gegen den naheliegenden
und sofort greifbaren Vorteil, wenn es gelang, Riedl, den Gegner von San Remo,
zu stürzen. Welche Drohung für den Nachfolger, welcher Erfolg, wenn dieser
Nachfolger etwa, da mit Giolittis Zurückhaltung, ehe nicht aus Pallanza greifbare
Resultate vorlagen, sicher gerechnet werden konnte, Bonomi war, der als Faszist
ein Interesse an einer imperialistischen Lösung der Spa-Probleme haben musste.
Der Zeitpunkt war selten günstig. Das Kabinett war niemals sicher, die Sozialisten
und die durch die bevorstehenden Kompromißverhandlungen mit den Südslamen
Heftig beunruhigten Nationalisten waren unbedingte Gegner Nittis; unter den
Bürgerlichen gab es so manchen, der des Ministerpräsidenten nachgiebige Haltung
gegen die Sozialisten mißbilligte; die Popolari verlangten nach einer Gelegenheit,
taktische Bordelle zu erringen, hatten vielleicht auch im letzten Augenblick wegen der
in Kreisen der dalmatinischen Geistlichkeit hervortretenden Neigungen, sich den süd¬
slawischen Orthodoxen zu nähern, Bedenken, Dalmatien in dein Maße aufzugeben, wie
es in Pallanza geschehen wäre. Erlangte man, wenn anch nur für einen Augenblick,
gegen das Versprechen einer ausgesprochen klerikalen französischen Politik, die auch
dem Vatikan zugute kommen mußte, mehr, so war eine nie wiederkehrende
Gelegenheit geboten, das bevorstehende Ringen in Spa schon mehr als zur Hälfte
zu gewinnen. Barröre benutzte die Situation, gab den Anstoß, und Riedl stürzte.
Es liegt in der Natur der Dinge, daß sich diese Zusammenhänge nicht beweisen
lassen, aber die oben erwähnten Annäherungsbestrebungen sowie die sofort nach
Nittis Kabinettsbildung auftauchenden Gerüchte von Bärröces beabsichtigten Rück¬
tritt sowie die wütenden Angriffe einzelner italienischer Blätter gegen ihn sprechen
beredt genug.

Es zeigte sich jedoch alsbald deutlich, daß mit Intrigen die Politik vielleicht
gefördert, aber nicht gemacht wird. Es konnte Barrere gelingen, einige Stimmen
mehr, vielleicht grade die entscheidenden, zu gewinnen und durch geschickte Kombi¬
nation einen Augenblickserfolg zu erringen, aber es gab in der sehr großen und
Politiker verschiedenster Geistesrichtung umfassenden Popolarenpartei Männer
genug, die nicht gesonnen waren, um augenblicklicher Erfolge einer Klerikalen-
Politik willen, die sich über kurz oder lang sowieso ergeben müssen, die pazifistische
Gesamtpoliti! der Partei durch wenn auch nur indirekte Unterstützung des franzö¬
sischen Imperialismus in Frage zu stellen. Und der Vatikan, der die hitzköpfige
Umsturzaklion der Popolari, die keineswegs geschlossen gegen Riedl stimmten, am
nächsten Tage im „Osservatore" tadelte, bewies, daß er keineswegs geneigt sei,
sich überrumpeln zu lassen. Die Popolari belasten ein, was sich an taktischen
Vorteilen bot und ließen sich dann bereit finden, mochte auch Frankreich scheel
dazu sehen. Riedl von neuem zur Macht zu verhelfen.


Nachschrift.

Obige Zeilen waren bereits seit acht Tagen gesetzt, als die
Nachricht vom abermaligen Sturz des Kabinetts Riedl eintraf. Zu Fall gebracht
haben ihn diesmal die gleich Hiobsposten von allen Seiten zugleich herein¬
brechenden Nachrichten von Italiens geringem Anteil an der deutschen Kriegs-
entschädignng, von Araberunruhen in Tripolis, von fluchtartigem Zurückgehen der
italienischen Truppen in Albanien, die UnMerlässigkeit der Radikalen und der
parlamentarischen Freimaurer, die gegen zuweitgehendem Einfluß der Popolari
waren, die Opposition der Sozialisten in der Frage der (über kurz oder lang
doch unvermeidlichen) Brotpreiserhöhung, seine scharfe Unterdrückung der natio¬
nalistischen Unruhen in Rom, die man im wesentlichen d'Annunzio und seinen
Freunden wird auf die Rechnung schreiben müssen, vor allem aber wohl eine
kurz nach der Neubildung erfolgte programmatische Erklärung Giolittis, die un¬
geheures Aussehen erregte und allgemein als Kandidatur für den Minister¬
präsidentenposten auf,.vfaftt wurde. Mit diesem Programm, das neben großen
Kapitalsteuern für eine Art Neutralisierung Dalmatiens eintritt, würde Giolittl
heute eine Mehrheit im Parlament zusammenbringen können, größer als sie Ritte
je gehabt hat. Da die Sozialisten keine große Neigung verspüren, jetzt schon zur


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[0332] lveltspicgel Klerikalen in Frankreich selbst erhöhen. Was bedeuteten aber all diese zwar wichtigen, aber noch in weitem Felde liegenden Erfolge gegen den naheliegenden und sofort greifbaren Vorteil, wenn es gelang, Riedl, den Gegner von San Remo, zu stürzen. Welche Drohung für den Nachfolger, welcher Erfolg, wenn dieser Nachfolger etwa, da mit Giolittis Zurückhaltung, ehe nicht aus Pallanza greifbare Resultate vorlagen, sicher gerechnet werden konnte, Bonomi war, der als Faszist ein Interesse an einer imperialistischen Lösung der Spa-Probleme haben musste. Der Zeitpunkt war selten günstig. Das Kabinett war niemals sicher, die Sozialisten und die durch die bevorstehenden Kompromißverhandlungen mit den Südslamen Heftig beunruhigten Nationalisten waren unbedingte Gegner Nittis; unter den Bürgerlichen gab es so manchen, der des Ministerpräsidenten nachgiebige Haltung gegen die Sozialisten mißbilligte; die Popolari verlangten nach einer Gelegenheit, taktische Bordelle zu erringen, hatten vielleicht auch im letzten Augenblick wegen der in Kreisen der dalmatinischen Geistlichkeit hervortretenden Neigungen, sich den süd¬ slawischen Orthodoxen zu nähern, Bedenken, Dalmatien in dein Maße aufzugeben, wie es in Pallanza geschehen wäre. Erlangte man, wenn anch nur für einen Augenblick, gegen das Versprechen einer ausgesprochen klerikalen französischen Politik, die auch dem Vatikan zugute kommen mußte, mehr, so war eine nie wiederkehrende Gelegenheit geboten, das bevorstehende Ringen in Spa schon mehr als zur Hälfte zu gewinnen. Barröre benutzte die Situation, gab den Anstoß, und Riedl stürzte. Es liegt in der Natur der Dinge, daß sich diese Zusammenhänge nicht beweisen lassen, aber die oben erwähnten Annäherungsbestrebungen sowie die sofort nach Nittis Kabinettsbildung auftauchenden Gerüchte von Bärröces beabsichtigten Rück¬ tritt sowie die wütenden Angriffe einzelner italienischer Blätter gegen ihn sprechen beredt genug. Es zeigte sich jedoch alsbald deutlich, daß mit Intrigen die Politik vielleicht gefördert, aber nicht gemacht wird. Es konnte Barrere gelingen, einige Stimmen mehr, vielleicht grade die entscheidenden, zu gewinnen und durch geschickte Kombi¬ nation einen Augenblickserfolg zu erringen, aber es gab in der sehr großen und Politiker verschiedenster Geistesrichtung umfassenden Popolarenpartei Männer genug, die nicht gesonnen waren, um augenblicklicher Erfolge einer Klerikalen- Politik willen, die sich über kurz oder lang sowieso ergeben müssen, die pazifistische Gesamtpoliti! der Partei durch wenn auch nur indirekte Unterstützung des franzö¬ sischen Imperialismus in Frage zu stellen. Und der Vatikan, der die hitzköpfige Umsturzaklion der Popolari, die keineswegs geschlossen gegen Riedl stimmten, am nächsten Tage im „Osservatore" tadelte, bewies, daß er keineswegs geneigt sei, sich überrumpeln zu lassen. Die Popolari belasten ein, was sich an taktischen Vorteilen bot und ließen sich dann bereit finden, mochte auch Frankreich scheel dazu sehen. Riedl von neuem zur Macht zu verhelfen. Nachschrift. Obige Zeilen waren bereits seit acht Tagen gesetzt, als die Nachricht vom abermaligen Sturz des Kabinetts Riedl eintraf. Zu Fall gebracht haben ihn diesmal die gleich Hiobsposten von allen Seiten zugleich herein¬ brechenden Nachrichten von Italiens geringem Anteil an der deutschen Kriegs- entschädignng, von Araberunruhen in Tripolis, von fluchtartigem Zurückgehen der italienischen Truppen in Albanien, die UnMerlässigkeit der Radikalen und der parlamentarischen Freimaurer, die gegen zuweitgehendem Einfluß der Popolari waren, die Opposition der Sozialisten in der Frage der (über kurz oder lang doch unvermeidlichen) Brotpreiserhöhung, seine scharfe Unterdrückung der natio¬ nalistischen Unruhen in Rom, die man im wesentlichen d'Annunzio und seinen Freunden wird auf die Rechnung schreiben müssen, vor allem aber wohl eine kurz nach der Neubildung erfolgte programmatische Erklärung Giolittis, die un¬ geheures Aussehen erregte und allgemein als Kandidatur für den Minister¬ präsidentenposten auf,.vfaftt wurde. Mit diesem Programm, das neben großen Kapitalsteuern für eine Art Neutralisierung Dalmatiens eintritt, würde Giolittl heute eine Mehrheit im Parlament zusammenbringen können, größer als sie Ritte je gehabt hat. Da die Sozialisten keine große Neigung verspüren, jetzt schon zur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/332>, abgerufen am 16.06.2024.