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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Di" polnische Nationalitätenfrage

Die Polen haben also in keinem Kreise die Mehrheit, trotzdem werden
sie ihnen von anderen Staaten kaum streitig gemacht werden, da sich die Minder¬
heit aus Weißrussen, Litauern und Juden zusammensetzt und kein Volksstamm
die absolute Mehrheit besitzt. Dagegen würden sie im Kreise von Grodno, wo
von 243 700 Einwohnern 38 261 oder 13,7 v. H. Polen sind, auf den entschiedenen
Widerstand der Litauer stoßen, die auf diese Stadt auf keinen Fall verzichten
wollen. Ebenso steht es im Gouvernement Wilna, wo von 2 Millionen Ein¬
wohnern zwar 500 000 Polen sind, auf das der litauische Staat jedoch auf
keinen Fall verzichten kann, ohne sich selbst aufzugeben. Auch weiter östlich
finden sich noch Polen, so im Gouvernement Mohilew an 60 000 und im
Gouvernement Witesbk über 150 000, jedoch ist der Prozentsatz so gering (2,7
und 8,6 v. H.), daß ernsthafte Ansprüche auf diese Gebiete kaum in Frage
kommen können.

Dagegen wird Polen solche voraussichtlich an seiner Südostgrenze er¬
heben und gegenüber der ohnmächtigen Ukraine wohl auch z. T. durchdrücken
können. Es handelt sich hier zunächst um Wolhynien, das bei etwa 4 Millionen
Einwohnern an 400 000 Polen zählt, weiter vielleicht noch um Podolien, wo
von 3,8 Millionen Einwohnern noch etwa 330 000 polnisch sein sollen. Weiter
östlich werden die Wünsche der Polen kaum gehen können. Das Gouvernement
Kiew zählt zwar über 140 000 Polen, doch macht dies nur 3 v. H. der Be¬
völkerung aus.

Fügen wir diese Zahlen den oben festgestellten Ergebnissen hinzu, so ergibt
sich in Prozenten:

Umfang Einwohner Polen Deutsche Juden Ukrainer Tschechen Litauer Polen
Kongr.-Pol., u. Russen
Gat., Dtsch.-24.-15,621.92,63.60,365,03
Polen
mit Teschen24,415,842.-2,63,60,10,364,92
mit Bialystok,
Bielsk, Sokolsk25,--16,062,-2,73.70.10,564.24
mit Wolhynien29,-17,-2-2,97,20,10,558,62
mit Grodno
(Kreis)29,2517-2-2,97,20,10,658,12
mit Gouv.Grodno30,517,12,-3,17.30,11,456,07
mit Podolien34,317,42,-3,210,70,11,450,73
mit Oberschles.36,118,62,63.210,70,11.451,52

Jeder Schritt weiter nach Osten muß die noch vorhandene polnische
Mehrheit unfehlbar in eine Minderheit verwandeln. Auch im national günstigsten
Falle wird der polnische Staat nicht '/g Polen unter seiner Bevölkerung zählen.
Nimmt man an, daß er etwa außer aus Kongreßpolen, Galizien und Deutsch¬
polen aus Teschen, Bialystok, Bielsk und Sololsr und Teilen von Wolhynien
bestehen wird, so wird die polnische Bevölkerung nur rund 60 v. H. ausmachen
und einer fremdsprachigen Minderheit von 40 v.- H. gegenüberstehen. Je
stärker der polnische Staat entsprechend dem Wunsche polnischer und franzö-


Di« polnische Nationalitätenfrage

Die Polen haben also in keinem Kreise die Mehrheit, trotzdem werden
sie ihnen von anderen Staaten kaum streitig gemacht werden, da sich die Minder¬
heit aus Weißrussen, Litauern und Juden zusammensetzt und kein Volksstamm
die absolute Mehrheit besitzt. Dagegen würden sie im Kreise von Grodno, wo
von 243 700 Einwohnern 38 261 oder 13,7 v. H. Polen sind, auf den entschiedenen
Widerstand der Litauer stoßen, die auf diese Stadt auf keinen Fall verzichten
wollen. Ebenso steht es im Gouvernement Wilna, wo von 2 Millionen Ein¬
wohnern zwar 500 000 Polen sind, auf das der litauische Staat jedoch auf
keinen Fall verzichten kann, ohne sich selbst aufzugeben. Auch weiter östlich
finden sich noch Polen, so im Gouvernement Mohilew an 60 000 und im
Gouvernement Witesbk über 150 000, jedoch ist der Prozentsatz so gering (2,7
und 8,6 v. H.), daß ernsthafte Ansprüche auf diese Gebiete kaum in Frage
kommen können.

Dagegen wird Polen solche voraussichtlich an seiner Südostgrenze er¬
heben und gegenüber der ohnmächtigen Ukraine wohl auch z. T. durchdrücken
können. Es handelt sich hier zunächst um Wolhynien, das bei etwa 4 Millionen
Einwohnern an 400 000 Polen zählt, weiter vielleicht noch um Podolien, wo
von 3,8 Millionen Einwohnern noch etwa 330 000 polnisch sein sollen. Weiter
östlich werden die Wünsche der Polen kaum gehen können. Das Gouvernement
Kiew zählt zwar über 140 000 Polen, doch macht dies nur 3 v. H. der Be¬
völkerung aus.

Fügen wir diese Zahlen den oben festgestellten Ergebnissen hinzu, so ergibt
sich in Prozenten:

Umfang Einwohner Polen Deutsche Juden Ukrainer Tschechen Litauer Polen
Kongr.-Pol., u. Russen
Gat., Dtsch.-24.-15,621.92,63.60,365,03
Polen
mit Teschen24,415,842.-2,63,60,10,364,92
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mit Gouv.Grodno30,517,12,-3,17.30,11,456,07
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mit Oberschles.36,118,62,63.210,70,11.451,52

Jeder Schritt weiter nach Osten muß die noch vorhandene polnische
Mehrheit unfehlbar in eine Minderheit verwandeln. Auch im national günstigsten
Falle wird der polnische Staat nicht '/g Polen unter seiner Bevölkerung zählen.
Nimmt man an, daß er etwa außer aus Kongreßpolen, Galizien und Deutsch¬
polen aus Teschen, Bialystok, Bielsk und Sololsr und Teilen von Wolhynien
bestehen wird, so wird die polnische Bevölkerung nur rund 60 v. H. ausmachen
und einer fremdsprachigen Minderheit von 40 v.- H. gegenüberstehen. Je
stärker der polnische Staat entsprechend dem Wunsche polnischer und franzö-


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[0183] Di« polnische Nationalitätenfrage Die Polen haben also in keinem Kreise die Mehrheit, trotzdem werden sie ihnen von anderen Staaten kaum streitig gemacht werden, da sich die Minder¬ heit aus Weißrussen, Litauern und Juden zusammensetzt und kein Volksstamm die absolute Mehrheit besitzt. Dagegen würden sie im Kreise von Grodno, wo von 243 700 Einwohnern 38 261 oder 13,7 v. H. Polen sind, auf den entschiedenen Widerstand der Litauer stoßen, die auf diese Stadt auf keinen Fall verzichten wollen. Ebenso steht es im Gouvernement Wilna, wo von 2 Millionen Ein¬ wohnern zwar 500 000 Polen sind, auf das der litauische Staat jedoch auf keinen Fall verzichten kann, ohne sich selbst aufzugeben. Auch weiter östlich finden sich noch Polen, so im Gouvernement Mohilew an 60 000 und im Gouvernement Witesbk über 150 000, jedoch ist der Prozentsatz so gering (2,7 und 8,6 v. H.), daß ernsthafte Ansprüche auf diese Gebiete kaum in Frage kommen können. Dagegen wird Polen solche voraussichtlich an seiner Südostgrenze er¬ heben und gegenüber der ohnmächtigen Ukraine wohl auch z. T. durchdrücken können. Es handelt sich hier zunächst um Wolhynien, das bei etwa 4 Millionen Einwohnern an 400 000 Polen zählt, weiter vielleicht noch um Podolien, wo von 3,8 Millionen Einwohnern noch etwa 330 000 polnisch sein sollen. Weiter östlich werden die Wünsche der Polen kaum gehen können. Das Gouvernement Kiew zählt zwar über 140 000 Polen, doch macht dies nur 3 v. H. der Be¬ völkerung aus. Fügen wir diese Zahlen den oben festgestellten Ergebnissen hinzu, so ergibt sich in Prozenten: Umfang Einwohner Polen Deutsche Juden Ukrainer Tschechen Litauer Polen Kongr.-Pol., u. Russen Gat., Dtsch.-24.-15,621.92,63.60,365,03 Polen mit Teschen24,415,842.-2,63,60,10,364,92 mit Bialystok, Bielsk, Sokolsk25,—16,062,-2,73.70.10,564.24 mit Wolhynien29,-17,-2-2,97,20,10,558,62 mit Grodno (Kreis)29,2517-2-2,97,20,10,658,12 mit Gouv.Grodno30,517,12,-3,17.30,11,456,07 mit Podolien34,317,42,-3,210,70,11,450,73 mit Oberschles.36,118,62,63.210,70,11.451,52 Jeder Schritt weiter nach Osten muß die noch vorhandene polnische Mehrheit unfehlbar in eine Minderheit verwandeln. Auch im national günstigsten Falle wird der polnische Staat nicht '/g Polen unter seiner Bevölkerung zählen. Nimmt man an, daß er etwa außer aus Kongreßpolen, Galizien und Deutsch¬ polen aus Teschen, Bialystok, Bielsk und Sololsr und Teilen von Wolhynien bestehen wird, so wird die polnische Bevölkerung nur rund 60 v. H. ausmachen und einer fremdsprachigen Minderheit von 40 v.- H. gegenüberstehen. Je stärker der polnische Staat entsprechend dem Wunsche polnischer und franzö-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/183>, abgerufen am 18.05.2024.