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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Briefe aus Sowjetrußland Juni ?Y2N

und verschollenen Deutschen zu geben. Die deutsche Regierung zusammen
mit dem Noten 5treuZ hat es endlich zu Vereinbarungen mit der
Sowjetregierung gebracht, daß die noch in Rußland befindlichen Kriegs¬
gefangenen heimbefördert werden, und es gehen jetzt auch regelmäßig wöchent¬
lich ab Moskau zwei Transporte mit fast ausschließlich aus Sibirien kommenden
Kriegsgefangenen. Die Transporte werden über Narwa geleitet und gehen von
dort zu Schiff nach Swinemünde. Die Lage der sibirischen Gefangenen war vor
allen Dingen nach der Auflösung der Koltschak-Armee eine sehr traurige, denn die
Lnger wurden von den BolsclMisten aufgelöst und die Gefangenen ihrem eigenen
Schicksal überlassen. Die Sehnsucht nach der Heimat machte viele der deutscheu
Soldaten zu Abenteurern. Sie zogen mit Kartenlegen und Clownkunststücken von
Dorf zu Dorf, bis sie nach monatelangen Wanderungen nach Moskau und Petersburg
kamen. Viele gingen unterwegs zugrunde oder blieben krank irgendwo liegen, und
nur wenigen gelang es, ihr Ziel zu erreichen. Die Verpflegung der Kriegsgefangenen
in Moskau in den deutschen Heimen ist verhältnismäßig gut. Auch sorgt die Ne¬
gierung jetzt dafür, daß man zirka 50 Waggons Liebesgaben und Medikamente nach
Rußland expediert. Die Wertsachen der Deutschen, welche vor Ausbruch der
Revolution in den deutschen Konsulaten in Moskau und Petersburg deponiert
wurden, sind sämtlich von der Sowjetrcgierung beschlagnahmt und konfisziert. So¬
weit ich ermitteln konnte, ist in Moskau von all diesen Sachen nur etwas Tafelsilber
nachgeblieben, während man in Petersburg den Arbeiter- und Soldatenrat aus dem
Hause Jussupoff auswies und sämtliche dort lagernden Sachen wegnahm,.

Ein Umsturz in Rußland ist gewiß nur eine Frage der Zeit, doch ist das Volk
heute außerordentlich apathisch und abgespannt, während die Sowjetregierung desto
kräftiger und wachsamer ist. So hat man z. B., um einer unverhofften Überraschung
vorzubeugen, in Moskau die besten Arbeiter des Telephonamtes längst erschossen,
traut aber auch den heutigen Angestellten nicht und hat ganz Moskau mit einem
neuen, .sehr dichten Netz von Extra-Telephonverbindungen durchwebt, welches un¬
abhängig von der Telephonstation nur von Kommunisten bedient wird. Aber selbst
damit noch nicht zufrieden, hat man kleine Radiostationen an allen Ecken Moskaus
und im Kreml aufgestellt.




Briefe aus Sowjetrußland Juni ?Y2N

und verschollenen Deutschen zu geben. Die deutsche Regierung zusammen
mit dem Noten 5treuZ hat es endlich zu Vereinbarungen mit der
Sowjetregierung gebracht, daß die noch in Rußland befindlichen Kriegs¬
gefangenen heimbefördert werden, und es gehen jetzt auch regelmäßig wöchent¬
lich ab Moskau zwei Transporte mit fast ausschließlich aus Sibirien kommenden
Kriegsgefangenen. Die Transporte werden über Narwa geleitet und gehen von
dort zu Schiff nach Swinemünde. Die Lage der sibirischen Gefangenen war vor
allen Dingen nach der Auflösung der Koltschak-Armee eine sehr traurige, denn die
Lnger wurden von den BolsclMisten aufgelöst und die Gefangenen ihrem eigenen
Schicksal überlassen. Die Sehnsucht nach der Heimat machte viele der deutscheu
Soldaten zu Abenteurern. Sie zogen mit Kartenlegen und Clownkunststücken von
Dorf zu Dorf, bis sie nach monatelangen Wanderungen nach Moskau und Petersburg
kamen. Viele gingen unterwegs zugrunde oder blieben krank irgendwo liegen, und
nur wenigen gelang es, ihr Ziel zu erreichen. Die Verpflegung der Kriegsgefangenen
in Moskau in den deutschen Heimen ist verhältnismäßig gut. Auch sorgt die Ne¬
gierung jetzt dafür, daß man zirka 50 Waggons Liebesgaben und Medikamente nach
Rußland expediert. Die Wertsachen der Deutschen, welche vor Ausbruch der
Revolution in den deutschen Konsulaten in Moskau und Petersburg deponiert
wurden, sind sämtlich von der Sowjetrcgierung beschlagnahmt und konfisziert. So¬
weit ich ermitteln konnte, ist in Moskau von all diesen Sachen nur etwas Tafelsilber
nachgeblieben, während man in Petersburg den Arbeiter- und Soldatenrat aus dem
Hause Jussupoff auswies und sämtliche dort lagernden Sachen wegnahm,.

Ein Umsturz in Rußland ist gewiß nur eine Frage der Zeit, doch ist das Volk
heute außerordentlich apathisch und abgespannt, während die Sowjetregierung desto
kräftiger und wachsamer ist. So hat man z. B., um einer unverhofften Überraschung
vorzubeugen, in Moskau die besten Arbeiter des Telephonamtes längst erschossen,
traut aber auch den heutigen Angestellten nicht und hat ganz Moskau mit einem
neuen, .sehr dichten Netz von Extra-Telephonverbindungen durchwebt, welches un¬
abhängig von der Telephonstation nur von Kommunisten bedient wird. Aber selbst
damit noch nicht zufrieden, hat man kleine Radiostationen an allen Ecken Moskaus
und im Kreml aufgestellt.




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[0031] Briefe aus Sowjetrußland Juni ?Y2N und verschollenen Deutschen zu geben. Die deutsche Regierung zusammen mit dem Noten 5treuZ hat es endlich zu Vereinbarungen mit der Sowjetregierung gebracht, daß die noch in Rußland befindlichen Kriegs¬ gefangenen heimbefördert werden, und es gehen jetzt auch regelmäßig wöchent¬ lich ab Moskau zwei Transporte mit fast ausschließlich aus Sibirien kommenden Kriegsgefangenen. Die Transporte werden über Narwa geleitet und gehen von dort zu Schiff nach Swinemünde. Die Lage der sibirischen Gefangenen war vor allen Dingen nach der Auflösung der Koltschak-Armee eine sehr traurige, denn die Lnger wurden von den BolsclMisten aufgelöst und die Gefangenen ihrem eigenen Schicksal überlassen. Die Sehnsucht nach der Heimat machte viele der deutscheu Soldaten zu Abenteurern. Sie zogen mit Kartenlegen und Clownkunststücken von Dorf zu Dorf, bis sie nach monatelangen Wanderungen nach Moskau und Petersburg kamen. Viele gingen unterwegs zugrunde oder blieben krank irgendwo liegen, und nur wenigen gelang es, ihr Ziel zu erreichen. Die Verpflegung der Kriegsgefangenen in Moskau in den deutschen Heimen ist verhältnismäßig gut. Auch sorgt die Ne¬ gierung jetzt dafür, daß man zirka 50 Waggons Liebesgaben und Medikamente nach Rußland expediert. Die Wertsachen der Deutschen, welche vor Ausbruch der Revolution in den deutschen Konsulaten in Moskau und Petersburg deponiert wurden, sind sämtlich von der Sowjetrcgierung beschlagnahmt und konfisziert. So¬ weit ich ermitteln konnte, ist in Moskau von all diesen Sachen nur etwas Tafelsilber nachgeblieben, während man in Petersburg den Arbeiter- und Soldatenrat aus dem Hause Jussupoff auswies und sämtliche dort lagernden Sachen wegnahm,. Ein Umsturz in Rußland ist gewiß nur eine Frage der Zeit, doch ist das Volk heute außerordentlich apathisch und abgespannt, während die Sowjetregierung desto kräftiger und wachsamer ist. So hat man z. B., um einer unverhofften Überraschung vorzubeugen, in Moskau die besten Arbeiter des Telephonamtes längst erschossen, traut aber auch den heutigen Angestellten nicht und hat ganz Moskau mit einem neuen, .sehr dichten Netz von Extra-Telephonverbindungen durchwebt, welches un¬ abhängig von der Telephonstation nur von Kommunisten bedient wird. Aber selbst damit noch nicht zufrieden, hat man kleine Radiostationen an allen Ecken Moskaus und im Kreml aufgestellt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/31>, abgerufen am 18.05.2024.