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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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tyrannisch harte Paragraphen gäbe, so würde ein vernünftiges Richterkollegium sie
doch nur in sehr seltenen Fällen anwenden. Längst teilt sich unser Volk in zwei
große Gruppen, Wie man früher wohl behauptete, daß hinter jedem Deutschen
ein Schutzmann stünde, so darf man jetzt ruhig sagen, daß jeder Deutsche von seinem
besonderen Schieber ausgesogen und, sofern er des Bestechens überhaupt wert ist,
von seinem besonderen Bestecher bestochen wird. Eine Gruppe betrügt, die andere
läßt sich betrügen; wenn es die Gunst der Verhältnisse einmal gestattet, nehmen
die Betrogenen zur Entschädigung Schmiergelder entgegen. Gegen diese rasch
beliebt gewordene Volkssitte vermag die Justiz nicht auszukommen; sie spielt deshalb,
schon um die Augenbinde der Themis praktisch ausnützen zu können, blinde Kuh.
Selbst ein Drakon hätte übrigens den Fluch der Lächerlichkeit gefürchtet und sich
in Zeitläuften wie den jetzigen hübsch bescheiden zu Hause gehalten. Der Kampf
gegen Jahrhundertgedanken ist stets Narretei gewesen, und eine neue Volks¬
sittlichkeit gibt sich, über altfränkische Biedermeierei zur Tagesordnung übergehend,
ihre neuen Gesetze.


Lrzbergers Wiederkehr

Beruhigend wirkt in weiten Kreisen, daß dank einer wahrhaft weisen Regierung
anfänglich aufgebauschte Lärmfälle, wie zum Beispiel der des Herrn Sklarz, immer
mehr in wohltuende Vergessenheit geraten und daß von den so eifrigen Gesetzmachern,
die Tag für Tag im Halbschlafe mindestens ihre zwei Dutzend Paragraphen er¬
zeugen, kein einziger daran denkt, eine Lex gegen Abgeordnete oder Minister zu
entwerfen, die, wie es in der rohen deutschen Sprache heißt, ihre Vertrauens¬
stellung zu persönlicher Bereicherung gebrauchen. Erzberger wird nach aus¬
gehenden Halsleiden wieder alle Welt zu überreden wissen, wird wieder der Viel-
nmworbene und Einflußreiche von früher fein und uns rasch die letzten Segnungen
des westlichen Parlamentarismus erschließen.

Aus Schieberei und Bestechlichkeit, die man nicht russisch nennen darf, weil das
eine grobe Verkennung russischer Kindlichkeit wäre, hätten uns vor einem Jahrfünft
vielleicht Hindenburg oder Groener retten können, als sie auf dem Potsdamer Platz
Galgen errichten wollten. Obgleich die Leute recht haben, die es grundsätzlich
verpönen, wenn gegen Geist und neue Ideen rohe Gewalt angewandt wird. Heute
würde man übrigens auch mit Galgen und Rad der großen fortschrittlichen Be¬
wegung, die alle Klassen fortreißt, nicht mehr Herr werden. Das ehedem in heftigen
Versammlungserörterungen so beliebt gewesene Wort vom großen Volksbetrug
hat jetzt endlich die richtige Bedeutung gewonnen und ist aus einem Passionen ein
Aktivum geworden.


Die Auswirkungen

In Genz ist die Zensur wieder eingeführt und die Preßfreiheit aufgehoben
worden. Nicht infolge eines Rechtsputschcs oder durch sonst einen reaktionären
Staatsstreich. "Die Zeitungssetzcr in Graz haben beschlossen, keine ungarnfreundlichen
Meldungen zu setzen." Sie wollen damit auf ihre besondere Art den von Amster¬
dam her verkündeten Weltverruf Ungarns unterstützen. Haben sie Erfolg, so
hindert sie nichts, den siegreich beschrittenen Weg zu Ende zu gehen. Kein klassen¬
bewußter Setzer setzt mehr, kein Buchdrucker duldet mehr in der Maschine, was
seiner politischen Auffassung widerstreitet. Die antisozialistische Presse und Literatur
verschwindet; widerstandslos nimmt, wer überhaupt noch Zeitung lesen will, den
marxistischen Glauben an. Auf diesen fortschrittlichen und freiheitlichen Einfall
sind nicht einmal die bestellten Gazettengenien des mehr oder weniger aufgeklarten
Absolutismus gekommen. Vielleicht, weil sie machtloser als ihre proletarischen
Übertrumpfer von heute, vielleicht, weil sie schamhafter und sich ihrer Verantwortung
bewußter waren. Ein kluger Kapp der Zukunft hat es jetzt nicht mehr schwer. Er
braucht sich nur auf das Beispiel der Grazer Zeitungssetzer zu berufen, auf den
ihm freundlichst gelieferten, von jeher so beliebt gewesenen Präzedenzfall. Alle
Blätter im Lande werden von weißterroristischen Setzern gesetzt. Familienväter, die
sie nicht abonnieren wollen, dürfen ihre Kinder nicht zur Schule schicken, so daß


tyrannisch harte Paragraphen gäbe, so würde ein vernünftiges Richterkollegium sie
doch nur in sehr seltenen Fällen anwenden. Längst teilt sich unser Volk in zwei
große Gruppen, Wie man früher wohl behauptete, daß hinter jedem Deutschen
ein Schutzmann stünde, so darf man jetzt ruhig sagen, daß jeder Deutsche von seinem
besonderen Schieber ausgesogen und, sofern er des Bestechens überhaupt wert ist,
von seinem besonderen Bestecher bestochen wird. Eine Gruppe betrügt, die andere
läßt sich betrügen; wenn es die Gunst der Verhältnisse einmal gestattet, nehmen
die Betrogenen zur Entschädigung Schmiergelder entgegen. Gegen diese rasch
beliebt gewordene Volkssitte vermag die Justiz nicht auszukommen; sie spielt deshalb,
schon um die Augenbinde der Themis praktisch ausnützen zu können, blinde Kuh.
Selbst ein Drakon hätte übrigens den Fluch der Lächerlichkeit gefürchtet und sich
in Zeitläuften wie den jetzigen hübsch bescheiden zu Hause gehalten. Der Kampf
gegen Jahrhundertgedanken ist stets Narretei gewesen, und eine neue Volks¬
sittlichkeit gibt sich, über altfränkische Biedermeierei zur Tagesordnung übergehend,
ihre neuen Gesetze.


Lrzbergers Wiederkehr

Beruhigend wirkt in weiten Kreisen, daß dank einer wahrhaft weisen Regierung
anfänglich aufgebauschte Lärmfälle, wie zum Beispiel der des Herrn Sklarz, immer
mehr in wohltuende Vergessenheit geraten und daß von den so eifrigen Gesetzmachern,
die Tag für Tag im Halbschlafe mindestens ihre zwei Dutzend Paragraphen er¬
zeugen, kein einziger daran denkt, eine Lex gegen Abgeordnete oder Minister zu
entwerfen, die, wie es in der rohen deutschen Sprache heißt, ihre Vertrauens¬
stellung zu persönlicher Bereicherung gebrauchen. Erzberger wird nach aus¬
gehenden Halsleiden wieder alle Welt zu überreden wissen, wird wieder der Viel-
nmworbene und Einflußreiche von früher fein und uns rasch die letzten Segnungen
des westlichen Parlamentarismus erschließen.

Aus Schieberei und Bestechlichkeit, die man nicht russisch nennen darf, weil das
eine grobe Verkennung russischer Kindlichkeit wäre, hätten uns vor einem Jahrfünft
vielleicht Hindenburg oder Groener retten können, als sie auf dem Potsdamer Platz
Galgen errichten wollten. Obgleich die Leute recht haben, die es grundsätzlich
verpönen, wenn gegen Geist und neue Ideen rohe Gewalt angewandt wird. Heute
würde man übrigens auch mit Galgen und Rad der großen fortschrittlichen Be¬
wegung, die alle Klassen fortreißt, nicht mehr Herr werden. Das ehedem in heftigen
Versammlungserörterungen so beliebt gewesene Wort vom großen Volksbetrug
hat jetzt endlich die richtige Bedeutung gewonnen und ist aus einem Passionen ein
Aktivum geworden.


Die Auswirkungen

In Genz ist die Zensur wieder eingeführt und die Preßfreiheit aufgehoben
worden. Nicht infolge eines Rechtsputschcs oder durch sonst einen reaktionären
Staatsstreich. „Die Zeitungssetzcr in Graz haben beschlossen, keine ungarnfreundlichen
Meldungen zu setzen." Sie wollen damit auf ihre besondere Art den von Amster¬
dam her verkündeten Weltverruf Ungarns unterstützen. Haben sie Erfolg, so
hindert sie nichts, den siegreich beschrittenen Weg zu Ende zu gehen. Kein klassen¬
bewußter Setzer setzt mehr, kein Buchdrucker duldet mehr in der Maschine, was
seiner politischen Auffassung widerstreitet. Die antisozialistische Presse und Literatur
verschwindet; widerstandslos nimmt, wer überhaupt noch Zeitung lesen will, den
marxistischen Glauben an. Auf diesen fortschrittlichen und freiheitlichen Einfall
sind nicht einmal die bestellten Gazettengenien des mehr oder weniger aufgeklarten
Absolutismus gekommen. Vielleicht, weil sie machtloser als ihre proletarischen
Übertrumpfer von heute, vielleicht, weil sie schamhafter und sich ihrer Verantwortung
bewußter waren. Ein kluger Kapp der Zukunft hat es jetzt nicht mehr schwer. Er
braucht sich nur auf das Beispiel der Grazer Zeitungssetzer zu berufen, auf den
ihm freundlichst gelieferten, von jeher so beliebt gewesenen Präzedenzfall. Alle
Blätter im Lande werden von weißterroristischen Setzern gesetzt. Familienväter, die
sie nicht abonnieren wollen, dürfen ihre Kinder nicht zur Schule schicken, so daß


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[0037] tyrannisch harte Paragraphen gäbe, so würde ein vernünftiges Richterkollegium sie doch nur in sehr seltenen Fällen anwenden. Längst teilt sich unser Volk in zwei große Gruppen, Wie man früher wohl behauptete, daß hinter jedem Deutschen ein Schutzmann stünde, so darf man jetzt ruhig sagen, daß jeder Deutsche von seinem besonderen Schieber ausgesogen und, sofern er des Bestechens überhaupt wert ist, von seinem besonderen Bestecher bestochen wird. Eine Gruppe betrügt, die andere läßt sich betrügen; wenn es die Gunst der Verhältnisse einmal gestattet, nehmen die Betrogenen zur Entschädigung Schmiergelder entgegen. Gegen diese rasch beliebt gewordene Volkssitte vermag die Justiz nicht auszukommen; sie spielt deshalb, schon um die Augenbinde der Themis praktisch ausnützen zu können, blinde Kuh. Selbst ein Drakon hätte übrigens den Fluch der Lächerlichkeit gefürchtet und sich in Zeitläuften wie den jetzigen hübsch bescheiden zu Hause gehalten. Der Kampf gegen Jahrhundertgedanken ist stets Narretei gewesen, und eine neue Volks¬ sittlichkeit gibt sich, über altfränkische Biedermeierei zur Tagesordnung übergehend, ihre neuen Gesetze. Lrzbergers Wiederkehr Beruhigend wirkt in weiten Kreisen, daß dank einer wahrhaft weisen Regierung anfänglich aufgebauschte Lärmfälle, wie zum Beispiel der des Herrn Sklarz, immer mehr in wohltuende Vergessenheit geraten und daß von den so eifrigen Gesetzmachern, die Tag für Tag im Halbschlafe mindestens ihre zwei Dutzend Paragraphen er¬ zeugen, kein einziger daran denkt, eine Lex gegen Abgeordnete oder Minister zu entwerfen, die, wie es in der rohen deutschen Sprache heißt, ihre Vertrauens¬ stellung zu persönlicher Bereicherung gebrauchen. Erzberger wird nach aus¬ gehenden Halsleiden wieder alle Welt zu überreden wissen, wird wieder der Viel- nmworbene und Einflußreiche von früher fein und uns rasch die letzten Segnungen des westlichen Parlamentarismus erschließen. Aus Schieberei und Bestechlichkeit, die man nicht russisch nennen darf, weil das eine grobe Verkennung russischer Kindlichkeit wäre, hätten uns vor einem Jahrfünft vielleicht Hindenburg oder Groener retten können, als sie auf dem Potsdamer Platz Galgen errichten wollten. Obgleich die Leute recht haben, die es grundsätzlich verpönen, wenn gegen Geist und neue Ideen rohe Gewalt angewandt wird. Heute würde man übrigens auch mit Galgen und Rad der großen fortschrittlichen Be¬ wegung, die alle Klassen fortreißt, nicht mehr Herr werden. Das ehedem in heftigen Versammlungserörterungen so beliebt gewesene Wort vom großen Volksbetrug hat jetzt endlich die richtige Bedeutung gewonnen und ist aus einem Passionen ein Aktivum geworden. Die Auswirkungen In Genz ist die Zensur wieder eingeführt und die Preßfreiheit aufgehoben worden. Nicht infolge eines Rechtsputschcs oder durch sonst einen reaktionären Staatsstreich. „Die Zeitungssetzcr in Graz haben beschlossen, keine ungarnfreundlichen Meldungen zu setzen." Sie wollen damit auf ihre besondere Art den von Amster¬ dam her verkündeten Weltverruf Ungarns unterstützen. Haben sie Erfolg, so hindert sie nichts, den siegreich beschrittenen Weg zu Ende zu gehen. Kein klassen¬ bewußter Setzer setzt mehr, kein Buchdrucker duldet mehr in der Maschine, was seiner politischen Auffassung widerstreitet. Die antisozialistische Presse und Literatur verschwindet; widerstandslos nimmt, wer überhaupt noch Zeitung lesen will, den marxistischen Glauben an. Auf diesen fortschrittlichen und freiheitlichen Einfall sind nicht einmal die bestellten Gazettengenien des mehr oder weniger aufgeklarten Absolutismus gekommen. Vielleicht, weil sie machtloser als ihre proletarischen Übertrumpfer von heute, vielleicht, weil sie schamhafter und sich ihrer Verantwortung bewußter waren. Ein kluger Kapp der Zukunft hat es jetzt nicht mehr schwer. Er braucht sich nur auf das Beispiel der Grazer Zeitungssetzer zu berufen, auf den ihm freundlichst gelieferten, von jeher so beliebt gewesenen Präzedenzfall. Alle Blätter im Lande werden von weißterroristischen Setzern gesetzt. Familienväter, die sie nicht abonnieren wollen, dürfen ihre Kinder nicht zur Schule schicken, so daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/37>, abgerufen am 18.05.2024.