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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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schaftskraft zu decken, oder viel zu groß, als daß Deutschland sie jemals zahlen
könnte. Es gab in Frankreich einen Mann, der diese Entwicklung vorausgesehen
hat: Caillaux. Man hat ihn lahmgelegt. Mit dem Erfolg, daß es in Frank¬
reich heute keine Opposition gibt, die imstande wäre, die Regierung zu über¬
nehmen, falls sich mit unwiderleglicher Klarheit herausstellt, daß die Kriegs- und
Friedenspolitik der Negierung falsch war. Auf Gedeih und Verderb wird
alles, was heute in Frankreich regieren will, auf dem einmal eingefchlcigenen
Weg fortgetrieben. Verläßt man ihn, so ist ein Regieren in Frankreich über¬
haupt nicht mehr möglich, die Mehrheit des Parlaments, alle Politiker müßten
als kompromittiert abtreten, ohne daß Ersatz geschaffen werden könnte. Eine
Änderung des Kurses wäre nur durch eine gewaltsame Revolution möglich. Aber
die revolutionären Kräfte sind ohnmächtig und zersplittert. Die Ziffer nennen,
bedeutet den Zusammenbruch. Die Annexion des Ruhrgebiets aber schafft einen
Aufschub und Gelegenheit, die Entschädigungszisfern neu zu arrangieren. Der
wirtschaftliche Wert der Ruhrkohle, der Ruhrindustrie schafft, sobald Frankreich
unbehindert über sie gebieten kann, ein Aktivum, dessen Veranschlagung die Mög¬
lichkeit bietet, die Wiedergutmachungsrechnung zu balancieren. Auf die Nuhr-
kohle gestützt, wird Frankreich politischer Diktator in Deuschland, es wird die
deutsche Einheit zerschlagen und diese Maßregel dadurch populär machen, daß es,
nun keinem übermächtigen Gegner mehr gegenüber, seine Wehrmacht verringern
kann. Mit der Loslösung des Ruhrgebiets) mit der mit polnischer Hilfe bewirkten
Ablösung von Oberschlesien ist der deutschen Volksmacht, deren Kriegsgeübtheit
ja nicht aus der Welt zu schaffen ist, die Möglichkeit neuer Rüstung endgültig
genommen. Das ist Frankreichs Gedanke.

Es gibt Optimisten, die behaupten, die gewaltsame Besetzung der Ruhr
würde Frankreich selbst zum Schaden gereichen. England werde sich widersetzen,
die Ruhrarbeiter würden streiken, die Gewerkschaften aller Länder würden sich
empören, Norddeutschland würde sich bolschewisieren und Frankreich anstecken.
Möglich, daß all das eintrifft, aber es ist schwer abzusehen, wie, auf welche Weise.
Von Frankreichs augenblicklichen Machthabern wird kaum jemand diese bloßen
Möglichkeiten als ausschlaggebend anzusehen geneigt sein. Gewiß würde England
das Ruhrgebiet nicht gern in Frankreichs Händen sehen, die wirtschaftliche Ver¬
einigung , von deutscher Kohle und französischem Erz wäre eine furchtbare Be¬
drohung für Englands Industrie (weshalb auch gerade England die französisch¬
deutschen Wirtschaftsverhandlungen mit aller Macht zu stören sucht), aber wie
stellt man sich ein aktives Eingreifen Englands vor? Es kann die Kohlen-
Ueferungen nach Frankreich einstellen, aber Frankreich braucht sie nicht mehr. Es
kann Frankreich im Orient schädigen, aber es ist nicht das erstemal, daß Frank¬
reich im Orient Raum gibt, um 'Vorb ne am Rhein zu gewinnen. Und offenen
Arieg kann England heute nicht mehr führen. Und Amerika? . Amerika ist weit.
Der Streik der Nuhrarbeiter? Ich bin überzeugt, daß sie nicht streiken werden.
Hunger ist heute mächtiger als Nationalgefühl und antimilitaristische Grundsätze.
Und vierzehn Tage, drei Wochen kann Frankreich, gestützt auf seine Borräte, auch
°hre Kohlenlieferungen aushalten. Bis dahin bricht jeder Streik zusammen. Die
Industrie? Die Industrie wird arbeiten, wo ihr Ärbeitsmöglichkeit winkt. Die
Gewerkschaftointernationale? Die handelt langsam und -- der Boykott gegen
Ungarn hat es bewiesen -- nicht immer wirksam. Und gerade die französischen
Gewerkschaften haben seit dem verunglückten Maistreik an Anhängern sehr ver¬
loren. Sie haben es bis jetzt nicht einmal' fertig gebracht, daß die Munitions-
^eferung an Wrangel in nennenswertem Maße eingeschränkt wurde. Bolschewi-
Nertes 'Norddeutschland? Die französische Regierung hält eine Ansteckung für
Unmöglich und hat alle Ursache dazu. Was also soll Frankreich hindern?

. Möglich, daß das jetzt erfolgte formale Einlenken Englands in der Frage
^r Genfer bzw. Brüsseler Konferenz noch einmal Aufschub schafft, aber dann
?Mu es sich immer wieder nur um Aufschub handeln. Man darf vor allem nicht
"versehen, daß die Besetzung des Ruhrgebiets sich der gesamten übrigen Welt-


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schaftskraft zu decken, oder viel zu groß, als daß Deutschland sie jemals zahlen
könnte. Es gab in Frankreich einen Mann, der diese Entwicklung vorausgesehen
hat: Caillaux. Man hat ihn lahmgelegt. Mit dem Erfolg, daß es in Frank¬
reich heute keine Opposition gibt, die imstande wäre, die Regierung zu über¬
nehmen, falls sich mit unwiderleglicher Klarheit herausstellt, daß die Kriegs- und
Friedenspolitik der Negierung falsch war. Auf Gedeih und Verderb wird
alles, was heute in Frankreich regieren will, auf dem einmal eingefchlcigenen
Weg fortgetrieben. Verläßt man ihn, so ist ein Regieren in Frankreich über¬
haupt nicht mehr möglich, die Mehrheit des Parlaments, alle Politiker müßten
als kompromittiert abtreten, ohne daß Ersatz geschaffen werden könnte. Eine
Änderung des Kurses wäre nur durch eine gewaltsame Revolution möglich. Aber
die revolutionären Kräfte sind ohnmächtig und zersplittert. Die Ziffer nennen,
bedeutet den Zusammenbruch. Die Annexion des Ruhrgebiets aber schafft einen
Aufschub und Gelegenheit, die Entschädigungszisfern neu zu arrangieren. Der
wirtschaftliche Wert der Ruhrkohle, der Ruhrindustrie schafft, sobald Frankreich
unbehindert über sie gebieten kann, ein Aktivum, dessen Veranschlagung die Mög¬
lichkeit bietet, die Wiedergutmachungsrechnung zu balancieren. Auf die Nuhr-
kohle gestützt, wird Frankreich politischer Diktator in Deuschland, es wird die
deutsche Einheit zerschlagen und diese Maßregel dadurch populär machen, daß es,
nun keinem übermächtigen Gegner mehr gegenüber, seine Wehrmacht verringern
kann. Mit der Loslösung des Ruhrgebiets) mit der mit polnischer Hilfe bewirkten
Ablösung von Oberschlesien ist der deutschen Volksmacht, deren Kriegsgeübtheit
ja nicht aus der Welt zu schaffen ist, die Möglichkeit neuer Rüstung endgültig
genommen. Das ist Frankreichs Gedanke.

Es gibt Optimisten, die behaupten, die gewaltsame Besetzung der Ruhr
würde Frankreich selbst zum Schaden gereichen. England werde sich widersetzen,
die Ruhrarbeiter würden streiken, die Gewerkschaften aller Länder würden sich
empören, Norddeutschland würde sich bolschewisieren und Frankreich anstecken.
Möglich, daß all das eintrifft, aber es ist schwer abzusehen, wie, auf welche Weise.
Von Frankreichs augenblicklichen Machthabern wird kaum jemand diese bloßen
Möglichkeiten als ausschlaggebend anzusehen geneigt sein. Gewiß würde England
das Ruhrgebiet nicht gern in Frankreichs Händen sehen, die wirtschaftliche Ver¬
einigung , von deutscher Kohle und französischem Erz wäre eine furchtbare Be¬
drohung für Englands Industrie (weshalb auch gerade England die französisch¬
deutschen Wirtschaftsverhandlungen mit aller Macht zu stören sucht), aber wie
stellt man sich ein aktives Eingreifen Englands vor? Es kann die Kohlen-
Ueferungen nach Frankreich einstellen, aber Frankreich braucht sie nicht mehr. Es
kann Frankreich im Orient schädigen, aber es ist nicht das erstemal, daß Frank¬
reich im Orient Raum gibt, um 'Vorb ne am Rhein zu gewinnen. Und offenen
Arieg kann England heute nicht mehr führen. Und Amerika? . Amerika ist weit.
Der Streik der Nuhrarbeiter? Ich bin überzeugt, daß sie nicht streiken werden.
Hunger ist heute mächtiger als Nationalgefühl und antimilitaristische Grundsätze.
Und vierzehn Tage, drei Wochen kann Frankreich, gestützt auf seine Borräte, auch
°hre Kohlenlieferungen aushalten. Bis dahin bricht jeder Streik zusammen. Die
Industrie? Die Industrie wird arbeiten, wo ihr Ärbeitsmöglichkeit winkt. Die
Gewerkschaftointernationale? Die handelt langsam und — der Boykott gegen
Ungarn hat es bewiesen — nicht immer wirksam. Und gerade die französischen
Gewerkschaften haben seit dem verunglückten Maistreik an Anhängern sehr ver¬
loren. Sie haben es bis jetzt nicht einmal' fertig gebracht, daß die Munitions-
^eferung an Wrangel in nennenswertem Maße eingeschränkt wurde. Bolschewi-
Nertes 'Norddeutschland? Die französische Regierung hält eine Ansteckung für
Unmöglich und hat alle Ursache dazu. Was also soll Frankreich hindern?

. Möglich, daß das jetzt erfolgte formale Einlenken Englands in der Frage
^r Genfer bzw. Brüsseler Konferenz noch einmal Aufschub schafft, aber dann
?Mu es sich immer wieder nur um Aufschub handeln. Man darf vor allem nicht
"versehen, daß die Besetzung des Ruhrgebiets sich der gesamten übrigen Welt-


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[0181] Weltspiegel schaftskraft zu decken, oder viel zu groß, als daß Deutschland sie jemals zahlen könnte. Es gab in Frankreich einen Mann, der diese Entwicklung vorausgesehen hat: Caillaux. Man hat ihn lahmgelegt. Mit dem Erfolg, daß es in Frank¬ reich heute keine Opposition gibt, die imstande wäre, die Regierung zu über¬ nehmen, falls sich mit unwiderleglicher Klarheit herausstellt, daß die Kriegs- und Friedenspolitik der Negierung falsch war. Auf Gedeih und Verderb wird alles, was heute in Frankreich regieren will, auf dem einmal eingefchlcigenen Weg fortgetrieben. Verläßt man ihn, so ist ein Regieren in Frankreich über¬ haupt nicht mehr möglich, die Mehrheit des Parlaments, alle Politiker müßten als kompromittiert abtreten, ohne daß Ersatz geschaffen werden könnte. Eine Änderung des Kurses wäre nur durch eine gewaltsame Revolution möglich. Aber die revolutionären Kräfte sind ohnmächtig und zersplittert. Die Ziffer nennen, bedeutet den Zusammenbruch. Die Annexion des Ruhrgebiets aber schafft einen Aufschub und Gelegenheit, die Entschädigungszisfern neu zu arrangieren. Der wirtschaftliche Wert der Ruhrkohle, der Ruhrindustrie schafft, sobald Frankreich unbehindert über sie gebieten kann, ein Aktivum, dessen Veranschlagung die Mög¬ lichkeit bietet, die Wiedergutmachungsrechnung zu balancieren. Auf die Nuhr- kohle gestützt, wird Frankreich politischer Diktator in Deuschland, es wird die deutsche Einheit zerschlagen und diese Maßregel dadurch populär machen, daß es, nun keinem übermächtigen Gegner mehr gegenüber, seine Wehrmacht verringern kann. Mit der Loslösung des Ruhrgebiets) mit der mit polnischer Hilfe bewirkten Ablösung von Oberschlesien ist der deutschen Volksmacht, deren Kriegsgeübtheit ja nicht aus der Welt zu schaffen ist, die Möglichkeit neuer Rüstung endgültig genommen. Das ist Frankreichs Gedanke. Es gibt Optimisten, die behaupten, die gewaltsame Besetzung der Ruhr würde Frankreich selbst zum Schaden gereichen. England werde sich widersetzen, die Ruhrarbeiter würden streiken, die Gewerkschaften aller Länder würden sich empören, Norddeutschland würde sich bolschewisieren und Frankreich anstecken. Möglich, daß all das eintrifft, aber es ist schwer abzusehen, wie, auf welche Weise. Von Frankreichs augenblicklichen Machthabern wird kaum jemand diese bloßen Möglichkeiten als ausschlaggebend anzusehen geneigt sein. Gewiß würde England das Ruhrgebiet nicht gern in Frankreichs Händen sehen, die wirtschaftliche Ver¬ einigung , von deutscher Kohle und französischem Erz wäre eine furchtbare Be¬ drohung für Englands Industrie (weshalb auch gerade England die französisch¬ deutschen Wirtschaftsverhandlungen mit aller Macht zu stören sucht), aber wie stellt man sich ein aktives Eingreifen Englands vor? Es kann die Kohlen- Ueferungen nach Frankreich einstellen, aber Frankreich braucht sie nicht mehr. Es kann Frankreich im Orient schädigen, aber es ist nicht das erstemal, daß Frank¬ reich im Orient Raum gibt, um 'Vorb ne am Rhein zu gewinnen. Und offenen Arieg kann England heute nicht mehr führen. Und Amerika? . Amerika ist weit. Der Streik der Nuhrarbeiter? Ich bin überzeugt, daß sie nicht streiken werden. Hunger ist heute mächtiger als Nationalgefühl und antimilitaristische Grundsätze. Und vierzehn Tage, drei Wochen kann Frankreich, gestützt auf seine Borräte, auch °hre Kohlenlieferungen aushalten. Bis dahin bricht jeder Streik zusammen. Die Industrie? Die Industrie wird arbeiten, wo ihr Ärbeitsmöglichkeit winkt. Die Gewerkschaftointernationale? Die handelt langsam und — der Boykott gegen Ungarn hat es bewiesen — nicht immer wirksam. Und gerade die französischen Gewerkschaften haben seit dem verunglückten Maistreik an Anhängern sehr ver¬ loren. Sie haben es bis jetzt nicht einmal' fertig gebracht, daß die Munitions- ^eferung an Wrangel in nennenswertem Maße eingeschränkt wurde. Bolschewi- Nertes 'Norddeutschland? Die französische Regierung hält eine Ansteckung für Unmöglich und hat alle Ursache dazu. Was also soll Frankreich hindern? . Möglich, daß das jetzt erfolgte formale Einlenken Englands in der Frage ^r Genfer bzw. Brüsseler Konferenz noch einmal Aufschub schafft, aber dann ?Mu es sich immer wieder nur um Aufschub handeln. Man darf vor allem nicht "versehen, daß die Besetzung des Ruhrgebiets sich der gesamten übrigen Welt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/181>, abgerufen am 15.05.2024.