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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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grenzung und Zuteilung der oberen Jordanzuflüsse, in dem England (wohl um für
die Zukunft die Gegensätze zwischen' Syrern und Palästinensern nicht zu groß
werden zu lassen) nachgab, einen anderen Erfolg mitbrachte, der gemäß seiner
eigenen kürzlich im Senatsausschuß vorgebrachten Äußerung, daß eine kräftige
Mittelmeerpolitik das Rückgrat von Frankreichs politischer Orientierung bilden
müsse, allerdings nur ein Nebenerfolg wäre: die Alliiertennote über die Minister¬
reden im Rheinland. Diese Reden haben besonders das Mißfallen Poincar6s er¬
regt, der sie in der "Revue des deux Mondes" als bedrohliche Symptome wachsender
deutscher Widersetzlichkeit auffaßte. Wenn der Reichskanzler, so führte er aus, heute,
nach den Kautskyschen Feststellungen, noch die monstreuse Behauptung wage, die
deutsche Regierung von 1914 und der Kaiser hätten, den Krieg nicht gewollt, so
erwecke das nicht nur Überraschung, sondern vor allem müsse man sich fragen, wie
die Alliierten, die in Versailles das feierliche schriftliche Eingeständnis der Deutschen
erhalten hätten, sich heute derartige unverschämte Unwahrheiten bieten lassen könnten.
Wenn Reichsminister Simons den Einwohnern Cölns ankündige, daß die Besetzung
ihre.. Stadt spätestens am 10. Januar 1925 abliefe, so stelle er sich damit in be¬
wußten Gegensatz zu Millerand, der wiederholt versichert habe, der Ausgangspunkt
der Okkupationssrist werde durch die Ausführung des Friedensvertrages bestimmt,
wenn er die Stärke der Besatzungstruppen als übertrieben groß hinstelle oder sich
über die Anlage von Flugplätzen beschwere, so mache er damit in Wirklichkeit den
Versuch, die Bewohner des linken Rheinufers gegen die Alliierten aufzuhetzen, wenn
er behaupte, daß die französische Industrie Kohlen sanftere und daß Deutschland
Frankreich keine Kohlen mehr zu liefern habe, so verdrehe er nicht nur Tatsachen,
sondern zerreiße den Friedensvertrag, der Ziffer,: festsetze, die bei weitem nicht
erreicht würden. Absichtlich lasse er unberücksichtigt, daß Deutschland aus dem
Spaa-Abkommen insofern Nutzen zöge, als es die von Frankreich für die Er¬
nährung der Ruhrbergarbeiter vorgeschossenen Beträge zu Manövern zur Herab-
drückung des Frankenkurses benutze. Wenn er schließlich erklärt, daß Deutschland
das Recht habe, bei Wiederholung eines Aktes wie der Besetzung von Frankfurt
diesen als feindselige Handlung zu betrachten, so erinnere das nicht nur an die
heftigsten Improvisationen Wilhelms II. und die Aussprüche vom trockenen Pulver,
sondern bilde wiederum eine Außerachtlassung des Friedensvertrages, der den
Alliierten in einwandfreier Weise das Recht gebe, die Durchführung der von Deutsch¬
land eingegangenen Verpflichtungen durch Sicherung von Territorialpfändern zu
erzwingen.

Aus solchen Gedankengängen heraus muß die Note, die an sich einen un¬
erhörten Eingriff in die Souveränitätsrechte des Reiches darstellt, verstanden werden.
Die Reden Simons' sind den Franzosen, wie fast jede Aktion des mit mißtrauischem
Respekt beobachteten deutschen Außenministers, sehr unangenehm gewesen, besonders
wegen der unleugbar großen und günstigen Wirkung, die sie im Rheinland getan
haben, und es war der französischen Presse nur ein ziemlich geringer Trost, mit Be¬
friedigung darauf hinweisen Zu können, daß die im Rheinland viel bemerkten und
unsagbar törichten Äußerungen Herrn von Falkenhayns (von der Reichsgetreide¬
stelle), der, wenn sie (in der Kölnischen Volkszeitung vom 9. November) wirklich
richtig wiedergegeben sind, sofort fliegen bzw. an eine Stelle versetzt werden müßte,
wo er weniger Unheil anrichten kann, den Effekt der Ministerreden abgeschwächt und
die Rheinländer aufs neue mit Mißtrauen gegen die Berliner Zentrale erfüllt hätten.
Jedenfalls beweisen aber die Äußerungen Poincarös, daß man in Frankreich un¬
entwegt an dem u. a. auch von Tardieu geteilten Standpunkt festhält, daß die Be¬
satzungsfristen noch nicht laufen, und wenn auch eine Klärung dieser Streitfrage
in der nächsten Zeit kaum zu erlangen sein wird (und wenn sie erfolgte, im Augen¬
blick sicher gegen uns ausfallen würde), so ist es doch gut, daß der Reichsminister
der deutschen Auffassung rechtzeitig und wieder einmal Ausdruck verliehen hat. Auf
keinen Fall kann natürlich davon die Rede fein, daß Reisen und Reden deutscher
Minister im besetzten Gebiet verboten werden, auch gegen die fortgesetzten Chikayen
der Presse sollte nachdrücklich Einspruch erhoben werden.


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grenzung und Zuteilung der oberen Jordanzuflüsse, in dem England (wohl um für
die Zukunft die Gegensätze zwischen' Syrern und Palästinensern nicht zu groß
werden zu lassen) nachgab, einen anderen Erfolg mitbrachte, der gemäß seiner
eigenen kürzlich im Senatsausschuß vorgebrachten Äußerung, daß eine kräftige
Mittelmeerpolitik das Rückgrat von Frankreichs politischer Orientierung bilden
müsse, allerdings nur ein Nebenerfolg wäre: die Alliiertennote über die Minister¬
reden im Rheinland. Diese Reden haben besonders das Mißfallen Poincar6s er¬
regt, der sie in der „Revue des deux Mondes" als bedrohliche Symptome wachsender
deutscher Widersetzlichkeit auffaßte. Wenn der Reichskanzler, so führte er aus, heute,
nach den Kautskyschen Feststellungen, noch die monstreuse Behauptung wage, die
deutsche Regierung von 1914 und der Kaiser hätten, den Krieg nicht gewollt, so
erwecke das nicht nur Überraschung, sondern vor allem müsse man sich fragen, wie
die Alliierten, die in Versailles das feierliche schriftliche Eingeständnis der Deutschen
erhalten hätten, sich heute derartige unverschämte Unwahrheiten bieten lassen könnten.
Wenn Reichsminister Simons den Einwohnern Cölns ankündige, daß die Besetzung
ihre.. Stadt spätestens am 10. Januar 1925 abliefe, so stelle er sich damit in be¬
wußten Gegensatz zu Millerand, der wiederholt versichert habe, der Ausgangspunkt
der Okkupationssrist werde durch die Ausführung des Friedensvertrages bestimmt,
wenn er die Stärke der Besatzungstruppen als übertrieben groß hinstelle oder sich
über die Anlage von Flugplätzen beschwere, so mache er damit in Wirklichkeit den
Versuch, die Bewohner des linken Rheinufers gegen die Alliierten aufzuhetzen, wenn
er behaupte, daß die französische Industrie Kohlen sanftere und daß Deutschland
Frankreich keine Kohlen mehr zu liefern habe, so verdrehe er nicht nur Tatsachen,
sondern zerreiße den Friedensvertrag, der Ziffer,: festsetze, die bei weitem nicht
erreicht würden. Absichtlich lasse er unberücksichtigt, daß Deutschland aus dem
Spaa-Abkommen insofern Nutzen zöge, als es die von Frankreich für die Er¬
nährung der Ruhrbergarbeiter vorgeschossenen Beträge zu Manövern zur Herab-
drückung des Frankenkurses benutze. Wenn er schließlich erklärt, daß Deutschland
das Recht habe, bei Wiederholung eines Aktes wie der Besetzung von Frankfurt
diesen als feindselige Handlung zu betrachten, so erinnere das nicht nur an die
heftigsten Improvisationen Wilhelms II. und die Aussprüche vom trockenen Pulver,
sondern bilde wiederum eine Außerachtlassung des Friedensvertrages, der den
Alliierten in einwandfreier Weise das Recht gebe, die Durchführung der von Deutsch¬
land eingegangenen Verpflichtungen durch Sicherung von Territorialpfändern zu
erzwingen.

Aus solchen Gedankengängen heraus muß die Note, die an sich einen un¬
erhörten Eingriff in die Souveränitätsrechte des Reiches darstellt, verstanden werden.
Die Reden Simons' sind den Franzosen, wie fast jede Aktion des mit mißtrauischem
Respekt beobachteten deutschen Außenministers, sehr unangenehm gewesen, besonders
wegen der unleugbar großen und günstigen Wirkung, die sie im Rheinland getan
haben, und es war der französischen Presse nur ein ziemlich geringer Trost, mit Be¬
friedigung darauf hinweisen Zu können, daß die im Rheinland viel bemerkten und
unsagbar törichten Äußerungen Herrn von Falkenhayns (von der Reichsgetreide¬
stelle), der, wenn sie (in der Kölnischen Volkszeitung vom 9. November) wirklich
richtig wiedergegeben sind, sofort fliegen bzw. an eine Stelle versetzt werden müßte,
wo er weniger Unheil anrichten kann, den Effekt der Ministerreden abgeschwächt und
die Rheinländer aufs neue mit Mißtrauen gegen die Berliner Zentrale erfüllt hätten.
Jedenfalls beweisen aber die Äußerungen Poincarös, daß man in Frankreich un¬
entwegt an dem u. a. auch von Tardieu geteilten Standpunkt festhält, daß die Be¬
satzungsfristen noch nicht laufen, und wenn auch eine Klärung dieser Streitfrage
in der nächsten Zeit kaum zu erlangen sein wird (und wenn sie erfolgte, im Augen¬
blick sicher gegen uns ausfallen würde), so ist es doch gut, daß der Reichsminister
der deutschen Auffassung rechtzeitig und wieder einmal Ausdruck verliehen hat. Auf
keinen Fall kann natürlich davon die Rede fein, daß Reisen und Reden deutscher
Minister im besetzten Gebiet verboten werden, auch gegen die fortgesetzten Chikayen
der Presse sollte nachdrücklich Einspruch erhoben werden.


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[0358] Weltspiegel grenzung und Zuteilung der oberen Jordanzuflüsse, in dem England (wohl um für die Zukunft die Gegensätze zwischen' Syrern und Palästinensern nicht zu groß werden zu lassen) nachgab, einen anderen Erfolg mitbrachte, der gemäß seiner eigenen kürzlich im Senatsausschuß vorgebrachten Äußerung, daß eine kräftige Mittelmeerpolitik das Rückgrat von Frankreichs politischer Orientierung bilden müsse, allerdings nur ein Nebenerfolg wäre: die Alliiertennote über die Minister¬ reden im Rheinland. Diese Reden haben besonders das Mißfallen Poincar6s er¬ regt, der sie in der „Revue des deux Mondes" als bedrohliche Symptome wachsender deutscher Widersetzlichkeit auffaßte. Wenn der Reichskanzler, so führte er aus, heute, nach den Kautskyschen Feststellungen, noch die monstreuse Behauptung wage, die deutsche Regierung von 1914 und der Kaiser hätten, den Krieg nicht gewollt, so erwecke das nicht nur Überraschung, sondern vor allem müsse man sich fragen, wie die Alliierten, die in Versailles das feierliche schriftliche Eingeständnis der Deutschen erhalten hätten, sich heute derartige unverschämte Unwahrheiten bieten lassen könnten. Wenn Reichsminister Simons den Einwohnern Cölns ankündige, daß die Besetzung ihre.. Stadt spätestens am 10. Januar 1925 abliefe, so stelle er sich damit in be¬ wußten Gegensatz zu Millerand, der wiederholt versichert habe, der Ausgangspunkt der Okkupationssrist werde durch die Ausführung des Friedensvertrages bestimmt, wenn er die Stärke der Besatzungstruppen als übertrieben groß hinstelle oder sich über die Anlage von Flugplätzen beschwere, so mache er damit in Wirklichkeit den Versuch, die Bewohner des linken Rheinufers gegen die Alliierten aufzuhetzen, wenn er behaupte, daß die französische Industrie Kohlen sanftere und daß Deutschland Frankreich keine Kohlen mehr zu liefern habe, so verdrehe er nicht nur Tatsachen, sondern zerreiße den Friedensvertrag, der Ziffer,: festsetze, die bei weitem nicht erreicht würden. Absichtlich lasse er unberücksichtigt, daß Deutschland aus dem Spaa-Abkommen insofern Nutzen zöge, als es die von Frankreich für die Er¬ nährung der Ruhrbergarbeiter vorgeschossenen Beträge zu Manövern zur Herab- drückung des Frankenkurses benutze. Wenn er schließlich erklärt, daß Deutschland das Recht habe, bei Wiederholung eines Aktes wie der Besetzung von Frankfurt diesen als feindselige Handlung zu betrachten, so erinnere das nicht nur an die heftigsten Improvisationen Wilhelms II. und die Aussprüche vom trockenen Pulver, sondern bilde wiederum eine Außerachtlassung des Friedensvertrages, der den Alliierten in einwandfreier Weise das Recht gebe, die Durchführung der von Deutsch¬ land eingegangenen Verpflichtungen durch Sicherung von Territorialpfändern zu erzwingen. Aus solchen Gedankengängen heraus muß die Note, die an sich einen un¬ erhörten Eingriff in die Souveränitätsrechte des Reiches darstellt, verstanden werden. Die Reden Simons' sind den Franzosen, wie fast jede Aktion des mit mißtrauischem Respekt beobachteten deutschen Außenministers, sehr unangenehm gewesen, besonders wegen der unleugbar großen und günstigen Wirkung, die sie im Rheinland getan haben, und es war der französischen Presse nur ein ziemlich geringer Trost, mit Be¬ friedigung darauf hinweisen Zu können, daß die im Rheinland viel bemerkten und unsagbar törichten Äußerungen Herrn von Falkenhayns (von der Reichsgetreide¬ stelle), der, wenn sie (in der Kölnischen Volkszeitung vom 9. November) wirklich richtig wiedergegeben sind, sofort fliegen bzw. an eine Stelle versetzt werden müßte, wo er weniger Unheil anrichten kann, den Effekt der Ministerreden abgeschwächt und die Rheinländer aufs neue mit Mißtrauen gegen die Berliner Zentrale erfüllt hätten. Jedenfalls beweisen aber die Äußerungen Poincarös, daß man in Frankreich un¬ entwegt an dem u. a. auch von Tardieu geteilten Standpunkt festhält, daß die Be¬ satzungsfristen noch nicht laufen, und wenn auch eine Klärung dieser Streitfrage in der nächsten Zeit kaum zu erlangen sein wird (und wenn sie erfolgte, im Augen¬ blick sicher gegen uns ausfallen würde), so ist es doch gut, daß der Reichsminister der deutschen Auffassung rechtzeitig und wieder einmal Ausdruck verliehen hat. Auf keinen Fall kann natürlich davon die Rede fein, daß Reisen und Reden deutscher Minister im besetzten Gebiet verboten werden, auch gegen die fortgesetzten Chikayen der Presse sollte nachdrücklich Einspruch erhoben werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/358>, abgerufen am 15.05.2024.