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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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Offenherzigkeiten
Doch weit entfernt, daß das Schelmenstück
Zu inn'ger Verbrüderung führe,
Setzt man ganz plötzlich, mit heftigem Ruck,
Uns allen den Stuhl vor die Türe.
Sie kehren uns aus dem Rathaus hinaus,
Sie kehren mit eisernem Besen.
Hätt's einer geahnt, als wir Herr'n noch im Haus,
Wir wären wohl schlauer gewesen.
Und höhnend seh'n wir das Weistumswort
Nun täglich vor Augen uns hangen:
Man geht vom Rathause klüger fort,
Als man hinein gegangen.
Pandur.



Offenherzigkeiten
Die russische Organisation.

. Die russische "Organisation", die Dr. Simons etwas zu diplomatisch im
Augenblick bolschewistischer Erfolge gerühmt hat, besteht aus vollkommen sumpf¬
artiger Desorganisation der Wirtschaft, der Verwaltung, der Moral. Aber eines
steht fest und groß da: die Macht des Staates, die Autorität der Regierung,
jreilich mit Mitteln des Terrors, auf die altgewohnte russische Weise blutiger
Despotie. Kulturwerke hat der Bolschewismus trotz Dr. Simons-nicht geschaffen,
aber er hat ein Heer aufgestellt, und stellt immer neue Heere auf, wie der Zar.
Wir wissen von den scharenweis nach Ostpreußen übergetretenen russischen
Kämpfern, daß nur eiserner Zwang, nicht irgendwelche Überzeugung oder
Begeisterung die russischen Armeen beisammenhielt. Aber die Menschenmassen
Mlands sind einfach zu schwach, um sich gegen eine Handvoll energischer
Menschen aufzulehnen, die zwar nicht verwalten, aber mit erbarmungsloser Hand
Agieren. Daß ihr Herrscher meist ein Fremdherrscher ist, scheint nun einmal
°as Los des weichen Russen. Später wird er an seinen augenblicklichen judisch-
wtarischen Zwingherren einen schauderhaften Pogrom vollziehen, wie er den
Atzten Zaren aus deutschem Herrscherhaus ermordet hat. Aber erst muß sich
°erer Autorität und Macht durch die Erschöpfung des industriearmen Reichs selbst
aufgezehrt haben, bevor das Volk die Hand zu erheben wagt gegen die Gesalbten
°er Sowjets. Was lernen wir aus dieser "russischen" Organisation? Daß
Me eine schlechte Regierung eine Macht sein kann, wenn sie nur regiert. Wir
Um zuviel Organisation in Deutschland und zu wenig Regierung. Die Menschen
würden aufatmen, wenn sie eine Autorität fühlten. Das mangelnde Talent zu
Agieren eignet bei uns allen Parteien gleichmäßig. Besäßen es die extremen
^'nten, so würde uns nichts vor dem Bolschewismus retten können, und trotz
allen trostlosen Berichten aus Nußland geht etwas wie Sehnen nach einem
Stator, hieße er gleich Lenin, durch unser verwaistes Land.


Unterernährt.

Der künftige Geschichtsschreiber wird als mildernden Umstand für vieles,was seit 1917 in Deutschland geschah und geschieht, Physische Erschöpfung und
leelische Störung, die Nahrungsentziehung mit sich bringt, in Rechnung stellen.


Offenherzigkeiten
Doch weit entfernt, daß das Schelmenstück
Zu inn'ger Verbrüderung führe,
Setzt man ganz plötzlich, mit heftigem Ruck,
Uns allen den Stuhl vor die Türe.
Sie kehren uns aus dem Rathaus hinaus,
Sie kehren mit eisernem Besen.
Hätt's einer geahnt, als wir Herr'n noch im Haus,
Wir wären wohl schlauer gewesen.
Und höhnend seh'n wir das Weistumswort
Nun täglich vor Augen uns hangen:
Man geht vom Rathause klüger fort,
Als man hinein gegangen.
Pandur.



Offenherzigkeiten
Die russische Organisation.

. Die russische „Organisation", die Dr. Simons etwas zu diplomatisch im
Augenblick bolschewistischer Erfolge gerühmt hat, besteht aus vollkommen sumpf¬
artiger Desorganisation der Wirtschaft, der Verwaltung, der Moral. Aber eines
steht fest und groß da: die Macht des Staates, die Autorität der Regierung,
jreilich mit Mitteln des Terrors, auf die altgewohnte russische Weise blutiger
Despotie. Kulturwerke hat der Bolschewismus trotz Dr. Simons-nicht geschaffen,
aber er hat ein Heer aufgestellt, und stellt immer neue Heere auf, wie der Zar.
Wir wissen von den scharenweis nach Ostpreußen übergetretenen russischen
Kämpfern, daß nur eiserner Zwang, nicht irgendwelche Überzeugung oder
Begeisterung die russischen Armeen beisammenhielt. Aber die Menschenmassen
Mlands sind einfach zu schwach, um sich gegen eine Handvoll energischer
Menschen aufzulehnen, die zwar nicht verwalten, aber mit erbarmungsloser Hand
Agieren. Daß ihr Herrscher meist ein Fremdherrscher ist, scheint nun einmal
°as Los des weichen Russen. Später wird er an seinen augenblicklichen judisch-
wtarischen Zwingherren einen schauderhaften Pogrom vollziehen, wie er den
Atzten Zaren aus deutschem Herrscherhaus ermordet hat. Aber erst muß sich
°erer Autorität und Macht durch die Erschöpfung des industriearmen Reichs selbst
aufgezehrt haben, bevor das Volk die Hand zu erheben wagt gegen die Gesalbten
°er Sowjets. Was lernen wir aus dieser „russischen" Organisation? Daß
Me eine schlechte Regierung eine Macht sein kann, wenn sie nur regiert. Wir
Um zuviel Organisation in Deutschland und zu wenig Regierung. Die Menschen
würden aufatmen, wenn sie eine Autorität fühlten. Das mangelnde Talent zu
Agieren eignet bei uns allen Parteien gleichmäßig. Besäßen es die extremen
^'nten, so würde uns nichts vor dem Bolschewismus retten können, und trotz
allen trostlosen Berichten aus Nußland geht etwas wie Sehnen nach einem
Stator, hieße er gleich Lenin, durch unser verwaistes Land.


Unterernährt.

Der künftige Geschichtsschreiber wird als mildernden Umstand für vieles,was seit 1917 in Deutschland geschah und geschieht, Physische Erschöpfung und
leelische Störung, die Nahrungsentziehung mit sich bringt, in Rechnung stellen.


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[0047] Offenherzigkeiten Doch weit entfernt, daß das Schelmenstück Zu inn'ger Verbrüderung führe, Setzt man ganz plötzlich, mit heftigem Ruck, Uns allen den Stuhl vor die Türe. Sie kehren uns aus dem Rathaus hinaus, Sie kehren mit eisernem Besen. Hätt's einer geahnt, als wir Herr'n noch im Haus, Wir wären wohl schlauer gewesen. Und höhnend seh'n wir das Weistumswort Nun täglich vor Augen uns hangen: Man geht vom Rathause klüger fort, Als man hinein gegangen. Pandur. Offenherzigkeiten Die russische Organisation. . Die russische „Organisation", die Dr. Simons etwas zu diplomatisch im Augenblick bolschewistischer Erfolge gerühmt hat, besteht aus vollkommen sumpf¬ artiger Desorganisation der Wirtschaft, der Verwaltung, der Moral. Aber eines steht fest und groß da: die Macht des Staates, die Autorität der Regierung, jreilich mit Mitteln des Terrors, auf die altgewohnte russische Weise blutiger Despotie. Kulturwerke hat der Bolschewismus trotz Dr. Simons-nicht geschaffen, aber er hat ein Heer aufgestellt, und stellt immer neue Heere auf, wie der Zar. Wir wissen von den scharenweis nach Ostpreußen übergetretenen russischen Kämpfern, daß nur eiserner Zwang, nicht irgendwelche Überzeugung oder Begeisterung die russischen Armeen beisammenhielt. Aber die Menschenmassen Mlands sind einfach zu schwach, um sich gegen eine Handvoll energischer Menschen aufzulehnen, die zwar nicht verwalten, aber mit erbarmungsloser Hand Agieren. Daß ihr Herrscher meist ein Fremdherrscher ist, scheint nun einmal °as Los des weichen Russen. Später wird er an seinen augenblicklichen judisch- wtarischen Zwingherren einen schauderhaften Pogrom vollziehen, wie er den Atzten Zaren aus deutschem Herrscherhaus ermordet hat. Aber erst muß sich °erer Autorität und Macht durch die Erschöpfung des industriearmen Reichs selbst aufgezehrt haben, bevor das Volk die Hand zu erheben wagt gegen die Gesalbten °er Sowjets. Was lernen wir aus dieser „russischen" Organisation? Daß Me eine schlechte Regierung eine Macht sein kann, wenn sie nur regiert. Wir Um zuviel Organisation in Deutschland und zu wenig Regierung. Die Menschen würden aufatmen, wenn sie eine Autorität fühlten. Das mangelnde Talent zu Agieren eignet bei uns allen Parteien gleichmäßig. Besäßen es die extremen ^'nten, so würde uns nichts vor dem Bolschewismus retten können, und trotz allen trostlosen Berichten aus Nußland geht etwas wie Sehnen nach einem Stator, hieße er gleich Lenin, durch unser verwaistes Land. Unterernährt. Der künftige Geschichtsschreiber wird als mildernden Umstand für vieles,was seit 1917 in Deutschland geschah und geschieht, Physische Erschöpfung und leelische Störung, die Nahrungsentziehung mit sich bringt, in Rechnung stellen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/47>, abgerufen am 15.05.2024.