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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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geben geneigt wäre, als verwerflich bezeichnet werden müßte. Sie führt dazu,
daß wir ootito aus <:vues das Ruhrgebiet besetzen.... Sie führt dazu, daß wir,,
um die notwendige Ermächtigung zu erhalten, im Orient und anderswo abdanken
müssen---- Sobald man von dem Grundsatz ausgeht, daß der Konflikt un¬
vermeidlich ist, geht man auf den Konflikt zu. Aber es gibt noch eine andere
Politik, die darin besteht____, daß die Deutschen die Sicherheit Frankreichs, die
Zahlungen an Frankreich, eine friedliche Zusammenarbeit mit Frankreich mit
gutem Recht als Grundbedingungen ihrer eigenen nationalen Gesundung betrachten
können. Ein deutscher Finanzmann hat kürzlich geäußert: "Während der nächsten
zehn Jahre wird Frankreich völlig von einer überlebten Annexionspolitik im
Rheinland in Anspruch genommen werden. Wir Deutschen werden während der
Zeit unsere Industrie und unseren Handel so entwickeln, daß wir mit England
und Amerika zusammen Herren der W ltwirtschaft werden. Nach Ablauf der
zehn Jahre wird Frankreich isoliert dastehen und so ruiniert sein, wie Deutschland
es jetzt ist! Welcher Franzose wird sich dem aussetzen wollen, daß dieses Pro¬
gramm Wirklichkeit wird? Zwischen den beiden heute möglichen Politiker wäre
leicht gewählt, wenn die französische Öffentlichkeit die Tatsachen zu sehen im¬
stande wäre, wie sie wirklich sind. Um sie zu orientieren und um die Diplomatie
zu lenken, darf man nicht Theorien in die Welt setzen oder einfach den Strömungen
folgen. Man darf nicht nach Popularität haschen. Man muß zur Erkenntnis
der Tatsachen beitragen, das ist undankbar, aber nur dies allein trägt Früchte."

Solche Äußerungen im Augenblick eines Regierungswechsels sind deutlich
genug. Hoffentlich wird von deutscher Seite nichts versäumt, solche Tendenzen
zu ermutigen. Es ist natürlich aus den oben gestreiften Gründen der Regierung
ganz unmöglich, über den Gang der Verhandlungen, die Ursachen einzelner Ent¬
schlüsse oder Unterlassungen mehr verlauten zu lassen, als was dem Durchschnitts¬
zeitungsleser die Illusion zu geben geeignet ist, er sei nun orientiert. In
Wirklichkeit sind die Vorgänge, vorläufig mit Recht, in Dunkel gehüllt. Sollten
aber die Verhandlungen scheitern oder auch nur zur Unzufriedenheit größerer
Teile des deutschen Volkes ausfallen, so wäre eine aktenmäßige Feststellung der
Verantwortlichkeit unvermeidlich und es muß mit allem Nachdruck von den Volks¬
vertretern gefordert werden, daß sie einmal gütigst ihre Parteipropaganda ruhe"
lassen und arbeiten. Wir verzichten auf alle Untersuchungen darüber, wer schuld
an der Niederlage usw. ist, dergleichen fördert uns nicht und macht keinen
Gefallenen wieder lebendiq. Aber die Brüsseler Konferenz interessiert uns sehr
und wir möchten eine Fortsetzung der Kriegs- und Nevolutionsschlamperei im Reichs¬
tage durchaus vermieden wissen. Es darf nicht länger mit Akten jongliert, Tat¬
sachen dürfen nicht hinter vage formulierten und in Amtsgeheimnis gehüllten
Erklärungen versteckt werden, damit dann weitergewurstelt werden kann. Fehler
sind menschlich, und in vielen Dingen kann man verschiedener Meinung sein.
Aber es muß festgestellt werden, wer Fehler begangen hat und wer solcher
Meinung ist und welche Gründe er dafür hatte. Nicht um diese Fehler und
Irrtümer politisch auszuschlachten, sondern um klare Verhältnisse zu schaffen.
Wer Fehler gemacht hat, muß die Folgen auf sich nehmen und sich ein paar
Jahre erholen, bis er dazugelernt hat, und Opposition ist nicht zu vertuschen,
sondern aufzuklären. In den wenigsten Fällen ist nur eine Politik denkbar, in
den meisten existieren zwei oder mehrere Möglichkeiten. Aber dasjenige Volk ist
verloren, das zu gleicher Zeit zum selben Ziel zwei Wege gehen will. Einheitlich
geführt und ausgeführt muß jede Politik werden. Gerade darum aber ist es
nötig, Klarheit zu schaffen, die Opposition als solche deutlich zu sehen, gegebenen¬
falls ihr zur rechten Zeit und bevor der Karren unwiederbringlich im Dreck
steckt, die Führung zu übertragen,. damit sie ihren Weg versucht. Das schafft
Verantwortungsfreudigkeit und übt die Kräfte.

Hinter dem Kabinett Briand steht wartend ein Kabinett Poincarö. Die
Franzosen waren kurzsichtig genug, das, was sie die ReclMreccktion nennen, bei
uns hervorzurufen. Lernen wir aus ihren Fehlern und vermeiden wir bei ihnen
,
Menenius daS gleiche zu tun!


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geben geneigt wäre, als verwerflich bezeichnet werden müßte. Sie führt dazu,
daß wir ootito aus <:vues das Ruhrgebiet besetzen.... Sie führt dazu, daß wir,,
um die notwendige Ermächtigung zu erhalten, im Orient und anderswo abdanken
müssen---- Sobald man von dem Grundsatz ausgeht, daß der Konflikt un¬
vermeidlich ist, geht man auf den Konflikt zu. Aber es gibt noch eine andere
Politik, die darin besteht____, daß die Deutschen die Sicherheit Frankreichs, die
Zahlungen an Frankreich, eine friedliche Zusammenarbeit mit Frankreich mit
gutem Recht als Grundbedingungen ihrer eigenen nationalen Gesundung betrachten
können. Ein deutscher Finanzmann hat kürzlich geäußert: „Während der nächsten
zehn Jahre wird Frankreich völlig von einer überlebten Annexionspolitik im
Rheinland in Anspruch genommen werden. Wir Deutschen werden während der
Zeit unsere Industrie und unseren Handel so entwickeln, daß wir mit England
und Amerika zusammen Herren der W ltwirtschaft werden. Nach Ablauf der
zehn Jahre wird Frankreich isoliert dastehen und so ruiniert sein, wie Deutschland
es jetzt ist! Welcher Franzose wird sich dem aussetzen wollen, daß dieses Pro¬
gramm Wirklichkeit wird? Zwischen den beiden heute möglichen Politiker wäre
leicht gewählt, wenn die französische Öffentlichkeit die Tatsachen zu sehen im¬
stande wäre, wie sie wirklich sind. Um sie zu orientieren und um die Diplomatie
zu lenken, darf man nicht Theorien in die Welt setzen oder einfach den Strömungen
folgen. Man darf nicht nach Popularität haschen. Man muß zur Erkenntnis
der Tatsachen beitragen, das ist undankbar, aber nur dies allein trägt Früchte."

Solche Äußerungen im Augenblick eines Regierungswechsels sind deutlich
genug. Hoffentlich wird von deutscher Seite nichts versäumt, solche Tendenzen
zu ermutigen. Es ist natürlich aus den oben gestreiften Gründen der Regierung
ganz unmöglich, über den Gang der Verhandlungen, die Ursachen einzelner Ent¬
schlüsse oder Unterlassungen mehr verlauten zu lassen, als was dem Durchschnitts¬
zeitungsleser die Illusion zu geben geeignet ist, er sei nun orientiert. In
Wirklichkeit sind die Vorgänge, vorläufig mit Recht, in Dunkel gehüllt. Sollten
aber die Verhandlungen scheitern oder auch nur zur Unzufriedenheit größerer
Teile des deutschen Volkes ausfallen, so wäre eine aktenmäßige Feststellung der
Verantwortlichkeit unvermeidlich und es muß mit allem Nachdruck von den Volks¬
vertretern gefordert werden, daß sie einmal gütigst ihre Parteipropaganda ruhe«
lassen und arbeiten. Wir verzichten auf alle Untersuchungen darüber, wer schuld
an der Niederlage usw. ist, dergleichen fördert uns nicht und macht keinen
Gefallenen wieder lebendiq. Aber die Brüsseler Konferenz interessiert uns sehr
und wir möchten eine Fortsetzung der Kriegs- und Nevolutionsschlamperei im Reichs¬
tage durchaus vermieden wissen. Es darf nicht länger mit Akten jongliert, Tat¬
sachen dürfen nicht hinter vage formulierten und in Amtsgeheimnis gehüllten
Erklärungen versteckt werden, damit dann weitergewurstelt werden kann. Fehler
sind menschlich, und in vielen Dingen kann man verschiedener Meinung sein.
Aber es muß festgestellt werden, wer Fehler begangen hat und wer solcher
Meinung ist und welche Gründe er dafür hatte. Nicht um diese Fehler und
Irrtümer politisch auszuschlachten, sondern um klare Verhältnisse zu schaffen.
Wer Fehler gemacht hat, muß die Folgen auf sich nehmen und sich ein paar
Jahre erholen, bis er dazugelernt hat, und Opposition ist nicht zu vertuschen,
sondern aufzuklären. In den wenigsten Fällen ist nur eine Politik denkbar, in
den meisten existieren zwei oder mehrere Möglichkeiten. Aber dasjenige Volk ist
verloren, das zu gleicher Zeit zum selben Ziel zwei Wege gehen will. Einheitlich
geführt und ausgeführt muß jede Politik werden. Gerade darum aber ist es
nötig, Klarheit zu schaffen, die Opposition als solche deutlich zu sehen, gegebenen¬
falls ihr zur rechten Zeit und bevor der Karren unwiederbringlich im Dreck
steckt, die Führung zu übertragen,. damit sie ihren Weg versucht. Das schafft
Verantwortungsfreudigkeit und übt die Kräfte.

Hinter dem Kabinett Briand steht wartend ein Kabinett Poincarö. Die
Franzosen waren kurzsichtig genug, das, was sie die ReclMreccktion nennen, bei
uns hervorzurufen. Lernen wir aus ihren Fehlern und vermeiden wir bei ihnen
,
Menenius daS gleiche zu tun!


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[0138] Weltspiegel geben geneigt wäre, als verwerflich bezeichnet werden müßte. Sie führt dazu, daß wir ootito aus <:vues das Ruhrgebiet besetzen.... Sie führt dazu, daß wir,, um die notwendige Ermächtigung zu erhalten, im Orient und anderswo abdanken müssen---- Sobald man von dem Grundsatz ausgeht, daß der Konflikt un¬ vermeidlich ist, geht man auf den Konflikt zu. Aber es gibt noch eine andere Politik, die darin besteht____, daß die Deutschen die Sicherheit Frankreichs, die Zahlungen an Frankreich, eine friedliche Zusammenarbeit mit Frankreich mit gutem Recht als Grundbedingungen ihrer eigenen nationalen Gesundung betrachten können. Ein deutscher Finanzmann hat kürzlich geäußert: „Während der nächsten zehn Jahre wird Frankreich völlig von einer überlebten Annexionspolitik im Rheinland in Anspruch genommen werden. Wir Deutschen werden während der Zeit unsere Industrie und unseren Handel so entwickeln, daß wir mit England und Amerika zusammen Herren der W ltwirtschaft werden. Nach Ablauf der zehn Jahre wird Frankreich isoliert dastehen und so ruiniert sein, wie Deutschland es jetzt ist! Welcher Franzose wird sich dem aussetzen wollen, daß dieses Pro¬ gramm Wirklichkeit wird? Zwischen den beiden heute möglichen Politiker wäre leicht gewählt, wenn die französische Öffentlichkeit die Tatsachen zu sehen im¬ stande wäre, wie sie wirklich sind. Um sie zu orientieren und um die Diplomatie zu lenken, darf man nicht Theorien in die Welt setzen oder einfach den Strömungen folgen. Man darf nicht nach Popularität haschen. Man muß zur Erkenntnis der Tatsachen beitragen, das ist undankbar, aber nur dies allein trägt Früchte." Solche Äußerungen im Augenblick eines Regierungswechsels sind deutlich genug. Hoffentlich wird von deutscher Seite nichts versäumt, solche Tendenzen zu ermutigen. Es ist natürlich aus den oben gestreiften Gründen der Regierung ganz unmöglich, über den Gang der Verhandlungen, die Ursachen einzelner Ent¬ schlüsse oder Unterlassungen mehr verlauten zu lassen, als was dem Durchschnitts¬ zeitungsleser die Illusion zu geben geeignet ist, er sei nun orientiert. In Wirklichkeit sind die Vorgänge, vorläufig mit Recht, in Dunkel gehüllt. Sollten aber die Verhandlungen scheitern oder auch nur zur Unzufriedenheit größerer Teile des deutschen Volkes ausfallen, so wäre eine aktenmäßige Feststellung der Verantwortlichkeit unvermeidlich und es muß mit allem Nachdruck von den Volks¬ vertretern gefordert werden, daß sie einmal gütigst ihre Parteipropaganda ruhe« lassen und arbeiten. Wir verzichten auf alle Untersuchungen darüber, wer schuld an der Niederlage usw. ist, dergleichen fördert uns nicht und macht keinen Gefallenen wieder lebendiq. Aber die Brüsseler Konferenz interessiert uns sehr und wir möchten eine Fortsetzung der Kriegs- und Nevolutionsschlamperei im Reichs¬ tage durchaus vermieden wissen. Es darf nicht länger mit Akten jongliert, Tat¬ sachen dürfen nicht hinter vage formulierten und in Amtsgeheimnis gehüllten Erklärungen versteckt werden, damit dann weitergewurstelt werden kann. Fehler sind menschlich, und in vielen Dingen kann man verschiedener Meinung sein. Aber es muß festgestellt werden, wer Fehler begangen hat und wer solcher Meinung ist und welche Gründe er dafür hatte. Nicht um diese Fehler und Irrtümer politisch auszuschlachten, sondern um klare Verhältnisse zu schaffen. Wer Fehler gemacht hat, muß die Folgen auf sich nehmen und sich ein paar Jahre erholen, bis er dazugelernt hat, und Opposition ist nicht zu vertuschen, sondern aufzuklären. In den wenigsten Fällen ist nur eine Politik denkbar, in den meisten existieren zwei oder mehrere Möglichkeiten. Aber dasjenige Volk ist verloren, das zu gleicher Zeit zum selben Ziel zwei Wege gehen will. Einheitlich geführt und ausgeführt muß jede Politik werden. Gerade darum aber ist es nötig, Klarheit zu schaffen, die Opposition als solche deutlich zu sehen, gegebenen¬ falls ihr zur rechten Zeit und bevor der Karren unwiederbringlich im Dreck steckt, die Führung zu übertragen,. damit sie ihren Weg versucht. Das schafft Verantwortungsfreudigkeit und übt die Kräfte. Hinter dem Kabinett Briand steht wartend ein Kabinett Poincarö. Die Franzosen waren kurzsichtig genug, das, was sie die ReclMreccktion nennen, bei uns hervorzurufen. Lernen wir aus ihren Fehlern und vermeiden wir bei ihnen , Menenius daS gleiche zu tun!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/138>, abgerufen am 15.06.2024.