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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Albrecht Dürer

Zeichnung akademisch-kühl. Grauen vor einem unabwendbaren Schicksal verbreiten
Dürers Reiter um sich; wie die wilde Jagd sausen die Gestalten von Cornelius
durch die Lüfte, um ebenso schnell wieder zu verschwinden, wie sie aufgetaucht sind.

Kann man den jungen Dürer einen Dichter nennen, der die überströmende
Fülle seines Reichtums kaum zu bändigen weiß, so muß man den reifen Mann
als den Denker bezeichnen. Die christliche Tapferkeit, die kein Tod und Teufel
schrecken kann, das vergebliche Ringen des Menschen, die von der Natur gezogenen
Schranken zu durchbrechen, die Lehre der heiligen Schrift, die allein über alle
Trübsal hinweghilft, Gedanken, zu denen Krankheit und Tod der Mutter Anlaß
boten, gewinnen vollendete Gestalt in den drei großen Radierungen, die als
Ritter, Tod und Teufel, Melancholie und Hieronymus im Gehäus jedem ver¬
traut sind.

Die Tiefe seines Gemütes offenbart sich auf religiösem Gebiet als uner¬
schütterliches Gottvertrauen und wahre Frömmigkeit. Wie er als Maler nach der
neuen Form rang, so mag er sich auch als gläubiger Christ mit den Zweifeln,
die Luthers Auftreten in ihm anfachen mußten, abgemüht haben, ehe er sich für
den wittenbergischen Mönch entschied. Mit männlicher Qberzeugungstreue hat er
dann an der neuen Lehre festgehalten. Als er in den Niederlanden die Nachricht
von der vermeintlichen Gefangennahme Luthers erhält, wird sein Tagebuch, sonst
von rührender Trockenheit, plötzlich so schwungvoll und wortreich, daß man eimu
geharnischten theologischen Traktat gegen die Widersacher Luthers zu lesen neun.

Einem so gläubigen Mann bot die Lehre der Kirche ein unerschöpfliches
Stoffgebiet. In fünf Passionen hat er den Dornenweg Christi mit erschütternder
Wirkung erzählt; zeigt er doch den Heiland als den Schmerzensmann, der wie
ein Mensch unter den Martern seiner Peiniger leidet. Unter den Heiligen hat
ihn vor allen anderen immer wieder die Gestalt der Maria beschäftigt. Er stellt
sie dar als Himmelskönigin im Schmuck der Sternenkrone, am liebsten aber als
die reine Magd, an der sich das Wunder der Mutterschaft erfüllt hat. Auch sie
trägt dann menschliche Züge und erscheint in der liebreichen Besorgnis um ihr
Kind als eine Verkörperung des Mutterbegriffes überhaupt. Die auffällig große
Zahl der Marienbilder mag einer geheimen Sehnsucht entsprungen sein, eine
Jdealgestalt Marias zu schaffen, die er doch nie erreichen zu können glaubte. So
muß eine ähnliche Empfindung in ihm lebendig gewesen sein, wie sie Novalis in
die wundervollen Verse goß:

Das Bild, das wir von Dürer gezeichnet haben, würde jedoch unvollkommen
sein, wollten wir seinen köstlichen, deutschen Humor vergessen, dem er gern die
Zügel schießen ließ. Der Schalk sitzt dem Künstler im Nacken, wenn auf einer
Radierung ein grinsendes, kicherndes Teufelchen dem bejahrten, am Ofen einge-
schlummerten Bürgersmann einen lüsternen Traum mit einem Blasebalg einbläst
und der kleine Amor den Versuch macht, auf Stelzen zu gehen, wenn im Gebetbuch
Maximilians der Fuchs die Hühner mit Flötenspiel anlockt und die Worte ..Führe


Albrecht Dürer

Zeichnung akademisch-kühl. Grauen vor einem unabwendbaren Schicksal verbreiten
Dürers Reiter um sich; wie die wilde Jagd sausen die Gestalten von Cornelius
durch die Lüfte, um ebenso schnell wieder zu verschwinden, wie sie aufgetaucht sind.

Kann man den jungen Dürer einen Dichter nennen, der die überströmende
Fülle seines Reichtums kaum zu bändigen weiß, so muß man den reifen Mann
als den Denker bezeichnen. Die christliche Tapferkeit, die kein Tod und Teufel
schrecken kann, das vergebliche Ringen des Menschen, die von der Natur gezogenen
Schranken zu durchbrechen, die Lehre der heiligen Schrift, die allein über alle
Trübsal hinweghilft, Gedanken, zu denen Krankheit und Tod der Mutter Anlaß
boten, gewinnen vollendete Gestalt in den drei großen Radierungen, die als
Ritter, Tod und Teufel, Melancholie und Hieronymus im Gehäus jedem ver¬
traut sind.

Die Tiefe seines Gemütes offenbart sich auf religiösem Gebiet als uner¬
schütterliches Gottvertrauen und wahre Frömmigkeit. Wie er als Maler nach der
neuen Form rang, so mag er sich auch als gläubiger Christ mit den Zweifeln,
die Luthers Auftreten in ihm anfachen mußten, abgemüht haben, ehe er sich für
den wittenbergischen Mönch entschied. Mit männlicher Qberzeugungstreue hat er
dann an der neuen Lehre festgehalten. Als er in den Niederlanden die Nachricht
von der vermeintlichen Gefangennahme Luthers erhält, wird sein Tagebuch, sonst
von rührender Trockenheit, plötzlich so schwungvoll und wortreich, daß man eimu
geharnischten theologischen Traktat gegen die Widersacher Luthers zu lesen neun.

Einem so gläubigen Mann bot die Lehre der Kirche ein unerschöpfliches
Stoffgebiet. In fünf Passionen hat er den Dornenweg Christi mit erschütternder
Wirkung erzählt; zeigt er doch den Heiland als den Schmerzensmann, der wie
ein Mensch unter den Martern seiner Peiniger leidet. Unter den Heiligen hat
ihn vor allen anderen immer wieder die Gestalt der Maria beschäftigt. Er stellt
sie dar als Himmelskönigin im Schmuck der Sternenkrone, am liebsten aber als
die reine Magd, an der sich das Wunder der Mutterschaft erfüllt hat. Auch sie
trägt dann menschliche Züge und erscheint in der liebreichen Besorgnis um ihr
Kind als eine Verkörperung des Mutterbegriffes überhaupt. Die auffällig große
Zahl der Marienbilder mag einer geheimen Sehnsucht entsprungen sein, eine
Jdealgestalt Marias zu schaffen, die er doch nie erreichen zu können glaubte. So
muß eine ähnliche Empfindung in ihm lebendig gewesen sein, wie sie Novalis in
die wundervollen Verse goß:

Das Bild, das wir von Dürer gezeichnet haben, würde jedoch unvollkommen
sein, wollten wir seinen köstlichen, deutschen Humor vergessen, dem er gern die
Zügel schießen ließ. Der Schalk sitzt dem Künstler im Nacken, wenn auf einer
Radierung ein grinsendes, kicherndes Teufelchen dem bejahrten, am Ofen einge-
schlummerten Bürgersmann einen lüsternen Traum mit einem Blasebalg einbläst
und der kleine Amor den Versuch macht, auf Stelzen zu gehen, wenn im Gebetbuch
Maximilians der Fuchs die Hühner mit Flötenspiel anlockt und die Worte ..Führe


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[0243] Albrecht Dürer Zeichnung akademisch-kühl. Grauen vor einem unabwendbaren Schicksal verbreiten Dürers Reiter um sich; wie die wilde Jagd sausen die Gestalten von Cornelius durch die Lüfte, um ebenso schnell wieder zu verschwinden, wie sie aufgetaucht sind. Kann man den jungen Dürer einen Dichter nennen, der die überströmende Fülle seines Reichtums kaum zu bändigen weiß, so muß man den reifen Mann als den Denker bezeichnen. Die christliche Tapferkeit, die kein Tod und Teufel schrecken kann, das vergebliche Ringen des Menschen, die von der Natur gezogenen Schranken zu durchbrechen, die Lehre der heiligen Schrift, die allein über alle Trübsal hinweghilft, Gedanken, zu denen Krankheit und Tod der Mutter Anlaß boten, gewinnen vollendete Gestalt in den drei großen Radierungen, die als Ritter, Tod und Teufel, Melancholie und Hieronymus im Gehäus jedem ver¬ traut sind. Die Tiefe seines Gemütes offenbart sich auf religiösem Gebiet als uner¬ schütterliches Gottvertrauen und wahre Frömmigkeit. Wie er als Maler nach der neuen Form rang, so mag er sich auch als gläubiger Christ mit den Zweifeln, die Luthers Auftreten in ihm anfachen mußten, abgemüht haben, ehe er sich für den wittenbergischen Mönch entschied. Mit männlicher Qberzeugungstreue hat er dann an der neuen Lehre festgehalten. Als er in den Niederlanden die Nachricht von der vermeintlichen Gefangennahme Luthers erhält, wird sein Tagebuch, sonst von rührender Trockenheit, plötzlich so schwungvoll und wortreich, daß man eimu geharnischten theologischen Traktat gegen die Widersacher Luthers zu lesen neun. Einem so gläubigen Mann bot die Lehre der Kirche ein unerschöpfliches Stoffgebiet. In fünf Passionen hat er den Dornenweg Christi mit erschütternder Wirkung erzählt; zeigt er doch den Heiland als den Schmerzensmann, der wie ein Mensch unter den Martern seiner Peiniger leidet. Unter den Heiligen hat ihn vor allen anderen immer wieder die Gestalt der Maria beschäftigt. Er stellt sie dar als Himmelskönigin im Schmuck der Sternenkrone, am liebsten aber als die reine Magd, an der sich das Wunder der Mutterschaft erfüllt hat. Auch sie trägt dann menschliche Züge und erscheint in der liebreichen Besorgnis um ihr Kind als eine Verkörperung des Mutterbegriffes überhaupt. Die auffällig große Zahl der Marienbilder mag einer geheimen Sehnsucht entsprungen sein, eine Jdealgestalt Marias zu schaffen, die er doch nie erreichen zu können glaubte. So muß eine ähnliche Empfindung in ihm lebendig gewesen sein, wie sie Novalis in die wundervollen Verse goß: Das Bild, das wir von Dürer gezeichnet haben, würde jedoch unvollkommen sein, wollten wir seinen köstlichen, deutschen Humor vergessen, dem er gern die Zügel schießen ließ. Der Schalk sitzt dem Künstler im Nacken, wenn auf einer Radierung ein grinsendes, kicherndes Teufelchen dem bejahrten, am Ofen einge- schlummerten Bürgersmann einen lüsternen Traum mit einem Blasebalg einbläst und der kleine Amor den Versuch macht, auf Stelzen zu gehen, wenn im Gebetbuch Maximilians der Fuchs die Hühner mit Flötenspiel anlockt und die Worte ..Führe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/243>, abgerufen am 11.05.2024.