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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Ostens eine Ostmark zu errichten verstanden, die Japan trotz aller Versuche nicht
überrennen kann, teils weil das Klima den Japanern nicht zuträglich ist, teils
weil Amerika bei aller Reserve dem Bolschewismus gegenüber den neuen Staat
unterstützt. Das hindert aber die Japaner nicht, in der Mongolei die teils bolsche¬
wistischen, teils antibolschewistischen russischen Heerführer, die bei der "Befreiung"
der Mongolen bei allen inneren Gegensätzen doch die alte russische Politik fort¬
setzen helfen, zu unterstützen und es ruhig zuzulassen, daß russischer bolschewistischer
Einfluß sich in starkem Maße in Südchina geltend macht. Es kann ihnen ja
auch nur recht sein, wenn auf diese Weise die nordchinesische Regierung in eine
Zwickmühle gerät, denn je schwächer diese ist und je stärker sich die Verhältnisse
in der Mongolei verwirren, desto besser werden sie, ohne daß die übrigen Mächte
Einspruch erheben können, ihre Stellung in der Mandschurei zu festigen vermögen.
Aber auch den Russen kann letzten Endes eine solche Festlegung Japans in der
Mandschurei recht sein, weil sie die chinesische Zentralmacht schwächt und die
Amerikaner von Kamschatka ablenkt.

Daß auch im Westen die russische Außenpolitik trotz aller inneren Schwierig¬
keiten keineswegs abzudanken beabsichtigt, geht nicht nur aus der energischen
Erklärung an Lettland, daß Rußland den geplanten Zusammenschluß der
baltischen Staaten als nasus dslli betrachten werde, sondern auch aus
jenem Geheimbundschreiben Tschitscherins an die russischen Vertreter im Ausland
hervor, das französische Zeitschriften veröffentlicht haben und das dem Inhalt
nach durchaus den Eindruck der Echtheit macht. "Unsere Vertreter", heißt es
darin, "müssen die nationalen Streitigkeiten verstärken. Führen andere Völker
Krieg, wird unsere Stellung besser. Auf Grund unserer offiziellen Beziehungen
in Bulgarien und Rumänien, unserer heimlichen in Griechenland, in der Gegend
von Konstantinopel, in Südslawien entwickelt sich die Lage erfolgreich. Aber es
besteht die Gefahr, daß die großen Mächte den Konflikt lokalisieren können....
Unsere Aufgabe ist es, die englisch-französischen und französisch-italienischen
Interessen in Gegensatz zu bringen, die Lage in Griechenland bietet dazu Ge¬
legenheit." Es zeigt sich also, daß Nußland die Lage genau übersieht. Die Ende
Mai erfolgten sehr unbestimmten Erklärungen Joffes dagegen: Oberschlesien
interessiert Rußland nur insoweit wie es einen europäischen Krieg herbeiführen
könnte, in dem Rußland nicht gleichgültig bleiben könne und: an der Lösung der
Wilnafrage werde sich Rußland nicht beteiligen, doch werde die russische Neutralität
nie so weit gehen, daß ihm gleichgültig sein könne, wer an dieser Stelle Nutz¬
lands Nachbar sei, die russische Regierung beharre auf dem vertragsmäßig festge¬
setzten Standpunkt, daß Litauen ohne Wilna undenkbar sei, werden mehr auf das
gewöhnliche Bedürfnis des Bluffs zurückzuführen sein. Einen Krieg gegen Polen
zu führen ist Rußland vorläufig nicht in der Lage, überhaupt muß gesagt werden,
daß die russischen Westpolitiker im allgemeinen schlechter arbeiten als die asiatischen.
Es hängt das wahrscheinlich damit zusammen, daß man in Asien die alten Sach¬
verständigen hat gewähren lassen können, während nach Europa hin aus inner¬
politischen Gründen das alte Personal nahezu vollständig hat ausgewechselt
werden müssen.

Ob im Innern die Bolschewisten noch lange am Nuder bleiben können,
darüber gehen die Meinungen der Sachverständigen stark auseinander. Halten sie
sich, so ist das nicht nur auf ihr System des Terrors zurückzuführen, sondern auch
auf den Umstand, daß sich trotz der Ungeduld der Emigranten niemand so leicht dazu
verstehen wird, ihre Erbschaft anzutreten. Wie trostlos die Lage ist, geht nicht
nur aus den sachlich durchaus aufrichtig gemeinten Konzessionen an den Klein¬
besitz hervor, den Lenin trotz seines an sich gerechtfertigten Mißtrauens gegen die
von ihm als anarchisch bezeichneten Einflüsse des kleinbürgerlichen Liberalismus
als einzigen Retter aus der Not zu bezeichnen sich nicht gescheut hat, sondern aus
dem ganzen Tenor jener merkwürdigen aus schwärzesten Pessimismus und starrem
Doktrinarismus, wirtschaftlichen Überlegungen und freimütiger Eingeständnissen
der beim Feldzug gegen Polen, bei der Demobilisierung, bei der Getreideverteilung.


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Ostens eine Ostmark zu errichten verstanden, die Japan trotz aller Versuche nicht
überrennen kann, teils weil das Klima den Japanern nicht zuträglich ist, teils
weil Amerika bei aller Reserve dem Bolschewismus gegenüber den neuen Staat
unterstützt. Das hindert aber die Japaner nicht, in der Mongolei die teils bolsche¬
wistischen, teils antibolschewistischen russischen Heerführer, die bei der „Befreiung"
der Mongolen bei allen inneren Gegensätzen doch die alte russische Politik fort¬
setzen helfen, zu unterstützen und es ruhig zuzulassen, daß russischer bolschewistischer
Einfluß sich in starkem Maße in Südchina geltend macht. Es kann ihnen ja
auch nur recht sein, wenn auf diese Weise die nordchinesische Regierung in eine
Zwickmühle gerät, denn je schwächer diese ist und je stärker sich die Verhältnisse
in der Mongolei verwirren, desto besser werden sie, ohne daß die übrigen Mächte
Einspruch erheben können, ihre Stellung in der Mandschurei zu festigen vermögen.
Aber auch den Russen kann letzten Endes eine solche Festlegung Japans in der
Mandschurei recht sein, weil sie die chinesische Zentralmacht schwächt und die
Amerikaner von Kamschatka ablenkt.

Daß auch im Westen die russische Außenpolitik trotz aller inneren Schwierig¬
keiten keineswegs abzudanken beabsichtigt, geht nicht nur aus der energischen
Erklärung an Lettland, daß Rußland den geplanten Zusammenschluß der
baltischen Staaten als nasus dslli betrachten werde, sondern auch aus
jenem Geheimbundschreiben Tschitscherins an die russischen Vertreter im Ausland
hervor, das französische Zeitschriften veröffentlicht haben und das dem Inhalt
nach durchaus den Eindruck der Echtheit macht. „Unsere Vertreter", heißt es
darin, „müssen die nationalen Streitigkeiten verstärken. Führen andere Völker
Krieg, wird unsere Stellung besser. Auf Grund unserer offiziellen Beziehungen
in Bulgarien und Rumänien, unserer heimlichen in Griechenland, in der Gegend
von Konstantinopel, in Südslawien entwickelt sich die Lage erfolgreich. Aber es
besteht die Gefahr, daß die großen Mächte den Konflikt lokalisieren können....
Unsere Aufgabe ist es, die englisch-französischen und französisch-italienischen
Interessen in Gegensatz zu bringen, die Lage in Griechenland bietet dazu Ge¬
legenheit." Es zeigt sich also, daß Nußland die Lage genau übersieht. Die Ende
Mai erfolgten sehr unbestimmten Erklärungen Joffes dagegen: Oberschlesien
interessiert Rußland nur insoweit wie es einen europäischen Krieg herbeiführen
könnte, in dem Rußland nicht gleichgültig bleiben könne und: an der Lösung der
Wilnafrage werde sich Rußland nicht beteiligen, doch werde die russische Neutralität
nie so weit gehen, daß ihm gleichgültig sein könne, wer an dieser Stelle Nutz¬
lands Nachbar sei, die russische Regierung beharre auf dem vertragsmäßig festge¬
setzten Standpunkt, daß Litauen ohne Wilna undenkbar sei, werden mehr auf das
gewöhnliche Bedürfnis des Bluffs zurückzuführen sein. Einen Krieg gegen Polen
zu führen ist Rußland vorläufig nicht in der Lage, überhaupt muß gesagt werden,
daß die russischen Westpolitiker im allgemeinen schlechter arbeiten als die asiatischen.
Es hängt das wahrscheinlich damit zusammen, daß man in Asien die alten Sach¬
verständigen hat gewähren lassen können, während nach Europa hin aus inner¬
politischen Gründen das alte Personal nahezu vollständig hat ausgewechselt
werden müssen.

Ob im Innern die Bolschewisten noch lange am Nuder bleiben können,
darüber gehen die Meinungen der Sachverständigen stark auseinander. Halten sie
sich, so ist das nicht nur auf ihr System des Terrors zurückzuführen, sondern auch
auf den Umstand, daß sich trotz der Ungeduld der Emigranten niemand so leicht dazu
verstehen wird, ihre Erbschaft anzutreten. Wie trostlos die Lage ist, geht nicht
nur aus den sachlich durchaus aufrichtig gemeinten Konzessionen an den Klein¬
besitz hervor, den Lenin trotz seines an sich gerechtfertigten Mißtrauens gegen die
von ihm als anarchisch bezeichneten Einflüsse des kleinbürgerlichen Liberalismus
als einzigen Retter aus der Not zu bezeichnen sich nicht gescheut hat, sondern aus
dem ganzen Tenor jener merkwürdigen aus schwärzesten Pessimismus und starrem
Doktrinarismus, wirtschaftlichen Überlegungen und freimütiger Eingeständnissen
der beim Feldzug gegen Polen, bei der Demobilisierung, bei der Getreideverteilung.


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[0288] IVeltspicgel Ostens eine Ostmark zu errichten verstanden, die Japan trotz aller Versuche nicht überrennen kann, teils weil das Klima den Japanern nicht zuträglich ist, teils weil Amerika bei aller Reserve dem Bolschewismus gegenüber den neuen Staat unterstützt. Das hindert aber die Japaner nicht, in der Mongolei die teils bolsche¬ wistischen, teils antibolschewistischen russischen Heerführer, die bei der „Befreiung" der Mongolen bei allen inneren Gegensätzen doch die alte russische Politik fort¬ setzen helfen, zu unterstützen und es ruhig zuzulassen, daß russischer bolschewistischer Einfluß sich in starkem Maße in Südchina geltend macht. Es kann ihnen ja auch nur recht sein, wenn auf diese Weise die nordchinesische Regierung in eine Zwickmühle gerät, denn je schwächer diese ist und je stärker sich die Verhältnisse in der Mongolei verwirren, desto besser werden sie, ohne daß die übrigen Mächte Einspruch erheben können, ihre Stellung in der Mandschurei zu festigen vermögen. Aber auch den Russen kann letzten Endes eine solche Festlegung Japans in der Mandschurei recht sein, weil sie die chinesische Zentralmacht schwächt und die Amerikaner von Kamschatka ablenkt. Daß auch im Westen die russische Außenpolitik trotz aller inneren Schwierig¬ keiten keineswegs abzudanken beabsichtigt, geht nicht nur aus der energischen Erklärung an Lettland, daß Rußland den geplanten Zusammenschluß der baltischen Staaten als nasus dslli betrachten werde, sondern auch aus jenem Geheimbundschreiben Tschitscherins an die russischen Vertreter im Ausland hervor, das französische Zeitschriften veröffentlicht haben und das dem Inhalt nach durchaus den Eindruck der Echtheit macht. „Unsere Vertreter", heißt es darin, „müssen die nationalen Streitigkeiten verstärken. Führen andere Völker Krieg, wird unsere Stellung besser. Auf Grund unserer offiziellen Beziehungen in Bulgarien und Rumänien, unserer heimlichen in Griechenland, in der Gegend von Konstantinopel, in Südslawien entwickelt sich die Lage erfolgreich. Aber es besteht die Gefahr, daß die großen Mächte den Konflikt lokalisieren können.... Unsere Aufgabe ist es, die englisch-französischen und französisch-italienischen Interessen in Gegensatz zu bringen, die Lage in Griechenland bietet dazu Ge¬ legenheit." Es zeigt sich also, daß Nußland die Lage genau übersieht. Die Ende Mai erfolgten sehr unbestimmten Erklärungen Joffes dagegen: Oberschlesien interessiert Rußland nur insoweit wie es einen europäischen Krieg herbeiführen könnte, in dem Rußland nicht gleichgültig bleiben könne und: an der Lösung der Wilnafrage werde sich Rußland nicht beteiligen, doch werde die russische Neutralität nie so weit gehen, daß ihm gleichgültig sein könne, wer an dieser Stelle Nutz¬ lands Nachbar sei, die russische Regierung beharre auf dem vertragsmäßig festge¬ setzten Standpunkt, daß Litauen ohne Wilna undenkbar sei, werden mehr auf das gewöhnliche Bedürfnis des Bluffs zurückzuführen sein. Einen Krieg gegen Polen zu führen ist Rußland vorläufig nicht in der Lage, überhaupt muß gesagt werden, daß die russischen Westpolitiker im allgemeinen schlechter arbeiten als die asiatischen. Es hängt das wahrscheinlich damit zusammen, daß man in Asien die alten Sach¬ verständigen hat gewähren lassen können, während nach Europa hin aus inner¬ politischen Gründen das alte Personal nahezu vollständig hat ausgewechselt werden müssen. Ob im Innern die Bolschewisten noch lange am Nuder bleiben können, darüber gehen die Meinungen der Sachverständigen stark auseinander. Halten sie sich, so ist das nicht nur auf ihr System des Terrors zurückzuführen, sondern auch auf den Umstand, daß sich trotz der Ungeduld der Emigranten niemand so leicht dazu verstehen wird, ihre Erbschaft anzutreten. Wie trostlos die Lage ist, geht nicht nur aus den sachlich durchaus aufrichtig gemeinten Konzessionen an den Klein¬ besitz hervor, den Lenin trotz seines an sich gerechtfertigten Mißtrauens gegen die von ihm als anarchisch bezeichneten Einflüsse des kleinbürgerlichen Liberalismus als einzigen Retter aus der Not zu bezeichnen sich nicht gescheut hat, sondern aus dem ganzen Tenor jener merkwürdigen aus schwärzesten Pessimismus und starrem Doktrinarismus, wirtschaftlichen Überlegungen und freimütiger Eingeständnissen der beim Feldzug gegen Polen, bei der Demobilisierung, bei der Getreideverteilung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/288>, abgerufen am 12.05.2024.