Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Weltspiegel

man sich allerseits vor der Alternative, entweder isoliert die ganze Welt gegen
sich zu haben (wie zuletzt Deutschland die ganze Welt gegen sich hatte) oder Kom-
binationen einzugehen. Da kein Staat (auch Amerika nicht) augenblicklich stark
genug ist, der ganzen Welt Widerstand zu leisten, so sind Kombinationen unver¬
meidlich. Die Wahl dieser Kombinationen aber ist dadurch erschwert, daß einst¬
weilen Rnszland noch ein unberechenbarer Faktor ist.

Bei Bündnissen ist immer wichtig, daß sich nicht ein schwächerer an einen
Stärkeren bindet, da das zur Absorbierung des Schwächeren in den MachtkreiS
des Stärkeren führt. Dabei ist nicht sowohl die absolute Gesamtstärke und
-schwache der einzelnen Staaten maßgebend, als vielmehr das Verhältnis der
Kräfte an dem Punkte, mit Rücksicht auf den vornehmlich das Bündnis geschlossen
wird. Ehe sich ein schwächerer mit einem Stärkeren in ein Bündnis einlassen
wird, wird er daher lieber mit einem oder mehreren anderen Schwächeren ein
Bündnis gegen den Stärkeren eingehen. Der Wechsel dieser Kombinationen aber
ergibt sich daraus, daß eben die erwähnten Blickpunkte an Wichtigkeit ab- und
zunehmen. Die Schwierigkeit ist nun augenblicklich die, daß zwar das außen¬
politisch ohnmächtige, bisher im wesentlichen passive und wirtschaftlich absolut
abhängige Deutschland sich in jede beliebige Kombination wird pressen lassen, daß
aber zurzeit niemand weiß, wie stark oder schwach Nußland ist und wo es am
stärksten oder schwächsten sein wird. Man hat mit Schrecken die Wahrnehmung
gemacht, daß dies mit riesiger Anstrengung in Osteuropa einstweilen allerdings
niedergeworfene Reich nicht nur Japan und China gegenüber recht kräftig auf¬
tritt, sondern daß es in Mittelasien direkt gesäyrlich wird und daß es gar, mit
den Türken verbündet, als gefährlicher Wettbewerber um Konstantinopel erscheint.
Da gerade an dem Gefahrpunkte Mittelasien zurzeit jedenfalls Nußland ent¬
schieden der Stärkere ist, kann England mit Rußland nicht zusammengehen und
muß sich nach Verbündeten umsehen, um den künftigen Gegner von dem Gefahr¬
punkte wieder abzuwenden. Japan ist hierfür nur in geringem Maße zu ge¬
brauchen, denn einmal sehen weder Australien und Neuseeland noch Indien einen
erneuten Machtzuwachs Japans gern, und zweitens würde eine zu starke japanische
Expansion in Sibirien über kurz oder lang wahrscheinlich zu einem Konflikt mit
Amerika führen, in den sich England nur ungern würde hineinziehen lassen.
Bleibt nur Polen oder, wie in Lloyd Georges Oberschlesienrede angedeutet,
Deutschland. Aber Polen will England nicht unterstützen, einmal weil es sich
schon jetzt mit sämtlichen Nachbarn verfeindet hat. sodann weil England sich in
der Ostsee keinen neuen Konkurrenten schaffen will, drittens weil englische Hilfe
für Polen Frankreich mehr nützen würde als England selbst und viertens weil,
offen gestanden, bis jetzt kein Staatsmann Europas, mit Ausnahme vielleicht
einiger Franzosen, an die Lebensfähigkeit des polnischen Staates glaubt. Bleibt
nur Deutschland. Aber eine Festigung Deutschlands gegen den Willen Frank¬
reichs ist nicht möglich. Daher muß man mit Frankreich beginnen.

Das Bündnis mit Frankreich, das besonders energisch in den letzten Wochen
wieder von Northcliffe und Lord Derby vertreten worden ist, würde allerdings
England die größten Vorteile bringen. Es würde zunächst verhindern, daß
Frankreich, wozu es mehrmals hat Lust blicken lassen, eine antienglische .Kombi¬
nation mit Amerika einginge. Es würde auch, womit man in Frankreich, den
Schatten Caillaux' beschwörend, gleichfalls schon gedroht hat, eine antienglische
Kontinentalpolitik unmöglich machen. Es würde endlich Frankreich das moralische
Recht und den Vorwand entziehen, sich um der eigenen Sicherheit willen eigen¬
mächtig in den Besitz des Ruhrgebietes zu setzen. Man hat von einem Alls¬
tausch: freie Hand für Frankreich am Rhein, freie Hand für England und fran¬
zösische Unterstützung im Orient gesprochen. Aber in dieser Form ist die Kom¬
bination unrichtig. Die letzten Monate haben ganz klar bewiesen, daß England
das Ruhrgebiet unter keinen Umständen besetzen lassen will, und wer die Ge-
schichte der Friedensverhandlungen kennt, weiß, daß das Bündnis mit England
gerade einen Ersatz für die Festsetzung Frankreichs am Rhein bilden soll. Was


Weltspiegel

man sich allerseits vor der Alternative, entweder isoliert die ganze Welt gegen
sich zu haben (wie zuletzt Deutschland die ganze Welt gegen sich hatte) oder Kom-
binationen einzugehen. Da kein Staat (auch Amerika nicht) augenblicklich stark
genug ist, der ganzen Welt Widerstand zu leisten, so sind Kombinationen unver¬
meidlich. Die Wahl dieser Kombinationen aber ist dadurch erschwert, daß einst¬
weilen Rnszland noch ein unberechenbarer Faktor ist.

Bei Bündnissen ist immer wichtig, daß sich nicht ein schwächerer an einen
Stärkeren bindet, da das zur Absorbierung des Schwächeren in den MachtkreiS
des Stärkeren führt. Dabei ist nicht sowohl die absolute Gesamtstärke und
-schwache der einzelnen Staaten maßgebend, als vielmehr das Verhältnis der
Kräfte an dem Punkte, mit Rücksicht auf den vornehmlich das Bündnis geschlossen
wird. Ehe sich ein schwächerer mit einem Stärkeren in ein Bündnis einlassen
wird, wird er daher lieber mit einem oder mehreren anderen Schwächeren ein
Bündnis gegen den Stärkeren eingehen. Der Wechsel dieser Kombinationen aber
ergibt sich daraus, daß eben die erwähnten Blickpunkte an Wichtigkeit ab- und
zunehmen. Die Schwierigkeit ist nun augenblicklich die, daß zwar das außen¬
politisch ohnmächtige, bisher im wesentlichen passive und wirtschaftlich absolut
abhängige Deutschland sich in jede beliebige Kombination wird pressen lassen, daß
aber zurzeit niemand weiß, wie stark oder schwach Nußland ist und wo es am
stärksten oder schwächsten sein wird. Man hat mit Schrecken die Wahrnehmung
gemacht, daß dies mit riesiger Anstrengung in Osteuropa einstweilen allerdings
niedergeworfene Reich nicht nur Japan und China gegenüber recht kräftig auf¬
tritt, sondern daß es in Mittelasien direkt gesäyrlich wird und daß es gar, mit
den Türken verbündet, als gefährlicher Wettbewerber um Konstantinopel erscheint.
Da gerade an dem Gefahrpunkte Mittelasien zurzeit jedenfalls Nußland ent¬
schieden der Stärkere ist, kann England mit Rußland nicht zusammengehen und
muß sich nach Verbündeten umsehen, um den künftigen Gegner von dem Gefahr¬
punkte wieder abzuwenden. Japan ist hierfür nur in geringem Maße zu ge¬
brauchen, denn einmal sehen weder Australien und Neuseeland noch Indien einen
erneuten Machtzuwachs Japans gern, und zweitens würde eine zu starke japanische
Expansion in Sibirien über kurz oder lang wahrscheinlich zu einem Konflikt mit
Amerika führen, in den sich England nur ungern würde hineinziehen lassen.
Bleibt nur Polen oder, wie in Lloyd Georges Oberschlesienrede angedeutet,
Deutschland. Aber Polen will England nicht unterstützen, einmal weil es sich
schon jetzt mit sämtlichen Nachbarn verfeindet hat. sodann weil England sich in
der Ostsee keinen neuen Konkurrenten schaffen will, drittens weil englische Hilfe
für Polen Frankreich mehr nützen würde als England selbst und viertens weil,
offen gestanden, bis jetzt kein Staatsmann Europas, mit Ausnahme vielleicht
einiger Franzosen, an die Lebensfähigkeit des polnischen Staates glaubt. Bleibt
nur Deutschland. Aber eine Festigung Deutschlands gegen den Willen Frank¬
reichs ist nicht möglich. Daher muß man mit Frankreich beginnen.

Das Bündnis mit Frankreich, das besonders energisch in den letzten Wochen
wieder von Northcliffe und Lord Derby vertreten worden ist, würde allerdings
England die größten Vorteile bringen. Es würde zunächst verhindern, daß
Frankreich, wozu es mehrmals hat Lust blicken lassen, eine antienglische .Kombi¬
nation mit Amerika einginge. Es würde auch, womit man in Frankreich, den
Schatten Caillaux' beschwörend, gleichfalls schon gedroht hat, eine antienglische
Kontinentalpolitik unmöglich machen. Es würde endlich Frankreich das moralische
Recht und den Vorwand entziehen, sich um der eigenen Sicherheit willen eigen¬
mächtig in den Besitz des Ruhrgebietes zu setzen. Man hat von einem Alls¬
tausch: freie Hand für Frankreich am Rhein, freie Hand für England und fran¬
zösische Unterstützung im Orient gesprochen. Aber in dieser Form ist die Kom¬
bination unrichtig. Die letzten Monate haben ganz klar bewiesen, daß England
das Ruhrgebiet unter keinen Umständen besetzen lassen will, und wer die Ge-
schichte der Friedensverhandlungen kennt, weiß, daß das Bündnis mit England
gerade einen Ersatz für die Festsetzung Frankreichs am Rhein bilden soll. Was


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0336" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339137"/>
          <fw type="header" place="top"> Weltspiegel</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1147" prev="#ID_1146"> man sich allerseits vor der Alternative, entweder isoliert die ganze Welt gegen<lb/>
sich zu haben (wie zuletzt Deutschland die ganze Welt gegen sich hatte) oder Kom-<lb/>
binationen einzugehen. Da kein Staat (auch Amerika nicht) augenblicklich stark<lb/>
genug ist, der ganzen Welt Widerstand zu leisten, so sind Kombinationen unver¬<lb/>
meidlich. Die Wahl dieser Kombinationen aber ist dadurch erschwert, daß einst¬<lb/>
weilen Rnszland noch ein unberechenbarer Faktor ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1148"> Bei Bündnissen ist immer wichtig, daß sich nicht ein schwächerer an einen<lb/>
Stärkeren bindet, da das zur Absorbierung des Schwächeren in den MachtkreiS<lb/>
des Stärkeren führt. Dabei ist nicht sowohl die absolute Gesamtstärke und<lb/>
-schwache der einzelnen Staaten maßgebend, als vielmehr das Verhältnis der<lb/>
Kräfte an dem Punkte, mit Rücksicht auf den vornehmlich das Bündnis geschlossen<lb/>
wird. Ehe sich ein schwächerer mit einem Stärkeren in ein Bündnis einlassen<lb/>
wird, wird er daher lieber mit einem oder mehreren anderen Schwächeren ein<lb/>
Bündnis gegen den Stärkeren eingehen. Der Wechsel dieser Kombinationen aber<lb/>
ergibt sich daraus, daß eben die erwähnten Blickpunkte an Wichtigkeit ab- und<lb/>
zunehmen. Die Schwierigkeit ist nun augenblicklich die, daß zwar das außen¬<lb/>
politisch ohnmächtige, bisher im wesentlichen passive und wirtschaftlich absolut<lb/>
abhängige Deutschland sich in jede beliebige Kombination wird pressen lassen, daß<lb/>
aber zurzeit niemand weiß, wie stark oder schwach Nußland ist und wo es am<lb/>
stärksten oder schwächsten sein wird. Man hat mit Schrecken die Wahrnehmung<lb/>
gemacht, daß dies mit riesiger Anstrengung in Osteuropa einstweilen allerdings<lb/>
niedergeworfene Reich nicht nur Japan und China gegenüber recht kräftig auf¬<lb/>
tritt, sondern daß es in Mittelasien direkt gesäyrlich wird und daß es gar, mit<lb/>
den Türken verbündet, als gefährlicher Wettbewerber um Konstantinopel erscheint.<lb/>
Da gerade an dem Gefahrpunkte Mittelasien zurzeit jedenfalls Nußland ent¬<lb/>
schieden der Stärkere ist, kann England mit Rußland nicht zusammengehen und<lb/>
muß sich nach Verbündeten umsehen, um den künftigen Gegner von dem Gefahr¬<lb/>
punkte wieder abzuwenden. Japan ist hierfür nur in geringem Maße zu ge¬<lb/>
brauchen, denn einmal sehen weder Australien und Neuseeland noch Indien einen<lb/>
erneuten Machtzuwachs Japans gern, und zweitens würde eine zu starke japanische<lb/>
Expansion in Sibirien über kurz oder lang wahrscheinlich zu einem Konflikt mit<lb/>
Amerika führen, in den sich England nur ungern würde hineinziehen lassen.<lb/>
Bleibt nur Polen oder, wie in Lloyd Georges Oberschlesienrede angedeutet,<lb/>
Deutschland. Aber Polen will England nicht unterstützen, einmal weil es sich<lb/>
schon jetzt mit sämtlichen Nachbarn verfeindet hat. sodann weil England sich in<lb/>
der Ostsee keinen neuen Konkurrenten schaffen will, drittens weil englische Hilfe<lb/>
für Polen Frankreich mehr nützen würde als England selbst und viertens weil,<lb/>
offen gestanden, bis jetzt kein Staatsmann Europas, mit Ausnahme vielleicht<lb/>
einiger Franzosen, an die Lebensfähigkeit des polnischen Staates glaubt. Bleibt<lb/>
nur Deutschland. Aber eine Festigung Deutschlands gegen den Willen Frank¬<lb/>
reichs ist nicht möglich. Daher muß man mit Frankreich beginnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1149" next="#ID_1150"> Das Bündnis mit Frankreich, das besonders energisch in den letzten Wochen<lb/>
wieder von Northcliffe und Lord Derby vertreten worden ist, würde allerdings<lb/>
England die größten Vorteile bringen. Es würde zunächst verhindern, daß<lb/>
Frankreich, wozu es mehrmals hat Lust blicken lassen, eine antienglische .Kombi¬<lb/>
nation mit Amerika einginge. Es würde auch, womit man in Frankreich, den<lb/>
Schatten Caillaux' beschwörend, gleichfalls schon gedroht hat, eine antienglische<lb/>
Kontinentalpolitik unmöglich machen. Es würde endlich Frankreich das moralische<lb/>
Recht und den Vorwand entziehen, sich um der eigenen Sicherheit willen eigen¬<lb/>
mächtig in den Besitz des Ruhrgebietes zu setzen. Man hat von einem Alls¬<lb/>
tausch: freie Hand für Frankreich am Rhein, freie Hand für England und fran¬<lb/>
zösische Unterstützung im Orient gesprochen. Aber in dieser Form ist die Kom¬<lb/>
bination unrichtig. Die letzten Monate haben ganz klar bewiesen, daß England<lb/>
das Ruhrgebiet unter keinen Umständen besetzen lassen will, und wer die Ge-<lb/>
schichte der Friedensverhandlungen kennt, weiß, daß das Bündnis mit England<lb/>
gerade einen Ersatz für die Festsetzung Frankreichs am Rhein bilden soll. Was</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0336] Weltspiegel man sich allerseits vor der Alternative, entweder isoliert die ganze Welt gegen sich zu haben (wie zuletzt Deutschland die ganze Welt gegen sich hatte) oder Kom- binationen einzugehen. Da kein Staat (auch Amerika nicht) augenblicklich stark genug ist, der ganzen Welt Widerstand zu leisten, so sind Kombinationen unver¬ meidlich. Die Wahl dieser Kombinationen aber ist dadurch erschwert, daß einst¬ weilen Rnszland noch ein unberechenbarer Faktor ist. Bei Bündnissen ist immer wichtig, daß sich nicht ein schwächerer an einen Stärkeren bindet, da das zur Absorbierung des Schwächeren in den MachtkreiS des Stärkeren führt. Dabei ist nicht sowohl die absolute Gesamtstärke und -schwache der einzelnen Staaten maßgebend, als vielmehr das Verhältnis der Kräfte an dem Punkte, mit Rücksicht auf den vornehmlich das Bündnis geschlossen wird. Ehe sich ein schwächerer mit einem Stärkeren in ein Bündnis einlassen wird, wird er daher lieber mit einem oder mehreren anderen Schwächeren ein Bündnis gegen den Stärkeren eingehen. Der Wechsel dieser Kombinationen aber ergibt sich daraus, daß eben die erwähnten Blickpunkte an Wichtigkeit ab- und zunehmen. Die Schwierigkeit ist nun augenblicklich die, daß zwar das außen¬ politisch ohnmächtige, bisher im wesentlichen passive und wirtschaftlich absolut abhängige Deutschland sich in jede beliebige Kombination wird pressen lassen, daß aber zurzeit niemand weiß, wie stark oder schwach Nußland ist und wo es am stärksten oder schwächsten sein wird. Man hat mit Schrecken die Wahrnehmung gemacht, daß dies mit riesiger Anstrengung in Osteuropa einstweilen allerdings niedergeworfene Reich nicht nur Japan und China gegenüber recht kräftig auf¬ tritt, sondern daß es in Mittelasien direkt gesäyrlich wird und daß es gar, mit den Türken verbündet, als gefährlicher Wettbewerber um Konstantinopel erscheint. Da gerade an dem Gefahrpunkte Mittelasien zurzeit jedenfalls Nußland ent¬ schieden der Stärkere ist, kann England mit Rußland nicht zusammengehen und muß sich nach Verbündeten umsehen, um den künftigen Gegner von dem Gefahr¬ punkte wieder abzuwenden. Japan ist hierfür nur in geringem Maße zu ge¬ brauchen, denn einmal sehen weder Australien und Neuseeland noch Indien einen erneuten Machtzuwachs Japans gern, und zweitens würde eine zu starke japanische Expansion in Sibirien über kurz oder lang wahrscheinlich zu einem Konflikt mit Amerika führen, in den sich England nur ungern würde hineinziehen lassen. Bleibt nur Polen oder, wie in Lloyd Georges Oberschlesienrede angedeutet, Deutschland. Aber Polen will England nicht unterstützen, einmal weil es sich schon jetzt mit sämtlichen Nachbarn verfeindet hat. sodann weil England sich in der Ostsee keinen neuen Konkurrenten schaffen will, drittens weil englische Hilfe für Polen Frankreich mehr nützen würde als England selbst und viertens weil, offen gestanden, bis jetzt kein Staatsmann Europas, mit Ausnahme vielleicht einiger Franzosen, an die Lebensfähigkeit des polnischen Staates glaubt. Bleibt nur Deutschland. Aber eine Festigung Deutschlands gegen den Willen Frank¬ reichs ist nicht möglich. Daher muß man mit Frankreich beginnen. Das Bündnis mit Frankreich, das besonders energisch in den letzten Wochen wieder von Northcliffe und Lord Derby vertreten worden ist, würde allerdings England die größten Vorteile bringen. Es würde zunächst verhindern, daß Frankreich, wozu es mehrmals hat Lust blicken lassen, eine antienglische .Kombi¬ nation mit Amerika einginge. Es würde auch, womit man in Frankreich, den Schatten Caillaux' beschwörend, gleichfalls schon gedroht hat, eine antienglische Kontinentalpolitik unmöglich machen. Es würde endlich Frankreich das moralische Recht und den Vorwand entziehen, sich um der eigenen Sicherheit willen eigen¬ mächtig in den Besitz des Ruhrgebietes zu setzen. Man hat von einem Alls¬ tausch: freie Hand für Frankreich am Rhein, freie Hand für England und fran¬ zösische Unterstützung im Orient gesprochen. Aber in dieser Form ist die Kom¬ bination unrichtig. Die letzten Monate haben ganz klar bewiesen, daß England das Ruhrgebiet unter keinen Umständen besetzen lassen will, und wer die Ge- schichte der Friedensverhandlungen kennt, weiß, daß das Bündnis mit England gerade einen Ersatz für die Festsetzung Frankreichs am Rhein bilden soll. Was

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/336
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/336>, abgerufen am 11.05.2024.