Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.Gedanken über Schulreform Aber den werdenden Menschengeist stellt man brutal vor die Forderung. Die Aber was ist nun praktisch der Unterschied zwischen Lehren und Bilden? Durch eigene Arbeit; und damit sind wir bei dem, was die Arbeitsschule Und daß diese Gotteswelt nicht den werdenden Menschen entweiht und So ist die Schule -- und soll es sein -- Lehranstalt und muß als solche Gedanken über Schulreform Aber den werdenden Menschengeist stellt man brutal vor die Forderung. Die Aber was ist nun praktisch der Unterschied zwischen Lehren und Bilden? Durch eigene Arbeit; und damit sind wir bei dem, was die Arbeitsschule Und daß diese Gotteswelt nicht den werdenden Menschen entweiht und So ist die Schule — und soll es sein — Lehranstalt und muß als solche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0163" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339712"/> <fw type="header" place="top"> Gedanken über Schulreform</fw><lb/> <p xml:id="ID_667" prev="#ID_666"> Aber den werdenden Menschengeist stellt man brutal vor die Forderung. Die<lb/> erfülle du oder zerbrichI Wir müssen Forderungen an die Jugend heranbringen.<lb/> Das Leben verlangt es. und an der Erfüllung der Pflicht reist der Charakter.<lb/> Aber daß es neben solchen ständigen Forderungen, die die Schule stellt, keine<lb/> Stätte gibt, da man nicht fordert, sondern da man die jungen Geister pflegt und<lb/> hegt, und mit Liebe fragt, welche Nahrung sie zum Wachstum brauchen, und ihre<lb/> berechtigten und notwendigen geistigen Bedürfnisse befriedigt, das ist der Jammer,<lb/> der einem Freund der Jugend das Herz bluten machen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_668"> Aber was ist nun praktisch der Unterschied zwischen Lehren und Bilden?<lb/> Auch beim Bilden wird gelernt und Wissen angeeignet. Aber das Lernen ist<lb/> kein mechanisch und krampfhaft mit dem Gedächtnis festgehaltener Ballast, sondern<lb/> es ist das Sehendwerden des Geistes; und das Wissen wird nicht mühsam ein¬<lb/> gedrillt und eingepaukt, sondern es ist das durch Erleben und eigene Arbeit<lb/> Reif, und Reichwerden des ganzen Menschen, der selbstverständliche Niederschlag<lb/> geistigen Wachsens.</p><lb/> <p xml:id="ID_669"> Durch eigene Arbeit; und damit sind wir bei dem, was die Arbeitsschule<lb/> will. Die Kinder sollen nicht in erster Linie lernen, d. h. stumpfsinnige Gedächtnis¬<lb/> maschinen sein, sondern sollen durch eigene Arbeit, eigenes Forschen, Fragen und<lb/> eigenen Kampf die Welt durchgehen und sie sich in selbständiger Geistes- und<lb/> Seelenarbeit erobern, unsere reiche, große und trotz allem schöne Welt mit ihren<lb/> Geheimnissen und Offenbarungen und s o zunehmen an Wissen und Weisheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_670"> Und daß diese Gotteswelt nicht den werdenden Menschen entweiht und<lb/> entwürdigt wird dadurch, daß man sie zum „Lernstoff" macht, durch dessen<lb/> Aneignung man sich gute Zensuren, Versetzungen und Prüfungen erwirbt, darum<lb/> geht der tiefste Kampf der Jugendfreunde, und ehe dieser Kampf nicht mit einem<lb/> Sieg geendet hat, gibt es ein Schulelend, eine Krankheit des Geistes, an der<lb/> unsere Jugend steche.</p><lb/> <p xml:id="ID_671"> So ist die Schule — und soll es sein — Lehranstalt und muß als solche<lb/> bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln, die das Leben verlangt, auf ein<lb/> bestimmtes äußeres Ziel vorbereiten, auf bestimmte Berufe hinführen. Aber da¬<lb/> neben sollte die Schule sein — und sie ist es in ihrer jetzigen Form nicht —<lb/> Bildungsanstalt, Pflanzung und Pflege werdender Geister, wo man nicht mit<lb/> Forderungen schreckt und mit Zielen droht, nicht beständig durch ewig störende<lb/> Stichproben des Erreichten das Wachstum stört, nicht immerfort Belastungsproben<lb/> anstellt, kurz nicht Steine gibt statt Brot und ruhig, stetig und sorglich wachsen<lb/> werden und reifen läßt und dem Pflegling das an Geistesnahrung zukommen<lb/> läßt, was gerade er in seiner Eigenart, in seinen Nöten, Fragen, Bedürfnissen und<lb/> Interessen braucht. Dann würden unsere Kinder und unsere Werdenden ihrer<lb/> Jugend froh und ihrer Schule froh als der Heimstätte ihres Geistes. Und ein<lb/> -Jugendfrühling würde anbrechen da. wo so viel Totengebein ist, und ein geistiges<lb/> Auferstehen, an dem unser Volk genesen könnte.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0163]
Gedanken über Schulreform
Aber den werdenden Menschengeist stellt man brutal vor die Forderung. Die
erfülle du oder zerbrichI Wir müssen Forderungen an die Jugend heranbringen.
Das Leben verlangt es. und an der Erfüllung der Pflicht reist der Charakter.
Aber daß es neben solchen ständigen Forderungen, die die Schule stellt, keine
Stätte gibt, da man nicht fordert, sondern da man die jungen Geister pflegt und
hegt, und mit Liebe fragt, welche Nahrung sie zum Wachstum brauchen, und ihre
berechtigten und notwendigen geistigen Bedürfnisse befriedigt, das ist der Jammer,
der einem Freund der Jugend das Herz bluten machen kann.
Aber was ist nun praktisch der Unterschied zwischen Lehren und Bilden?
Auch beim Bilden wird gelernt und Wissen angeeignet. Aber das Lernen ist
kein mechanisch und krampfhaft mit dem Gedächtnis festgehaltener Ballast, sondern
es ist das Sehendwerden des Geistes; und das Wissen wird nicht mühsam ein¬
gedrillt und eingepaukt, sondern es ist das durch Erleben und eigene Arbeit
Reif, und Reichwerden des ganzen Menschen, der selbstverständliche Niederschlag
geistigen Wachsens.
Durch eigene Arbeit; und damit sind wir bei dem, was die Arbeitsschule
will. Die Kinder sollen nicht in erster Linie lernen, d. h. stumpfsinnige Gedächtnis¬
maschinen sein, sondern sollen durch eigene Arbeit, eigenes Forschen, Fragen und
eigenen Kampf die Welt durchgehen und sie sich in selbständiger Geistes- und
Seelenarbeit erobern, unsere reiche, große und trotz allem schöne Welt mit ihren
Geheimnissen und Offenbarungen und s o zunehmen an Wissen und Weisheit.
Und daß diese Gotteswelt nicht den werdenden Menschen entweiht und
entwürdigt wird dadurch, daß man sie zum „Lernstoff" macht, durch dessen
Aneignung man sich gute Zensuren, Versetzungen und Prüfungen erwirbt, darum
geht der tiefste Kampf der Jugendfreunde, und ehe dieser Kampf nicht mit einem
Sieg geendet hat, gibt es ein Schulelend, eine Krankheit des Geistes, an der
unsere Jugend steche.
So ist die Schule — und soll es sein — Lehranstalt und muß als solche
bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln, die das Leben verlangt, auf ein
bestimmtes äußeres Ziel vorbereiten, auf bestimmte Berufe hinführen. Aber da¬
neben sollte die Schule sein — und sie ist es in ihrer jetzigen Form nicht —
Bildungsanstalt, Pflanzung und Pflege werdender Geister, wo man nicht mit
Forderungen schreckt und mit Zielen droht, nicht beständig durch ewig störende
Stichproben des Erreichten das Wachstum stört, nicht immerfort Belastungsproben
anstellt, kurz nicht Steine gibt statt Brot und ruhig, stetig und sorglich wachsen
werden und reifen läßt und dem Pflegling das an Geistesnahrung zukommen
läßt, was gerade er in seiner Eigenart, in seinen Nöten, Fragen, Bedürfnissen und
Interessen braucht. Dann würden unsere Kinder und unsere Werdenden ihrer
Jugend froh und ihrer Schule froh als der Heimstätte ihres Geistes. Und ein
-Jugendfrühling würde anbrechen da. wo so viel Totengebein ist, und ein geistiges
Auferstehen, an dem unser Volk genesen könnte.
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