Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.sie die Angegriffenen, sind, nicht, sich den Neutralen gegenüber als solche aufzu- Kapitel 2 handelte von der deutsch-englischen Spannung. "Deutschland sie die Angegriffenen, sind, nicht, sich den Neutralen gegenüber als solche aufzu- Kapitel 2 handelte von der deutsch-englischen Spannung. „Deutschland <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339789"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_949" prev="#ID_948"> sie die Angegriffenen, sind, nicht, sich den Neutralen gegenüber als solche aufzu-<lb/> weisen. Sie haben nun einmal die Gelegenheitsursache des Krieges auf dem Ge¬<lb/> wissen. Das österreichische Ultimatum an Serbien war unannehmbar. Daraus<lb/> folgt, daß der Ballplatz den Krieg mit Serbien wollte. Moralisch war Osterreich<lb/> zum Äußersten berechtigt. Es hätte dann aber unmittelbar nach Ablauf der<lb/> Serbien gestellten Frist mit überwältigenden Aufgebot die Donau überschreiten<lb/> und die Serben in wenigen Tagen abtun müssen. Von heute auf morgen'konnte<lb/> Nußland den Fürstenmördern nicht beispringen und hätte sich vielleicht mit dem<lb/> lait acccimpü einer serbischen Züchtigung abgefunden. Osterreich hätte es also<lb/> wohl in der Hand gehabt, die Schandtat von'Serajewo zu sühnen, ohne den Welt¬<lb/> krieg in Gang zu bringen. Immerhin war es ein Spiel mit dem Feuer, das<lb/> von uns nur unter scharfer Kontrolle zugelassen werden durfte. Daß unser Herr<lb/> keine Schuld an dem Kriege hat, ist für jeden, der hinter den Kulissen steht, aus¬<lb/> gemacht. Seine politischen Ratgeber mögen sich aber noch so oft vor versaumet<lb/> tem Kriegsvolk die Hände waschen, es wird ihnen ebenso weniZ wie dem armen<lb/> Pontius Pilatus gelingen, sie zu säubern. Daß die Betreffenden, wie gewöhn ¬<lb/> lich, nicht wußten, was sie taten, ist keine Entschuldigung. Ihr Grundfehler (um<lb/> mit dem Fürst-Botschafter zu reden: proton pseuäos oder lors malorum) war,<lb/> daß sie Osterreich nicht unmittelbar nach der Ermordung des Erzherzog-Thron¬<lb/> folgers scharf an den Zügel unebenen."</p><lb/> <p xml:id="ID_950" next="#ID_951"> Kapitel 2 handelte von der deutsch-englischen Spannung. „Deutschland<lb/> mußte wegen seiner Bevölkerungszunahme Menschen oder Waren ausführen.<lb/> Daher seine Umstellung zum Industriestaat und die Notwendigkeit neuer Absatz¬<lb/> gebiete. England mißdeutete unsere wirtschaftliche Expansion imperialistisch und<lb/> wurde nervös." Kapitel 3 schilderte den latenten Kriegszustand, den die frau ¬<lb/> zösischen Revanche-Hoffnungen zwischen uns und Frankreich erzeugt hatten. Im<lb/> nächsten besprach ich den serbischen Nationalismus und kam dann in Kapitel 5<lb/> auf den Panslawismus. Er könne zwar die exeeptio plurium geltend machen, sei<lb/> aber unter den Vätern des Krieges der zeugungsfähigste gewesen. Uns habe er<lb/> nur als die Verbündeten der K. n. K. Monarchie gehaßt, deren Vernichtung für<lb/> die Verwirklichung seines Balkanprogramms unumgänglich war. Kapitel 6 führte<lb/> aus, daß neben Männern und Massen auch Mutter Erde ein gewichtiges Wort<lb/> bei der Politik mitredet. „Deutschland besitzt keine natürlichen Grenzen. Eng¬<lb/> land ist eine Insel mit deren Vor- und Nachteilen. Hieraus ergaben sich bei dem<lb/> allgemeinen Mißtrauen die sich gegenseitig steigernden Rüstungen. Im nahen<lb/> Orient schnitten sich die wirtschaftliche Linie Berlin —Bagdad, die politische<lb/> Petersburg—Mittelmeer und die strategische Ägypten—Indien. Geopolitische<lb/> Reibungen haben wesentlich zur 'Erzeugung der Atmosphäre beigetragen, die für<lb/> den Weltbrand Vorbedingung war." Kapitel 7 lieferte den geschichtlichen Hinter¬<lb/> grund, ans dem in den beiden folgenden die Tätigkeit Eduards VII. und Wil¬<lb/> helms II. umrissen wurde. „Eduard VII. war kein Macchiavelli, fondern ein<lb/> weltgewandter Lebemann. Seine Regentenpflichten faßte er auf, wie die briti<lb/> sche Tradition es vorschreibt. Er ist nicht der verantwortliche Redakteur der<lb/> Einkreisungspolitik. Sie wurde von der Volksnervosität verlangt. Die Regie<lb/> rnng betrieb sie als Organ der öffentlichen Meinung und nützte dabei die Talente<lb/> des Königs aus. Die Einkreisungspolitik war zunächst defensiv gedacht. Der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0240]
sie die Angegriffenen, sind, nicht, sich den Neutralen gegenüber als solche aufzu-
weisen. Sie haben nun einmal die Gelegenheitsursache des Krieges auf dem Ge¬
wissen. Das österreichische Ultimatum an Serbien war unannehmbar. Daraus
folgt, daß der Ballplatz den Krieg mit Serbien wollte. Moralisch war Osterreich
zum Äußersten berechtigt. Es hätte dann aber unmittelbar nach Ablauf der
Serbien gestellten Frist mit überwältigenden Aufgebot die Donau überschreiten
und die Serben in wenigen Tagen abtun müssen. Von heute auf morgen'konnte
Nußland den Fürstenmördern nicht beispringen und hätte sich vielleicht mit dem
lait acccimpü einer serbischen Züchtigung abgefunden. Osterreich hätte es also
wohl in der Hand gehabt, die Schandtat von'Serajewo zu sühnen, ohne den Welt¬
krieg in Gang zu bringen. Immerhin war es ein Spiel mit dem Feuer, das
von uns nur unter scharfer Kontrolle zugelassen werden durfte. Daß unser Herr
keine Schuld an dem Kriege hat, ist für jeden, der hinter den Kulissen steht, aus¬
gemacht. Seine politischen Ratgeber mögen sich aber noch so oft vor versaumet
tem Kriegsvolk die Hände waschen, es wird ihnen ebenso weniZ wie dem armen
Pontius Pilatus gelingen, sie zu säubern. Daß die Betreffenden, wie gewöhn ¬
lich, nicht wußten, was sie taten, ist keine Entschuldigung. Ihr Grundfehler (um
mit dem Fürst-Botschafter zu reden: proton pseuäos oder lors malorum) war,
daß sie Osterreich nicht unmittelbar nach der Ermordung des Erzherzog-Thron¬
folgers scharf an den Zügel unebenen."
Kapitel 2 handelte von der deutsch-englischen Spannung. „Deutschland
mußte wegen seiner Bevölkerungszunahme Menschen oder Waren ausführen.
Daher seine Umstellung zum Industriestaat und die Notwendigkeit neuer Absatz¬
gebiete. England mißdeutete unsere wirtschaftliche Expansion imperialistisch und
wurde nervös." Kapitel 3 schilderte den latenten Kriegszustand, den die frau ¬
zösischen Revanche-Hoffnungen zwischen uns und Frankreich erzeugt hatten. Im
nächsten besprach ich den serbischen Nationalismus und kam dann in Kapitel 5
auf den Panslawismus. Er könne zwar die exeeptio plurium geltend machen, sei
aber unter den Vätern des Krieges der zeugungsfähigste gewesen. Uns habe er
nur als die Verbündeten der K. n. K. Monarchie gehaßt, deren Vernichtung für
die Verwirklichung seines Balkanprogramms unumgänglich war. Kapitel 6 führte
aus, daß neben Männern und Massen auch Mutter Erde ein gewichtiges Wort
bei der Politik mitredet. „Deutschland besitzt keine natürlichen Grenzen. Eng¬
land ist eine Insel mit deren Vor- und Nachteilen. Hieraus ergaben sich bei dem
allgemeinen Mißtrauen die sich gegenseitig steigernden Rüstungen. Im nahen
Orient schnitten sich die wirtschaftliche Linie Berlin —Bagdad, die politische
Petersburg—Mittelmeer und die strategische Ägypten—Indien. Geopolitische
Reibungen haben wesentlich zur 'Erzeugung der Atmosphäre beigetragen, die für
den Weltbrand Vorbedingung war." Kapitel 7 lieferte den geschichtlichen Hinter¬
grund, ans dem in den beiden folgenden die Tätigkeit Eduards VII. und Wil¬
helms II. umrissen wurde. „Eduard VII. war kein Macchiavelli, fondern ein
weltgewandter Lebemann. Seine Regentenpflichten faßte er auf, wie die briti
sche Tradition es vorschreibt. Er ist nicht der verantwortliche Redakteur der
Einkreisungspolitik. Sie wurde von der Volksnervosität verlangt. Die Regie
rnng betrieb sie als Organ der öffentlichen Meinung und nützte dabei die Talente
des Königs aus. Die Einkreisungspolitik war zunächst defensiv gedacht. Der
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