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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Abriß meiner Haager Berichterstattung

sich das machen ließ, meine Anregungen für in der Heimat zu treffende Ma߬
nahmen, indem ich über die entsprechenden in England berichtete. Neben dem
schon erwähnten Hilfsoffizier für Amerika hatte ich einen zweiten für England.
Er war ein Mann von vielseitiger Begabung, außerordentlicher Arbeitskraft und
gesundem Urteil. Die wirtschaftlichen Verhältnisse von England, Frankreich und
Deutschland waren ihm aus eigener Anschauung bekannt. Er hatte die Auslands¬
presse auf militärische Nachrichten über England hin zu lesen und die gesammel¬
ten Notizen allabendlich an die Abteilung Fremde Heere zu schicken. Außerdem
bearbeitete er die wirtschaftliche Lage Englands und schrieb über sie Berichte, die
von bleibendem Wert sein dürften. Sie gingen an das Kriegsministerium,
Kriegsamt und Reichswirtschaftsamt. Solche, die mir für meine Zwecke geeignet
erschienen, versah ich mit einem kurzen Kommentar und ließ sie als Militür-
berichte abgehen. Als Beispiel für eine verkappte Anregung gebe ich inhaltlich
wieder, was ich am 20. November 1917 einem Bericht meines Hilfsoffiziers über
das englische Wirtschaftsamt vorausschickte. "Die Frage der Übergangswirtschaft
steht in allen kriegführenden Ländern auf der Tagesordnung. Man kann sich
jetzt ein allgemeines Bild davon machen, wie sie in England aufgefaßt wird.
Für die Vorbereitung der Übergangswirtschaft besteht dort ein besonderes Ministe¬
rium. Es hat vorläufig nur die Aufgabe, Richtlinien festzulegen. Die Über¬
tragung der Theorie in die Praxis ist den Abteilungen für Übergangswirtschaft in
den Nessortministerien vorbehalten. Das Programm des Wirtschaftsamts ent¬
steht auf offener Bühne. Dadurch wird verhindert, daß sich eine Interessengruppe
zum Nachteil der übrigen durchsetzt. Hinter den Kulissen des Munitions-Ministe-
riums würden z. B. die Heereslieferanten das große Wort führen. Mitarbeiter
des Wirtschaftsamtes sind Ausschüsse, in denen Regierung, Parlament, Produ¬
zenten und Konsumenten vertreten sind. Also das ganze Volk. Das Programm
soll als Kraftresultante aller vorliegenden Wünsche und Erfahrungen entstehen.
Dadurch hofft man die unvermeidlichen Reibungen der post bellum Periode auf
das Mindestmaß zu beschränken. Das Nähere ergibt die Anlage. Für die All¬
gemeinheit sind zwei Feststellungen zu machen. Erstens, daß man in England von
der Notwendigkeit einer einheitlichen Organisation des gesamten Wirtschafts¬
lebens 'durchdrungen 'ist. Zweitens, daß das britische Volk den praktischen Fragen
des Wirtschaftslebens ein viel größeres Interesse entgegenbringt, als den theore¬
tischen der Regierungstechnik. Letztere ist ihm gleichgültig, solange es hofft, daß
ihm die Negierung zum Siege verhilft. Noch wichtiger als der Sieg ist jedoch
den breiten Massen die Sicherung ihrer wirtschaftlichen Zukunft. Nur so lange
sie im Sieg deren Vorbedingung erblicken, werden sie durchhalten."

^Fortsetzung folgt.)




Abriß meiner Haager Berichterstattung

sich das machen ließ, meine Anregungen für in der Heimat zu treffende Ma߬
nahmen, indem ich über die entsprechenden in England berichtete. Neben dem
schon erwähnten Hilfsoffizier für Amerika hatte ich einen zweiten für England.
Er war ein Mann von vielseitiger Begabung, außerordentlicher Arbeitskraft und
gesundem Urteil. Die wirtschaftlichen Verhältnisse von England, Frankreich und
Deutschland waren ihm aus eigener Anschauung bekannt. Er hatte die Auslands¬
presse auf militärische Nachrichten über England hin zu lesen und die gesammel¬
ten Notizen allabendlich an die Abteilung Fremde Heere zu schicken. Außerdem
bearbeitete er die wirtschaftliche Lage Englands und schrieb über sie Berichte, die
von bleibendem Wert sein dürften. Sie gingen an das Kriegsministerium,
Kriegsamt und Reichswirtschaftsamt. Solche, die mir für meine Zwecke geeignet
erschienen, versah ich mit einem kurzen Kommentar und ließ sie als Militür-
berichte abgehen. Als Beispiel für eine verkappte Anregung gebe ich inhaltlich
wieder, was ich am 20. November 1917 einem Bericht meines Hilfsoffiziers über
das englische Wirtschaftsamt vorausschickte. „Die Frage der Übergangswirtschaft
steht in allen kriegführenden Ländern auf der Tagesordnung. Man kann sich
jetzt ein allgemeines Bild davon machen, wie sie in England aufgefaßt wird.
Für die Vorbereitung der Übergangswirtschaft besteht dort ein besonderes Ministe¬
rium. Es hat vorläufig nur die Aufgabe, Richtlinien festzulegen. Die Über¬
tragung der Theorie in die Praxis ist den Abteilungen für Übergangswirtschaft in
den Nessortministerien vorbehalten. Das Programm des Wirtschaftsamts ent¬
steht auf offener Bühne. Dadurch wird verhindert, daß sich eine Interessengruppe
zum Nachteil der übrigen durchsetzt. Hinter den Kulissen des Munitions-Ministe-
riums würden z. B. die Heereslieferanten das große Wort führen. Mitarbeiter
des Wirtschaftsamtes sind Ausschüsse, in denen Regierung, Parlament, Produ¬
zenten und Konsumenten vertreten sind. Also das ganze Volk. Das Programm
soll als Kraftresultante aller vorliegenden Wünsche und Erfahrungen entstehen.
Dadurch hofft man die unvermeidlichen Reibungen der post bellum Periode auf
das Mindestmaß zu beschränken. Das Nähere ergibt die Anlage. Für die All¬
gemeinheit sind zwei Feststellungen zu machen. Erstens, daß man in England von
der Notwendigkeit einer einheitlichen Organisation des gesamten Wirtschafts¬
lebens 'durchdrungen 'ist. Zweitens, daß das britische Volk den praktischen Fragen
des Wirtschaftslebens ein viel größeres Interesse entgegenbringt, als den theore¬
tischen der Regierungstechnik. Letztere ist ihm gleichgültig, solange es hofft, daß
ihm die Negierung zum Siege verhilft. Noch wichtiger als der Sieg ist jedoch
den breiten Massen die Sicherung ihrer wirtschaftlichen Zukunft. Nur so lange
sie im Sieg deren Vorbedingung erblicken, werden sie durchhalten."

^Fortsetzung folgt.)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/275>, abgerufen am 15.05.2024.