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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Berliner Bühne

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Konzentration, beseelende Raumgestal¬
tung waren, bedeutete der Versuch,
Goethes "Götz von Berlichingen" für das
Große Schauspielhaus zu gewinnen, einen
schmerzlichen Fehlgriff. Auch in der
Arena versuchte der Leiter der Auf¬
führung, Karl Heinz Martin, ohne den
herkömmlichen, gerade an dieser Stätte oft
genug ins Opernhafte gesteigerten Deko¬
rationsapparat auszukommen. Aber
was für "Othello" und "Richard" eine
Tugend sein konnte, war für "Götz"
schon aus dichterischen Gründen eine
Sünde. Shakespeares mythische Wesen
bilden ihre Atmosphäre, wie ihr Schicksal,
aus den .Kräften ihres Innern (für die
Märchenspiele, wie den "Sommernachts¬
traum", gilt dieser Satz freilich nicht).
Die altdeutschen Menschen des jungen
Goethe atmen die Luft ihrer Burgen und
Höfe, ihrer Wälder und Dörfer. Diese
Luft gehört zu ihnen wie ihre stamm¬
haft-landschafilich gebundene, volkstüm¬
lich-derbe Sprache. Man preßt diesen
Gestalten ihren Lebenssaft ab, wenn
man sie in den abstrakten Raum und
den Lichtkegel des Scheinwerfers hinein¬
stellt. Die Riesenhaftigkeit der Raum-
Verhältnisse des GroßenSchauspielhauses
abcrhindert selbst dieüberragenden Schau¬
spieler an einem freien Ausformen ihrer
künstlerischen Intentionen, ja schon an
der Möglichkeit, rein körperlich deS
Raumes Herr zu werden. Die Schau¬
spieler, mindestens die heutigen, sind
nicht imstande, diesem Raum ihren dra¬

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matischen Ausdruckswillen aufzuzwingen
(nur jenem einzigen Werner Kmufz ist
es gelegentlich gelungen)' vielmehr be¬
fiehlt ihnen der Raum die Art, wie sie
zu gehen und zu stehen, zu sprechen
und zu agieren haben.

Vielleicht noch niemals ist dieser
Charakter der Arena so erschreckend
deutlich sichtbar geworden, wie in der
Götz-Aufführung- Es war peinlich, wie
armselig der Kaiser Maximilian in
seiner Verlorenheit vor der grenzenlosen
Fläche des Hintergrundes dastand. Und
wenn schon "die weit in die Arena vor¬
geschobenen Szenen im Familienkreise
Götzens menschliches Format hatten, so
wirkten die auf der fernen Hinterbühne
sich abspielenden Bankett- und Schlacht¬
szenen wie ein ungeheures Puppen¬
theater, riesenspielzeughaft. Darum ist
auch über den Götz Eugen Klöpfers nichts
Endgültiges zu sagen. Er war so
sehr damit beschäftigt, die weiten Wege
zurückzulegen, alle seine Gesten, seine
Reden, ans Fernwirkung anzulegen, daß
trotz seines herzhaften Lachens und seiner
kernfesten Männlichkeit kein grotzmensch-
licher Eindruck zustande kam. Es blieb
beim Turnerideal: frisch, fromm, fröh¬
lich und frei.

Zwischen diesen beiden Polen schreitet
gegenwärtig viel Mittelmäßiges, einiges
Bemerkenswerte über die Berliner Büh¬
nen, worüber demnächst zu sprechen sein
Artur Michel Wird.

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Berliner Bühne

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Konzentration, beseelende Raumgestal¬
tung waren, bedeutete der Versuch,
Goethes „Götz von Berlichingen" für das
Große Schauspielhaus zu gewinnen, einen
schmerzlichen Fehlgriff. Auch in der
Arena versuchte der Leiter der Auf¬
führung, Karl Heinz Martin, ohne den
herkömmlichen, gerade an dieser Stätte oft
genug ins Opernhafte gesteigerten Deko¬
rationsapparat auszukommen. Aber
was für „Othello" und „Richard" eine
Tugend sein konnte, war für „Götz"
schon aus dichterischen Gründen eine
Sünde. Shakespeares mythische Wesen
bilden ihre Atmosphäre, wie ihr Schicksal,
aus den .Kräften ihres Innern (für die
Märchenspiele, wie den „Sommernachts¬
traum", gilt dieser Satz freilich nicht).
Die altdeutschen Menschen des jungen
Goethe atmen die Luft ihrer Burgen und
Höfe, ihrer Wälder und Dörfer. Diese
Luft gehört zu ihnen wie ihre stamm¬
haft-landschafilich gebundene, volkstüm¬
lich-derbe Sprache. Man preßt diesen
Gestalten ihren Lebenssaft ab, wenn
man sie in den abstrakten Raum und
den Lichtkegel des Scheinwerfers hinein¬
stellt. Die Riesenhaftigkeit der Raum-
Verhältnisse des GroßenSchauspielhauses
abcrhindert selbst dieüberragenden Schau¬
spieler an einem freien Ausformen ihrer
künstlerischen Intentionen, ja schon an
der Möglichkeit, rein körperlich deS
Raumes Herr zu werden. Die Schau¬
spieler, mindestens die heutigen, sind
nicht imstande, diesem Raum ihren dra¬

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matischen Ausdruckswillen aufzuzwingen
(nur jenem einzigen Werner Kmufz ist
es gelegentlich gelungen)' vielmehr be¬
fiehlt ihnen der Raum die Art, wie sie
zu gehen und zu stehen, zu sprechen
und zu agieren haben.

Vielleicht noch niemals ist dieser
Charakter der Arena so erschreckend
deutlich sichtbar geworden, wie in der
Götz-Aufführung- Es war peinlich, wie
armselig der Kaiser Maximilian in
seiner Verlorenheit vor der grenzenlosen
Fläche des Hintergrundes dastand. Und
wenn schon "die weit in die Arena vor¬
geschobenen Szenen im Familienkreise
Götzens menschliches Format hatten, so
wirkten die auf der fernen Hinterbühne
sich abspielenden Bankett- und Schlacht¬
szenen wie ein ungeheures Puppen¬
theater, riesenspielzeughaft. Darum ist
auch über den Götz Eugen Klöpfers nichts
Endgültiges zu sagen. Er war so
sehr damit beschäftigt, die weiten Wege
zurückzulegen, alle seine Gesten, seine
Reden, ans Fernwirkung anzulegen, daß
trotz seines herzhaften Lachens und seiner
kernfesten Männlichkeit kein grotzmensch-
licher Eindruck zustande kam. Es blieb
beim Turnerideal: frisch, fromm, fröh¬
lich und frei.

Zwischen diesen beiden Polen schreitet
gegenwärtig viel Mittelmäßiges, einiges
Bemerkenswerte über die Berliner Büh¬
nen, worüber demnächst zu sprechen sein
Artur Michel Wird.

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[0294] Berliner Bühne Konzentration, beseelende Raumgestal¬ tung waren, bedeutete der Versuch, Goethes „Götz von Berlichingen" für das Große Schauspielhaus zu gewinnen, einen schmerzlichen Fehlgriff. Auch in der Arena versuchte der Leiter der Auf¬ führung, Karl Heinz Martin, ohne den herkömmlichen, gerade an dieser Stätte oft genug ins Opernhafte gesteigerten Deko¬ rationsapparat auszukommen. Aber was für „Othello" und „Richard" eine Tugend sein konnte, war für „Götz" schon aus dichterischen Gründen eine Sünde. Shakespeares mythische Wesen bilden ihre Atmosphäre, wie ihr Schicksal, aus den .Kräften ihres Innern (für die Märchenspiele, wie den „Sommernachts¬ traum", gilt dieser Satz freilich nicht). Die altdeutschen Menschen des jungen Goethe atmen die Luft ihrer Burgen und Höfe, ihrer Wälder und Dörfer. Diese Luft gehört zu ihnen wie ihre stamm¬ haft-landschafilich gebundene, volkstüm¬ lich-derbe Sprache. Man preßt diesen Gestalten ihren Lebenssaft ab, wenn man sie in den abstrakten Raum und den Lichtkegel des Scheinwerfers hinein¬ stellt. Die Riesenhaftigkeit der Raum- Verhältnisse des GroßenSchauspielhauses abcrhindert selbst dieüberragenden Schau¬ spieler an einem freien Ausformen ihrer künstlerischen Intentionen, ja schon an der Möglichkeit, rein körperlich deS Raumes Herr zu werden. Die Schau¬ spieler, mindestens die heutigen, sind nicht imstande, diesem Raum ihren dra¬ matischen Ausdruckswillen aufzuzwingen (nur jenem einzigen Werner Kmufz ist es gelegentlich gelungen)' vielmehr be¬ fiehlt ihnen der Raum die Art, wie sie zu gehen und zu stehen, zu sprechen und zu agieren haben. Vielleicht noch niemals ist dieser Charakter der Arena so erschreckend deutlich sichtbar geworden, wie in der Götz-Aufführung- Es war peinlich, wie armselig der Kaiser Maximilian in seiner Verlorenheit vor der grenzenlosen Fläche des Hintergrundes dastand. Und wenn schon "die weit in die Arena vor¬ geschobenen Szenen im Familienkreise Götzens menschliches Format hatten, so wirkten die auf der fernen Hinterbühne sich abspielenden Bankett- und Schlacht¬ szenen wie ein ungeheures Puppen¬ theater, riesenspielzeughaft. Darum ist auch über den Götz Eugen Klöpfers nichts Endgültiges zu sagen. Er war so sehr damit beschäftigt, die weiten Wege zurückzulegen, alle seine Gesten, seine Reden, ans Fernwirkung anzulegen, daß trotz seines herzhaften Lachens und seiner kernfesten Männlichkeit kein grotzmensch- licher Eindruck zustande kam. Es blieb beim Turnerideal: frisch, fromm, fröh¬ lich und frei. Zwischen diesen beiden Polen schreitet gegenwärtig viel Mittelmäßiges, einiges Bemerkenswerte über die Berliner Büh¬ nen, worüber demnächst zu sprechen sein Artur Michel Wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/294>, abgerufen am 15.05.2024.