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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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beendigen vergönnt war, ziemlich selten,
was neben seiner großen technischen
Schwierigkeit vor allem darin seinen
Grund hat, daß es sowohl in formaler
wie in thematisch-klanglicher Hinsicht
vollkommen neue Wege geht. Sie ge¬
hört zu den seltsamsten Werken der
Orchesterliteratur. Inhaltlich hängt sie
eng mit dem zeitlich unmittelbar voraus¬
gehenden "Lied von der Erde" zu¬
sammen, das einen Abschied vom Leben
bedeutet', sie ist. wie Paul Better in
seinem Mahler-Buch sagt, ein Gesang
von der "Herrlichkeit des Todes". Voll
von unheimlichen, phantastischen Vi¬
sionen, ist sie erfüllt von trostloser Re¬
signation, ganz irrational, rücksichtslos
in der bis an die äußerste Grenze der
Wahrnehmbarkeit gehenden Darstellung
der Idee. Rücksichtslos auch im Klang-
lichen. Die Individualisierung der Stim¬
men und die polyphone Schreibweise,
führen zu außerordentlichen Härten der
Stimmführung, die sicher manchem
Hörer Pein bereiten. Doch die Askese
im Klang entspricht durchaus der Grund¬
stimmung des Werkes. Es dokumentiert
den Spathen Mahlers in reinster Form
und birgt in sich eine solche Fülle neuer
Möglichkeiten für die Instrumentalmusik,
daß noch Generationen an seiner Aus¬
wertung arbeiten müssen.

Hier ist vielleicht der Platz, etwas
über die neue Musik zu sagen, von der
man in der musikalischen Welt die un¬
klarsten Ansichten hat. Die einen, und
das sind die Unentwcgtm. schreien schon
Viktoria über jedes Stück, das abscheu¬
lich klingt, die anderen, die Bedächtiger,
erwarten das Heil von einer Renaissance
im Geiste Mozarts. Beide Ansichten
beweisen, daß ihre Vertreter von dem
Wesentlichen nur eine geringe Ahnung
haben. Prinzipiell ist zu sagen, daß
die klangliche Erscheinungsform eines
Werkes immer nur sekundäre Bedeutung
haben kann gegenüber der Frage, ob
dem Komponisten überhaupt etwas ein
gefallen ist. Das Entscheidende ist
letzten Endes aber nur die Wahrhaftig
keit des Einfalls. Diese aber ist ab¬
hängig von der Gesinnung, von der
geistigen Situation, aus der heraus ein
Werk entstand. Und hier liegt meiner
Meinung nach der Kernpunkt aller Be
urteilung: die Frage nach dem Ethos

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einer Musik muß zu allererst gestellt
werden, sie muß den unverrückbaren
Ausgangspunkt aller Untersuchungen
bilden. Gelangt man bei ihrer Beant¬
wortung aber zu einem positiven Er
gebnis, so fällt alles andere, das Klang¬
liche, das Technische, daS Formale nicht
so sehr ins Gewicht. Denn dieses ist
erlernbar, jenes aber, das Eigentliche.
Substanzielle muß da sein, ihm hat sich
das Handwerkliche in jedem Falle zu
beugen. So wurde letzters von der zu
unserem hoffnungsvollsten jungen Geiger
nachwuchs gehörenden Alma Mo odie
eine Sonate für Violine allein von
Eduard Erdmann gespielt. Es wäre
leicht, über dieses fast durchweg ohren
peinigende Werk zu lachen und es kurzer¬
hand als Nicht Musik abzutun. Und
doch muß man Respekt haben vor diesem
fanatischen Ernst des Musizierens, vor
diesem verbissenen Eifer, mit dem Erd-
Mllnn um Ausdruck und Gestaltung
ringt. Gewißlich hat er in dieser So¬
nate durchaus nicht für alle Probleme,
deren Lösung er unternahm, die letzte
Prägung gefunden- aber erging seinen
Weg mit großer Selbständigkeit und
mit einer Geradheit und Ehrlichkeit, die
zu achten man verpflichtet ist. Er weiß,
was er will, und er schreibt, wie er
schreiben muß; solche Leute sind mir
immer noch lieber als die Routiniers,
die heute im Stile von Brahms und
morgen s is Richard Strauß Üompo
Nieren.

Übrigens: Richard Strauß. Auch
er stand (kurz vor seiner Abreise nach
Amerika) am Dirigentenpult der Phil
harmoniker. Er führte unter anderem
eine Tondichtung "Also sprach Zara
thustra" auf und brachte sie zu gewaltiger
Wirkung. Je mehr man Distanz zu
diesem Werk gewinnt, desto mehr fühlt
man. wie sich hier der Sinfoniker Strauß
am freiesten und persönlichsten ausspricht.
In eminent gesetzvvller Weiss werden
die in einer Art Variationenform auf
einander folgenden Teile durch die jede
Einzelheit beherrschende und durch
dringende Thematik zusammengeschlossen
und zu einem Wunderbau vereinigt,
wie er nur erlauchtester Meisterschaft ge
klugen konnte. Eine schöpferische Kraft
ohnegleichen hat in diesem Werk Sym¬
bolisches und Musikalisches zu einer

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beendigen vergönnt war, ziemlich selten,
was neben seiner großen technischen
Schwierigkeit vor allem darin seinen
Grund hat, daß es sowohl in formaler
wie in thematisch-klanglicher Hinsicht
vollkommen neue Wege geht. Sie ge¬
hört zu den seltsamsten Werken der
Orchesterliteratur. Inhaltlich hängt sie
eng mit dem zeitlich unmittelbar voraus¬
gehenden „Lied von der Erde" zu¬
sammen, das einen Abschied vom Leben
bedeutet', sie ist. wie Paul Better in
seinem Mahler-Buch sagt, ein Gesang
von der „Herrlichkeit des Todes". Voll
von unheimlichen, phantastischen Vi¬
sionen, ist sie erfüllt von trostloser Re¬
signation, ganz irrational, rücksichtslos
in der bis an die äußerste Grenze der
Wahrnehmbarkeit gehenden Darstellung
der Idee. Rücksichtslos auch im Klang-
lichen. Die Individualisierung der Stim¬
men und die polyphone Schreibweise,
führen zu außerordentlichen Härten der
Stimmführung, die sicher manchem
Hörer Pein bereiten. Doch die Askese
im Klang entspricht durchaus der Grund¬
stimmung des Werkes. Es dokumentiert
den Spathen Mahlers in reinster Form
und birgt in sich eine solche Fülle neuer
Möglichkeiten für die Instrumentalmusik,
daß noch Generationen an seiner Aus¬
wertung arbeiten müssen.

Hier ist vielleicht der Platz, etwas
über die neue Musik zu sagen, von der
man in der musikalischen Welt die un¬
klarsten Ansichten hat. Die einen, und
das sind die Unentwcgtm. schreien schon
Viktoria über jedes Stück, das abscheu¬
lich klingt, die anderen, die Bedächtiger,
erwarten das Heil von einer Renaissance
im Geiste Mozarts. Beide Ansichten
beweisen, daß ihre Vertreter von dem
Wesentlichen nur eine geringe Ahnung
haben. Prinzipiell ist zu sagen, daß
die klangliche Erscheinungsform eines
Werkes immer nur sekundäre Bedeutung
haben kann gegenüber der Frage, ob
dem Komponisten überhaupt etwas ein
gefallen ist. Das Entscheidende ist
letzten Endes aber nur die Wahrhaftig
keit des Einfalls. Diese aber ist ab¬
hängig von der Gesinnung, von der
geistigen Situation, aus der heraus ein
Werk entstand. Und hier liegt meiner
Meinung nach der Kernpunkt aller Be
urteilung: die Frage nach dem Ethos

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einer Musik muß zu allererst gestellt
werden, sie muß den unverrückbaren
Ausgangspunkt aller Untersuchungen
bilden. Gelangt man bei ihrer Beant¬
wortung aber zu einem positiven Er
gebnis, so fällt alles andere, das Klang¬
liche, das Technische, daS Formale nicht
so sehr ins Gewicht. Denn dieses ist
erlernbar, jenes aber, das Eigentliche.
Substanzielle muß da sein, ihm hat sich
das Handwerkliche in jedem Falle zu
beugen. So wurde letzters von der zu
unserem hoffnungsvollsten jungen Geiger
nachwuchs gehörenden Alma Mo odie
eine Sonate für Violine allein von
Eduard Erdmann gespielt. Es wäre
leicht, über dieses fast durchweg ohren
peinigende Werk zu lachen und es kurzer¬
hand als Nicht Musik abzutun. Und
doch muß man Respekt haben vor diesem
fanatischen Ernst des Musizierens, vor
diesem verbissenen Eifer, mit dem Erd-
Mllnn um Ausdruck und Gestaltung
ringt. Gewißlich hat er in dieser So¬
nate durchaus nicht für alle Probleme,
deren Lösung er unternahm, die letzte
Prägung gefunden- aber erging seinen
Weg mit großer Selbständigkeit und
mit einer Geradheit und Ehrlichkeit, die
zu achten man verpflichtet ist. Er weiß,
was er will, und er schreibt, wie er
schreiben muß; solche Leute sind mir
immer noch lieber als die Routiniers,
die heute im Stile von Brahms und
morgen s is Richard Strauß Üompo
Nieren.

Übrigens: Richard Strauß. Auch
er stand (kurz vor seiner Abreise nach
Amerika) am Dirigentenpult der Phil
harmoniker. Er führte unter anderem
eine Tondichtung „Also sprach Zara
thustra" auf und brachte sie zu gewaltiger
Wirkung. Je mehr man Distanz zu
diesem Werk gewinnt, desto mehr fühlt
man. wie sich hier der Sinfoniker Strauß
am freiesten und persönlichsten ausspricht.
In eminent gesetzvvller Weiss werden
die in einer Art Variationenform auf
einander folgenden Teile durch die jede
Einzelheit beherrschende und durch
dringende Thematik zusammengeschlossen
und zu einem Wunderbau vereinigt,
wie er nur erlauchtester Meisterschaft ge
klugen konnte. Eine schöpferische Kraft
ohnegleichen hat in diesem Werk Sym¬
bolisches und Musikalisches zu einer

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[0327] Zier Musik-Lhroiüst beendigen vergönnt war, ziemlich selten, was neben seiner großen technischen Schwierigkeit vor allem darin seinen Grund hat, daß es sowohl in formaler wie in thematisch-klanglicher Hinsicht vollkommen neue Wege geht. Sie ge¬ hört zu den seltsamsten Werken der Orchesterliteratur. Inhaltlich hängt sie eng mit dem zeitlich unmittelbar voraus¬ gehenden „Lied von der Erde" zu¬ sammen, das einen Abschied vom Leben bedeutet', sie ist. wie Paul Better in seinem Mahler-Buch sagt, ein Gesang von der „Herrlichkeit des Todes". Voll von unheimlichen, phantastischen Vi¬ sionen, ist sie erfüllt von trostloser Re¬ signation, ganz irrational, rücksichtslos in der bis an die äußerste Grenze der Wahrnehmbarkeit gehenden Darstellung der Idee. Rücksichtslos auch im Klang- lichen. Die Individualisierung der Stim¬ men und die polyphone Schreibweise, führen zu außerordentlichen Härten der Stimmführung, die sicher manchem Hörer Pein bereiten. Doch die Askese im Klang entspricht durchaus der Grund¬ stimmung des Werkes. Es dokumentiert den Spathen Mahlers in reinster Form und birgt in sich eine solche Fülle neuer Möglichkeiten für die Instrumentalmusik, daß noch Generationen an seiner Aus¬ wertung arbeiten müssen. Hier ist vielleicht der Platz, etwas über die neue Musik zu sagen, von der man in der musikalischen Welt die un¬ klarsten Ansichten hat. Die einen, und das sind die Unentwcgtm. schreien schon Viktoria über jedes Stück, das abscheu¬ lich klingt, die anderen, die Bedächtiger, erwarten das Heil von einer Renaissance im Geiste Mozarts. Beide Ansichten beweisen, daß ihre Vertreter von dem Wesentlichen nur eine geringe Ahnung haben. Prinzipiell ist zu sagen, daß die klangliche Erscheinungsform eines Werkes immer nur sekundäre Bedeutung haben kann gegenüber der Frage, ob dem Komponisten überhaupt etwas ein gefallen ist. Das Entscheidende ist letzten Endes aber nur die Wahrhaftig keit des Einfalls. Diese aber ist ab¬ hängig von der Gesinnung, von der geistigen Situation, aus der heraus ein Werk entstand. Und hier liegt meiner Meinung nach der Kernpunkt aller Be urteilung: die Frage nach dem Ethos einer Musik muß zu allererst gestellt werden, sie muß den unverrückbaren Ausgangspunkt aller Untersuchungen bilden. Gelangt man bei ihrer Beant¬ wortung aber zu einem positiven Er gebnis, so fällt alles andere, das Klang¬ liche, das Technische, daS Formale nicht so sehr ins Gewicht. Denn dieses ist erlernbar, jenes aber, das Eigentliche. Substanzielle muß da sein, ihm hat sich das Handwerkliche in jedem Falle zu beugen. So wurde letzters von der zu unserem hoffnungsvollsten jungen Geiger nachwuchs gehörenden Alma Mo odie eine Sonate für Violine allein von Eduard Erdmann gespielt. Es wäre leicht, über dieses fast durchweg ohren peinigende Werk zu lachen und es kurzer¬ hand als Nicht Musik abzutun. Und doch muß man Respekt haben vor diesem fanatischen Ernst des Musizierens, vor diesem verbissenen Eifer, mit dem Erd- Mllnn um Ausdruck und Gestaltung ringt. Gewißlich hat er in dieser So¬ nate durchaus nicht für alle Probleme, deren Lösung er unternahm, die letzte Prägung gefunden- aber erging seinen Weg mit großer Selbständigkeit und mit einer Geradheit und Ehrlichkeit, die zu achten man verpflichtet ist. Er weiß, was er will, und er schreibt, wie er schreiben muß; solche Leute sind mir immer noch lieber als die Routiniers, die heute im Stile von Brahms und morgen s is Richard Strauß Üompo Nieren. Übrigens: Richard Strauß. Auch er stand (kurz vor seiner Abreise nach Amerika) am Dirigentenpult der Phil harmoniker. Er führte unter anderem eine Tondichtung „Also sprach Zara thustra" auf und brachte sie zu gewaltiger Wirkung. Je mehr man Distanz zu diesem Werk gewinnt, desto mehr fühlt man. wie sich hier der Sinfoniker Strauß am freiesten und persönlichsten ausspricht. In eminent gesetzvvller Weiss werden die in einer Art Variationenform auf einander folgenden Teile durch die jede Einzelheit beherrschende und durch dringende Thematik zusammengeschlossen und zu einem Wunderbau vereinigt, wie er nur erlauchtester Meisterschaft ge klugen konnte. Eine schöpferische Kraft ohnegleichen hat in diesem Werk Sym¬ bolisches und Musikalisches zu einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/327>, abgerufen am 14.05.2024.