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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Rußlands Auferstehung

bewährten Grundsätzen der Ausbildung und Manneszucht deutlich erkennbar. Der
Einfluß der Räte und der allgemeinen kommunistischen Agitation wird allmählich
"erdrängt; an seine Stelle tritt die Erziehung zu militärischem Können und
nationaler Gesinnung. Am 2V. Oktober hielt der Kriegsminister Trotzki auf
dem 2. altrussischen Kongreß für politische Aufklärung eine sehr bemerkenswerte
Rede, in der er sich entschieden gegen die Verwechselung von Wirtschaftspolitik
und Machtpolitik wandte. Die Armee habe ihre Rolle nicht ausgespielt, sie
sei die einzige Kraft, die Rußland vor jeder Gefahr schützen könne. Trotzki
erklärt, das Heer müsse umgestaltet und verjüngt werden. Nur Personen mit
Führereigenschaften und Erfahrungen sollten dem Kommandobestand angehören.
Die besten Elemente dürften nicht ausscheiden. Die Grundlage der Armee sei die
Manneszucht. Systematische nationale Erziehung soll an die Stelle der allge"
meinen kommunistischen Agitation treten und durch Unterhaltungsschriften ins
besondere über Rußlands Feinde, Polen und Rumänien, vermittelt werden. Die
Sorge für das Wohlbefinden der Soldaten in den Kasernen wird betont. Der
Gedanke, daß Offiziere und Soldaten gleich seien und gleich besoldet werden
müßten, wird entschieden zurückgewiesen. Der Offizier müsse dein hochqualifi'-
zierten Arbeiter gleichgeachtet werden. Mit Schärfe wendet sich Trotzki gegen die
Gewohnheit der Kommunisten, alle Befehle und Vorschriften zu kritisieren und
nach ihrer Art auszulegen und fordert genane Befolgung der Reglements. Die
planmäßige Heranbildung eines guten Matrosenbestandcs bei der Flotte wird
gefordert. Endlich setzt sich Trotzki mit den Freunden der Milizarmce auseinander
und fordert die Beibehaltung des stehenden Heeres mit zweijähriger Dienstzeit
auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht.------

So regt sich allenthalben in Rußland ein kräftiges Werden. Vielfach ist
der staatliche Apparat noch wenig geordnet, ja chaotisch. Alles trägt den Stempel
der Evolution. Ob sich die jetzige Regierung behauptet und Trägerin dieser
Evolution bleibt, kann niemand mit Bestimmtheit sagen. Aber wir
sollten in einer Zeit, wo auch wir des 100. Geburtstages Dostojewskis ge¬
denken, uns hüten, mit Schlagworten über Rußland zu urteilen. In dieser Re¬
volution ist vieles verabscheuenswert. Aber durch sie wird sich das Rttssentuzn,
erst zu seiner eigentlichen Bedeutung für die Menschheit und die Geschichte e"
heben. Aus der Tiefe des russischen Gemüts, ans der Grundlage des russischen
Bauerntums werden die Gedanken der großen Russen von Puschkin bis Dvsw"
jcwski zu Wirklichkeiten gestaltet werden. Und auch unser Schicksal ist von dem
des russischen Volkes nicht zu trennen.

Prophetische Worte, die Dostojewski einst aussprach, beginnen sich zu er
füllen: "Die zukünftige selbständige russische Idee ist bei uns noch nicht geboren,
doch die Erde ist unheimlich schwanger mit ihr und schon schickt sie sich an, sis
unter furchtbaren Qualen zu gebären."




Rußlands Auferstehung

bewährten Grundsätzen der Ausbildung und Manneszucht deutlich erkennbar. Der
Einfluß der Räte und der allgemeinen kommunistischen Agitation wird allmählich
«erdrängt; an seine Stelle tritt die Erziehung zu militärischem Können und
nationaler Gesinnung. Am 2V. Oktober hielt der Kriegsminister Trotzki auf
dem 2. altrussischen Kongreß für politische Aufklärung eine sehr bemerkenswerte
Rede, in der er sich entschieden gegen die Verwechselung von Wirtschaftspolitik
und Machtpolitik wandte. Die Armee habe ihre Rolle nicht ausgespielt, sie
sei die einzige Kraft, die Rußland vor jeder Gefahr schützen könne. Trotzki
erklärt, das Heer müsse umgestaltet und verjüngt werden. Nur Personen mit
Führereigenschaften und Erfahrungen sollten dem Kommandobestand angehören.
Die besten Elemente dürften nicht ausscheiden. Die Grundlage der Armee sei die
Manneszucht. Systematische nationale Erziehung soll an die Stelle der allge»
meinen kommunistischen Agitation treten und durch Unterhaltungsschriften ins
besondere über Rußlands Feinde, Polen und Rumänien, vermittelt werden. Die
Sorge für das Wohlbefinden der Soldaten in den Kasernen wird betont. Der
Gedanke, daß Offiziere und Soldaten gleich seien und gleich besoldet werden
müßten, wird entschieden zurückgewiesen. Der Offizier müsse dein hochqualifi'-
zierten Arbeiter gleichgeachtet werden. Mit Schärfe wendet sich Trotzki gegen die
Gewohnheit der Kommunisten, alle Befehle und Vorschriften zu kritisieren und
nach ihrer Art auszulegen und fordert genane Befolgung der Reglements. Die
planmäßige Heranbildung eines guten Matrosenbestandcs bei der Flotte wird
gefordert. Endlich setzt sich Trotzki mit den Freunden der Milizarmce auseinander
und fordert die Beibehaltung des stehenden Heeres mit zweijähriger Dienstzeit
auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht.------

So regt sich allenthalben in Rußland ein kräftiges Werden. Vielfach ist
der staatliche Apparat noch wenig geordnet, ja chaotisch. Alles trägt den Stempel
der Evolution. Ob sich die jetzige Regierung behauptet und Trägerin dieser
Evolution bleibt, kann niemand mit Bestimmtheit sagen. Aber wir
sollten in einer Zeit, wo auch wir des 100. Geburtstages Dostojewskis ge¬
denken, uns hüten, mit Schlagworten über Rußland zu urteilen. In dieser Re¬
volution ist vieles verabscheuenswert. Aber durch sie wird sich das Rttssentuzn,
erst zu seiner eigentlichen Bedeutung für die Menschheit und die Geschichte e»
heben. Aus der Tiefe des russischen Gemüts, ans der Grundlage des russischen
Bauerntums werden die Gedanken der großen Russen von Puschkin bis Dvsw"
jcwski zu Wirklichkeiten gestaltet werden. Und auch unser Schicksal ist von dem
des russischen Volkes nicht zu trennen.

Prophetische Worte, die Dostojewski einst aussprach, beginnen sich zu er
füllen: „Die zukünftige selbständige russische Idee ist bei uns noch nicht geboren,
doch die Erde ist unheimlich schwanger mit ihr und schon schickt sie sich an, sis
unter furchtbaren Qualen zu gebären."




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/376>, abgerufen am 14.05.2024.