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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Lrnst Moritz Arndt

amerikanische Handelsflotte ins Leben zu rufen. Dies" amerikanischen Kriegs-
ziele sind in verblüffend.kurzer Zeit erreicht worden. Daß Wilson diese Körner
"Is blindes Huhn gefunden haben sollte, ist nicht Mzunehmen. Aber warum
ficht Amerika weiter? Ein übermächtiges England wäre ihm unbequem, die
Kriegsziele von Frankreich und Italien sind ihm gleichgültig. Japan könnte bei
längerer Kriegsdauer auf Extravaganzen verfallen. Man darf aber .zweierlei
nicht vergessen. Die materielle Leitung des amerikanischen Krieges ist in die Hand
von Plutokra'en übergegangen, die nicht wollen, daß ihre milchende Kuh vorzeitig
geschlachtet wird. Das zweite ist Wilsons vermutlich ehrlicher politischer Idealis¬
mus. Jeder Amerikaner ist damit einverstanden, daß die Kriegsbeteiligung der
Union materielle Vorteile einbringt. Dies ist ihm aber nicht die Hauptsache.
Er fühlt sich als Kreuzfahrer und will für seine Religion, die Demokratie, Kon¬
vertiten machen. Der Idealist Wilson ist also immer noch der Spiritus reotoi-
des amerikanischen Krieges. Nun sind aber die Verbündeten des Präsidenten
über seine ideellen Kriegsziele zur Tagesordnung übergegangen. Daß Clemen-
ceau auf sie pfeift, wußte man schon längst. Lloyd George hat sich bis vor
kurzem verstellt. Jetzt hat er aber, um die Unionisten für seine Khaki-Wahlen"
einzufangen, deren schutzzöllnerisches Programm in einem Umfang übernommen,
das sich mit dem Völkerbund nicht mehr vereinigen läßt. Was sagt der Präsident,
zu dieser Wandlung? Ist er ehrlich, muß er deu Verbündeten desavouieren, tut
er es nicht, ist er als Prophet kompromittiert. Der Völkerbund, wie ihn Wilson
träumt, liegt jenseits der Verwirklichungsmöglichkeit. Wir wollen uns ihm aber
entgegen entwickeln. Natürlich unter Berücksichtigung der besonderen Verhält¬
nisse, die sich aus Geschichte und Geographie für uns ergeben. Weder die mate-
riei'en noch die ideellen Kriegsziele Amerikas, sondern ausschließlich territoriale
Wünsche der Entente stehen der Verständigung entgegen. Daran, .daß der Krieg
bald beendigt wird, ist niemand interessierter als die Holländer. . Sie werden
sonst doch noch einbezogen. Infolgedessen sind sie die Gegebenen, die Diskrepanz
zwischen dem Programm Wilsons und dem seiner Verbündeten zur Weltdiskussion,
zu stellen."

(Fortsetzung folgt.)




Unser größtes Vaterland ist Himmel und Erde, unser großes Europa,
unser kleines D utschland. Wer sein kleines nicht liebt und verteidigt, ist des
großen und größeren nicht wert und wird es nimmer gewinnen. Wir waren
Menschen, ehe wir Bürger wurden; aber was für Menschen? Wir wollen durch
die Bürgerschaft zur höheren Menschlichkeit: darum müssen wir unser Volk und
unser Vaterland lieben.




Vom zehnten bis fünfzehnten Jahrhundert waren wir das mächtigste Volt
Europas, blieben es durch Wahn noch ein Jahrhundert, dann stärkten die anderen
es durch Einheit der Regierung und Verfassung, wir schwachem uns durch Zer°
ückelung und Zwietracht, haben uns selbst zuerst verdorben und dürfen nicht
klagen, daß Fremde die Arbeit vollendeten.


Lrnst Moritz Arndt

amerikanische Handelsflotte ins Leben zu rufen. Dies« amerikanischen Kriegs-
ziele sind in verblüffend.kurzer Zeit erreicht worden. Daß Wilson diese Körner
«Is blindes Huhn gefunden haben sollte, ist nicht Mzunehmen. Aber warum
ficht Amerika weiter? Ein übermächtiges England wäre ihm unbequem, die
Kriegsziele von Frankreich und Italien sind ihm gleichgültig. Japan könnte bei
längerer Kriegsdauer auf Extravaganzen verfallen. Man darf aber .zweierlei
nicht vergessen. Die materielle Leitung des amerikanischen Krieges ist in die Hand
von Plutokra'en übergegangen, die nicht wollen, daß ihre milchende Kuh vorzeitig
geschlachtet wird. Das zweite ist Wilsons vermutlich ehrlicher politischer Idealis¬
mus. Jeder Amerikaner ist damit einverstanden, daß die Kriegsbeteiligung der
Union materielle Vorteile einbringt. Dies ist ihm aber nicht die Hauptsache.
Er fühlt sich als Kreuzfahrer und will für seine Religion, die Demokratie, Kon¬
vertiten machen. Der Idealist Wilson ist also immer noch der Spiritus reotoi-
des amerikanischen Krieges. Nun sind aber die Verbündeten des Präsidenten
über seine ideellen Kriegsziele zur Tagesordnung übergegangen. Daß Clemen-
ceau auf sie pfeift, wußte man schon längst. Lloyd George hat sich bis vor
kurzem verstellt. Jetzt hat er aber, um die Unionisten für seine Khaki-Wahlen»
einzufangen, deren schutzzöllnerisches Programm in einem Umfang übernommen,
das sich mit dem Völkerbund nicht mehr vereinigen läßt. Was sagt der Präsident,
zu dieser Wandlung? Ist er ehrlich, muß er deu Verbündeten desavouieren, tut
er es nicht, ist er als Prophet kompromittiert. Der Völkerbund, wie ihn Wilson
träumt, liegt jenseits der Verwirklichungsmöglichkeit. Wir wollen uns ihm aber
entgegen entwickeln. Natürlich unter Berücksichtigung der besonderen Verhält¬
nisse, die sich aus Geschichte und Geographie für uns ergeben. Weder die mate-
riei'en noch die ideellen Kriegsziele Amerikas, sondern ausschließlich territoriale
Wünsche der Entente stehen der Verständigung entgegen. Daran, .daß der Krieg
bald beendigt wird, ist niemand interessierter als die Holländer. . Sie werden
sonst doch noch einbezogen. Infolgedessen sind sie die Gegebenen, die Diskrepanz
zwischen dem Programm Wilsons und dem seiner Verbündeten zur Weltdiskussion,
zu stellen."

(Fortsetzung folgt.)




Unser größtes Vaterland ist Himmel und Erde, unser großes Europa,
unser kleines D utschland. Wer sein kleines nicht liebt und verteidigt, ist des
großen und größeren nicht wert und wird es nimmer gewinnen. Wir waren
Menschen, ehe wir Bürger wurden; aber was für Menschen? Wir wollen durch
die Bürgerschaft zur höheren Menschlichkeit: darum müssen wir unser Volk und
unser Vaterland lieben.




Vom zehnten bis fünfzehnten Jahrhundert waren wir das mächtigste Volt
Europas, blieben es durch Wahn noch ein Jahrhundert, dann stärkten die anderen
es durch Einheit der Regierung und Verfassung, wir schwachem uns durch Zer°
ückelung und Zwietracht, haben uns selbst zuerst verdorben und dürfen nicht
klagen, daß Fremde die Arbeit vollendeten.


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[0384] Lrnst Moritz Arndt amerikanische Handelsflotte ins Leben zu rufen. Dies« amerikanischen Kriegs- ziele sind in verblüffend.kurzer Zeit erreicht worden. Daß Wilson diese Körner «Is blindes Huhn gefunden haben sollte, ist nicht Mzunehmen. Aber warum ficht Amerika weiter? Ein übermächtiges England wäre ihm unbequem, die Kriegsziele von Frankreich und Italien sind ihm gleichgültig. Japan könnte bei längerer Kriegsdauer auf Extravaganzen verfallen. Man darf aber .zweierlei nicht vergessen. Die materielle Leitung des amerikanischen Krieges ist in die Hand von Plutokra'en übergegangen, die nicht wollen, daß ihre milchende Kuh vorzeitig geschlachtet wird. Das zweite ist Wilsons vermutlich ehrlicher politischer Idealis¬ mus. Jeder Amerikaner ist damit einverstanden, daß die Kriegsbeteiligung der Union materielle Vorteile einbringt. Dies ist ihm aber nicht die Hauptsache. Er fühlt sich als Kreuzfahrer und will für seine Religion, die Demokratie, Kon¬ vertiten machen. Der Idealist Wilson ist also immer noch der Spiritus reotoi- des amerikanischen Krieges. Nun sind aber die Verbündeten des Präsidenten über seine ideellen Kriegsziele zur Tagesordnung übergegangen. Daß Clemen- ceau auf sie pfeift, wußte man schon längst. Lloyd George hat sich bis vor kurzem verstellt. Jetzt hat er aber, um die Unionisten für seine Khaki-Wahlen» einzufangen, deren schutzzöllnerisches Programm in einem Umfang übernommen, das sich mit dem Völkerbund nicht mehr vereinigen läßt. Was sagt der Präsident, zu dieser Wandlung? Ist er ehrlich, muß er deu Verbündeten desavouieren, tut er es nicht, ist er als Prophet kompromittiert. Der Völkerbund, wie ihn Wilson träumt, liegt jenseits der Verwirklichungsmöglichkeit. Wir wollen uns ihm aber entgegen entwickeln. Natürlich unter Berücksichtigung der besonderen Verhält¬ nisse, die sich aus Geschichte und Geographie für uns ergeben. Weder die mate- riei'en noch die ideellen Kriegsziele Amerikas, sondern ausschließlich territoriale Wünsche der Entente stehen der Verständigung entgegen. Daran, .daß der Krieg bald beendigt wird, ist niemand interessierter als die Holländer. . Sie werden sonst doch noch einbezogen. Infolgedessen sind sie die Gegebenen, die Diskrepanz zwischen dem Programm Wilsons und dem seiner Verbündeten zur Weltdiskussion, zu stellen." (Fortsetzung folgt.) Unser größtes Vaterland ist Himmel und Erde, unser großes Europa, unser kleines D utschland. Wer sein kleines nicht liebt und verteidigt, ist des großen und größeren nicht wert und wird es nimmer gewinnen. Wir waren Menschen, ehe wir Bürger wurden; aber was für Menschen? Wir wollen durch die Bürgerschaft zur höheren Menschlichkeit: darum müssen wir unser Volk und unser Vaterland lieben. Vom zehnten bis fünfzehnten Jahrhundert waren wir das mächtigste Volt Europas, blieben es durch Wahn noch ein Jahrhundert, dann stärkten die anderen es durch Einheit der Regierung und Verfassung, wir schwachem uns durch Zer° ückelung und Zwietracht, haben uns selbst zuerst verdorben und dürfen nicht klagen, daß Fremde die Arbeit vollendeten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/384>, abgerufen am 29.05.2024.