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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Stille

als Weib noch so voll Unschuld gewesen, daß sie selbst Hagen vertraute und meinte,
in seinen Händen sei ihr bestes Kleinod wohlverwahrt. Diese Krimhild starb,
als Siegfried starb. Aber die, die nicht sterben konnte, ehe sie nicht Rache ge¬
nommen an den Mördern, die sollt ihr noch kennen lernen und erfahren, was
aus einem Weibe werden kann. Und das bedenkt, wenn ihr euch nachher ent¬
setzen wollt vor dem. was sie an Hagen und ihren Brüdern tat. Dieser Krim¬
hild war die Seele aus dem Leibe gerissen, wie hätte sie noch Mitleid und
irgend dergleichen haben sollen?

Doch davon ist nachher lange genug die Rede. Und es verging viel Zeit,
ehe diese Saat aufging.

Jetzt aber ist von Brttnhild zu sagen.




Stille
O könnten wir einmal nur allein
Und frei von jedem Zwange sein,
Nicht nur von den Menschen, die uns umgeben,
Gegen die wir uns müssen behaupten im Leben,
Von den Fernen, den Fremden, den Feinden, den vielen,
Von den Nörglern und Neidern, die nach uns schielen;
Nicht nur von den Freunden, den wenigen lieben
Die uns im Kampfe treu geblieben,
Nein, auch allein von den tausend Gedanken,
Die sich um all unser Sinnen ranken,
Die uns rastlos durchwühlen, uns immer stören,
Denen gar so unendlich schwer zu wehren.
Die uns winken und weisen an tausend Ziele,
Die uns lieber sind als der Freunde viele.
Mit denen wir uns so gern befassen,
Und die uns doch nicht zur Ruhe kommen lassen.
Von den Feinden, den vielen, von den Freunden, den lieben,
Von den eignen Gedanken, die drängen und schieben,
Von allem und jedem, von Groß und Klein,
Einmal frei und los und allein zu sein.
Wo jede Arbeit, wo alles ruht --
Wie wäre es gut. Einmal garnichts zu tun und zu sagen brauchen
Und die Gedanken nicht alle Zeit
spürend in die Zukunft tauchen
Oder lauschend in die Vergangenheit,
Sondern nichts tun als immer nur
Stille sein in der stillen Natur,
Und alles, was ist. auf uns wirken lassen,
Ohne sein Wie und Warum zu erfassen?
All das geheimnisvolle Schweigen,
Das auf den tauigen Wiesen ruht,
Auf den Kronen der Bäume, auf den Ästen und Zweigen --
Wie wäre es gut.

Logislav v, Selchow
Stille

als Weib noch so voll Unschuld gewesen, daß sie selbst Hagen vertraute und meinte,
in seinen Händen sei ihr bestes Kleinod wohlverwahrt. Diese Krimhild starb,
als Siegfried starb. Aber die, die nicht sterben konnte, ehe sie nicht Rache ge¬
nommen an den Mördern, die sollt ihr noch kennen lernen und erfahren, was
aus einem Weibe werden kann. Und das bedenkt, wenn ihr euch nachher ent¬
setzen wollt vor dem. was sie an Hagen und ihren Brüdern tat. Dieser Krim¬
hild war die Seele aus dem Leibe gerissen, wie hätte sie noch Mitleid und
irgend dergleichen haben sollen?

Doch davon ist nachher lange genug die Rede. Und es verging viel Zeit,
ehe diese Saat aufging.

Jetzt aber ist von Brttnhild zu sagen.




Stille
O könnten wir einmal nur allein
Und frei von jedem Zwange sein,
Nicht nur von den Menschen, die uns umgeben,
Gegen die wir uns müssen behaupten im Leben,
Von den Fernen, den Fremden, den Feinden, den vielen,
Von den Nörglern und Neidern, die nach uns schielen;
Nicht nur von den Freunden, den wenigen lieben
Die uns im Kampfe treu geblieben,
Nein, auch allein von den tausend Gedanken,
Die sich um all unser Sinnen ranken,
Die uns rastlos durchwühlen, uns immer stören,
Denen gar so unendlich schwer zu wehren.
Die uns winken und weisen an tausend Ziele,
Die uns lieber sind als der Freunde viele.
Mit denen wir uns so gern befassen,
Und die uns doch nicht zur Ruhe kommen lassen.
Von den Feinden, den vielen, von den Freunden, den lieben,
Von den eignen Gedanken, die drängen und schieben,
Von allem und jedem, von Groß und Klein,
Einmal frei und los und allein zu sein.
Wo jede Arbeit, wo alles ruht —
Wie wäre es gut. Einmal garnichts zu tun und zu sagen brauchen
Und die Gedanken nicht alle Zeit
spürend in die Zukunft tauchen
Oder lauschend in die Vergangenheit,
Sondern nichts tun als immer nur
Stille sein in der stillen Natur,
Und alles, was ist. auf uns wirken lassen,
Ohne sein Wie und Warum zu erfassen?
All das geheimnisvolle Schweigen,
Das auf den tauigen Wiesen ruht,
Auf den Kronen der Bäume, auf den Ästen und Zweigen —
Wie wäre es gut.

Logislav v, Selchow
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[0389] Stille als Weib noch so voll Unschuld gewesen, daß sie selbst Hagen vertraute und meinte, in seinen Händen sei ihr bestes Kleinod wohlverwahrt. Diese Krimhild starb, als Siegfried starb. Aber die, die nicht sterben konnte, ehe sie nicht Rache ge¬ nommen an den Mördern, die sollt ihr noch kennen lernen und erfahren, was aus einem Weibe werden kann. Und das bedenkt, wenn ihr euch nachher ent¬ setzen wollt vor dem. was sie an Hagen und ihren Brüdern tat. Dieser Krim¬ hild war die Seele aus dem Leibe gerissen, wie hätte sie noch Mitleid und irgend dergleichen haben sollen? Doch davon ist nachher lange genug die Rede. Und es verging viel Zeit, ehe diese Saat aufging. Jetzt aber ist von Brttnhild zu sagen. Stille O könnten wir einmal nur allein Und frei von jedem Zwange sein, Nicht nur von den Menschen, die uns umgeben, Gegen die wir uns müssen behaupten im Leben, Von den Fernen, den Fremden, den Feinden, den vielen, Von den Nörglern und Neidern, die nach uns schielen; Nicht nur von den Freunden, den wenigen lieben Die uns im Kampfe treu geblieben, Nein, auch allein von den tausend Gedanken, Die sich um all unser Sinnen ranken, Die uns rastlos durchwühlen, uns immer stören, Denen gar so unendlich schwer zu wehren. Die uns winken und weisen an tausend Ziele, Die uns lieber sind als der Freunde viele. Mit denen wir uns so gern befassen, Und die uns doch nicht zur Ruhe kommen lassen. Von den Feinden, den vielen, von den Freunden, den lieben, Von den eignen Gedanken, die drängen und schieben, Von allem und jedem, von Groß und Klein, Einmal frei und los und allein zu sein. Wo jede Arbeit, wo alles ruht — Wie wäre es gut. Einmal garnichts zu tun und zu sagen brauchen Und die Gedanken nicht alle Zeit spürend in die Zukunft tauchen Oder lauschend in die Vergangenheit, Sondern nichts tun als immer nur Stille sein in der stillen Natur, Und alles, was ist. auf uns wirken lassen, Ohne sein Wie und Warum zu erfassen? All das geheimnisvolle Schweigen, Das auf den tauigen Wiesen ruht, Auf den Kronen der Bäume, auf den Ästen und Zweigen — Wie wäre es gut. Logislav v, Selchow

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/389>, abgerufen am 16.05.2024.