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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Brustkrankheiten.
oder dauernde Hyperämieen, Oedeme etc. im Gehirn, wie in den
übrigen Organen ergeben. -- Eine eben so grosse Bedeutung schreiben
wir den Lungenkrankheiten, besonders der häufigsten unter ihnen,
der Tuberculose, in Uebereinstimmung mit Esquirol *), Bergmann **)
und vielen andern Beobachtern, zu. Vielfache Erfahrungen zeigen
hier ein doppeltes Verhältniss.

In der einen -- und nach unsern Erfahrungen grösseren --
Reihe von Fällen bilden sich Geisteskrankheiten aus mit dem Beginn
oder doch in den ersten Stadien der Lungentuberculose, welche dann
meist noch nicht erkannt wird, und sich für den weniger aufmerk-
samen Beobachter auch später, von den Symptomen der Geistes-
Krankheit überdeckt, kaum durch den zunehmenden Marasmus und
das hectische Fieber kund gibt. In andern Fällen bricht das Irre-
sein erst in der späteren Periode der Phtisis confirmata, als Schwer-
muth, häufiger in der Form von maniacalischen Paroxismen aus. Die
Folgen für den Gehirnkreislauf, die sich aus der Behinderung der
Respiration ergeben, und eine veränderte Statik des Cerebrospinal-
fluidums erscheinen, nach dem oben Gesagten, als wichtige
pathogenetische Momente; in andern Fällen mag eine gleichzeitige
Gehirnreizung durch schleichende tuberculose Meningitis das Irre-
sein hervorrufen.

Beispiele von Manie bei Phtisischen s. bei Castel (Nasses Zeitschrift 1819.
p. 421.), Wallach (Caspers Wochenschr. 1844. Nro. 3.) Meding (ibidem. 1845.
Nro. 1.) etc.

Von grossem Interesse sind jene Fälle von Irresein (meist acute
Manieen), welche während des Verlaufs der Pneumonie ausbrechen,
zuweilen im Anfang derselben, häufiger in der Zeit der abnehmenden
Krankheit, gegen die Reconvalescenz hin; sie sind meist von kurzer
Dauer, giengen aber auch schon in chronisches Irresein über, so dass
solche Kranke der Irrenanstalt übergeben werden mussten. ***) Wie
weit in solchen Fällen das ursprüngliche Hinderniss der Respiration,

*) Die Geisteskrankheiten, von Bernhard. I. p. 62.
**) Holschers Annalen. III. 1838. p. 501. "Die Lungenkrankheiten gehören
in unserem Clima zu den ursächlichen Momenten, aus denen sich am häufigsten
organische Störungen im Gehirn und darans psychsische Störungen herleiten lassen."
Riedel (Oester. Jahrb. Mai 1842. p. 173) fand unter 14 Melancholischen, die im J.
1841 starben, 10mal Tuberculose, und nimmt gleichfalls ein Causalverhältniss zum
Irresein an.
***) Vgl. Jakobi, Hauptformen. Fall XXIX. Thore, des maladies incidentes
des alienes. Ann. med. psych. Mai. 1844. p. 359 seqq. Auch in hiesiger Clinik
wurde ein solcher Fall beobachtet.

Brustkrankheiten.
oder dauernde Hyperämieen, Oedeme etc. im Gehirn, wie in den
übrigen Organen ergeben. — Eine eben so grosse Bedeutung schreiben
wir den Lungenkrankheiten, besonders der häufigsten unter ihnen,
der Tuberculose, in Uebereinstimmung mit Esquirol *), Bergmann **)
und vielen andern Beobachtern, zu. Vielfache Erfahrungen zeigen
hier ein doppeltes Verhältniss.

In der einen — und nach unsern Erfahrungen grösseren —
Reihe von Fällen bilden sich Geisteskrankheiten aus mit dem Beginn
oder doch in den ersten Stadien der Lungentuberculose, welche dann
meist noch nicht erkannt wird, und sich für den weniger aufmerk-
samen Beobachter auch später, von den Symptomen der Geistes-
Krankheit überdeckt, kaum durch den zunehmenden Marasmus und
das hectische Fieber kund gibt. In andern Fällen bricht das Irre-
sein erst in der späteren Periode der Phtisis confirmata, als Schwer-
muth, häufiger in der Form von maniacalischen Paroxismen aus. Die
Folgen für den Gehirnkreislauf, die sich aus der Behinderung der
Respiration ergeben, und eine veränderte Statik des Cerebrospinal-
fluidums erscheinen, nach dem oben Gesagten, als wichtige
pathogenetische Momente; in andern Fällen mag eine gleichzeitige
Gehirnreizung durch schleichende tuberculose Meningitis das Irre-
sein hervorrufen.

Beispiele von Manie bei Phtisischen s. bei Castel (Nasses Zeitschrift 1819.
p. 421.), Wallach (Caspers Wochenschr. 1844. Nro. 3.) Meding (ibidem. 1845.
Nro. 1.) etc.

Von grossem Interesse sind jene Fälle von Irresein (meist acute
Manieen), welche während des Verlaufs der Pneumonie ausbrechen,
zuweilen im Anfang derselben, häufiger in der Zeit der abnehmenden
Krankheit, gegen die Reconvalescenz hin; sie sind meist von kurzer
Dauer, giengen aber auch schon in chronisches Irresein über, so dass
solche Kranke der Irrenanstalt übergeben werden mussten. ***) Wie
weit in solchen Fällen das ursprüngliche Hinderniss der Respiration,

*) Die Geisteskrankheiten, von Bernhard. I. p. 62.
**) Holschers Annalen. III. 1838. p. 501. „Die Lungenkrankheiten gehören
in unserem Clima zu den ursächlichen Momenten, aus denen sich am häufigsten
organische Störungen im Gehirn und darans psychsische Störungen herleiten lassen.“
Riedel (Oester. Jahrb. Mai 1842. p. 173) fand unter 14 Melancholischen, die im J.
1841 starben, 10mal Tuberculose, und nimmt gleichfalls ein Causalverhältniss zum
Irresein an.
***) Vgl. Jakobi, Hauptformen. Fall XXIX. Thore, des maladies incidentes
des aliénés. Ann. med. psych. Mai. 1844. p. 359 seqq. Auch in hiesiger Clinik
wurde ein solcher Fall beobachtet.
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[142/0156] Brustkrankheiten. oder dauernde Hyperämieen, Oedeme etc. im Gehirn, wie in den übrigen Organen ergeben. — Eine eben so grosse Bedeutung schreiben wir den Lungenkrankheiten, besonders der häufigsten unter ihnen, der Tuberculose, in Uebereinstimmung mit Esquirol *), Bergmann **) und vielen andern Beobachtern, zu. Vielfache Erfahrungen zeigen hier ein doppeltes Verhältniss. In der einen — und nach unsern Erfahrungen grösseren — Reihe von Fällen bilden sich Geisteskrankheiten aus mit dem Beginn oder doch in den ersten Stadien der Lungentuberculose, welche dann meist noch nicht erkannt wird, und sich für den weniger aufmerk- samen Beobachter auch später, von den Symptomen der Geistes- Krankheit überdeckt, kaum durch den zunehmenden Marasmus und das hectische Fieber kund gibt. In andern Fällen bricht das Irre- sein erst in der späteren Periode der Phtisis confirmata, als Schwer- muth, häufiger in der Form von maniacalischen Paroxismen aus. Die Folgen für den Gehirnkreislauf, die sich aus der Behinderung der Respiration ergeben, und eine veränderte Statik des Cerebrospinal- fluidums erscheinen, nach dem oben Gesagten, als wichtige pathogenetische Momente; in andern Fällen mag eine gleichzeitige Gehirnreizung durch schleichende tuberculose Meningitis das Irre- sein hervorrufen. Beispiele von Manie bei Phtisischen s. bei Castel (Nasses Zeitschrift 1819. p. 421.), Wallach (Caspers Wochenschr. 1844. Nro. 3.) Meding (ibidem. 1845. Nro. 1.) etc. Von grossem Interesse sind jene Fälle von Irresein (meist acute Manieen), welche während des Verlaufs der Pneumonie ausbrechen, zuweilen im Anfang derselben, häufiger in der Zeit der abnehmenden Krankheit, gegen die Reconvalescenz hin; sie sind meist von kurzer Dauer, giengen aber auch schon in chronisches Irresein über, so dass solche Kranke der Irrenanstalt übergeben werden mussten. ***) Wie weit in solchen Fällen das ursprüngliche Hinderniss der Respiration, *) Die Geisteskrankheiten, von Bernhard. I. p. 62. **) Holschers Annalen. III. 1838. p. 501. „Die Lungenkrankheiten gehören in unserem Clima zu den ursächlichen Momenten, aus denen sich am häufigsten organische Störungen im Gehirn und darans psychsische Störungen herleiten lassen.“ Riedel (Oester. Jahrb. Mai 1842. p. 173) fand unter 14 Melancholischen, die im J. 1841 starben, 10mal Tuberculose, und nimmt gleichfalls ein Causalverhältniss zum Irresein an. ***) Vgl. Jakobi, Hauptformen. Fall XXIX. Thore, des maladies incidentes des aliénés. Ann. med. psych. Mai. 1844. p. 359 seqq. Auch in hiesiger Clinik wurde ein solcher Fall beobachtet.

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/156>, abgerufen am 28.04.2024.