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Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819.

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So jung noch und so schlau, so heiter blühend
Und Gift und Moder in der argen Brust?
Steh nicht so stumm! Soll dir's an Worten fehlen?
Die Zunge, die so sticht, kann sie nicht zischen?
Antworte mir!
Melitta.
Ich weiß nicht, was du meinst.
Sappho.
Nicht? armes Kind! Nun Thränen? Weine nicht!
Die Thränen sind des Schmerzes heilig Recht!
Mit Worten sprich! Sie sind ja längst entweiht,
Doch brauche nicht der Unschuld stumme Sprache!
So schön geschmückt, so bräutlich angethan!
Fort, diese Blumen! Fort! sie taugen wenig
Die schlechtversteckte Schlange zu verbergen!
Herab die Rosen!

(Melitta nimmt schweigend den Kranz ab.)
Sappho.
Mir gib diesen Kranz,
Bewahren will ich ihn dir zum Gedächtniß,
Und fallen frühverwelkt die Blätter ab,
Gedenk' ich deiner Treu' und meines Glücks.
Was schonest du die Rose an der Brust?
Leg' sie von dir!

(Melitta tritt zurück.)
Sappho.
Wohl gar ein Liebespfand?
Fort damit!

So jung noch und ſo ſchlau, ſo heiter blühend
Und Gift und Moder in der argen Bruſt?
Steh nicht ſo ſtumm! Soll dir's an Worten fehlen?
Die Zunge, die ſo ſticht, kann ſie nicht ziſchen?
Antworte mir!
Melitta.
Ich weiß nicht, was du meinſt.
Sappho.
Nicht? armes Kind! Nun Thränen? Weine nicht!
Die Thränen ſind des Schmerzes heilig Recht!
Mit Worten ſprich! Sie ſind ja längſt entweiht,
Doch brauche nicht der Unſchuld ſtumme Sprache!
So ſchön geſchmückt, ſo bräutlich angethan!
Fort, dieſe Blumen! Fort! ſie taugen wenig
Die ſchlechtverſteckte Schlange zu verbergen!
Herab die Roſen!

(Melitta nimmt ſchweigend den Kranz ab.)
Sappho.
Mir gib dieſen Kranz,
Bewahren will ich ihn dir zum Gedächtniß,
Und fallen frühverwelkt die Blätter ab,
Gedenk' ich deiner Treu' und meines Glücks.
Was ſchoneſt du die Roſe an der Bruſt?
Leg' ſie von dir!

(Melitta tritt zurück.)
Sappho.
Wohl gar ein Liebespfand?
Fort damit!

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[66/0076] So jung noch und ſo ſchlau, ſo heiter blühend Und Gift und Moder in der argen Bruſt? Steh nicht ſo ſtumm! Soll dir's an Worten fehlen? Die Zunge, die ſo ſticht, kann ſie nicht ziſchen? Antworte mir! Melitta. Ich weiß nicht, was du meinſt. Sappho. Nicht? armes Kind! Nun Thränen? Weine nicht! Die Thränen ſind des Schmerzes heilig Recht! Mit Worten ſprich! Sie ſind ja längſt entweiht, Doch brauche nicht der Unſchuld ſtumme Sprache! So ſchön geſchmückt, ſo bräutlich angethan! Fort, dieſe Blumen! Fort! ſie taugen wenig Die ſchlechtverſteckte Schlange zu verbergen! Herab die Roſen! (Melitta nimmt ſchweigend den Kranz ab.) Sappho. Mir gib dieſen Kranz, Bewahren will ich ihn dir zum Gedächtniß, Und fallen frühverwelkt die Blätter ab, Gedenk' ich deiner Treu' und meines Glücks. Was ſchoneſt du die Roſe an der Bruſt? Leg' ſie von dir! (Melitta tritt zurück.) Sappho. Wohl gar ein Liebespfand? Fort damit!

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Zitationshilfe: Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_sappho_1819/76>, abgerufen am 30.04.2024.