Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.und die Frau mich anfuhr, ob ich noch sonst etwas wollte, worauf ich mich entfernte. Sie werden glauben, verehrtester Herr, fuhr er fort, daß ich mich nun als den unglücklichsten aller Menschen fühlte. Und so war es auch im ersten Augenblicke. Als ich aber aus dem Laden heraustrat und, mich umwendend, auf die kleinen Fenster zurückblickte, an denen Barbara gewiß oft gestanden und herausgesehen hatte, da kam eine selige Empfindung über mich. Daß sie nun alles Kummers los war, Frau im eigenen Hause, und nicht nöthig hatte, wie wenn sie ihre Tage an einen Herd- und Heimathlosen geknüpft hätte, Kummer und Elend zu tragen, das legte sich wie ein lindernder Balsam auf meine Brust, und ich segnete sie und ihre Wege. Wie es nun mit mir immer mehr herabkam, beschloß ich durch Musik mein Fortkommen zu suchen; und so lange der Rest meines Geldes währte, übte und studirte ich mir die Werke großer Meister, vorzüglich der alten, ein, welche ich abschrieb; und als nun der letzte Groschen ausgegeben war, schickte ich mich an, von meinen Kenntnissen Vortheil zu ziehen, und zwar anfangs in geschlossenen Gesellschaften, wozu ein Gastgebot im Hause meiner Miethfrau den ersten Anlaß gab. Als aber die von mir vorgetragenen Compositionen dort keinen Anklang fanden, stellte ich mich in die Höfe der Häuser, da unter so vielen Bewohnern doch Einige sein mochten, die das Ernste zu schätzen wußten -- ja endlich auf die öffentlichen Spaziergänge, wo ich denn wirk- und die Frau mich anfuhr, ob ich noch sonst etwas wollte, worauf ich mich entfernte. Sie werden glauben, verehrtester Herr, fuhr er fort, daß ich mich nun als den unglücklichsten aller Menschen fühlte. Und so war es auch im ersten Augenblicke. Als ich aber aus dem Laden heraustrat und, mich umwendend, auf die kleinen Fenster zurückblickte, an denen Barbara gewiß oft gestanden und herausgesehen hatte, da kam eine selige Empfindung über mich. Daß sie nun alles Kummers los war, Frau im eigenen Hause, und nicht nöthig hatte, wie wenn sie ihre Tage an einen Herd- und Heimathlosen geknüpft hätte, Kummer und Elend zu tragen, das legte sich wie ein lindernder Balsam auf meine Brust, und ich segnete sie und ihre Wege. Wie es nun mit mir immer mehr herabkam, beschloß ich durch Musik mein Fortkommen zu suchen; und so lange der Rest meines Geldes währte, übte und studirte ich mir die Werke großer Meister, vorzüglich der alten, ein, welche ich abschrieb; und als nun der letzte Groschen ausgegeben war, schickte ich mich an, von meinen Kenntnissen Vortheil zu ziehen, und zwar anfangs in geschlossenen Gesellschaften, wozu ein Gastgebot im Hause meiner Miethfrau den ersten Anlaß gab. Als aber die von mir vorgetragenen Compositionen dort keinen Anklang fanden, stellte ich mich in die Höfe der Häuser, da unter so vielen Bewohnern doch Einige sein mochten, die das Ernste zu schätzen wußten — ja endlich auf die öffentlichen Spaziergänge, wo ich denn wirk- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0065"/> und die Frau mich anfuhr, ob ich noch sonst etwas wollte, worauf ich mich entfernte.</p><lb/> <p>Sie werden glauben, verehrtester Herr, fuhr er fort, daß ich mich nun als den unglücklichsten aller Menschen fühlte. Und so war es auch im ersten Augenblicke. Als ich aber aus dem Laden heraustrat und, mich umwendend, auf die kleinen Fenster zurückblickte, an denen Barbara gewiß oft gestanden und herausgesehen hatte, da kam eine selige Empfindung über mich. Daß sie nun alles Kummers los war, Frau im eigenen Hause, und nicht nöthig hatte, wie wenn sie ihre Tage an einen Herd- und Heimathlosen geknüpft hätte, Kummer und Elend zu tragen, das legte sich wie ein lindernder Balsam auf meine Brust, und ich segnete sie und ihre Wege.</p><lb/> <p>Wie es nun mit mir immer mehr herabkam, beschloß ich durch Musik mein Fortkommen zu suchen; und so lange der Rest meines Geldes währte, übte und studirte ich mir die Werke großer Meister, vorzüglich der alten, ein, welche ich abschrieb; und als nun der letzte Groschen ausgegeben war, schickte ich mich an, von meinen Kenntnissen Vortheil zu ziehen, und zwar anfangs in geschlossenen Gesellschaften, wozu ein Gastgebot im Hause meiner Miethfrau den ersten Anlaß gab. Als aber die von mir vorgetragenen Compositionen dort keinen Anklang fanden, stellte ich mich in die Höfe der Häuser, da unter so vielen Bewohnern doch Einige sein mochten, die das Ernste zu schätzen wußten — ja endlich auf die öffentlichen Spaziergänge, wo ich denn wirk-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0065]
und die Frau mich anfuhr, ob ich noch sonst etwas wollte, worauf ich mich entfernte.
Sie werden glauben, verehrtester Herr, fuhr er fort, daß ich mich nun als den unglücklichsten aller Menschen fühlte. Und so war es auch im ersten Augenblicke. Als ich aber aus dem Laden heraustrat und, mich umwendend, auf die kleinen Fenster zurückblickte, an denen Barbara gewiß oft gestanden und herausgesehen hatte, da kam eine selige Empfindung über mich. Daß sie nun alles Kummers los war, Frau im eigenen Hause, und nicht nöthig hatte, wie wenn sie ihre Tage an einen Herd- und Heimathlosen geknüpft hätte, Kummer und Elend zu tragen, das legte sich wie ein lindernder Balsam auf meine Brust, und ich segnete sie und ihre Wege.
Wie es nun mit mir immer mehr herabkam, beschloß ich durch Musik mein Fortkommen zu suchen; und so lange der Rest meines Geldes währte, übte und studirte ich mir die Werke großer Meister, vorzüglich der alten, ein, welche ich abschrieb; und als nun der letzte Groschen ausgegeben war, schickte ich mich an, von meinen Kenntnissen Vortheil zu ziehen, und zwar anfangs in geschlossenen Gesellschaften, wozu ein Gastgebot im Hause meiner Miethfrau den ersten Anlaß gab. Als aber die von mir vorgetragenen Compositionen dort keinen Anklang fanden, stellte ich mich in die Höfe der Häuser, da unter so vielen Bewohnern doch Einige sein mochten, die das Ernste zu schätzen wußten — ja endlich auf die öffentlichen Spaziergänge, wo ich denn wirk-
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Zitationshilfe: | Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_spielmann_1910/65>, abgerufen am 17.06.2024. |