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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. althochdeutsche consonanten.
derdeutschen und nordischen, bietet die schwächere
seite der hochdeutschen sprache dar.
4) was zur scheidung der einzelnen alth. dialecte bei-
tragen kann, wird man aus der abhandlung einer
jeden lautreihe leicht finden. In ermangelung siche-
rer grenzpuncte habe ich verschiedentlich zu der be-
nennung gemein- oder auch strengalthochd. greifen
müßen. Die strengalth. mundart würde sich unbe-
denklich nach Alemannien und Baiern setzen laßen,
aber wie weit in die anliegenden landstriche? Aus
O. T. und den ihnen ähnlichen eine altfränkische
mundart zu bilden, ist doch zu mislich, obschon beide
gewiß zwischen jenen strengalth. und den niederd.
gegenden gelegen haben. Das altfränkische, wie es
in eigennamen aus der Merovinger zeit in diplomen
des 6. 7. jahrh. erscheint, berührt sich eben nicht
mit Otfrieds mundart. Nennt er sie selbst: fränkische
zunge (I. 1, 67, 92. 228, 244.) wofür die lat. vorrede
jedoch theotisce, theotisca gebraucht; so hat man sich
der unter den Carolingern weit ausgebreiteteren herr-
schaft des fränk. namens zu erinnern und nicht ge-
rade unmöglich wäre, daß der dichter, obschon er
im elsäßischen kloster Weißenburg lebte, aus Aleman-
nien herstammte. Unsere alth. quellen fließen nicht
allein aus sehr verschiedenen ländern, sondern auch
aus wenigstens drei jahrh. zusammen; wer vermag
die veränderungen und mischungen anzuschlagen und
gehörig zu trennen, die sich nach zeit und ort *) er-
eigneten? Ich begnüge mich daher mit der allgemei-
nen benennung und bezeichne die vortretenden be-
sonderheiten der sprache nach den einzelnen denk-
mählern selbst. O. und T. haben die meiste ähnlich-
keit, fallen aber durchaus nicht zusammen; z. b. O.
hat mit K. überein ia, ua; T. mit J. M. N. überein
uo; O. hat scif, worolt, T. scef, werolt, (oben s. 82.
83.) und so weichen beide in manchen wörtern und
formen von einander. Nur ist freilich viel wichtiger,
daß beide O. und T. anlautend die alte med. b. g.
behalten, (O. auch d, welches T. mit t vertauscht),
wogegen strengalth. p. k und t gilt; N. aber wech-
*) Mehr zeitlich als örtlich erfolgt z. b. die verwandlung
des s in r; die aphärese des b; das eindringen der um-
laute; die änderung des ai, au in ei, ou; des awi in
ewi, owi, owi etc.
I. althochdeutſche conſonanten.
derdeutſchen und nordiſchen, bietet die ſchwächere
ſeite der hochdeutſchen ſprache dar.
4) was zur ſcheidung der einzelnen alth. dialecte bei-
tragen kann, wird man aus der abhandlung einer
jeden lautreihe leicht finden. In ermangelung ſiche-
rer grenzpuncte habe ich verſchiedentlich zu der be-
nennung gemein- oder auch ſtrengalthochd. greifen
müßen. Die ſtrengalth. mundart würde ſich unbe-
denklich nach Alemannien und Baiern ſetzen laßen,
aber wie weit in die anliegenden landſtriche? Aus
O. T. und den ihnen ähnlichen eine altfränkiſche
mundart zu bilden, iſt doch zu miſlich, obſchon beide
gewiß zwiſchen jenen ſtrengalth. und den niederd.
gegenden gelegen haben. Das altfränkiſche, wie es
in eigennamen aus der Merovinger zeit in diplomen
des 6. 7. jahrh. erſcheint, berührt ſich eben nicht
mit Otfrieds mundart. Nennt er ſie ſelbſt: fränkiſche
zunge (I. 1, 67, 92. 228, 244.) wofür die lat. vorrede
jedoch theotiſce, theotiſca gebraucht; ſo hat man ſich
der unter den Carolingern weit ausgebreiteteren herr-
ſchaft des fränk. namens zu erinnern und nicht ge-
rade unmöglich wäre, daß der dichter, obſchon er
im elſäßiſchen kloſter Weißenburg lebte, aus Aleman-
nien herſtammte. Unſere alth. quellen fließen nicht
allein aus ſehr verſchiedenen ländern, ſondern auch
aus wenigſtens drei jahrh. zuſammen; wer vermag
die veränderungen und miſchungen anzuſchlagen und
gehörig zu trennen, die ſich nach zeit und ort *) er-
eigneten? Ich begnüge mich daher mit der allgemei-
nen benennung und bezeichne die vortretenden be-
ſonderheiten der ſprache nach den einzelnen denk-
mählern ſelbſt. O. und T. haben die meiſte ähnlich-
keit, fallen aber durchaus nicht zuſammen; z. b. O.
hat mit K. überein ia, ua; T. mit J. M. N. überein
uo; O. hat ſcif, worolt, T. ſcëf, wërolt, (oben ſ. 82.
83.) und ſo weichen beide in manchen wörtern und
formen von einander. Nur iſt freilich viel wichtiger,
daß beide O. und T. anlautend die alte med. b. g.
behalten, (O. auch d, welches T. mit t vertauſcht),
wogegen ſtrengalth. p. k und t gilt; N. aber wech-
*) Mehr zeitlich als örtlich erfolgt z. b. die verwandlung
des ſ in r; die aphäreſe des b; das eindringen der um-
laute; die änderung des ai, au in ei, ou; des awi in
ewi, owi, ôwi etc.
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[200/0226] I. althochdeutſche conſonanten. derdeutſchen und nordiſchen, bietet die ſchwächere ſeite der hochdeutſchen ſprache dar. 4) was zur ſcheidung der einzelnen alth. dialecte bei- tragen kann, wird man aus der abhandlung einer jeden lautreihe leicht finden. In ermangelung ſiche- rer grenzpuncte habe ich verſchiedentlich zu der be- nennung gemein- oder auch ſtrengalthochd. greifen müßen. Die ſtrengalth. mundart würde ſich unbe- denklich nach Alemannien und Baiern ſetzen laßen, aber wie weit in die anliegenden landſtriche? Aus O. T. und den ihnen ähnlichen eine altfränkiſche mundart zu bilden, iſt doch zu miſlich, obſchon beide gewiß zwiſchen jenen ſtrengalth. und den niederd. gegenden gelegen haben. Das altfränkiſche, wie es in eigennamen aus der Merovinger zeit in diplomen des 6. 7. jahrh. erſcheint, berührt ſich eben nicht mit Otfrieds mundart. Nennt er ſie ſelbſt: fränkiſche zunge (I. 1, 67, 92. 228, 244.) wofür die lat. vorrede jedoch theotiſce, theotiſca gebraucht; ſo hat man ſich der unter den Carolingern weit ausgebreiteteren herr- ſchaft des fränk. namens zu erinnern und nicht ge- rade unmöglich wäre, daß der dichter, obſchon er im elſäßiſchen kloſter Weißenburg lebte, aus Aleman- nien herſtammte. Unſere alth. quellen fließen nicht allein aus ſehr verſchiedenen ländern, ſondern auch aus wenigſtens drei jahrh. zuſammen; wer vermag die veränderungen und miſchungen anzuſchlagen und gehörig zu trennen, die ſich nach zeit und ort *) er- eigneten? Ich begnüge mich daher mit der allgemei- nen benennung und bezeichne die vortretenden be- ſonderheiten der ſprache nach den einzelnen denk- mählern ſelbſt. O. und T. haben die meiſte ähnlich- keit, fallen aber durchaus nicht zuſammen; z. b. O. hat mit K. überein ia, ua; T. mit J. M. N. überein uo; O. hat ſcif, worolt, T. ſcëf, wërolt, (oben ſ. 82. 83.) und ſo weichen beide in manchen wörtern und formen von einander. Nur iſt freilich viel wichtiger, daß beide O. und T. anlautend die alte med. b. g. behalten, (O. auch d, welches T. mit t vertauſcht), wogegen ſtrengalth. p. k und t gilt; N. aber wech- *) Mehr zeitlich als örtlich erfolgt z. b. die verwandlung des ſ in r; die aphäreſe des b; das eindringen der um- laute; die änderung des ai, au in ei, ou; des awi in ewi, owi, ôwi etc.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/226>, abgerufen am 07.05.2024.