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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche consonanten. labiales.
für schiuhen (vereri) aber bisweilen schiuwen, vgl.
schiuhet:fliuhet, ziuhet Maria 187. 225. M. S. 1, 204a
2, 198b 200b und schiuwet:riuwet meisterg. 32a schiu-
we: getriuwen M. S. 2, 225b Morolf 50b 51a kein li-
wen noch liuwen f. lihen (commodarunt) vgl. s. 145.
Weil sich h und j begegnen, könnte berührung zwi-
schen j und w vermittelt werden; doch im reinen
mittelh. ist sie beispiellos, weder ein muewen f. mue-
jen (vexare) noch weniger ruoje f. ruowe, obgleich
neuh, in beiden ein h. Genau geschieden ist auch w
vom inlaut v, daher z. b. ruowe nie auf huove oder
liewe auf brieve reimend. -- f) zwischen w und v
schwanken allerdings fremde wörter, doch nicht gleich-
zeitig. Frühe und schon im alth. aufgenommene zei-
gen w, pfawe (pavo); als man sie einführte wurde
wohl noch die deutsche spirans gleich der lat. geschrie-
ben und gesprochen. Die mittelh. mundart behielt
insgemein in roman. wörtern die fremde schreibung
bei, beobachtete aber dafür deutsche aussprache; so
schrieb man aventiure (nicht awentiure) nahm aber
das v wie ein deutsches (in grave) folglich beinahe b
lautendes. Darum späterhin in dergl. wörtern oft die
wirkliche med. eintritt (abentheuer) -- g) w unbe-
tonter silben (s. 146. 147.) pflegt sich mit auswerfung
des vorausgehenden tonlosen oder stummen e an die
wurzel zu lehnen, welche meist auf liq. zuweilen auf
ling. ausgeht, als swalwe, melwe, milwe, gehilwe
(congeries nubium) gilwe (flavedo) varwe, begarwe
(penitus) senwe, witwe, zeswe. Doch steht auch
wohl das trennende e, als senewe (Parc. 58a) zesewe.
Oft wird w unterdrückt, als schate (nicht mehr
schatwe). -- h) von syncopen des inl. w nachher
beim auslaut.
3) auslautendes w. Nach goth. (s. 59. übersehener) regel
beharrt die spirans v im auslaut nur nach langem voc.
oder nach consonanz, aiv, spaiv, speiv (spue) heiv,
sahv, valv; nach kurzem voc. löst sie sich in u auf:
snau, kniu (nicht snav, kniv). Im alth. nirgend mehr
w im auslaut, sondern entw. auflösung in u, o, oder
völlige wegwerfung. Jetzt im mittelh. wird a) in ton-
loser, unwurzelhafter silbe w stets apocopiert, ohne
als ein voc. über zu bleiben, vgl. gel, mel, var, gar
(alth. melo, garo). b) in betonter wurzel fällt es nach
a, e, ei, uo, ie gleichfalls rein weg, vgl. gra, bra, e,
spe, spei (spue) ruo (quiesce) hie (succidit). Auch in
I. mittelhochdeutſche conſonanten. labiales.
für ſchiuhen (vereri) aber bisweilen ſchiuwen, vgl.
ſchiuhet:fliuhet, ziuhet Maria 187. 225. M. S. 1, 204a
2, 198b 200b und ſchiuwet:riuwet meiſterg. 32a ſchiu-
we: getriuwen M. S. 2, 225b Morolf 50b 51a kein li-
wen noch liuwen f. lihen (commodarunt) vgl. ſ. 145.
Weil ſich h und j begegnen, könnte berührung zwi-
ſchen j und w vermittelt werden; doch im reinen
mittelh. iſt ſie beiſpiellos, weder ein muewen f. mue-
jen (vexare) noch weniger ruoje f. ruowe, obgleich
neuh, in beiden ein h. Genau geſchieden iſt auch w
vom inlaut v, daher z. b. ruowe nie auf huove oder
liewe auf brieve reimend. — f) zwiſchen w und v
ſchwanken allerdings fremde wörter, doch nicht gleich-
zeitig. Frühe und ſchon im alth. aufgenommene zei-
gen w, pfâwe (pavo); als man ſie einführte wurde
wohl noch die deutſche ſpirans gleich der lat. geſchrie-
ben und geſprochen. Die mittelh. mundart behielt
insgemein in roman. wörtern die fremde ſchreibung
bei, beobachtete aber dafür deutſche ausſprache; ſo
ſchrieb man âventiure (nicht awentiure) nahm aber
das v wie ein deutſches (in grâve) folglich beinahe b
lautendes. Darum ſpäterhin in dergl. wörtern oft die
wirkliche med. eintritt (abentheuer) — g) w unbe-
tonter ſilben (ſ. 146. 147.) pflegt ſich mit auswerfung
des vorausgehenden tonloſen oder ſtummen e an die
wurzel zu lehnen, welche meiſt auf liq. zuweilen auf
ling. ausgeht, als ſwalwe, mëlwe, milwe, gehilwe
(congeries nubium) gilwe (flavedo) varwe, begarwe
(penitus) ſënwe, witwe, zëſwe. Doch ſteht auch
wohl das trennende e, als ſenewe (Parc. 58a) zëſewe.
Oft wird w unterdrückt, als ſchate (nicht mehr
ſchatwe). — h) von ſyncopen des inl. w nachher
beim auslaut.
3) auslautendes w. Nach goth. (ſ. 59. überſehener) regel
beharrt die ſpirans v im auslaut nur nach langem voc.
oder nach conſonanz, áiv, ſpáiv, ſpeiv (ſpue) heiv,
ſahv, valv; nach kurzem voc. löſt ſie ſich in u auf:
ſnáu, kniu (nicht ſnav, kniv). Im alth. nirgend mehr
w im auslaut, ſondern entw. auflöſung in u, o, oder
völlige wegwerfung. Jetzt im mittelh. wird α) in ton-
loſer, unwurzelhafter ſilbe w ſtets apocopiert, ohne
als ein voc. über zu bleiben, vgl. gël, mël, var, gar
(alth. mëlo, garo). β) in betonter wurzel fällt es nach
â, ê, î, uo, ie gleichfalls rein weg, vgl. grâ, brâ, ê,
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[404/0430] I. mittelhochdeutſche conſonanten. labiales. für ſchiuhen (vereri) aber bisweilen ſchiuwen, vgl. ſchiuhet:fliuhet, ziuhet Maria 187. 225. M. S. 1, 204a 2, 198b 200b und ſchiuwet:riuwet meiſterg. 32a ſchiu- we: getriuwen M. S. 2, 225b Morolf 50b 51a kein li- wen noch liuwen f. lihen (commodarunt) vgl. ſ. 145. Weil ſich h und j begegnen, könnte berührung zwi- ſchen j und w vermittelt werden; doch im reinen mittelh. iſt ſie beiſpiellos, weder ein muewen f. mue- jen (vexare) noch weniger ruoje f. ruowe, obgleich neuh, in beiden ein h. Genau geſchieden iſt auch w vom inlaut v, daher z. b. ruowe nie auf huove oder liewe auf brieve reimend. — f) zwiſchen w und v ſchwanken allerdings fremde wörter, doch nicht gleich- zeitig. Frühe und ſchon im alth. aufgenommene zei- gen w, pfâwe (pavo); als man ſie einführte wurde wohl noch die deutſche ſpirans gleich der lat. geſchrie- ben und geſprochen. Die mittelh. mundart behielt insgemein in roman. wörtern die fremde ſchreibung bei, beobachtete aber dafür deutſche ausſprache; ſo ſchrieb man âventiure (nicht awentiure) nahm aber das v wie ein deutſches (in grâve) folglich beinahe b lautendes. Darum ſpäterhin in dergl. wörtern oft die wirkliche med. eintritt (abentheuer) — g) w unbe- tonter ſilben (ſ. 146. 147.) pflegt ſich mit auswerfung des vorausgehenden tonloſen oder ſtummen e an die wurzel zu lehnen, welche meiſt auf liq. zuweilen auf ling. ausgeht, als ſwalwe, mëlwe, milwe, gehilwe (congeries nubium) gilwe (flavedo) varwe, begarwe (penitus) ſënwe, witwe, zëſwe. Doch ſteht auch wohl das trennende e, als ſenewe (Parc. 58a) zëſewe. Oft wird w unterdrückt, als ſchate (nicht mehr ſchatwe). — h) von ſyncopen des inl. w nachher beim auslaut. 3) auslautendes w. Nach goth. (ſ. 59. überſehener) regel beharrt die ſpirans v im auslaut nur nach langem voc. oder nach conſonanz, áiv, ſpáiv, ſpeiv (ſpue) heiv, ſahv, valv; nach kurzem voc. löſt ſie ſich in u auf: ſnáu, kniu (nicht ſnav, kniv). Im alth. nirgend mehr w im auslaut, ſondern entw. auflöſung in u, o, oder völlige wegwerfung. Jetzt im mittelh. wird α) in ton- loſer, unwurzelhafter ſilbe w ſtets apocopiert, ohne als ein voc. über zu bleiben, vgl. gël, mël, var, gar (alth. mëlo, garo). β) in betonter wurzel fällt es nach â, ê, î, uo, ie gleichfalls rein weg, vgl. grâ, brâ, ê, ſpê, ſpî (ſpue) ruo (quieſce) hie (ſuccidit). Auch in

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/430>, abgerufen am 27.05.2024.