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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche consonanten. linguales.
3) das in- und auslautende ß ist umgekehrt nach cons.
selten, nach voc. häufig. Mit cons. verbindet es sich
nie organisch, bloß durch syncope, vgl. hanß f. han
eß; hirß, elbß f. hireß, elbeß. Zuweilen ändert sich
dann ß in z, Conrad gebraucht wirklich hirz (cer-
vus) und reimt es auf wirz (aroma) troj. 79b schmiede
1313; oder wäre ein wirß, wireß anzunehmen? Von
wurz, gen. würze (herba) ist dieses wirz bei Conr.
selbst verschieden, vgl. troj. 137c schmiede 1295, ob-
gleich die herleitung von gewürze (condimentum) aus
wurz (herba) alles für sich hat. Es käme darauf an bei
Conr. einen reim, der hirß mit irß, mirß verbände,
aufzufinden oder nicht. Tadelhaft aber wird wirzburc
st. würzburc (herbipolis) geschrieben. Auch pelleß,
pelleiß (pellis) Parc. 55a Wigal. 29. 31. kolocz. 363. 418.
verkürzt Conr. in belz (troj. 45a); samßtac (Parc. 106b)
auch nach dem neuh. samstag so und nicht samztac
zu sprechen *). -- Das ß nach vocalen bestimmt fol-
gender grundsatz: nach langen steht in- und auslau-
tend ß (nie ß) nach kurzen auslautend ß, inlau-
tend ß; man schreibe folglich aß, aßen; beiß, biß-
ßen; gruoß, grueßen, gruoßte; ageleiße (studiose) etc.
Inlautend nach kurzem voc. kann kein ß statt ß
(wie vorhin z statt tz) durch syncope möglich werden,
z. b. haßte f. haßete, weil im schwachen praet.
nach ß nie e ausgeworfen wird; den grund ergibt
die conjug., ja der unterschied zwischen z und ß
überhaupt beruht hierauf. -- Die in- und auslaute ß
fremder wörter beurtheilen sich nach denselben regeln;
das auslautende ß (und nicht z) bezeugen eine menge
reime, karrioß:groß etc.
4) die s. 154. bemerkten überbleibsel der alten ten. statt
des zischlauts dauern für ht. ft. st. tr. noch fort, man
füge aus s. 394. winter und mantel hinzu. Das otfrie-
dische kurt **) findet sich in der hessischen und thü-
ringischen mundart; Herbort hat kürte : antwürte
(5c 23d 47d 56b) dagegen kürze:würze (27a 70a) Heinr.
v. Meisen kurt (v. 256. 4782.) auf geburt, so wie (v. 355.)
*) Im 12. jahrh. noch sameßtac; bei T. 18, 1. O. III. 16, 68.
sambaßdag merkwürdig für sabbaßdag; goth. sabbatodags
oder sabbatedags.
**) Neben diesem auslaut auch kurtei (brevitas) I. 1, 43, hin-
gegen kurzero II, 21, 34. kurzit IV. 7, 65. kurzleichaß II. 21,
30. kurzlichen II, 9, 147.
I. mittelhochdeutſche conſonanten. linguales.
3) das in- und auslautende Ʒ iſt umgekehrt nach conſ.
ſelten, nach voc. häufig. Mit conſ. verbindet es ſich
nie organiſch, bloß durch ſyncope, vgl. hânƷ f. hân
ëƷ; hirƷ, elbƷ f. hireƷ, elbeƷ. Zuweilen ändert ſich
dann Ʒ in z, Conrad gebraucht wirklich hirz (cer-
vus) und reimt es auf wirz (aroma) troj. 79b ſchmiede
1313; oder wäre ein wirƷ, wireƷ anzunehmen? Von
wurz, gen. würze (herba) iſt dieſes wirz bei Conr.
ſelbſt verſchieden, vgl. troj. 137c ſchmiede 1295, ob-
gleich die herleitung von gewürze (condimentum) aus
wurz (herba) alles für ſich hat. Es käme darauf an bei
Conr. einen reim, der hirƷ mit irƷ, mirƷ verbände,
aufzufinden oder nicht. Tadelhaft aber wird wirzburc
ſt. würzburc (herbipolis) geſchrieben. Auch pëlleƷ,
pëllîƷ (pellis) Parc. 55a Wigal. 29. 31. kolocz. 363. 418.
verkürzt Conr. in belz (troj. 45a); ſamƷtac (Parc. 106b)
auch nach dem neuh. ſamstag ſo und nicht ſamztac
zu ſprechen *). — Das Ʒ nach vocalen beſtimmt fol-
gender grundſatz: nach langen ſteht in- und auslau-
tend Ʒ (nie ƷƷ) nach kurzen auslautend Ʒ, inlau-
tend ƷƷ; man ſchreibe folglich aƷ, âƷen; beiƷ, biƷ-
Ʒen; gruoƷ, grueƷen, gruoƷte; ageleiƷe (ſtudioſe) etc.
Inlautend nach kurzem voc. kann kein Ʒ ſtatt ƷƷ
(wie vorhin z ſtatt tz) durch ſyncope möglich werden,
z. b. haƷte f. haƷƷete, weil im ſchwachen praet.
nach ƷƷ nie e ausgeworfen wird; den grund ergibt
die conjug., ja der unterſchied zwiſchen z und Ʒ
überhaupt beruht hierauf. — Die in- und auslaute Ʒ
fremder wörter beurtheilen ſich nach denſelben regeln;
das auslautende Ʒ (und nicht z) bezeugen eine menge
reime, karriôƷ:grôƷ etc.
4) die ſ. 154. bemerkten überbleibſel der alten ten. ſtatt
des ziſchlauts dauern für ht. ft. ſt. tr. noch fort, man
füge aus ſ. 394. winter und mantel hinzu. Das otfrie-
diſche kurt **) findet ſich in der heſſiſchen und thü-
ringiſchen mundart; Herbort hat kürte : antwürte
(5c 23d 47d 56b) dagegen kürze:würze (27a 70a) Heinr.
v. Mîſen kurt (v. 256. 4782.) auf geburt, ſo wie (v. 355.)
*) Im 12. jahrh. noch ſameƷtac; bei T. 18, 1. O. III. 16, 68.
ſambaƷdag merkwürdig für ſabbaƷdag; goth. ſabbatôdags
oder ſabbatêdags.
**) Neben dieſem auslaut auch kurtî (brevitas) I. 1, 43, hin-
gegen kurzero II, 21, 34. kurzit IV. 7, 65. kurzlîchaƷ II. 21,
30. kurzlìchen II, 9, 147.
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[413/0439] I. mittelhochdeutſche conſonanten. linguales. 3) das in- und auslautende Ʒ iſt umgekehrt nach conſ. ſelten, nach voc. häufig. Mit conſ. verbindet es ſich nie organiſch, bloß durch ſyncope, vgl. hânƷ f. hân ëƷ; hirƷ, elbƷ f. hireƷ, elbeƷ. Zuweilen ändert ſich dann Ʒ in z, Conrad gebraucht wirklich hirz (cer- vus) und reimt es auf wirz (aroma) troj. 79b ſchmiede 1313; oder wäre ein wirƷ, wireƷ anzunehmen? Von wurz, gen. würze (herba) iſt dieſes wirz bei Conr. ſelbſt verſchieden, vgl. troj. 137c ſchmiede 1295, ob- gleich die herleitung von gewürze (condimentum) aus wurz (herba) alles für ſich hat. Es käme darauf an bei Conr. einen reim, der hirƷ mit irƷ, mirƷ verbände, aufzufinden oder nicht. Tadelhaft aber wird wirzburc ſt. würzburc (herbipolis) geſchrieben. Auch pëlleƷ, pëllîƷ (pellis) Parc. 55a Wigal. 29. 31. kolocz. 363. 418. verkürzt Conr. in belz (troj. 45a); ſamƷtac (Parc. 106b) auch nach dem neuh. ſamstag ſo und nicht ſamztac zu ſprechen *). — Das Ʒ nach vocalen beſtimmt fol- gender grundſatz: nach langen ſteht in- und auslau- tend Ʒ (nie ƷƷ) nach kurzen auslautend Ʒ, inlau- tend ƷƷ; man ſchreibe folglich aƷ, âƷen; beiƷ, biƷ- Ʒen; gruoƷ, grueƷen, gruoƷte; ageleiƷe (ſtudioſe) etc. Inlautend nach kurzem voc. kann kein Ʒ ſtatt ƷƷ (wie vorhin z ſtatt tz) durch ſyncope möglich werden, z. b. haƷte f. haƷƷete, weil im ſchwachen praet. nach ƷƷ nie e ausgeworfen wird; den grund ergibt die conjug., ja der unterſchied zwiſchen z und Ʒ überhaupt beruht hierauf. — Die in- und auslaute Ʒ fremder wörter beurtheilen ſich nach denſelben regeln; das auslautende Ʒ (und nicht z) bezeugen eine menge reime, karriôƷ:grôƷ etc. 4) die ſ. 154. bemerkten überbleibſel der alten ten. ſtatt des ziſchlauts dauern für ht. ft. ſt. tr. noch fort, man füge aus ſ. 394. winter und mantel hinzu. Das otfrie- diſche kurt **) findet ſich in der heſſiſchen und thü- ringiſchen mundart; Herbort hat kürte : antwürte (5c 23d 47d 56b) dagegen kürze:würze (27a 70a) Heinr. v. Mîſen kurt (v. 256. 4782.) auf geburt, ſo wie (v. 355.) *) Im 12. jahrh. noch ſameƷtac; bei T. 18, 1. O. III. 16, 68. ſambaƷdag merkwürdig für ſabbaƷdag; goth. ſabbatôdags oder ſabbatêdags. **) Neben dieſem auslaut auch kurtî (brevitas) I. 1, 43, hin- gegen kurzero II, 21, 34. kurzit IV. 7, 65. kurzlîchaƷ II. 21, 30. kurzlìchen II, 9, 147.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/439>, abgerufen am 27.05.2024.