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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche consonanten. gutturales.
behaupten seyn, wiewohl sich hier und da thei's j,
theils es voraussetzende übergänge in g zeigen, a) nach
l. n. r; vgl. serge (nanta f. ferje, goth. farja?) im fal-
schen, aber beweisenden reim auf berge (Ernst 33a)
richtig auf scherge (Georg 42b außer reim Parc. 107c
d. h. scarjo, praeco, der die harmscara vollzieht) ähn-
lich ist das noch gangbare mergen f. marjen, marien.
Nach l scheint g für j zu stehn in tilgen (delere) alth.
dilon, dilen (O. J.) angels. dilgjan; mittelh. ist das
wort selten (Oberlins citate 1639. 1785. aus Barl. bei
Köpke nicht zu finden) die form mag tiljen, tilgen
seyn, im reim steht sie nicht, obschon lilgen (liliis)
passen würde. Zu untersuchen wären noch folgen
(contaminare) und wolgen (nauseare); fremde wörter
mit lg. rg, ng berührt Lachm. ausw. XVI. Offenbar
sind mittelh. lg. rg. für lj. rj. nur einzelne trümmer;
in der regel alle i der ableitung, mögen sie früher
zu j geworden seyn oder nicht, längst ausgestoßen und
so gut erbe, her, nern f. arbjo, hari, narjan steht,
würde ver, tiln f. farjo, tiljan gelten. So ist hern
(vastare) f. das alth. herjon durchaus regel, allein hss.
des 14. 15. jahrh. zeigen noch manchmahl hergen. --
b) unmittelbar nach langem vocallaut hat sich j län-
ger erhalten. Hierher gehören: bluejen (florere) brue-
jen (aqua fervida perfundere) gluejen (ardere) muejen
(vexare) luejen (rugire) nuejen (incastrare, i. e com-
pingere) ruejen (remigare Reinfr. 102b 175b) *) ge-
mueje (aerumna) kneje (vaccae) frueje (praecox); im
auslaut oder sobald inlautend das j wegfällt, tritt
rückumlaut ein, woraus zugleich erhellt, daß es ein
ursprüngliches ableitungs-i war, vgl. kuo (vacca)
fruo (mane) die praet. muote, gluote, bruote, bluote,
luote oder den syncopierten inf. bluon, muon, luon etc.
Ferner die schwachen verba blaejen (flare) draejen (tor-
quere, tornare und moveri) kraejen (crocitare und
kraeje, cornix) maejen (metere) naejen (nere) saejen (se-
rere) schraejen (emanare) waejen (spirare) praet. blate etc.
contrahiert blan, dran, man, nan, san, meistans wird
blaen, draen, maen, naen, saen geschrieben. In beiden
fällen, nach ue und ae, verstatten sich wohl die hss.
g für j (bluegen, bruegen etc. blaegen, saegen etc.)
was mir ungenau scheint, weil kein reim solche for-
*) Bei andern ruoren (En. 2b troj. 113a).
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I. mittelhochdeutſche conſonanten. gutturales.
behaupten ſeyn, wiewohl ſich hier und da thei’s j,
theils es vorausſetzende übergänge in g zeigen, α) nach
l. n. r; vgl. ſerge (nanta f. ferje, goth. farja?) im fal-
ſchen, aber beweiſenden reim auf bërge (Ernſt 33a)
richtig auf ſcherge (Georg 42b außer reim Parc. 107c
d. h. ſcarjo, praeco, der die harmſcara vollzieht) ähn-
lich iſt das noch gangbare mergen f. marjen, marien.
Nach l ſcheint g für j zu ſtehn in tilgen (delere) alth.
dilôn, dilen (O. J.) angelſ. dilgjan; mittelh. iſt das
wort ſelten (Oberlins citate 1639. 1785. aus Barl. bei
Köpke nicht zu finden) die form mag tiljen, tilgen
ſeyn, im reim ſteht ſie nicht, obſchon lilgen (liliis)
paſſen würde. Zu unterſuchen wären noch folgen
(contaminare) und wolgen (nauſeare); fremde wörter
mit lg. rg, ng berührt Lachm. ausw. XVI. Offenbar
ſind mittelh. lg. rg. für lj. rj. nur einzelne trümmer;
in der regel alle i der ableitung, mögen ſie früher
zu j geworden ſeyn oder nicht, längſt ausgeſtoßen und
ſo gut erbe, her, nern f. arbjo, hari, narjan ſteht,
würde ver, tiln f. farjo, tiljan gelten. So iſt hern
(vaſtare) f. das alth. herjôn durchaus regel, allein hſſ.
des 14. 15. jahrh. zeigen noch manchmahl hergen. —
β) unmittelbar nach langem vocallaut hat ſich j län-
ger erhalten. Hierher gehören: bluejen (florere) brue-
jen (aqua fervida perfundere) gluejen (ardere) muejen
(vexare) luejen (rugire) nuejen (incaſtrare, i. e com-
pingere) ruejen (remigare Reinfr. 102b 175b) *) ge-
mueje (aerumna) kneje (vaccae) frueje (praecox); im
auslaut oder ſobald inlautend das j wegfällt, tritt
rückumlaut ein, woraus zugleich erhellt, daß es ein
urſprüngliches ableitungs-i war, vgl. kuo (vacca)
fruo (mane) die praet. muote, gluote, bruote, bluote,
luote oder den ſyncopierten inf. bluon, muon, luon etc.
Ferner die ſchwachen verba blæjen (flare) dræjen (tor-
quere, tornare und moveri) kræjen (crocitare und
kræje, cornix) mæjen (metere) næjen (nere) ſæjen (ſe-
rere) ſchræjen (emanare) wæjen (ſpirare) praet. blâte etc.
contrahiert blân, drân, mân, nân, ſân, meiſtans wird
blæn, dræn, mæn, næn, ſæn geſchrieben. In beiden
fällen, nach ue und æ, verſtatten ſich wohl die hſſ.
g für j (bluegen, bruegen etc. blægen, ſægen etc.)
was mir ungenau ſcheint, weil kein reim ſolche for-
*) Bei andern ruoren (En. 2b troj. 113a).
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[435/0461] I. mittelhochdeutſche conſonanten. gutturales. behaupten ſeyn, wiewohl ſich hier und da thei’s j, theils es vorausſetzende übergänge in g zeigen, α) nach l. n. r; vgl. ſerge (nanta f. ferje, goth. farja?) im fal- ſchen, aber beweiſenden reim auf bërge (Ernſt 33a) richtig auf ſcherge (Georg 42b außer reim Parc. 107c d. h. ſcarjo, praeco, der die harmſcara vollzieht) ähn- lich iſt das noch gangbare mergen f. marjen, marien. Nach l ſcheint g für j zu ſtehn in tilgen (delere) alth. dilôn, dilen (O. J.) angelſ. dilgjan; mittelh. iſt das wort ſelten (Oberlins citate 1639. 1785. aus Barl. bei Köpke nicht zu finden) die form mag tiljen, tilgen ſeyn, im reim ſteht ſie nicht, obſchon lilgen (liliis) paſſen würde. Zu unterſuchen wären noch folgen (contaminare) und wolgen (nauſeare); fremde wörter mit lg. rg, ng berührt Lachm. ausw. XVI. Offenbar ſind mittelh. lg. rg. für lj. rj. nur einzelne trümmer; in der regel alle i der ableitung, mögen ſie früher zu j geworden ſeyn oder nicht, längſt ausgeſtoßen und ſo gut erbe, her, nern f. arbjo, hari, narjan ſteht, würde ver, tiln f. farjo, tiljan gelten. So iſt hern (vaſtare) f. das alth. herjôn durchaus regel, allein hſſ. des 14. 15. jahrh. zeigen noch manchmahl hergen. — β) unmittelbar nach langem vocallaut hat ſich j län- ger erhalten. Hierher gehören: bluejen (florere) brue- jen (aqua fervida perfundere) gluejen (ardere) muejen (vexare) luejen (rugire) nuejen (incaſtrare, i. e com- pingere) ruejen (remigare Reinfr. 102b 175b) *) ge- mueje (aerumna) kneje (vaccae) frueje (praecox); im auslaut oder ſobald inlautend das j wegfällt, tritt rückumlaut ein, woraus zugleich erhellt, daß es ein urſprüngliches ableitungs-i war, vgl. kuo (vacca) fruo (mane) die praet. muote, gluote, bruote, bluote, luote oder den ſyncopierten inf. bluon, muon, luon etc. Ferner die ſchwachen verba blæjen (flare) dræjen (tor- quere, tornare und moveri) kræjen (crocitare und kræje, cornix) mæjen (metere) næjen (nere) ſæjen (ſe- rere) ſchræjen (emanare) wæjen (ſpirare) praet. blâte etc. contrahiert blân, drân, mân, nân, ſân, meiſtans wird blæn, dræn, mæn, næn, ſæn geſchrieben. In beiden fällen, nach ue und æ, verſtatten ſich wohl die hſſ. g für j (bluegen, bruegen etc. blægen, ſægen etc.) was mir ungenau ſcheint, weil kein reim ſolche for- *) Bei andern ruoren (En. 2b troj. 113a). E e 2

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/461>, abgerufen am 17.06.2024.